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Cleomades und das hölzerne Pferd

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Im Lande Afrika herrschten einst drei reiche Könige. Ihre Länder waren benachbart und die Könige waren einander freundschaftich zugetan. Sie waren aber alle drei erfahren in der schwarzen Kunst und in der Sternkunde. Melocandis und Baldigant waren weise, edel, schön und ritterlich, aber den dritten, welcher Crompart hieß, verunzierte ein Buckel, seine Augen lagen tief im Kopf und das Kinn hing ihm auf der Brust. Diese drei Könige hatten davon reden hören, daß König Marcadigas von Spanien drei wunderschöne Töchter besitze. Zu diesen hatte sie vom bloßen Hörensagen Liebe ergriffen, und sie beschlossen, um ihre Hand anzuhalten. Crompart, der schlaue, riet: »Ihr Herren, Marcadigas ist wegen der gewaltigen Tapferkeit seines Sohnes Cleomades weit und breit gefürchtet. Wir werden guttun, wenn wir uns sein Wohlwollen mit reichen Geschenken erkaufen.« Da verfertigte Meliocandis eine Henne mit drei Küchlein aus lauterm Gold, und diese Tierlein sangen so schön, daß süßere Melodien niemals vernommen wurden. Baldigant schuf einen Mann aus Gold, der eine Trompete in der Hand hielt, und jedesmal, wenn jemand Verrat oder Unbill plante, so blies der Trompeter, daß er ein ganzes Heer erwecken mochte. König Crompart endlich ersann das kostbarste Geschenk. Es war ein Pferd aus Ebenholz, das seinen Reiter überall hintrug, wohin er wollte; wenn man einen der stählernen Zapfen drehte, mit denen es an Stirn und Brust ausgestattet war, so flog das Tier in die Luft oder zu Tal, zur Seite oder geradeaus, und es durchschnitt die Luft so schnell, daß niemand ihm mit den Augen folgen konnte. Mit diesen drei Geschenken kamen die afrikanischen Könige in die große Stadt Sevilla, als gerade König Marcadigas am Ersten des Monats Mai sein Geburtstagsfest beging. Viele Barone hatten sich zum Fest am Hofe versammelt und das Volk drängte sich auf den Gassen, als die drei fremden Herrscher ihren Einzug hielten. Cleomades, der Königssohn, ging ihnen entgegen und begrüßte sie mit den geziemenden Ehren, darauf wurden sie vor den König geleitet. Diesem boten sie ihre Kleinodien dar, ohne ihm jedoch den wahren Zweck ihrer Fahrt zu enthüllen. »Wir fordern darfür«, sprach der listige Crompart, »nur eine Gegengabe für uns alle drei.« »Und ich bewillige sie euch,« erwiderte der König, »schont meiner Habe nicht! Wählt unter meinen Burgen und Städten, unter meinem Gold und meinen Edelsteinen, fordert kühn, was euch gefällt, ich verspreche euch im voraus, daß es euer ist.« Der Bucklige hub wieder an: »Herr, Ihr macht uns froh, denn Ihr bewilligt uns reiche Gabe. So wisset: um Eurer Töchter willen verließen wir unser Land und sie verlangen wir von Euch. Ihr habt uns unsere Bitte im voraus gewährt, nun nehmt die Kleinodien, die wir Euch mitbrachten!« Marcadigas sah, daß er hintergangen war und sein vorschnelles Versprechen reute ihn wegen der Mißgestalt Cromparts, aber ein König darf sein Wort nicht brechen. Auch dem Königssohn mißfiel es, daß der Mann mit dem Schweinsrüssel eine seiner Schwestern bekommen sollte, er benachrichtigte die Jungfrauen und diese spähten durch ein Loch in der Wand in den Saal. Die beiden ersten gefielen ihnen nicht übel, aber als sie den kleinen häßlichen Crompart sahen, da fragten sie sich angstvoll, welcher von ihnen dieser bestimmt werden sollte. Nachdem alles im Saale