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Parzival gedachte einst seine Mutter aufzusuchen und gelangte auf dem Wege an einen Strom, den keine Brücke überspannte. Er ritt eine Zeitlang flußaufwärts, bis ihm ein großer Felsblock den Weg versperrte. Der Jüngling schaute sich um und sah eine Barke auf dem Strome abwärts gleiten, in welcher zwei Männer saßen, und er blieb stehen, um zu warten, bis sie in seine Nähe käme. Aber plötzlich blieb das Fahrzeug mitten in der Strömung ruhig stehen, als ob es vor Anker läge, und der Mann, der vorne saß, warf seine Angel aus, um zu fischen. Parzival grüßte die Männer und sprach: »Sagt an, Ihr Herren, ich bitte Euch, führt keine Brücke auf das andere Ufer?« »Meiner Treu, nein, Bruder,« erwiderte der Fischer, »keine Furt, keine Fähre, keine Brücke vermittelt den Übergang über diesen Strom, kein Pferd kann ihn durchschreiten, und kein Fahrzeug, das größer wäre als dieses kleine Boot, ist auf zwanzig Meilen im Umkreis zu finden.« »So sagt mir um Gottes willen,« fuhr Parzival fort, »wo ich heute nacht Herberge finden kann!« »Ich will Euch heute nacht beherbergen,« antwortete der Fischer. »Steigt nur in jener Felsenschlucht aufwärts, und wenn Ihr droben seid, wird sich vor Euch ein Tal ausbreiten; darin steht das Haus, das ich bewohne, nahe an Fluß und Wald.«
Parzival erstieg den Gipfel des Berges und vor seinen Augen dehnten sich weite Länder aus, aber er erblickte nichts als Himmel und Erde. »Verflucht sei, der mich so in die Irre führte,« murrte er, »treulos handelte er, mich zum Spott hierherzulocken.« Plötzlich sah er zu seiner Seite im Tale einen Turm ragen, viereckig, aus grauem Stein und mit zwei Erkern geziert. Bis tief nach Asien war kein schönerer gebaut. Vor dem Turm lag der Saalbau, von Bogengängen umgrenzt. Der Jüngling wanderte in der Richtung des Schlosses weiter und bat den Fischer, den er Lügner und Betrüger gescholten hatte, innerlich um Verzeihung. Er ging auf das Schloßtor zu und fand die Zugbrücke herabgelassen, dann ritt er in den Hof und vier Diener traten ihm entgegen. Zwei davon nahmen ihm die Waffen ab, einer führte sein Roß in den Stall und warf ihm Futter und Streu vor, einer hüllte Parzival in einen Scharlachmantel. Sodann führten sie ihn in den Bogengang, wo er wartete, bis der Schloßherr ihn rufen würde. Alsbald kamen zwei Diener und führten ihn in den Saal, der war viereckig und ebenso lang wie breit. Mitten im Saale stand ein Lager, auf dem ein Ritter saß, dessen Haupt zierte ein maulbeerschwarzer, purpurbesetzter Zobelpelz, und aus dem gleichen Stoffe war sein ganzes Gewand. Er stützte sich auf den Ellenbogen; vor ihm war ein Feuer aus trocknem Holze angezündet, das hellen Schein verbreitend zwischen vier Säulen flackerte. Vierhundert Gäste hätten bequem rings um das Feuer Platz gefunden. Die Diener nahmen den Fremden in ihre Mitte und führten ihn vor den Schloßherrn, dieser begrüßte ihn und sprach: »Möge es Euch nicht kränken, mein Freund, daß ich mich nicht vor Euch erhebe!« »Bei Gott, Herr, es kränkt mich nicht,« erwiderte Parzival. Der Ritter erhob sich dennoch, so gut er konnte, und lud den Jüngling ein, an seiner Seite Platz zu nehmen, dann fragte er ihn: »Woher kommt Ihr heute, Freund?« »Herr, heute früh brach ich von Belrepaire auf«, erwiderte der Jüngling. »Bei Gott,« sprach der Ritter, »dann habt Ihr einen hübschen Marsch hinter Euch. Ihr müßt aufgebrochen sein, ehe noch der Hornstoß des Wächters den jungen Tag verkündete.« »Es hatte gerade zur Prim geläutet, als ich davonritt«, antwortete Parzival.
