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Die Blutblume

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In der Nacht war Wimbakobolo geflohen und hatte Purleemil, die Verlobte des Tirlta, mitgenommen. Nun war das Geschrei im Lager des Fluß-Stammes groß; die Alten versammelten sich und beratschlagten, wie sie ihn wohl wieder einsangen könnten. Während sie so beisammen saßen, kamen die jungen Leute herbei und erzählten, daß die Spuren der Flüchtigen nach dem großen Boulka-See führten, wo sich gerade eine Jagdgesellschaft aufhielt, die von einem Stamme aus dem Hinterlande entsandt war. Zu diesem Stamme hatte einst auch der Vater von Wimbakobolo gehört.
Da meinten die Alten mit Recht, daß die Flüchtlinge bei diesem Stamm Schutz suchen würden. Sie riefen die waffenfähige Mannschaft herbei und sagten: »Holt eure Waffen, wir wollen zu diesem Stamm ziehen und von ihm die Herausgabe der Flüchtigen verlangen. Wimbakobolo wollen wir erschlagen; Purleemil überlassen wir dem Tirlta; der mag sie dann nach seinem Gefallen töten oder behalten.«
In voller Kriegsbemalung und bis an die Zähne bewaffnet zogen sie los. Zwei Tage lang folgten sie der Spur. Am dritten erblickten sie die Lagerfeuer. Sie sandten Boten zum Stamm, die von den Alten empfangen wurden. Sie forderten die Auslieferung von Wimbakobolo und Purleemil.
»O, schickt mich bitte nicht zurück,« sagte Purleemil, »schickt mich nicht zum alten Tirlta zurück. Zwei Frauen hat er schon mit seiner Keule erschlagen; ich will nicht die dritte sein.« Und sie schluchzte laut.
»Hör auf mit Schreien,« sagte Wimbakobolo, »ich gebe dich an niemand heraus, eher töte ich dich selbst mit meinem Speer. Wenn Tirlta ein Mann ist,« er wandte sich zu den Alten, »dann soll er mit mir kämpfen. Ich bin bereit dazu, doch er ist ein Feigling. Leute vom Stamme meines Vaters! Bei euch fanden wir Schutz, und ihr gabt uns zu essen, als wir hungrig waren; denkt daran, daß einst mein Vater zu euch gehörte, daß er ein gewaltiger Krieger war und eure Feinde wie Ameisen vernichtete. Wie er für euch kämpfte, wird es sein Sohn in kommenden Tagen tun, wenn ihr ihm nur jetzt helft. Ich habe Purleemil mit den Sternenaugen seit langem geliebt, und ihr Herz hat mir immer gehört. Soll ein Mädchen auf Geheiß von Graubärten sein Herz einem Weibermörder schenken? soll es den Geliebten verlassen? soll es den lahmen Krüppel einem jungen, kräftigen, gutgewachsenen Mann vorziehen? Denkt an meinen Vater, ehe ihr eure Hand von seinem Sohne und den kommenden Enkeln abzieht! Niemals wollen wir wieder zu Tirltas Stamm zurückkehren, nein, eher soll mein Speer Purleemil, meinen Herzensschatz, durchbohren, und mein Blut mit ihrem sich vereinen.«

