5
(1)
An einem Königshofe war einmal ein Küchenjunge. Aber wenn auch nur ein Küchenjunge, er wäre, hätte man ihm stattliche Kleider angelegt, unstreitig der schönste, beste Junge im ganzen Lande gewesen. Er wurde mit der Tochter des Königs bekannt, die um ein Jahr jünger war als er, und sie befreundeten sich so, daß von dieser Zeit an kein Tag verfloß, wo sich nicht die Prinzessin mit ihm in dem großen königlichen Garten unterhalten hätte.
Den Räthen des Königs war dies nicht recht. Eine Prinzessin und ein Küchenjunge! Sie lagen dem alten König an, er solle ihn fortjagen lassen. Der alte König folgte seinen Räthen, und befahl, ihn fortzujagen. Allein die Prinzessin brach in Thränen aus, sobald sie ihn nur anrührten; denn sie hatte ihn sehr lieb, und wußte nicht, wie sie sich ohne ihn unterhalten könnte. »Ei was!« dachte der alte König »sie sind ja noch Kinder, mit der Zeit werden sie schon zu Verstand kommen!« und ließ Alles beim Alten.
Es blieb also Alles, wie es war; die Kinder spielten mit einander, und Niemand durfte sie hindern. Allmählich hörten sie auf, Kinder zu sein; ihre Freundschaft aber dauerte fort, und wurde von Tag zu Tag inniger und fester. Die Prinzessin wuchs heran, sie war bereits heirathsfähig. Von allen Enden der Welt kamen Königssöhne herbei, um sie zu werben. Der königliche Palast erscholl von Musik und Becherklang des Weins und der köstlichen Speisen gab’s in Hülle und Fülle. Die Prinzessin konnte zehn Königssöhne für einen haben; allein sie zog sich von ihnen zurück, sobald sie nur konnte, und eilte, sich mit ihrem Küchenjungen zu unterhalten. Und wenn sie der Vater fragte, wer ihr gefalle, wen sie zum Gemahl haben wolle, so antwortete sie immer, daß ihr der Küchenjunge am besten gefalle, daß sie keinen andern zum Gemahl nehmen wolle.
Der alte König ärgerte sich gewaltig. So viele Königssöhne und ein Küchenjunge! Er berief seine Räthe, damit sie ihm sagten, was er thun solle. Sie riethen ihm sogleich, er solle den Küchenjungen umbringen lassen. Allein dem guten König schien es unrecht, den unschuldigen Jungen gewaltsam umbringen zu lassen. »Erlauchter König,« sprach der weiseste der Räthe, »scheint Dir das unrecht, so schicken wir ihn auf gute Art irgendwohin daß er, wenn er auch hundert Jahre reist, nicht wiederkehren kann. Schicken wir ihn zur Sonne, daß er sie frage, warum sie Vormittags immer höher steigt, und Alles mehr und mehr erwärmt, und warum sie Nachmittags immer niedriger sinkt, und Alles minder und minder erwärmt!«
Dieser weise Rath gefiel dem König. »Wenigstens,« sprach er, »wird ihn meine Tochter vergessen, wenn sie ihn so lange nicht sieht.« Sie riefen sogleich den Küchenjungen, gaben ihm Geld auf den Weg, und schickten ihn zur Sonne, damit er Antwort auf die Frage brächte.
Mit Thränen schied die Königstochter von ihrem Freunde, mit schwerem Herzen begab er sich auf den Weg. Niemand wußte ihm Rath zu ertheilen, Niemand wußte ihm zu sagen, welchen Weg er nehmen solle. Allein ihm rieth sein eigener Verstand; er ging nicht der Sonne entgegen, sondern der Sonne nach, gerade dorthin, wo sie niedersinkt.