Während sie so redeten, trat ein Jüngling durch die Tür des Saales, der trug ein Schwert um den Hals, das er dem Ritter reichte. Dieser zog es halb aus der Scheide und sah nach, wo es gearbeitet war, denn das war auf dem Schwerte eingegraben. Es war aus gutem Stahl gearbeitet und konnte nur in einer einzigen Gefahr zersplittern, die aber kannte niemand als der, welcher das Schwert geschmiedet und gehärtet hatte. Der Jüngling, der es brachte, sprach: »Herr, Eure Nichte überreicht Euch dieses Schwert als Gabe, nie fand man ein leichteres weit und breit. Ihr sollt es schenken, wem es Euch gefällt. Doch würde es die Dame freuen, wenn es der, der es erhält, in Ehren verwendet. Der das Schwert geschmiedet, fertigte nicht mehr als drei der Art und schwur, keines mehr zu schmieden nach diesem.« Der Schloßherr umgürtete den Fremdling mit dem Schwert. Es war das Schatzhaus eines Königs wert, Arabien hatte sein bestes Gold zum Griffe geliefert und feinste Venezianer Arbeit war die Scheide. Der Ritter sagte: »Bruder, dieses Schwert ist Euch bestimmt und ich wünsche, daß Ihr es tragt. Gürtet es Euch um und zieht es in Ehren!« Jener dankte dem Schloßherrn, schnallte sich das Schwert um, und es gefiel ihm wohl, trefflich stand es ihm an, da er es an seiner Seite trug, und besser noch, als er es in der Faust hielt, um die Klinge zur Hälfte herauszuziehen, um sie zu prüfen. Hinter ihm sah er im Schein des Feuers den Diener stehen, der die Waffen verwahrte; diesem gab er das Schwert, daß er es aufbewahre. Dann nahm er wieder neben dem Schloßherrn Platz, der ihm große Ehren erwies.
Als sie noch über dies und jenes sprachen, trat ein Jüngling aus einer Kammer, der eine weiße Lanze in der Mitte umklammert hielt. Langsam trug er sie hoch erhoben zwischen dem flammenden Feuer und den beiden Rittern auf der Lagerstatt vorüber, und alle, die im Saale waren, blickten auf die Lanze und den weißen Stahl. Und siehe: von der Lanze Spitze troff ein purpurroter Tropfen Bluts herab und rollte auf des Trägers Hand. Parzival sah dies Wunder, aber er fragte nicht nach seiner Deutung, denn er erinnerte sich des Verbotes, das ihm jener auferlegt, der ihn zum Ritter schlug, als er ihm sagte, er solle sich vor zu vielem Reden hüten; so fürchtete er, man würde sein Fragen für Ungebühr erachten, und blieb stumm. Darauf traten zwei Jünglinge ein, die Leuchter aus emailverziertem Gold in den Händen trugen, und zehn Kerzen brannten links und rechts in jedem Leuchter. Hinter den beiden kam eine Jungfrau in den Saal, wie ein Engel anzuschauen, die hielt mit ihren beiden Händen den Graal umspannt. Als sie den Saal betrat, drang eine solche Helle aus dem Graal, daß alle Kerzen ihren Schein verloren, gleichwie vor der Sonne oder des Mondes Licht der Sterne Glanz verblaßt. Viel kostbare Steine schmückten den Graal, die reichsten, die der Schoß der Erde birgt, alle Schätze der Welt überstiegen sie an Wert. Hinter der Graalträgerin schritt eine Jungfrau, die einen silbernen Teller trug, der mit feinem Golde eingelegt war. Ebenso wie der mit der Lanze wallten sie vor dem Lager vorüber und verschwanden in einem Nebenraum. Parzival sah sie vorüberschreiten und wagte nicht, nach dem Graal zu fragen, denn er trug stets die Worte des Weisen im Herzen.