Wimbakobolo richtete sich auf und machte als Krieger, mit den Waffen in der Hand, einen so mächtigen Eindruck auf die Alten, daß sie sagten: »Wir wären ja Narren, wenn wir den Sohn unseres alten Anführers den Feinden auslieferten. Er soll unser Führer sein wie einst sein Vater, und Purleemil wird die Mutter tapferer Krieger; die Sippe des Wimbakobolo ist stark, wie ihr Name es schon besagt, sind es Männer wie Berge.«
Dann wandte ein Alter sich zu den Boten und sagte: »Bestellt dem Tirlta, er möge auf das Feld kommen, dort wird er dem Wimbakobolo begegnen, und sie können ihren Zwist auskämpfen. Will Tirlta nicht, dann soll der Feigling nach Hause gehen und dort bleiben. Wimbakobolo bleibt bei uns, und wir liefern ihn an niemand aus.«
Die Boten kehrten zu ihrem Stamm zurück; doch kein Tirlta erschien und nahm die Herausforderung an; er ging mit den anderen an den großen Fluß zurück.
Wimbakobolo und Purleemil lebten in Frieden und waren beim ganzen Stamm beliebt, denn er war ein tüchtiger Jäger und sie eine Sängerin lieblicher Lieder.
Nach einiger Zeit, als schon die kalten Winde über den Boulka strichen, brach der Stamm das Lager ab und schlug es weit entfernt davon wieder auf, wo die Bäume mehr Schutz boten und Feuerholz vorhanden war, denn der Winter stand vor der Tür.
Noch vor Winters Ende wurde dem Wimbakobolo und der Purleemil ein Sohn geboren. Als der Stamm sah, was es für ein dickes Kerlchen war, nannte er es scherzhaft »den kleinen Häuptling« und brachte ihm allerlei Geschenke, Spielbumerangs, Wurfbretter und anderes mehr, so daß die Augen der Mutter vor Stolz leuchteten; und der Vater begann schon mit der Anfertigung von Waffen, die der Junge später gegen die Feinde des Stammes gebrauchen sollte, der sie aufgenommen hatte.
Und Purleemil sang neue Lieder, welche die Geister sie gelehrt hatten, von ihrem Söhnchen, das ewig leben und der Schönste in den Gefilden des Hinterlandes sein sollte.
Wenn Purleemil Lieder sang und der Säugling kreischte und lachte, dann sagte der Vater nur wenig; aber er setzte eine so frohe Miene auf, sobald er vom Schnitzen der Waffen mit dem Opossumzahn aufsah und von Zeit zu Zeit nach Weib und Kind hinblickte, daß alle über seinen glücklichen Stolz lächelten, und sich von Herzen freuten, daß die Alten Purleemil nicht ausgeliefert hatten, um die Frau des Weibermörders Tirlta zu werden.
Der Winter ging vorüber; und als der Sommer nahte, machten sich alle fertig, um zu den Jagdplätzen zurückzukehren, wo damals die Flüchtlinge zu ihnen gestoßen waren.
Doch Purleemil sang nicht mehr. Die Geister hatten ihr verkündet, daß bald ein großes Unglück geschehen würde.
»Laß uns hier im Winterlager bleiben,« sagte sie zu ihrem Gatten, »wo wir so glücklich gewesen sind. Ich fürchte, wir verlieren unseren kleinen Häuptling, wenn wir fortziehen. Lieber Mann, wir wollen hierbleiben.«
»Liebe Frau, das ist unmöglich; der Stamm würde mich einen Feigling schelten, der Angst vor Tirlta hat.«
»Und doch, lieber Mann, ist es besser, ein Feigling genannt zu werden – und alle wissen es ja, daß du es nicht bist –, als unsern kleinen Häuptling zu verlieren. Ohne ihn würde unser Leben einsam sein; er ist die Sonne, die unsere Tage erhellt, ohne ihn würden sie ewig dunkel wie das Grab sein.«
»Liebe Frau, du hast recht; wo der kleine Häuptling bei uns ist, würde ein noch so langes Leben ohne ihn schrecklich sein. Doch weshalb sollten wir ihn verlieren? Haben die Geister nicht gesagt, er solle ewig auf den Feldern leben? Nun, Geliebte, weshalb wollen wir uns da groß um ihn bangen?«
»Ich vermag es dir nicht zu sagen. Die Geister haben gewiß die Wahrheit gesprochen, und doch sagen sie jetzt – in jedem Lufthauch vernehme ich ihre Stimme –, daß uns ein Unglück bevorsteht.«
»Aber doch nicht dem kleinen Häuptling, Purleemil. Vielleicht dem Stamm, der uns aufgenommen hat; und den können wir doch nicht verlassen; und der soll dem drohenden Unglück nicht allein entgegentreten. Komm nur mutig mit, Mutter vom kleinen Häuptling, sonst trinkt er noch Furcht an deiner Brust!«
Da drückte Purleemil das Kind an sich und sprach nicht mehr von ihren Befürchtungen. Und als die Tage fröhlich in dem neuen, und doch alten Lager dahin flossen, waren bald alle Ängste vergessen, und die Geister stellten die Warnungen ein.
Als eines Nachts der ganze Stamm, der die drohende Gefahr nicht ahnte, fest eingeschlafen war, da umzingelten die Feinde, die nur auf eine gute Gelegenheit gewartet hatten, das Lager. Näher und immer näher schlichen sie sich unter der Führung des Tirlta heran. Er war ein zu großer Feigling, um den offenen Kampf zu wagen; er schlich sich nachts wie ein Dingo ins Lager und wollte die hinterrücks töten, die ihm seine Beute, die Purleemil, entrissen hatten. Ja, sie sollte erschlagen werden, und mit ihr die übrigen Männer, Frauen und Kinder; alle, alle, sollten sie seinem Haß geopfert werden. Er hatte sich seinen Plan gut ausgedacht; er hatte so lange gewartet, bis alle Befürchtungen vor einer Rache eingeschläfert und die Wachsamkeit vernachlässigt worden waren.
Ganz lautlos krochen sie näher und immer näher heran …