Er ging und ging durch öde Wälder, auf unwegsamen Pfaden, bis er nach langem Gehen in ein fremdes Land kam, wo ein mächtiger, aber blinder König herrschte. Als der König erfuhr, woher er komme, wohin er gehe, was er beabsichtigte, ließ er ihn sogleich vor seinen goldenen Thron rufen; denn er bedurfte guten Rathes, welchen ihm Niemand als die Sonne ertheilen konnte. Der Gerufene kam. »Du gehst zur Sonne, mein Sohn?« – »So ist es in der That.« – »Nun, wenn Du hingehst, so frag‘ die Sonne doch, warum ich, ein so mächtiger König, auf meine alten Tage erblindet bin. Vollführst Du’s, so geb‘ ich Dir alsogleich die Hälfte meines Königreichs.« Der Küchenjunge versprach’s, erhielt Geld, und zog der Sonne weiter nach über Berg und Thal, wo nichts zu hören und nichts zu sehen war, bis er zu einem Meer kam.
Das Meer war breit und tief. Er durfte weder rechts noch links, denn die Sonne sank gerade hinter dem Meere unter. Was sollte er thun? Er ging am Ufer sinnend hin und her. Als er so nachsann, kam ein großer Fisch zu ihm. Halb war er über dem Wasser, halb unter dem Wasser; sein Bauch war wie bei andern Fischen, sein Rücken aber funkelte wie eine glühende Kohle, und das rührte von dem Glanz der Sonne. »Woher bist Du?« fragte ihn der Fisch, »was machst Du da? wohin gehst Du?« – »Was ich mache? wohin ich gehe? Ich möchte gern auf die andere Seite, denn ich muß zur Sonne, sie zu befragen, und ich kann nicht hinüber.« – »Zur Sonne? Nun, Du sollst hingelangen, ich will Dich hinübertragen, wenn Du sie fragst, woher es kommt, daß ich ein so großer Fisch, mich nicht auf den Grund des Wassers niederlassen kann, wie die anderen Fische. Willst Du sie fragen?« – »Ich will« entgegnete der Küchenjunge, und schon saß er auf dem Rücken des Fisches, der ihn glücklich auf das andere Ufer hinüber trug. »Komm wieder hierher, ich will auf Dich warten,« sagte der Fisch zu ihm, und er bejahte mit dem Haupte und verfolgte seinen Weg weiter durch fremde und wüste Gegenden, wo es keinen Vogel, noch weniger einen Menschen gab.
Schon war er nicht weit mehr vom Ende der Welt: da sah er die Sonne nah vor sich zur Erde sinken. Er eilte aus Leibeskräften, soviel er konnte. Als er hinkam, ruhte die Sonne eben im Schooße ihrer Mutter aus. Er verneigte sich und sie dankten ihm. Er begann zu reden und sie horchten auf. Er sagte: »Wie so kommt es, daß die Sonne Vormittags immer höher und höher steigt, und immer mehr wärmt, Nachmittags aber wieder niedersinkend immer schwächer und schwächer wird?« Die Sonne sprach zu ihm: »Ei mein Lieber, sag‘ doch Deinen Herrn, warum er nach der Geburt immer mehr wächst an Leib und Kraft, und warum er sich im Alter zur Erde neigt und schwächer wird. Auch mit mir ist’s so. Meine Mutter gebiert mich jedes Morgens neu als einen schönen Knaben, und jedes Abends begräbt sie mich als einen schwachen Greis.« Dann fragte der Küchenjunge weiter: »Warum ist jener mächtige König in seinem Alter erblindet, da er doch früher so gut sah?« – »Ha, warum er erblindet ist? Darum, weil er stolz wurde, darum, weil er sich Gott gleichstellen wollte und sich einen mit Sternen besä’ten Himmel aus Glas bauen ließ, damit er, so thronend, dem ganzen Lande Befehle gebe. Wenn er sich vor Gott demüthigt und den gläsernen Himmel zertrümmern läßt, wird ihm das verlorene Augenlicht zurückkehren.« – »Und warum kann sich jener Fisch nicht, gleich den andern Fischen, auf den Grund des Wassers niederlassen?« – »Weil er noch kein Menschenfleisch gegessen. Doch sag‘ ihm dies nicht früher, als bis Du über dem Meere, ein gutes Stück vom Ufer bist!« – Hierauf nahm der Küchenjunge dankend Abschied. Aber die Sonne gab ihm außer gutem Rath noch ein Gewand, das bequem in eine Nußschale hineinging; das war ein Sonnenkleid.
