Suche

Der Wassergeist

2.3
(3)
Die Haustür des Bauernhauses ging auf und die mollige Schäferin kam mit einem leeren Eimer heraus, um Wasser zu holen, doch der Brunnen war leer. Erschrocken ließ sie den Eimer fallen und rannte zum Stall, indem ihr Mann nach den Tieren sah und rief außer Atem: „Mann! Unser Brunnen ist ausgetrocknet!“
„Das kann doch gar nicht sein!“, rief er zurück, stapfte unwillig zum Brunnen und sah, dass seine Frau die Wahrheit gesagt hatte. Im Brunnen war kein Tröpfchen Wasser mehr.
„Was machen wir nun?“, dachte der Schäfer bekümmert.
„Hallo, Schäfer! Hallo, Schäfer!“, rief der Bauer von Nachbargrundstück, kam herüber und fragte: „Habt ihr auch kein Wasser mehr? Sogar der kleine Bach, der an meine Wiese grenzt, ist ausgetrocknet. Ich vermute, dahinter steckt ein Wasserteufel.“
Der Schäfer wusste über diese Gestalten bescheid und sagte: „Ja, ja! Wasserteufel leben in sehr tiefen Höhlen, wo sie das klare Wasser sammeln und es nicht wegfließen lassen, bis sie in eine andere Gegend wandern und dass kann dauern. Die Kerle tauchen angeblich so furchtbar gern.“
Der Bauer meinte nun ganz aufgeregt: „Einen halben Tagesmarsch von hier gibt es eine Sandsteinhöhle. Wir müssen dorthin, um nachzusehen.“
Der Schäfer holte sein Gewehr und dann zog er mit dem Bauern los.
Die Frau des Schäfers ging besorgt ins Haus zurück und erschrak an der Türschwelle, fing sich jedoch schnell wieder, da sie kein Hasenfuß war und trat ins Haus. Am runden Tisch in der Stube saß ein fürchterlich aussehendes Männlein, das wohl auf die Hausfrau gewartet hatte und fragte spöttisch: „Dein Kessel über dem Herd ist leer. Habt ihr kein Wasser?“
Die Schäferin fragte daraufhin beherzt: „Wer bist du und wie kommst du in unser Haus?“
„Ich bin der Geist des Wassers. Deinen Brunnen und den kleinen Bach an der Wiese habe ich verhext. Ihr müsst von diesem Hof verschwinden und euch eine neue Bleibe suchen, wo es Wasser gibt. Alle werden sterben, das gesamte Dorf mit Mann und Maus!“
„Warum hast du das gemacht?“, fuhr ihn die Schäferin barsch an.
„Dein Mann hat mich vertrieben, als ich neulich ein Schaf von euch haben wollte und der Bauer gab mir kein Schwein. Das ist die gerechte Strafe! Jetzt müsst ihr verdursten.“
Die Worte verklangen in einer Nebelwolke. Der Wassergeist war verschwunden.
„Was soll nur aus uns werden?“, jammerte die Schäferin.

Zur gleichen Zeit hatten der Schäfer und der Bauer den Eingang der Sandsteinhöhle erreicht. Doch auch die Höhle führte kein Wasser. So liefen sie zurück zum Schäferhof. Die Frau des Schäfers erzählte den beiden sogleich, dass der Wassergeist bei ihr gewesen war und er an allem Schuld sei.
„Ja“, sagte der Schafhirte, „den Geist kenne ich. Er wollte vor einigen Tagen ein Schaf von mir haben, aber er wollte nichts dafür bezahlen und da habe ich ihn weggeschickt.“
„Bei mir wollte er ein Schwein, auch ohne zu bezahlen. Da habe ich ihn davongejagt“, erzählte der Bauer.
Wie die drei so am Tische in der Stube über die ganze Sache nachgrübelten, klopfte es plötzlich an die Tür. Draußen stand eine Kutsche und der Kutscher fragte den Schäfer, ob er seine Pferde tränken dürfe?
„Leider haben wir kein Wasser. Der Wassergeist hat unseren Brunnen und den kleinen Bach verhext“, antwortete der Schäfer traurig, bat den Mann jedoch einzutreten und Platz zu nehmen, damit er sich etwas ausruhen möge. Der Kutscher trat dankend ein und stellte eine Flasche roten Wein auf den Tisch, was alle sehr verwunderte. Doch die Hausfrau holte ohne Fragen zu stellen Gläser und goss das köstliche Getränk ein. Inzwischen nahm der Kutscher seinen Hut vom Kopf, setzte sich, prostete den dreien zu und begann zu erzählen: „Das gleiche, was euch geschehen ist, geschah vor etwa drei Jahren im Tal der Buchen. Dort hatte er auch den Landstrich austrocknen wollen. Es war Hochsommer. Die Menschen hatten viele Tage kein Wasser. Fast alle Tiere starben, auch die Felder vertrockneten. Man erzählt sich, ein Talbewohner wäre damals einem Wasserteufel begegnet, der sich in der Gegend herumtrieb. Diese Wesen verweilen meist nie lange an einem Ort und nehmen sich nur soviel Wasser, wie sie brauchen, aber nie alles. Es ergab sich also, dass sie ein Stück des Weges gemeinsam wanderten und in einem Wirtshaus einkehrten. Dort tranken sie drei Flaschen roten Weines, da es kein Wasser gab. Der betrunkene Talbewohner klagte ihm irgendwann sein Leid. Da lachte der Wasserteufel, freute er sich doch, seinen Rivalen wieder einmal vertrieben zu sehen und gab dem Manne den Rat, den Wassergeist in einen gefüllten Eimer blicken zu lassen. Der Anblick würde ihn vernichten. Beherzte Bewohner hatten sich aufgemacht und sind unter großen Mühen zum großen Fluss gegangen. Alles war dann so gekommen, wie der Wasserteufel vorhergesagt hatte. Und fortan führten die Brunnen und Flüsse wieder das kostbare Nass. Dort hat man den Wassergeist übrigens nie mehr gesehen.“
„Ein Wassergeist, der das Wasser fürchtet. Hat man so etwas schon jemals gehört?“, lachte der Schäfer, wurde aber sofort wieder ernst: „Na schön! Es bleibt uns nur eine Möglichkeit. Wir müssen zum großen Fluss. Dann werden wir dem Wassergeist hier auch das Handwerk legen können“, beschloss der Schäfer. Nachdem der Kutscher sich verabschiedet hatte, stapfte der Schäfer in den Stall und holte zwei Wasserschläuche, die er aus Schafshäuten hergestellt hatte.
Die Schäferin packte für die Männer einen Beutel mit Brot und Wurst zusammen. Dabei überlegte sie, ob der Kutscher nicht vielleicht sogar ein Wasserteufel war. Eine Erfrischung brauchte er doch gar nicht, im Gegenteil! Der Wein war gut und kühl. Seine Erzählung und der Rat galten sicher einzig und allein dem Zwecke, seinen Rivalen wieder einmal aus dem Weg räumen zu lassen, da er auch ihm das Wasser weggenommen hatte. Wie schlau die Schäfersfrau doch war!
Der Bauer schirrte seine Pferde an so machten sich die beiden Männer auf den weiten Weg zum großen Fluss.