Platz genommen hatte und Ruhe geboten war, nahm Melocandis die goldene Henne und setzte sie mit ihren Küchlein mitten in den Saal, und siehe, alle vier ließen einen wunderlieblichen Gesang hören. Dem Könige gefiel die Gabe sowohl wie der wohlgestaltete Spender und auch Cleomades erklärte sich zufriedengestellt. Melocandis verneigte sich vor dem König und erhielt die älteste Tochter, die durch das Loch mit Wohlgefallen den edlen Ritter betrachtete. Dann trat Baldigant vor und überreichte dem König den Mann aus Gold, indem er ihn dabei über dessen Eigenschaften unterrichtete. Er erhielt die zweite Tochter und neigte sich dankend vor dem Herrscher. Da geriet die jüngste, welche Marina hieß, in große Not, denn ihr blieb nur der häßliche Zwerg übrig. Cleomades, der ihre Tränen sah, versprach, er wolle es so einrichten, daß Crompart sie nicht zur Frau erhalten solle, und über diese Worte wurde sie wieder ein wenig froh und lächelte. Während sie solches in der Kammer besprachen, hatte aber der Bucklige schon so geschickt mit dem König geredet, daß dieser ihm seine Tochter zugebilligt hatte. Cleomades verbarg seinen Zorn und sprach leise zu seinem Vater: »Wollt Ihr Eure Tochter ewiger Trauer überliefern, indem Ihr sie diesem mißgestalteten Geschöpf zum Weibe gebt?« »Ich nahm sein Geschenk und gab ihm mein Versprechen. Könige lügen nicht.« »Herr,« wandte Cleomades ein, »woher wißt Ihr, daß das Pferd die Eigenschaften besitzt, die er an ihm rühmt? Erprobt zunächst die Wahrheit seiner Worte und den Wert der Gabe!« Der König war damit einverstanden und Cleomades setzte dem Zwerg seine Zweifel auseinander. »Wenn Ihr das Pferd besteigen wollt,« sagte Crompart mit hämischem Lachen, »so sollt Ihr erfahren, ob ich log. Ertappt Ihr mich auf Unwahrhaftigkeit, so mögt Ihr mit mir machen, was Ihr wollt.« Der Treulose hatte wohl gemerkt, daß Cleomades die Heirat hintertrieb, und er suchte nach einer Gelegenheit, sich an ihm zu rächen. Während der Bucklige diese Worte sprach, blies der goldene Trompeter in sein Horn, weil gegen Cleomades Verrat geplant wurde, aber niemand achtete auf den Ton. Das Roß wurde in den Hof geführt und die Menge drängte sich gaffend herum. Ein Sattel aus Ebenholz deckte das Zauberpferd und seine Steigbügel hatten die Eigenschaft, daß sie sich der Größe eines jeden Reiters anpaßten. Cleomades, begierig, das Geheimnis zu erfahren, bestieg den Rücken des Tieres und drehte an einem Zapfen an dessen Stirn. Wie der Sturmwind sauste das wunderbare Flugzeug durch die Luft davon, und die Zurückbleibenden verloren es alsbald aus den Augen. Der König wandte sich zornig an Crompart: »Laßt das Pferd umkehren, es ist schon zu weit fort. Mir scheint, es ist nun hinreichend erprobt.« »Herr,« entgegnete der Verräter mit unschuldiger Miene, »es steht nicht in meiner Macht, das Roß zurückzurufen, denn ich vergaß, Euren Sohn, als er aufstieg, zu lehren, wie er umkehren könne. Erst als er fort war, fiel es mir ein. Es schmerzt mich sehr, doch kann ich ihn Euch nicht wiedergeben.« »Freund,« sprach der König, »du wirst nicht das Licht des Tages sehen, bis ich meinen Sohn wiederhabe. Wahrlich, übel war ich beraten, da ich die Warnung des Bläsers nicht beachtete, und töricht handelte ich, daß ich Euch nicht selber Euer Roß versuchen ließ.« Der Zwerg suchte sich zu verteidigen, aber das nützte ihm nichts; er wurde gebunden und ins Gefängnis geworfen, wo er Gelegenheit hatte, seine Hinterlist zu bereuen.