Er begab sich zurück und kam zum Meere. Sogleich begann der Fisch ihn nach der Antwort zu fragen; allein er wollte sie ihm nicht mittheilen, bevor ihn der Fisch nicht über das Meer geschafft hätte. Der Fisch nahm ihn also auf den Rücken und schwamm mit ihm, die Wellen durchschneidend. In der Mitte des Meeres fragte er ihn abermals, und drohte ihn ins Wasser zu werfen, wenn er ihm nicht die Antwort sage. »Droh‘, wie Du willst, ich sage Dir die Antwort nicht früher, als bis wir drüben sind!« Und so sagte er dem Fisch nichts, als bis er am andern Ufer war. Hier begann er zu laufen, und rief ihm während des Laufens das Geheimniß zu. Der Fisch gerieth in Wuth, als wäre der Satan in ihn gefahren. Er schlug das Meer mit seinem Schweife, daß das Wasser austrat, und dem Küchenjungen bis an den Gürtel reichte; doch war es schon zu spät, er war schon zu weit, der Fisch konnte in so seichtem Wasser nicht schwimmen, denn er war zu groß.
»Hat mich der Teufel jetzt nicht bekommen, bekommt er mich nimmer!« dachte der Küchenjunge, und zog fröhlich weiter, immer der Sonne entgegen, um den Weg nicht zu verfehlen. Nach langem Wandern gelangte er zu dem blinden König. – »Nun, hast Du’s vollführt? Weißt Du, warum ich erblindet bin?« – »Darum bist Du erblindet, weil Du stolz wurdest, und Dich Gott gleichstellen wolltest. Nur erst wenn Du Deinen gläsernen Himmel zertrümmerst, und Dich vor Gott demüthigst im Staube, wird Dir Dein Augenlicht alsbald wiederkehren.!« Der König gehorchte, zertrümmerte seinen Himmel, demüthigte sich im Staube, und sogleich sah er hell, als ob er aus dem Grabe an Gottes Sonnenlicht getreten wäre. Er schenkte dem Küchenjungen die Hälfte seines Königreichs.
Der Küchenjunge war nun König, wie ein anderer, doch säumte er keinen Augenblick, sondern eilte nach Hause. Und er that wohl daran, denn kaum war er dort, so wurden die Glocken geläutet und die Kirchenthüren angelweit geöffnet: »Was hat sich da zugetragen, was giebt es Neues?« fragte er die Leute. – »Die Königstochter heirathet, eben werden die Glocken zur Trauung geläutet!« Da überlegte er, was er thun solle. Er zog aus seinem Bündel die Nußschale, aus der Nußschale das Sonnenkleid, legte es an und setzte sich in die erste Bank am Altare. Nach einer Weile kamen im langen Zug die Hochzeitsgäste. Jeder blickt verwundert den reichen Gast in der ersten Bank an. Einer fragt flüsternd den Andern, wer das sei; aber Niemand erkennt ihn, Keiner weiß es. Es kommt auch die junge Braut. Sie fragt nicht, wer das in der ersten Bank sei, sie fliegt auf ihn zu, und ist nicht mehr von ihm zu trennen, will nichts von Trauung mit einem Andern wissen.
Als der alte König vernommen, was in der Kirche geschehen war, ließ er den Küchenjungen in seinem Sonnenkleid vor den Thron führen. Da erzählte der Küchenjunge vom Anfang bis zum Ende, wie es ihm ergangen. Als er zu Ende war, nahm er die junge Prinzessin, die ihn nun noch lieber hatte, als zuvor, bei der Hand, und gesegnet vom alten König, schritten sie zum Altar. Dann lebten sie als Ehepaar, und herrschten nach dem Tode des alten Königs glücklich bis ans Grab.