Auf halbem Wege kamen sie an einer Waldhütte vorbei. Dort lebte die gute Fee Arwen. Sie lud die beiden in ihre Hütte und tischte auf. Erstaunt tranken der Schäfer und der Bauer den wohlschmeckenden Tee. Da fragte der Bauer: „Woher hast du Wasser für den Tee?“
Die Fee antwortete: „Mein Brunnen vor der Hütte führt kein Wasser. Aber ich habe zwei Zauberkrüge, in denen das Wasser nie versiegt. Es waren einmal drei, doch einer ging leider zu Bruch.“
„Wir haben zu Haus auch kein Wasser“, sagte der Schäfer und erzählte vom Wassergeist.
„Na so was! Wieso weiß ich vom Wassergeist so gar nichts?“, staunte die Fee und setzte hinzu: „Ich will euch helfen!“
Sie ging in die Schlafkammer und stand kurz darauf mit einem Zauberding in den Händen vor den Männern. „Den schenke ich euch, so braucht ihr nicht bis zum großen Fluss und könnt euer Vieh und das ganze Dorf hoffentlich noch rechtzeitig retten.“
Der Schäfer und der Bauer bedankten sich recht herzlich und fuhren zurück zur Schäferei. Dort gaben sie das Gefäß der Schäferin und diese probierte es sofort aus. Alles klappte wie am Schnürchen. Zuerst tränkte sie die Tiere und füllte das große Fass. Dann goss sie das Gemüse im Garten. So taten es auch der Bauer und die umliegenden Nachbarn. Alle waren sehr dankbar und jeder achtete darauf, dass der Krug nicht entzweischlug. Als alle versorgt waren, befüllte die Schäferin noch einen Eimer und stellte ihn unter den Tisch. Den kostbaren Krug jedoch verwahrte sie in ihrem Küchenschrank.

Drei Tage später gegen Mittag saß plötzlich der Wassergeist in der Küche und fragte abermals spöttisch die Schäferin: „Habt ihr denn gar keinen Durst?“
„Nein!“, antwortete sie unberührt am Herd werkelnd, drehte sich nun blitzschnell um, sprach weiter: „Aber vielleicht möchtest du etwas trinken?“, holte bei ihren Worten den bereitstehenden Eimer unterm Tisch hervor und hielt ihn dem ungebetenen Gast genau vors Gesicht. Er schaute überrumpelt hinein, wurde abwechselnd rot und blass vor Wut und sein Körper zerrann wie schmelzender Schnee, wobei sich in der Küche nach und nach eine Pfütze bildete, die in den Ritzen des Holzbodens versickerte.
Der Schäfer führte grade seine Herde an des Bauern kleinen Wiesenbach vorbei, als dieser wieder fröhlich vor sich hinplätscherte. Da ließ er die Schafe ausgiebig trinken und trieb sie hernach auf den Hof. Wie er in seinen Brunnen schaute, war er glücklich. Bis zum Rand führte er wieder Wasser. In der Ferne glaubte der Schäfer ein lautes, aber herzliches Lachen zu hören. Es kam aus der Richtung der Sandsteinhöhle. Der Hokuspokus war endlich vorbei.
Seine Frau erzählte ihm beim Abendessen, dass der Wassergeist noch einmal da war und als er in den gefüllten Eimer blickte, wurde er selbst zu Wasser und verschwand im Boden. Und sie erzählte ihm auch, was sie über den seltsamen Kutscher dachte und zeigte ihm die Weinflasche, die sich wieder von selbst gefüllt hatte.
„Ich bin mir sicher, dass der Kutscher ein Wasserteufel war. Der Wein ist sein Geschenk dafür, dass wir den Wassergeist vertrieben haben“, freute sich die Schäferin.
„Dann habe ich vorhin ihn lachen hören“, schmunzelte der Schäfer und goss sich und seiner klugen Frau roten Wein in die Gläser. Der Schäfer und seine Frau lächelten sich wissend zu.
Da sich bald herumgesprochen hatte, wie man dem Wassergeist den Garaus machen kann, wurde er von niemandem in diesem Dorf und Umgebung jemals wieder gesehen.

 
Quelle: Friedrich Buchmann

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content