Den Königssohn indessen trug das Zauberroß in kurzer Zeit so weit, daß er nicht mehr wußte, welche Länder und Meere unter ihm vorübereilten. Wohl merkte er, daß Crompart ihn hintergangen hatte, um sich seiner zu entledigen, aber sein tapferes Herz verzagte darum nicht. Er erinnerte sich, daß er den Buckligen einen Zapfen an der Stirn des Rosses habe drehen sehen, er tastete oben und unten und fand schließlich einen Zapfen auf der rechten Seite des Tieres, den er bewegte: da wandte sich das Pferd augenblicklich nach rechts. Nun versuchte er einen Zapfen nach dem andern, bis er wußte, wie er die Maschine, die durch die Zapfen ihre Bewegung erhielt, steuern müsse. Schließlich fand er auf der Brust des Holzpferdes einen Zapfen, der veranlaßte, daß das Flugzeug sich so sanft, wie ein Aprilregen auf die junge Saat fällt, zur Erde herabließ und stille stand. Er wußte jetzt, wie er in die Höhe und abwärts, wie er vorwärts und rückwärts fliegen könne, und gar gern wäre er nach Spanien zurückgekehrt, aber so weit hatte ihn das Roß schon getragen, daß er nicht mehr wußte, welche Richtung er einschlagen müsse, und zudem war er müde und hungrig, denn er reiste nun schon einen Tag und eine Nacht mit ungeheurer Geschwindigkeit. Er gedachte also, zur Erde herabzugleiten, um sich auszuruhen. Er blickte unter sich und gewahrte, daß er über einer weiten Ebene schwebte, durch welche sich ein Fluß schlängelte. Ein festes und schönes Schloß lag unter ihm, umgeben von Wäldern, Weinbergen und Wiesen. Von Konstantinopel bis Österreich hätte man kein prächtigeres Schloß finden können. Hier herrschte ein König mit Namen Carmans, der eine wunderschöne Tochter besaß. Neben dem Tor des Schlosses bemerkte der Jüngling einen hohen Turm, der aus Marmorstein gehauen und mit Blei gedeckt war. Auf diesen Turm zu nahm er seinen Flug und steuerte seine Maschine so, daß er auf der Spitze desselben landete. Er stieg vom Roß und erblickte ein kleines Pförtchen, durch welches er in das Innere des Schlosses dringen konnte. Er ließ also sein Flugzeug oben auf dem Dache und eilte die Stufen hinab, denn der Hunger trieb ihn. Durch eine Flucht von prächtigen Sälen irrte er, bis er in einen Raum gelangte, in welchem eine Tafel aus Ebenholz und verziert mit kostbaren Steinen gedeckt war. Mancherlei Speisen luden da zum Mahle, und in goldenen Pokalen funkelte der Wein. Fleisch und Wein aber waren ein Opfer, welches die Bewohner dieses Landes am ersten des Mai ihren Göttern darbrachten, um von ihnen Fruchtbarkeit zu erflehen. Der König und seine Großen hatten ein wenig von den Speisen genossen, dann hatten sie sich in einen anderen Saal begeben, wo böhmische Flötenspieler und deutsche Geiger zum Tanze aufspielten. Dort war der ganze Hof bis Morgengrauen in ausgelassener Lust versammelt und so blieb die Ankunft des Fliegers unbemerkt. Cleomades wusch sich seine Hände an einem Wasserstrahl, der aus dem Maule eines silbernen Löwen hervorsprudelte und setzte sich zum Mahl, während die Klänge der Fiedeln und Harfen aus dem Tanzsaal herübertönten. Als er sich gütlich getan hatte, wandte er sich zur offenen Tür des Saales und trat in ein Gemach, in dem ein Mann von riesenmäßigem Wuchse, doch ohne Bart, angekleidet auf einem Lager schlief, das von Waffen aller