Den Räthen des Königs war dies nicht recht. Eine Prinzessin und ein Küchenjunge! Sie lagen dem alten König an, er solle ihn fortjagen lassen. Der alte König folgte seinen Räthen, und befahl, ihn fortzujagen. Allein die Prinzessin brach in Thränen aus, sobald sie ihn nur anrührten; denn sie hatte ihn sehr lieb, und wußte nicht, wie sie sich ohne ihn unterhalten könnte. »Ei was!« dachte der alte König »sie sind ja noch Kinder, mit der Zeit werden sie schon zu Verstand kommen!« und ließ Alles beim Alten.
Es blieb also Alles, wie es war; die Kinder spielten mit einander, und Niemand durfte sie hindern. Allmählich hörten sie auf, Kinder zu sein; ihre Freundschaft aber dauerte fort, und wurde von Tag zu Tag inniger und fester. Die Prinzessin wuchs heran, sie war bereits heirathsfähig. Von allen Enden der Welt kamen Königssöhne herbei, um sie zu werben. Der königliche Palast erscholl von Musik und Becherklang des Weins und der köstlichen Speisen gab’s in Hülle und Fülle. Die Prinzessin konnte zehn Königssöhne für einen haben; allein sie zog sich von ihnen zurück, sobald sie nur konnte, und eilte, sich mit ihrem Küchenjungen zu unterhalten. Und wenn sie der Vater fragte, wer ihr gefalle, wen sie zum Gemahl haben wolle, so antwortete sie immer, daß ihr der Küchenjunge am besten gefalle, daß sie keinen andern zum Gemahl nehmen wolle.
Der alte König ärgerte sich gewaltig. So viele Königssöhne und ein Küchenjunge! Er berief seine Räthe, damit sie ihm sagten, was er thun solle. Sie riethen ihm sogleich, er solle den Küchenjungen umbringen lassen. Allein dem guten König schien es unrecht, den unschuldigen Jungen gewaltsam umbringen zu lassen. »Erlauchter König,« sprach der weiseste der Räthe, »scheint Dir das unrecht, so schicken wir ihn auf gute Art irgendwohin daß er, wenn er auch hundert Jahre reist, nicht wiederkehren kann. Schicken wir ihn zur Sonne, daß er sie frage, warum sie Vormittags immer höher steigt, und Alles mehr und mehr erwärmt, und warum sie Nachmittags immer niedriger sinkt, und Alles minder und minder erwärmt!«
Dieser weise Rath gefiel dem König. »Wenigstens,« sprach er, »wird ihn meine Tochter vergessen, wenn sie ihn so lange nicht sieht.« Sie riefen sogleich den Küchenjungen, gaben ihm Geld auf den Weg, und schickten ihn zur Sonne, damit er Antwort auf die Frage brächte.
Mit Thränen schied die Königstochter von ihrem Freunde, mit schwerem Herzen begab er sich auf den Weg. Niemand wußte ihm Rath zu ertheilen, Niemand wußte ihm zu sagen, welchen Weg er nehmen solle. Allein ihm rieth sein eigener Verstand; er ging nicht der Sonne entgegen, sondern der Sonne nach, gerade dorthin, wo sie niedersinkt.
Er ging und ging durch öde Wälder, auf unwegsamen Pfaden, bis er nach langem Gehen in ein fremdes Land kam, wo ein mächtiger, aber blinder König herrschte. Als der König erfuhr, woher er komme, wohin er gehe, was er beabsichtigte, ließ er ihn sogleich vor seinen goldenen Thron rufen; denn er bedurfte guten Rathes, welchen ihm Niemand als die Sonne ertheilen konnte. Der Gerufene kam. »Du gehst zur Sonne, mein Sohn?« – »So ist es in der That.« – »Nun, wenn Du hingehst, so frag‘ die Sonne doch, warum ich, ein so mächtiger König, auf meine alten Tage erblindet bin. Vollführst Du’s, so geb‘ ich Dir alsogleich die Hälfte meines Königreichs.« Der Küchenjunge versprach’s, erhielt Geld, und zog der Sonne weiter nach über Berg und Thal, wo nichts zu hören und nichts zu sehen war, bis er zu einem Meer kam.
