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Das Gespenstermahl

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Es ist schon lange, sehr lange her, als eines Tages an zwanzig alte Frauen des Dorfes in einem Keller ihre Spinnstube abhielten, um Öl und Holz zu sparen. Einen jungen Mann wandelte die Lust an, den Spinnerinnen einen Streich zu spielen dadurch, daß er ihnen einen argen Schrecken einjagte. Er nahm also ein großes weißes Tuch und eine Kerze und ging auf den Kirchhof, um einen Totenkopf zu holen. Einige Tage vorher hatte man gerade eine große Menge Gebeine zusammengehäuft, um sie später in einer gemeinsamen Grube zu bestatten. Der junge Bauer brauchte also nur zu wählen. Er ergriff den ersten Totenkopf, den er fand, eilte damit zum Flusse, um ihn zu waschen und vom Mergel, der ihn bedeckte, zu befreien, dann steckte er eine angezündete Kerze hinein und machte sich wieder auf den Weg ins Dorf. Dort angekommen, umhüllte er sich mit dem weißen Leintuch und begab sich zu den Spinnerinnen. Ihr könnt euch den Schrecken der armen Frauen denken, als mitten unter ihnen ein Geist erschien, der mit seinem Totenkopf wackelte und mit dumpfer Stimme sprach: »Auf die Knie, auf die Knie! Betet für die Ruhe meiner Seele!« Von Schrecken ergriffen, warfen sich die Spinnerinnen auf die Knie und machten große Kreuzzeichen, um das Gespenst zu bannen. »Geschwind, sagt fünf Paternoster und fünf Ave für meine ewige Ruhe!« fuhr der Spuk fort und begann langsam vorzusprechen: »Pater noster, qui es in coelis …« Die Spinnerinnen sprachen die fünf geforderten Paternoster und die fünf Ave, und der junge Mann verließ sie, krause Worte murmelnd, von denen weder die guten Frauen noch er selber eines verstand, und das aus guten Gründen.
So war Mitternacht herangekommen und der Bauer kehrte ermüdet auf den Kirchhof zurück, um den Totenkopf zurückzustellen. Aber ehe der junge Mann ihn zu den übrigen Gebeinen legte, sagte er, ein wenig aufgeregt von den Belustigungen des Abends, ihm ins Ohr: »Du hast mir heute abend große Freude bereitet. Es ist recht und billig, daß ich mich dafür dankbar erweise. Du mußt dich sehr langweilen, wenn du immer hier unter den dummen Toten steckst, komm also in vierzehn Tagen um die nämliche Zeit zu mir zum Abendessen. Ich bin sehr neugierig darauf, wie man mit einem Toten speist. Ich werde dich gegen neun Uhr abends erwarten; vergiß das nicht! Heute in vierzehn Tagen also, gelt?« »Ja«, erwiderte der Totenkopf.
Der junge Mann legte den Kopf wieder unter die Gebeine, löschte die Kerze aus, faltete sein Tuch zusammen und kehrte heim. In den nächsten Tagen hatte er großes Vergnügen, als er die Spinnerinnen von der schrecklichen Erscheinung des Spinnabends berichten hörte. Einige Tage verstrichen und der Bauer dachte nicht mehr an den Totenkopf und an das Abendessen, zu welchem er jenen eingeladen hatte. Am Abend des vierzehnten Tages zur festgesetzten Stunde setzte er sich gerade, ohne an den Toten zu denken, zum Abendessen an den Tisch, als er im Hof ein eigenartiges Rasseln vernahm. »Es ist Hagel, welcher beim Niederfallen prasselt«, dachte der junge Mann. Zwei dumpfe Schläge ertönten an der Tür. »Wer ist da?« »Öffne, ich bin es!« »Wer, ich?« »Ich!« Der Bauer öffnete die Türe und ein Gespenst, ein Skelett vielmehr, bekleidet mit einem langen schmutziggrauen und ganz zerfetzten Leichentuch, trat ins Haus. Der junge Mann erinnerte sich der auf dem Kirchhofe gegebenen Zusage und merkte, daß der Tote kam, um mit ihm zu Abend zu essen. Ohne weiter zu erschrecken, bot er ihm einen Stuhl am Tische an, und das Gespenst nahm Platz, wobei es durch das Aneinanderschlagen der Knochen jenen Lärm wie von herniederprasselndem Hagel verursachte, den der Bauer einige Augenblicke zuvor gehört hatte. Das Abendessen bestand aus einer ausgezeichneten Sauerampfersuppe, von der der Tote einen guten Teller voll aß, einer Hammelsfrikassee mit Salat und frischer Butter, was alles sehr nach dem Geschmack des eigenartigen Gastes zu sein schien, der dem jungen Mann gegenüber saß. Man trank dazu einige Flaschen schäumenden Äpfelweins und der Kopf des jungen Mannes begann sich schon zu drehen. Er sang alle Lieder, die ihm einfielen, und von Zeit zu Zeit machte der Tote, der ebenso angeheitert schien wie der Sänger, den Chorus. »Sollen wir tanzen?