Art rings umgeben war. Der Jüngling schlich sich an dem Schläfer vorbei und trat in einen Säulengang, der einen Blumengarten umgrenzte. Er stand still und sah sich um. Das Gärtlein zeigte keinen anderen Ausgang als eine Pforte aus Ebenholz; zu dieser wandte sich der Königssohn und drückte auf die Klinke, worauf sich die Türe mühelos öffnete. Cleomades trat in ein Gemach von undenklicher Pracht; dieses hatten der König und die Königin für ihre Tochter Clarmondine hergerichtet, welche sie über alles liebten. Sie zu bewachen diente der riesenhafte Eunuch, der vor dem Gärtlein schlief. Eine Unzahl von Kerzen erhellte den Raum und durch die Fenster brach schon der junge Tag. Drei Betten standen in der Kammer, in welchen drei Jungfrauen ruhten, aber auf der rechten Seite stand das schönste Lager, das je ein Mensch gesehen. Es war von Gold, und Hyazinthen, Topase, Rubinen und Saphire funkelten daran, weiße Felle waren über die seidenen Decken gebreitet. In diesem Bett ruhte die schöne Königstochter. Cleomades näherte sich dem Lager, erblickte die anmutige Schläferin und neigte sich über sie. Als er ihre Wangen aus Milch und Purpur sah, faßte er sich ein Herz und küßte sie, worauf sie erwachte und mit einem tiefen Atemzug ihre Augen öffnete. Sie erschrak gewaltig, als sie einen Mann vor sich stehen sah. Cleomades ließ sich vor ihr auf die Knie nieder, um sie zu begrüßen, und sie erwiderte ihm: »Lieber Herr, wie kommt Ihr hierher? In dies Gemach darf kein anderer treten als der Königssohn von Arkadien, mit dem ich in meiner Kindheit verlobt wurde, ohne ihn je gesehen zu haben. Sagt, seid Ihr der? Wenn nicht, so seid Ihr des Todes, und wenn Euer Leben fünffache Kraft hätte.« »Schöne Maid,« sprach der Königssohn, »ich bin der, von dem Ihr spracht und werde alles tun, was Euch gefällt.« »Wer führte Euch hierher?« »Niemand weiß, daß ich kam. Die Sehnsucht nach Euch, meiner Braut, trieb mich hierher. Nun, nachdem ich Euch gesehen, will ich mich unverzüglich wieder entfernen, denn um nichts in der Welt möchte ich Euch lästig sein.« Die Jungfrau wurde froh, denn sie glaubte den Worten des Jünglings, der ihr überaus wohlgefiel. Seine Schönheit ergriff ihr Herz mit den Flammen der Liebe und ebenso fühlte sich unser Held von Amors Pfeil verwundet. Clarmondine weckte nun ihre Dienerinnen und diese waren so sprachlos vor Verwirrung über die Anwesenheit des Fremden, daß sie dessen höflichen Gruß mit keinem Wort erwiderten. Cleomades beschloß, das Gemach zu verlassen, bis die Prinzessin sich erhoben hätte; doch versprach er nicht eher zu gehen, als es ihr gefiele. Der Jüngling trat in den Blumengarten, wo er sich liebeskrank niederließ und den Duft der Blüten einsog. Clarmondine kleidete sich indessen an und erzählte dabei ihren drei Gespielinnen von dem jungen Ritter, den sie noch immer für ihren Verlobten hielt. Als sie fertig waren, begaben sie sich alle vier zu dem Königssohn in den Garten, und dieser suchte zunächst in Erfahrung zu bringen, in welchem Lande er eigentlich sei. Dabei sah er die Jungfrau mit verliebten Augen an und die Liebe schlug ihre Wurzeln in ihren Herzen. Schon lange saßen sie so da in Gespräche und stumme Blicke vertieft, da spähte der Riese, der die Königstochter behüten sollte, durch ein kleines