Das Meer war breit und tief. Er durfte weder rechts noch links, denn die Sonne sank gerade hinter dem Meere unter. Was sollte er thun? Er ging am Ufer sinnend hin und her. Als er so nachsann, kam ein großer Fisch zu ihm. Halb war er über dem Wasser, halb unter dem Wasser; sein Bauch war wie bei andern Fischen, sein Rücken aber funkelte wie eine glühende Kohle, und das rührte von dem Glanz der Sonne. »Woher bist Du?« fragte ihn der Fisch, »was machst Du da? wohin gehst Du?« – »Was ich mache? wohin ich gehe? Ich möchte gern auf die andere Seite, denn ich muß zur Sonne, sie zu befragen, und ich kann nicht hinüber.« – »Zur Sonne? Nun, Du sollst hingelangen, ich will Dich hinübertragen, wenn Du sie fragst, woher es kommt, daß ich ein so großer Fisch, mich nicht auf den Grund des Wassers niederlassen kann, wie die anderen Fische. Willst Du sie fragen?« – »Ich will« entgegnete der Küchenjunge, und schon saß er auf dem Rücken des Fisches, der ihn glücklich auf das andere Ufer hinüber trug. »Komm wieder hierher, ich will auf Dich warten,« sagte der Fisch zu ihm, und er bejahte mit dem Haupte und verfolgte seinen Weg weiter durch fremde und wüste Gegenden, wo es keinen Vogel, noch weniger einen Menschen gab.
Schon war er nicht weit mehr vom Ende der Welt: da sah er die Sonne nah vor sich zur Erde sinken. Er eilte aus Leibeskräften, soviel er konnte. Als er hinkam, ruhte die Sonne eben im Schooße ihrer Mutter aus. Er verneigte sich und sie dankten ihm. Er begann zu reden und sie horchten auf. Er sagte: »Wie so kommt es, daß die Sonne Vormittags immer höher und höher steigt, und immer mehr wärmt, Nachmittags aber wieder niedersinkend immer schwächer und schwächer wird?« Die Sonne sprach zu ihm: »Ei mein Lieber, sag‘ doch Deinen Herrn, warum er nach der Geburt immer mehr wächst an Leib und Kraft, und warum er sich im Alter zur Erde neigt und schwächer wird. Auch mit mir ist’s so. Meine Mutter gebiert mich jedes Morgens neu als einen schönen Knaben, und jedes Abends begräbt sie mich als einen schwachen Greis.« Dann fragte der Küchenjunge weiter: »Warum ist jener mächtige König in seinem Alter erblindet, da er doch früher so gut sah?« – »Ha, warum er erblindet ist? Darum, weil er stolz wurde, darum, weil er sich Gott gleichstellen wollte und sich einen mit Sternen besä’ten Himmel aus Glas bauen ließ, damit er, so thronend, dem ganzen Lande Befehle gebe. Wenn er sich vor Gott demüthigt und den gläsernen Himmel zertrümmern läßt, wird ihm das verlorene Augenlicht zurückkehren.« – »Und warum kann sich jener Fisch nicht, gleich den andern Fischen, auf den Grund des Wassers niederlassen?« – »Weil er noch kein Menschenfleisch gegessen. Doch sag‘ ihm dies nicht früher, als bis Du über dem Meere, ein gutes Stück vom Ufer bist!« – Hierauf nahm der Küchenjunge dankend Abschied. Aber die Sonne gab ihm außer gutem Rath noch ein Gewand, das bequem in eine Nußschale hineinging; das war ein Sonnenkleid.