Darauf befahl der Schloßherr den Dienern, das Wasser zu bringen und den Tisch herzurichten, was sogleich geschah. Der Schloßherr und der Jüngling wuschen ihre Hände in lauwarmem Wasser, dann brachten zwei Diener eine Tafel aus Ebenholz ganz aus einem Stück und hielten sie so lange, bis zwei andere Diener kamen, die zwei Gerüste brachten, welche aus einem wunderbaren Holze gefertigt waren, das weder Fäulnis noch Feuer zerstören kann. Auf diese Gerüste setzte man die Tafel und breitete ein Tuch darüber; kein Papst hatte je von einem weißeren gespeist. Die erste Speise war ein Hirschschlegel in Pfeffer; klarer, herber Wein wurde dazu in goldene Becher gegossen. Ein Diener zerteilte das Fleisch mit einem silbernen Messer und legte den Rittern die Stücke auf einem Teller vor. Und bei jeder Speise, die man auftrug, sah der Jüngling den Graal ganz unverhüllt vorübergleiten, doch er fragte nicht, wozu er diente. Freilich hätte er es gern gewußt, aber er dachte, ehe er fortginge, könne er einen der Diener des Schlosses darnach fragen. Einstweilen beschränkte er sich auf das Essen und Trinken, denn Speisen und Getränke waren von ausgesuchtem Wohlgeschmack, und kein Kaiser wurde jemals so gut bedient wie der Schloßherr und der Jüngling an diesem Abend. Nach dem Essen plauderten beide noch eine Zeitlang, und die Diener brachten ihnen Früchte und Gewürze vor dem Schlafengehen. Da gab es Datteln, Feigen und Muskatnüsse, purpurrote Granatäpfel und zuletzt alexandrinischen Ingwer. Hierauf nahmen sie einen Würztrank und dann Maulbeerwein und hellen Sirup. Endlich sagte der Ritter: »Freund, für heute ist es Zeit zum Schlafen. Möge es Euch nicht kränken, wenn ich drinnen in meiner Kammer zur Ruhe gehe; Ihr selbst werdet ein Lager bereit finden, sobald es Euch Vergnügen macht, Euch niederzulegen. Ich habe keine Macht über meinen Körper und man muß mich forttragen.« Drei kräftige Diener traten aus der Kammer, ergriffen die Decke, welche auf dem Lager des Schloßherrn ausgebreitet war, und trugen ihn in sein Schlafgemach. Andere Diener waren bestimmt, dem Jüngling aufzuwarten. Sie lösten ihm die Schuhe ab, als es ihm gefiel, halfen ihm, sich zu entkleiden und hüllten ihn in weiße Leintücher. Und Parzival schlief, bis am andern Morgen die erste Röte des Tages aufzog und das Schloßgesinde sich erhob.
Der Jüngling blickte in seinem Schlafgemach umher, aber er sah keinen Menschen im ganzen Raum. Er mußte sich also allein erheben, so sehr ihn das auch kränkte. Er bekleidete sich, so gut es gehen wollte, legte seine Schuhe an, ohne auf fremde Hilfe zu warten, und nahm seine Waffen, die er auf dem gleichen Tische liegend vorfand, auf welchen er sie am Abend zuvor niedergelegt hatte. Als er sich gewaffnet hatte, wollte er die Kammer durch die Tür verlassen, die, wie er gesehen hatte, die Nacht über offen geblieben war; aber zu seinem Erstaunen fand er sie verschlossen. Er rief und rüttelte und pochte: vergebens, niemand antwortete, niemand öffnete. Als er des Schreiens müde war, trat er zur Öffnung der Kammer, die ins Freie führte, und fand sie unversperrt, er stieg die Stufen hinab, fand sein Roß gesattelt und sah seine Lanze und seinen Schild an die Wand gelehnt. Dann bestieg er sein Roß und blickte sich um, aber er sah keinen Knappen und keinen Diener. Er wandte sich zum Tor und fand die Brücke herabgelassen. Er