Der kleine Häuptling fuhr im Schlaf auf. Purleemil beruhigte ihn wieder und erzählte ihm von den Geistern, die gesagt hatten, daß er ewig auf den Feldern leben und der Herrlichste, Schönste sein sollte; da war er bald wieder still, und auch die Mutter schlief wieder ein und schmiegte sich näher an den so heißgeliebten Wimbakobolo heran. Sie ahnte nichts von der drohenden Gefahr.
Zu ihren Füßen heulte ein Hund, und Wimbakobolo fuhr aus dem Schlaf in die Höhe; und wieder heulte der Hund; da stand Wimbakobolo auf; doch kaum hatte er sich erhoben, da fällte ihn ein tödlicher Schlag von Tirlta zu Boden. Der Feind fiel in das Lager ein und erschlug die meisten Schläfer an Ort und Stelle; nur einige fanden noch Zeit, ihre Waffen zu ergreifen, doch sie verteidigten sich vergeblich.
Tirlta hatte schon seit Tagen die Hütte von Purleemil ausgekundschaftet. Er hatte sich ihren Gatten zum Opfer auserlesen. Als er ihn getötet hatte, durchbohrte der Teufel den kleinen Häuptling mit seinem zackigen Speer.
Als Purleemil, die liebliche Sängerin, ihren Gatten und das Kind vom Speer des Feindes durchbohrt tot neben sich erblickte, versagte ihr die Stimme im Halse. Sie entwandte dem Tirlta den Speer und stieß sich die Spitze, die den Leib ihres Kindes durchdrungen hatte, in das eigene Herz. Mit dem kleinen Häuptling so fest verbunden fiel sie tot über den Leichnam ihres Gatten hin, und das Blut der drei floß zu einer Lache zusammen.
So vollzog sich die Rache des Tirlta. Keiner vom Stamme, der den Flüchtlingen Obdach gewährt hatte, war am Leben geblieben. Tirlta und sein Stamm überließen die Erschlagegen den Habichten und Krähen und kehrten nach Kallawalla zurück.
Im Jahr darauf wollten sie auf den Jagdgründen ihrer toten Feinde jagen. Als sie dort ankamen, schlugen sie ihr Lager in einiger Entfernung von dem Platze auf, wo das Gemetzel stattgefunden hatte, damit die Geister der Toten sie nicht belästigten.
Nachts sah man seltsame Lichter an der Stelle, und sie dachten, daß die Geister abwesend wären.
Am andern Morgen wollten sie Wasser aus dem Boulka-See holen. O, wie glitzerte der in der Sonne! Aber war das denn Wasser? Sie blieben stehen und schauten genau hin. Das war kein Wasser vor ihnen. Sie gingen weiter, und nun sahen sie, daß der große See zu Salz erstarrt war. Da erschrak der Stamm und kehrte nach seinen eigenen Jagdgründen zurück, denn kein Mensch wagt die Geister herauszufordern. Tirlta sagte, er würde nachkommen; aber erst wolle er noch einmal dahingehen, wo die Gebeine seiner Feinde bleichten; die zu sehen, sagte er, würde ihm eine ganz besondere Freude machen. Er trug noch immer den Haß im Herzen. Doch, so dachte er, mußten seine Augen sicherlich von dem Glanz des Salzsees ganz geblendet sein, denn als er an die Stelle kam, wo die erschlagenen Feinde liegen sollten, da sah er dort keine Knochen mehr; Mengen, große Mengen wunderschöner, prächtig roter Blumen wuchsen dort, Blumen, wie er sie noch nie gesehen hatte.
Als er ganz benommen vom Staunen darauf hinschaute, reckte sich vom Himmel ein großer Speer herab, traf ihn in die Seite und hob ihn in die Höhe. Wie er so in der Luft schwebte, hörte er, obwohl er niemand sah, eine Stimme sagen: »Wie darfst du feiger Mörder von Frauen und Kindern es wagen, deinen Fuß auf eine Stelle zu setzen, die für immer durch das von dir vergossene Blut geheiligt ist? vom Blut des kleinen Häuptlings, seiner Mutter und seines Vaters, das hier zusammenfloß und erblühte, wie du jetzt siehst; kein Mensch kann das Blut ertöten, denn im Blut steckt noch mehr als das Leben des Fleisches. Ihr Blut soll ewig leben bleiben, mit seinem glühenden Glanz soll es die kahlen Felder verschönen, wo die Salzseen sich befinden, die getrockneten Tränen der Geister, deren Lieder Purleemil so lieblich sang, die salzigen Tränen, welche sie vergossen, als du und deinesgleichen das Leben des von ihnen geliebten Stammes auslöschtest. Ewig sollst du hier vor deinem Werk, vor deiner feigen Tat sitzen bleiben!«
Als der Geist das gesagt hatte, ließ er Tirlta, vom Speer durchbohrt, auf den Boden hinab. Im Laufe der Zeiten wurden Mann und Speer in Steine verwandelt und wurden zum ewigen Denkmal der Macht des Geistes. Und zu den Füßen Tirltas breitet sich die wundervolle rote Blume aus, der Stolz der kahlen Ebenen im Westen, wo die Salzseen liegen – wir nennen sie die Wüstenerbse, doch den alten Männern war sie als Blutblume bekannt.

[Australien: Märchen der Welt ]

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