Fensterchen in den Garten. Er erstaunte über die Maßen, als er den Ritter sah, und er wußte nicht, wie er hineingekommen sei, denn er glaubte alle Eingänge wohlverwahrt zu haben. Sogleich eilte er zum König, um ihm Bericht zu erstatten. Dieser geriet über solche Nachricht in grenzenlose Wut. Eilends begab er sich an das Fenster und gewahrte ein liebliches Bild: seine Tochter wand aus Blüten einen Kranz, während ihre Gespielinnen die Blumen dazu pflückten und der Jüngling die Seide zusammenflocht, um den Kranz zu binden. Der König, rasend darüber, daß ein Mann bei seiner Tochter weile, ließ die älteste der Wärterinnen rufen, um von ihr Rechenschaft zu fordern. Sie erzählte ihm alles, was sie von Cleomades wußte, aber der König merkte sogleich die Unwahrheit seiner Worte, denn sein künftiger Schwiegersohn war ihm wohlbekannt. Hastig trat er in das Gärtlein, und die Liebenden sprangen erschrocken vor ihm auf. Der Jüngling begrüßte den König, ohne Furcht zu zeigen, doch dieser blieb ihm die Antwort schuldig und gebot, ihn augenblicklich zu fesseln. Die Knechte legten Hand an den Königssohn, der sich ohne Gegenwehr binden ließ. Die Jungfrau aber kniete vor dem Vater nieder und sprach: »Herr, dieser Mann tat mir kein Leid. Er ist der arkadische Prinz, mein Verlobter, den Ihr mir selbst zum Gatten bestimmt habt.« Der König sah an den Mienen seiner Tochter, daß sie sich keiner Schuld bewußt war. »Tochter,« sagte er, »es ist nicht der, den Ihr meint. Nie sah ich diesen Mann. Wenn Euer Verlobter ins Land käme, so sollten sich meine Schlösser mit Scharen festlicher Gäste füllen. Doch dieser ist ein Betrüger, der Euch Eure Ehre rauben will. Aber er soll es büßen, denn ich will ihn lebendig schinden lassen, will ihm den Kopf abschlagen, ihn verbrennen, hängen und lebendig begraben.« Cleomades erschrak, weil man ihn auf einer Lüge ertappt hatte und ließ sich gutwillig fortschleppen. Die Mutter suchte Clarmondine zu trösten, aber ihr Herz war nicht in ihrem Leib, sondern wanderte mit dem Königssohn in den Kerker, und wo das Herz nicht ist, da ist jeder Trost umsonst. Cleomades stand in Banden geschlagen und von Bewaffneten umgeben im Hofe, als die Königin zu ihm trat, und trotz seiner Erniedrigung schien er ihr schön und liebenswert. Man fragte den Jüngling nach Name und Heimat, aber er schwieg hartnäckig. Erst als der König ihm vorwarf, daß er der Ehre seines Kindes nachgestellt habe, antwortete er hastig, daß er nichts Böses gegen die Prinzessin im Schilde geführt habe, und er erzählte eine halb wahre, halb erdachte Geschichte, wie Feen ihn entführt, ihn auf ein hölzernes Zauberpferd gesetzt und hier abgeladen hätten. Er erklärte sich bereit, dem König das Roß, das auf dem Turme stehe, zu zeigen. Dieser wurde neugierig und begehrte, das Tier zu sehen; er schickte Cleomades mit einer Schar Bewaffneter auf den Turm, sein Flugzeug zu holen. Der Jüngling fand das Pferd im nämlichen Zustand vor, wie er es verlassen hatte; er brachte es dem König und dieser betrachtete es mit Erstaunen. Die Königin hatte Erbarmen mit dem jungen Mann und bat ihren Gemahl um Gnade. Dieser hätte ihm gern verziehen, wenn ihn seine Lüge nicht verdächtig gemacht hätte. Er wandte sich an seine Ratgeber und fragte sie, was er mit dem Gefangenen tun solle. Die Meinungen gingen weit auseinander, aber schließlich einigte man sich dahin, daß er gehängt werden solle. Da bedachte sich Cleomades und sprach: »König, ich fürchte den Tod nicht, aber da ich Euch nicht entgehen kann, bitte ich Euch um eine Gnade: hängt mich nicht wie einen Straßenräuber! Ich bin ein Ritter und verdiene einen ehrenvollen Tod. Laßt mich mein Pferd besteigen und dann durchbohrt mich mit Euern Pfeilen und Schwertern.