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Die Schöne

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Zu einer Zeit, an die sich kaum jemand erinnern kann, lebte in einer kleinen Stadt ein junges, etwas einfältiges Mädchen. Es war liebreizend von Angesicht, liebte schöne Kleider, Schmuck und Feste.
Ein Jüngling verliebte sich in die Schöne und zeigte sich stolz mit ihr im Kreis seiner Freunde.
Doch nach kurzer Zeit wurde er ihrer überdrüssig. Auch als das Mädchen ihm ein Kind gebar, wollte er nicht bei ihm bleiben, weil es ihm nicht klug genug erschien.

Die Schöne verschmerzte seinen Verlust bald. Andere Jünglinge umschwärmten sie. Leider fand sich darunter nicht einer, der sie auch heiraten oder ihr wenigstens einen sehnlichen Wusch erfüllen wollte – die Reise in ein fernes Land, in dem alles ganz anders sein würde als in der kleinen Stadt, in der sie daheim war.
Eines Nachts erschien ihr im Traum eine gute Fee und schenkte ihr drei Wünsche.
„Ich will einen Prinzen, der mir gefällt und mir die Welt zeigt“, sagte das Mädchen.
Die Fee zögerte ein wenig, hob aber schließlich den Zauberstab.
Tags darauf begegnete das Mädchen einem Mann, nicht eben jung aber auch nicht alt, einem Grafen.
Er verliebte sich, wie alle zuvor, zuerst in ihr Gesicht. Zwar merkte er bald, dass seine Liebste nicht besonders klug war, sah jedoch darüber hinweg und nahm sich auch ihres Kindes an. Doch als er vorschlug, mit ihr in ein fernes Land zu ziehen, in dem er Ländereien besaß, bekam die Schöne plötzlich Angst vor den vielen Veränderungen. Im Traum rief sie nach der Fee und flehte, sie möge ihrem Liebsten diese Idee austreiben.
Die Fee runzelte die glatte Stirn und tadelte: „Du weißt nicht, was du willst.“ Doch sie hob auch diesmal den Zauberstab.
Der Graf nahm Abstand von seinen Plänen, heiratete die Geliebte und zog mit ihr in ein Landhaus, das mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet war.
Bald darauf wurde die junge Gräfin schwanger und gebar unter vielen Schwierigkeiten Zwillinge.
Die Kleinen gediehen nach der Geburt nicht recht und wurden in die Obhut einer Wunderheilerin gegeben.
Sorgenvoll flüchtet sich die Gräfin in ihre Träume. Die Fee ließ nicht lange auf sich warten.
„Ich weiß schon, was du willst“, sagte sie lächelnd. „Und diesen Wunsch erfülle ich dir gern. Doch bedenke, es ist der letzte.“ Wieder blinkte der Zauberstab auf.
Wenige Tage danach brachte die Heilerin den Eltern zwei gesunde Kinder zurück.
Das Glück der Schönen schien nun vollkommen.

Doch im Verborgenen lauerte der Dämon der Eitelkeit. Bei guter Gelegenheit warf er sein Netz über die junge Gräfin. Sie wurde von einer geheimnisvollen Krankheit heimgesucht, die sich keiner erklären konnte. Der Graf ließ nichts unversucht, aber weder die herbeieilenden Ärzte noch die alte Wunderheilerin vermochten zu helfen.
Die Schönheit der Kranken verging, sie wurde von unerträglichen Schmerzen gepeinigt und war dem Tod nahe. Angstvoll rief sie im Traum nach der Fee. Die erschien auch, schüttelte jedoch traurig das Haupt.
„Drei Wünsche hatte ich zu vergeben. Nun ist meine Macht ist zu Ende. Nimm dein Schicksal an.“
Da richtete sich die Kranke auf und rief: „Ich bin jung, ich will wieder schön sein und noch lange nicht sterben.“
„Das musst du auch nicht“, sagte eine Stimme und ein dunkler Schatten erfüllten den Raum. „Ich rette dich, wenn du versprichst, ein völlig neues Leben zu führen.“
„Das ist es ja, was ich will“, dachte die Gräfin und erklärte sich einverstanden.
Von dieser Nacht an fühlte sie sich täglich besser und in kurzer Zeit war sie wieder gesund.

Bald schon ging sie im Haus umher und wunderte sich, dass sie nie bemerkt hatte, wie langweilig es hier war: Immer der gleiche Tagesablauf, die gleichen Gespräche, dieselben Gesichter.
Das Geschrei der Zwillinge und das fröhliche Herumtollen des ältesten Kindes zerrten an ihren Nerven.
Sie bemerkte das graue Haar des Grafen, die Falten in seinem Gesicht und tiefe Abneigung erfüllte sie.
Er passte nicht zu ihrer Jugend und Schönheit. Es war ja so richtig, was die Stimme in jener Nacht gefordert hatte.
„Ich muss mein Leben neu einrichten“, dachte die Gräfin.
Fortan überließ sie jegliche Sorge um Bedienstete und Kinder ihrem Mann. Sie stand spät auf, ließ sich stundenlang frisieren und schminken, verbrachte den Tag bei Schneiderinnen und Schuhmachern und fehlte bei keiner öffentlichen Festlichkeit. Stets versicherte sie dort, der Graf sei leider unpässlich und müsse das Haus hüten. Alle Damen im Saal übertraf sie an Schönheit und die Herren umschwärmten nur sie. Das neue Leben funkelte und glänzte.
Bei einem dieser Feste forderte ein junger Baron die Gräfin zum Tanz auf.
„Du bist die, die ich gesucht habe“, flüsterte er.
Mit Freude erkannte sie die Stimme, die sie in jener Nacht gehört hatte. Als sie ihm dies gestand, lächelte er hintergründig. „Ich kenne dich länger als du denkst.“
Bald war es ein offenes Geheimnis, dass die Gräfin und der Baron ein Verhältnis miteinander hatten.
Man bedauerte den unglücklichen Grafen und die Kinder und verstand nicht, dass er seine Frau nicht verstieß, sondern weiter im Haus duldete. Alle Freunde zogen sich zurück.

Das neue, funkelnde Leben der Gräfin währte nicht lange. Mit der Zeit bestand es nur noch aus immer langweiliger werdenden Festen, immer häufigeren Streitereien mit dem Baron, immer trübsinnigeren Grübeleien in schlaflosen Nächten. Und in einer dieser Nächte erschien der Gräfin die gute Fee.
„Ich habe für dich noch einen einzigen Wunsch auftreiben können“, sagte sie. „Wähle gut!“
„Lass mich sein, wie ich war, ehe mir eine Stimme befahl, mein Leben zu ändern“, flüsterte die Schöne.
Die Fee lächelte zufrieden und hob den Stab.
Ein schneidender Schmerz durchfuhr den Körper der Unglücklichen, schlimmer als während ihrer Krankheit. Und plötzlich erkannte sie klar, wo das Glück ihres Lebens wirklich lag.
„Ich war so dumm und nun muss ich wohl sterben“, seufzte sie.
„Keineswegs“, versprach die Fee. „Soeben hat dich deine tödliche Krankheit endgültig verlassen: Oberflächlichkeit und die Sucht nach Anerkennung.“ Sprachs und war verschwunden.

Am nächsten Morgen ging die junge Gräfin im einfachen Kleid durchs Haus, verteilte die täglichen Aufgaben und kümmerte sich selbst um ihre Kinder. Sie bat den Grafen um Verzeihung und fand ihn liebenswerter als zuvor. Ob die beiden jemals in jenes ferne Land gezogen sind, weiß das Märchen allerdings nicht zu vermelden.

© Barbara Siwik

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