Er begab sich zurück und kam zum Meere. Sogleich begann der Fisch ihn nach der Antwort zu fragen; allein er wollte sie ihm nicht mittheilen, bevor ihn der Fisch nicht über das Meer geschafft hätte. Der Fisch nahm ihn also auf den Rücken und schwamm mit ihm, die Wellen durchschneidend. In der Mitte des Meeres fragte er ihn abermals, und drohte ihn ins Wasser zu werfen, wenn er ihm nicht die Antwort sage. »Droh‘, wie Du willst, ich sage Dir die Antwort nicht früher, als bis wir drüben sind!« Und so sagte er dem Fisch nichts, als bis er am andern Ufer war. Hier begann er zu laufen, und rief ihm während des Laufens das Geheimniß zu. Der Fisch gerieth in Wuth, als wäre der Satan in ihn gefahren. Er schlug das Meer mit seinem Schweife, daß das Wasser austrat, und dem Küchenjungen bis an den Gürtel reichte; doch war es schon zu spät, er war schon zu weit, der Fisch konnte in so seichtem Wasser nicht schwimmen, denn er war zu groß.
»Hat mich der Teufel jetzt nicht bekommen, bekommt er mich nimmer!« dachte der Küchenjunge, und zog fröhlich weiter, immer der Sonne entgegen, um den Weg nicht zu verfehlen. Nach langem Wandern gelangte er zu dem blinden König. – »Nun, hast Du’s vollführt? Weißt Du, warum ich erblindet bin?« – »Darum bist Du erblindet, weil Du stolz wurdest, und Dich Gott gleichstellen wolltest. Nur erst wenn Du Deinen gläsernen Himmel zertrümmerst, und Dich vor Gott demüthigst im Staube, wird Dir Dein Augenlicht alsbald wiederkehren.!« Der König gehorchte, zertrümmerte seinen Himmel, demüthigte sich im Staube, und sogleich sah er hell, als ob er aus dem Grabe an Gottes Sonnenlicht getreten wäre. Er schenkte dem Küchenjungen die Hälfte seines Königreichs.
Der Küchenjunge war nun König, wie ein anderer, doch säumte er keinen Augenblick, sondern eilte nach Hause. Und er that wohl daran, denn kaum war er dort, so wurden die Glocken geläutet und die Kirchenthüren angelweit geöffnet: »Was hat sich da zugetragen, was giebt es Neues?« fragte er die Leute. – »Die Königstochter heirathet, eben werden die Glocken zur Trauung geläutet!« Da überlegte er, was er thun solle. Er zog aus seinem Bündel die Nußschale, aus der Nußschale das Sonnenkleid, legte es an und setzte sich in die erste Bank am Altare. Nach einer Weile kamen im langen Zug die Hochzeitsgäste. Jeder blickt verwundert den reichen Gast in der ersten Bank an. Einer fragt flüsternd den Andern, wer das sei; aber Niemand erkennt ihn, Keiner weiß es. Es kommt auch die junge Braut. Sie fragt nicht, wer das in der ersten Bank sei, sie fliegt auf ihn zu, und ist nicht mehr von ihm zu trennen, will nichts von Trauung mit einem Andern wissen.
Als der alte König vernommen, was in der Kirche geschehen war, ließ er den Küchenjungen in seinem Sonnenkleid vor den Thron führen. Da erzählte der Küchenjunge vom Anfang bis zum Ende, wie es ihm ergangen. Als er zu Ende war, nahm er die junge Prinzessin, die ihn nun noch lieber hatte, als zuvor, bei der Hand, und gesegnet vom alten König, schritten sie zum Altar. Dann lebten sie als Ehepaar, und herrschten nach dem Tode des alten Königs glücklich bis ans Grab.
[Slowakei: Joseph Wenzig: Westslawischer Märchenschatz]