« Der König gestand ihm diese Gnade zu, denn es war ihm gleichgültig, auf welche Weise er ums Leben käme. Rings um das Roß versammelten sich die Knechte mit Spießen, Lanzen, Pfeilen, Schwertern und Stöcken; große Steinblöcke hielten sie im Schoß, um sie auf den Gefangenen zu schleudern. Cleomades bestieg freudigen Herzens sein Gefährt, als er aber oben saß, legte er seine Hand an die Stirn des Tieres, drehte den Zapfen und sogleich durchschnitt die Maschine die Luft, so daß die Zurückbleibenden mit geöffneten Mäulern dastanden und meinten, der Leibhaftige habe sie genarrt.
Cleomades nahm seinen Flug nach Spanien, wo er mit größter Freude empfangen wurde. Seine erste Bitte war, Crompart aus dem Gefängnis zu entlassen, die Hand Marinas freilich habe er durch seine Treulosigkeit verwirkt. Der Bucklige war sehr bekümmert, als ihm der König seine Tochter verweigerte und er verließ ihn voll Scham und Trauer ohne Abschied. Er entließ sein Gefolge, das er in Sevilla zurückgelassen hatte, er selber aber blieb in der Stadt, um eine günstige Gelegenheit abzuwarten, daß er sich am König und besonders an Cleomades rächen könne. Er kleidete sich als Arzt und übte das Gewerbe eines Heilkünstlers aus. Den Königssohn indessen ließ die Liebe zu Clarmondine nicht rasten, und er glaubte nicht eher Ruhe zu finden, bis er sie als seine Gattin heimgeführt habe. Als drei Tage verstrichen waren, nahm er von seinem Vater Abschied, um zu ihr zurückzukehren. Er nahm denselben Weg, den er gekommen war und ließ sein Flugzeug unter einer Ulme in der Nähe von König Carmans‘ Schloß zu Boden gleiten, um dort in Furcht und Hoffnung den Anbruch der Nacht zu erwarten. Als der Mond aufgegangen war, bestieg er sein Roß wieder und flog ruhig und sicher in die Burg. Er ließ den Turm zur Seite liegen und senkte sein Gefährt in das Blumengärtlein hernieder, wo ihn der König letzthin überrascht hatte. Dort stieg er ab und verbarg das Pferd in einer Mauernische. Die Tür der Schlafkammer der Prinzessin stand offen, um dem Duft der Blüten Eintritt zu gewähren, und Cleomades gelangte ungehindert in das Gemach. Er blieb einen Augenblick stehen und überzeugte sich zunächst, ob alles schlief, dann trat er an das Bett der Jungfrau und weckte sie mit einem Kuß. Sie schlug mit einem Seufzer die Augen auf und sprach: »Ach, wer hat mich geküßt?« Beim Licht der Kerzen erkannte sie den Jüngling sogleich, aber sie wußte nicht, ob sie schweigen oder schreien solle, denn sie mißtraute dem Fremden, obwohl sie ihn liebte. »Herr,« sagte sie, »ich sollte Euch zürnen, weil Ihr neulich eine Lüge geredet habt.« »Jungfrau, ich schwöre Euch, daß ich Euch heute die Wahrheit sagen will. Cleomades heiße ich und mein Vater herrscht über Spanien.