« fragte schließlich der junge Mann. »Tanzen wir!« Und der Tote begann mit dem Bauern einen tollen Tanz aufzuführen, während seine Knochen mit einem Höllenlärm zusammenschlugen. Mitternacht kam, und der junge Mann ward müde und empfand das Bedürfnis sich niederzulegen. Er sagte dies dem Gespenst, welches nun aufhörte in der Stube herumzuspringen und seinen Platz am Tisch wieder einnahm wie einer, der sich nicht zurückziehen will. Vom Kirchturm schlug es eins, und der Bauer, der sich nicht mehr aufrechterhalten konnte, ging schlafen und ließ seinen Gefährten auf dem Stuhle sitzen. Kaum hatte sich der junge Mann niedergelegt, als sich ein neues Knochengeklapper vernehmen ließ: das Skelett kam, um sich neben dem Lebendigen niederzustrecken. Dieses Mal hatte er Angst; er zitterte an allen Gliedern, er hätte gern geschrien und um Hilfe gerufen, aber er konnte kein einziges Wort herausbringen. In seinem Schrecken mußte er sich darauf beschränken, sich in eine Ecke des Bettes zu drücken, um die eisige Berührung mit den Gebeinen des Toten zu vermeiden. Er konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Gegen vier oder fünf Uhr morgens begann der Hahn sein fröhliches Kikeriki zu krähen, um die Nähe des Tages anzukündigen. Das Skelett erwachte, erhob sich mit einem Satz und verschwand mit diesen Worten: »Ich will nicht gegen dich im Rückstand bleiben. Du hast mich heute abend in deinem Hause sehr gut aufgenommen; in vierzehn Tagen erwarte ich dich auf dem Kirchhof zum Abendessen. Ich rechne auf dich. Leb wohl!« Der Bauer nahm sich vor, der Einladung des Toten keine Folge zu leisten.
Vierzehn Tage später kehrte der junge Mann aus der benachbarten Stadt zurück und ging, ohne weiter an den Toten zu denken, am Kirchhof vorüber. Da stand dieser plötzlich vor ihm, nahm ihn bei der Hand und zerrte ihn mit sich. »So ist’s recht,« sagte er dabei, »du bist ein Mann von Wort! Das Abendessen ist fertig und ich erwartete dich schon. Um dich zu ehren, habe ich alle meine Freunde eingeladen. Sie erwarten uns an der Kirchhofstür.« Halb tot vor Angst trat der junge Bauer in den Totenhof, wo er von den Freudenrufen der versammelten Gespenster empfangen wurde. Sein Gastfreund führte ihn in eine altertümliche Kapelle, hob den Stein von der Gruft und ließ ihn in das Gewölbe herabsteigen, wo ein großes Souper aufgetragen war. Alle Toten kamen und setzten sich an die Tafel, worauf das Mahl zum Schrecken des jungen Mannes, dessen Zähne heftig klapperten, unter allgemeiner Fröhlichkeit begann. Als er schließlich sah, daß ihm nichts Unangenehmes zustieß, versuchte er wie die anderen Gäste zu essen, und um sich zu betäuben, trank er rasch hintereinander mehrere Gläser des trefflichen Weines der Toten. Darauf begann der Tanz, und der junge Bauer mußte mit dem Skelett eines jungen Mädchens tanzen, welches ihn heftig in die Arme drückte und jeden Augenblick umhalste. »Der Rundtanz! Der Rundtanz!« riefen die Toten. Und alles stieg aus der Gruft, um die Runde auf dem Kirchhof zu tanzen. Man nahm einander bei der Hand und sprang und wirbelte über Kreuze, Gräber und Kapellen. Dies dauerte bis zum Morgen. Dann hörte man in der Ferne das Krähen eines Hahnes; der Tanz brach ab, die Gräber öffneten sich und die Toten verschwanden. Ganz betäubt blieb der Bauer bis zum Sonnenaufgang liegen. Darauf kehrte er ins Dorf zurück und wurde Priester.

[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]

 

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