glaubte, da er dies sah, die Diener seien in den Wald gegangen, um nach Wildbret zu spähen, und ritt ohne Säumen auf die Brücke, denn gern hätte er von einem der Knappen erfahren, warum die Lanze blute und wohin man den Graal trage. Kaum aber hatte er die Brücke betreten, als er fühlte, wie sich die Füße seines Rosses hoben, das Tier machte einen gewaltigen Satz, und wenn es nicht so gut gesprungen wäre, so wäre es ihnen beiden übel ergangen. Der Ritter wandte sein Gesicht, um zu sehen, was das gewesen sei, und er bemerkte, daß man die Brücke emporgezogen habe. Er rief, aber niemand antwortete ihm. »Heda,« rief er, »du, der du die Brücke aufgezogen hast, wo bist du, sprich mit mir, denn ich sehe dich nicht. Tritt vor, ich will dich um etwas fragen, das ich wissen möchte!« So sprach er, und da niemand ihm antworten wollte, merkte er, daß zuviel Schweigen manchmal ebenso unklug ist, wie zuviel Reden. Er lenkte sein Pferd auf einen Pfad, wo er eine frische Spur von Rossen erblickte; »da sind sie wohl fortgeritten, die ich suche«, sprach er bei sich und trabte tiefer und tiefer in den Wald hinein …
Parzival erstieg den Gipfel des Berges und vor seinen Augen dehnten sich weite Länder aus, aber er erblickte nichts als Himmel und Erde. »Verflucht sei, der mich so in die Irre führte,« murrte er, »treulos handelte er, mich zum Spott hierherzulocken.« Plötzlich sah er zu seiner Seite im Tale einen Turm ragen, viereckig, aus grauem Stein und mit zwei Erkern geziert. Bis tief nach Asien war kein schönerer gebaut. Vor dem Turm lag der Saalbau, von Bogengängen umgrenzt. Der Jüngling wanderte in der Richtung des Schlosses weiter und bat den Fischer, den er Lügner und Betrüger gescholten hatte, innerlich um Verzeihung. Er ging auf das Schloßtor zu und fand die Zugbrücke herabgelassen, dann ritt er in den Hof und vier Diener traten ihm entgegen. Zwei davon nahmen ihm die Waffen ab, einer führte sein Roß in den Stall und warf ihm Futter und Streu vor, einer hüllte Parzival in einen Scharlachmantel. Sodann führten sie ihn in den Bogengang, wo er wartete, bis der Schloßherr ihn rufen würde. Alsbald kamen zwei Diener und führten ihn in den Saal, der war viereckig und ebenso lang wie breit. Mitten im Saale stand ein Lager, auf dem ein Ritter saß, dessen Haupt zierte ein maulbeerschwarzer, purpurbesetzter Zobelpelz, und aus dem gleichen Stoffe war sein ganzes Gewand. Er stützte sich auf den Ellenbogen; vor ihm war ein Feuer aus trocknem Holze angezündet, das hellen Schein verbreitend zwischen vier Säulen flackerte. Vierhundert Gäste hätten bequem rings um das Feuer Platz gefunden. Die Diener nahmen den Fremden in ihre Mitte und führten ihn vor den Schloßherrn, dieser begrüßte ihn und sprach: »Möge es Euch nicht kränken, mein Freund, daß ich mich nicht vor Euch erhebe!« »Bei Gott, Herr, es kränkt mich nicht,« erwiderte Parzival. Der Ritter erhob sich dennoch, so gut er konnte, und lud den Jüngling ein, an seiner Seite Platz zu nehmen, dann fragte er ihn: »Woher kommt Ihr heute, Freund?« »Herr, heute früh brach ich von Belrepaire auf«, erwiderte der Jüngling. »Bei Gott,« sprach der Ritter, »dann habt Ihr einen hübschen Marsch hinter Euch. Ihr müßt aufgebrochen sein, ehe noch der Hornstoß des Wächters den jungen Tag verkündete.« »Es hatte gerade zur Prim geläutet, als ich davonritt«, antwortete Parzival.