« Bei diesen Worten jubelte Clarmondinens Herz, denn der Ruhm seiner Heldentaten war schon in ihr fernes Land gedrungen und vom Hörensagen hatte sie den Vollbringer so vieler edler Taten schon geliebt. Sie fragte ihn, warum er gekommen sei, und er flüsterte ihr leise, leise, damit die Wärterinnen nicht erwachten, seinen Plan ins Ohr und bat sie mit aufgehobenen Händen, sie möge mit ihm in seine schöne Heimat ziehen, um an seiner Seite als Königin zu herrschen. »Herr,« sagte sie, »ich ergebe mich in Euern Willen. Aber ich fürchte, mein Vater wird nicht in diese Heirat einwilligen, denn er hat mich schon für einen andern bestimmt.« Es bedurfte geringer Überredungskunst, um sie zur Flucht mit ihm zu bewegen. Darauf verließ Cleomades das Gemach, um sie im Garten zu erwarten. Die Prinzessin weckte indessen ihre Gespielinnen und erzählte ihnen, daß der berühmte Ritter Cleomades gekommen sei, um sie mit sich in sein Land zu führen. Die Jungfrauen, die gleichfalls schon viel von der Tapferkeit des spanischen Königssohnes gehört hatten, lobten ihre Wahl und redeten ihr zu, mit ihm zu fliehen. Darauf traten sie alle vier in das Gärtlein und die Wärterinnen trugen dem Paar einen Imbiß auf und baten den Königssohn, sie sobald als möglich in sein Land zu rufen. Die Prinzessin aber war bekümmert, daß sie ihre Eltern verlassen sollte, und Cleomades mußte ihr versprechen, daß er ihr noch einmal Gelegenheit geben wolle, sie zu sehen. Die Wärterinnen mahnten nun die Liebenden, nicht länger mehr zu verharren, denn König Carmans hatte die Gewohnheit, bei Tagesanbruch sich zu erheben und sich mit seinem Gefolge im Schloßpark zu ergehen. Schon dämmerte der Tag herauf und die eine der Dienerinnen stieg auf den Turm, von dem aus man den Park übersehen konnte. Da sah sie, wie der König und die Königin sich mit einer Schar von Damen und Rittern unter einer Pinie niedergelassen hatten. Hurtig stieg sie wieder herab und bat den Königssohn, unverzüglich seinen Plan auszuführen. Der Jüngling hob Clarmondine auf sein Roß und band sie fest, um sie vor dem Fallen zu bewahren, die Mägde befestigten Körbe mit Speisen und Wein an den Seiten des Flugzeugs und dann setzte er sich selbst vor die Prinzessin auf das Zauberpferd; er drehte den Zapfen, der den Flug nach aufwärts regelte, und schwebte mit seinem Lieb dem jungen Tag entgegen. Zunächst steuerte er ganz langsam und hielt sich nahe am großen Turm, von wo man den Park, den die ersten Strahlen der Sonne beschienen, überblicken konnte. König Carmans lustwandelte dort mit seinen Begleitern. Da hub Cleomades von seiner luftigen Höhe aus zu reden an: »Herr, sucht Eure schöne Tochter nicht, denn Euer Suchen ist umsonst. Ich habe mich Eurer Tochter ergeben und sie hat mir ihre Huld gewährt. Nun fliegen wir nach Spanien in mein Heimatland, unser Hochzeitsfest zu halten. Und damit Ihr wißt, wer Eure Tochter entführt: ich bin von edler Art und weit in ferne Lande drang meines Namens Ruhm, Cleomades heiße ich, mein Vater trägt die Krone Spaniens.« Die Königin blickte in die Höhe und rief: »Ach, mein Kind, wohin gehst du?« Dann fiel sie bewußtlos vor Gram zu Boden. Während die Herren und Damen des Hofes sich um die ohnmächtige Königin bemühten, flog das Liebespaar in blitzschneller Fahrt westwärts, der König Carmans aber faßte sich an die Stirn und glaubte, ein schwerer Traum habe ihn gequält.
Cleomades reiste mit der Prinzessin so lange durch die Luft, bis an einem Dienstag Morgen die Sonne vor ihren Augen die Türme Sevillas vergoldete. Da sprach der Königssohn: »Nun freut Euch, süßes Lieb, wir sind am Ziel!« »Herr,« sprach die Jungfrau, »ich bitte Euch, Ihr wollet mich hier an einem geschützten Orte absteigen lassen. Ich bedarf zunächst der Ruhe, ehe ich vor Eure Eltern trete, denn ich zittere vor Angst und Kälte.« Der Jüngling trug sie in einen Garten von Pinien und Lorbeerbäumen, der sich außerhalb der Mauern ausdehnte, und setzte sie unter einem Olivenbaume ab. Die Jungfrau streckte sich ermattet auf den grünen Rasen, und nachdem sie ein wenig geruht hatte, begehrte sie zu essen. »Wenn es Euch nicht mißfällt, Liebste,« sprach Cleomades, »so möchte ich jetzt meine Eltern und meine Schwester aufsuchen und sie bitten, Euch hier abzuholen.« »Holt sie, Herr, und laßt mich indes hier ruhen. Die Glieder schmerzen mich und ich kann mich so nicht vor dem Volke zeigen.« »So erholt Euch, bis ich wiederkomme und lauscht dem Sang der Vögel, die in den Zweigen zwitschern!« Cleomades eilte in sein väterliches Schloß und ließ die Jungfrau mit dem Pferd im Garten, die sich mit Singen die Zeit vertrieb. Crompart, der Falsche, hatte sich an diesem Morgen früh erhoben und erging sich in dem nämlichen Garten, um Heilkräuter zu sammeln. Er hörte das Lied der Jungfrau und wandte sich der Gegend zu, aus der die Töne kamen. Clarmondine erschrak, als sie das Scheusal erblickte; sie verstummte augenblicklich und rief mit lauter Stimme nach ihrem Geliebten. Crompart freute sich in seinem treulosen Herzen, denn er glaubte, eine Gelegenheit zur Rache gefunden zu haben. Überdies gefiel ihm die Jungfrau, und er dachte, wenn er Marina nicht bekommen könne, so wolle er wenigstens diese zu seiner Liebsten machen. Als er sie nach Cleomades rufen hörte, erriet er den Zusammenhang. »Erschreckt nicht,« sagte er, »ich will Euch kein Leid tun!« »Herr, mir graut vor Euch! Bitte, geht, denn gleich wird Cleomades zurückkehren, dem ich angehöre.« »Eben dieser ist es, der mich sendet,« entgegnete der Zwerg listig, »er befiehlt Euch, daß Ihr zu ihm kommt; ich werde Euch auf dem Roß zu ihm tragen, denn er lehrte mich, es zu behandeln, und daran mögt ihr erkennen, daß ich sein Vertrauter bin.« Die Jungfrau glaubte den Worten des Schurken und erhob sich. Der Bucklige setzte sie auf das Zauberpferd und band sie fest, dann hing er Fleisch und Wein an die Seite des Tieres und stieg selber auf. Hurtig drehte er den Zapfen, und in rasender Fahrt erhob sich das Flugzeug in die Wolken.
Hier müssen wir unser Liebespaar seinem Schicksal überlassen und geben es dem Leser anheim, sich selber auszumalen, welche Gefahren und Abenteuer die Liebenden noch zu bestehen hatten, bis sie endlich wieder miteinander vereinigt wurden.

[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]

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