Während sie so redeten, trat ein Jüngling durch die Tür des Saales, der trug ein Schwert um den Hals, das er dem Ritter reichte. Dieser zog es halb aus der Scheide und sah nach, wo es gearbeitet war, denn das war auf dem Schwerte eingegraben. Es war aus gutem Stahl gearbeitet und konnte nur in einer einzigen Gefahr zersplittern, die aber kannte niemand als der, welcher das Schwert geschmiedet und gehärtet hatte. Der Jüngling, der es brachte, sprach: »Herr, Eure Nichte überreicht Euch dieses Schwert als Gabe, nie fand man ein leichteres weit und breit. Ihr sollt es schenken, wem es Euch gefällt. Doch würde es die Dame freuen, wenn es der, der es erhält, in Ehren verwendet. Der das Schwert geschmiedet, fertigte nicht mehr als drei der Art und schwur, keines mehr zu schmieden nach diesem.« Der Schloßherr umgürtete den Fremdling mit dem Schwert. Es war das Schatzhaus eines Königs wert, Arabien hatte sein bestes Gold zum Griffe geliefert und feinste Venezianer Arbeit war die Scheide. Der Ritter sagte: »Bruder, dieses Schwert ist Euch bestimmt und ich wünsche, daß Ihr es tragt. Gürtet es Euch um und zieht es in Ehren!« Jener dankte dem Schloßherrn, schnallte sich das Schwert um, und es gefiel ihm wohl, trefflich stand es ihm an, da er es an seiner Seite trug, und besser noch, als er es in der Faust hielt, um die Klinge zur Hälfte herauszuziehen, um sie zu prüfen. Hinter ihm sah er im Schein des Feuers den Diener stehen, der die Waffen verwahrte; diesem gab er das Schwert, daß er es aufbewahre. Dann nahm er wieder neben dem Schloßherrn Platz, der ihm große Ehren erwies.
Als sie noch über dies und jenes sprachen, trat ein Jüngling aus einer Kammer, der eine weiße Lanze in der Mitte umklammert hielt. Langsam trug er sie hoch erhoben zwischen dem flammenden Feuer und den beiden Rittern auf der Lagerstatt vorüber, und alle, die im Saale waren, blickten auf die Lanze und den weißen Stahl. Und siehe: von der Lanze Spitze troff ein purpurroter Tropfen Bluts herab und rollte auf des Trägers Hand. Parzival sah dies Wunder, aber er fragte nicht nach seiner Deutung, denn er erinnerte sich des Verbotes, das ihm jener auferlegt, der ihn zum Ritter schlug, als er ihm sagte, er solle sich vor zu vielem Reden hüten; so fürchtete er, man würde sein Fragen für Ungebühr erachten, und blieb stumm. Darauf traten zwei Jünglinge ein, die Leuchter aus emailverziertem Gold in den Händen trugen, und zehn Kerzen brannten links und rechts in jedem Leuchter. Hinter den beiden kam eine Jungfrau in den Saal, wie ein Engel anzuschauen, die hielt mit ihren beiden Händen den Graal umspannt. Als sie den Saal betrat, drang eine solche Helle aus dem Graal, daß alle Kerzen ihren Schein verloren, gleichwie vor der Sonne oder des Mondes Licht der Sterne Glanz verblaßt. Viel kostbare Steine schmückten den Graal, die reichsten, die der Schoß der Erde birgt, alle Schätze der Welt überstiegen sie an Wert. Hinter der Graalträgerin schritt eine Jungfrau, die einen silbernen Teller trug, der mit feinem Golde eingelegt war. Ebenso wie der mit der Lanze wallten sie vor dem Lager vorüber und verschwanden in einem Nebenraum. Parzival sah sie vorüberschreiten und wagte nicht, nach dem Graal zu fragen, denn er trug stets die Worte des Weisen im Herzen.
Darauf befahl der Schloßherr den Dienern, das Wasser zu bringen und den Tisch herzurichten, was sogleich geschah. Der Schloßherr und der Jüngling wuschen ihre Hände in lauwarmem Wasser, dann brachten zwei Diener eine Tafel aus Ebenholz ganz aus einem Stück und hielten sie so lange, bis zwei andere Diener kamen, die zwei Gerüste brachten, welche aus einem wunderbaren Holze gefertigt waren, das weder Fäulnis noch Feuer zerstören kann. Auf diese Gerüste setzte man die Tafel und breitete ein Tuch darüber; kein Papst hatte je von einem weißeren gespeist. Die erste Speise war ein Hirschschlegel in Pfeffer; klarer, herber Wein wurde dazu in goldene Becher gegossen. Ein Diener zerteilte das Fleisch mit einem silbernen Messer und legte den Rittern die Stücke auf einem Teller vor. Und bei jeder Speise, die man auftrug, sah der Jüngling den Graal ganz unverhüllt vorübergleiten, doch er fragte nicht, wozu er diente. Freilich hätte er es gern gewußt, aber er dachte, ehe er fortginge, könne er einen der Diener des Schlosses darnach fragen. Einstweilen beschränkte er sich auf das Essen und Trinken, denn Speisen und Getränke waren von ausgesuchtem Wohlgeschmack, und kein Kaiser wurde jemals so gut bedient wie der Schloßherr und der Jüngling an diesem Abend. Nach dem Essen plauderten beide noch eine Zeitlang, und die Diener brachten ihnen Früchte und Gewürze vor dem Schlafengehen. Da gab es Datteln, Feigen und Muskatnüsse, purpurrote Granatäpfel und zuletzt alexandrinischen Ingwer. Hierauf nahmen sie einen Würztrank und dann Maulbeerwein und hellen Sirup. Endlich sagte der Ritter: »Freund, für heute ist es Zeit zum Schlafen. Möge es Euch nicht kränken, wenn ich drinnen in meiner Kammer zur Ruhe gehe; Ihr selbst werdet ein Lager bereit finden, sobald es Euch Vergnügen macht, Euch niederzulegen. Ich habe keine Macht über meinen Körper und man muß mich forttragen.« Drei kräftige Diener traten aus der Kammer, ergriffen die Decke, welche auf dem Lager des Schloßherrn ausgebreitet war, und trugen ihn in sein Schlafgemach. Andere Diener waren bestimmt, dem Jüngling aufzuwarten. Sie lösten ihm die Schuhe ab, als es ihm gefiel, halfen ihm, sich zu entkleiden und hüllten ihn in weiße Leintücher. Und Parzival schlief, bis am andern Morgen die erste Röte des Tages aufzog und das Schloßgesinde sich erhob.
Der Jüngling blickte in seinem Schlafgemach umher, aber er sah keinen Menschen im ganzen Raum. Er mußte sich also allein erheben, so sehr ihn das auch kränkte. Er bekleidete sich, so gut es gehen wollte, legte seine Schuhe an, ohne auf fremde Hilfe zu warten, und nahm seine Waffen, die er auf dem gleichen Tische liegend vorfand, auf welchen er sie am Abend zuvor niedergelegt hatte. Als er sich gewaffnet hatte, wollte er die Kammer durch die Tür verlassen, die, wie er gesehen hatte, die Nacht über offen geblieben war; aber zu seinem Erstaunen fand er sie verschlossen. Er rief und rüttelte und pochte: vergebens, niemand antwortete, niemand öffnete. Als er des Schreiens müde war, trat er zur Öffnung der Kammer, die ins Freie führte, und fand sie unversperrt, er stieg die Stufen hinab, fand sein Roß gesattelt und sah seine Lanze und seinen Schild an die Wand gelehnt. Dann bestieg er sein Roß und blickte sich um, aber er sah keinen Knappen und keinen Diener. Er wandte sich zum Tor und fand die Brücke herabgelassen. Er glaubte, da er dies sah, die Diener seien in den Wald gegangen, um nach Wildbret zu spähen, und ritt ohne Säumen auf die Brücke, denn gern hätte er von einem der Knappen erfahren, warum die Lanze blute und wohin man den Graal trage. Kaum aber hatte er die Brücke betreten, als er fühlte, wie sich die Füße seines Rosses hoben, das Tier machte einen gewaltigen Satz, und wenn es nicht so gut gesprungen wäre, so wäre es ihnen beiden übel ergangen. Der Ritter wandte sein Gesicht, um zu sehen, was das gewesen sei, und er bemerkte, daß man die Brücke emporgezogen habe. Er rief, aber niemand antwortete ihm. »Heda,« rief er, »du, der du die Brücke aufgezogen hast, wo bist du, sprich mit mir, denn ich sehe dich nicht. Tritt vor, ich will dich um etwas fragen, das ich wissen möchte!« So sprach er, und da niemand ihm antworten wollte, merkte er, daß zuviel Schweigen manchmal ebenso unklug ist, wie zuviel Reden. Er lenkte sein Pferd auf einen Pfad, wo er eine frische Spur von Rossen erblickte; »da sind sie wohl fortgeritten, die ich suche«, sprach er bei sich und trabte tiefer und tiefer in den Wald hinein …
[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]
Vertonung: https://youtu.be/Xu123Tv8APg