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Hans und die Bohnenranke

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Es war einmal eine arme Witwe, die hatte einen Sohn, der Hans hieß, und eine Kuh, die sie Milchweiß nannten. Und sie hatten nichts als die Milch der Kuh, um ihr Leben zu fristen. Jeden Morgen trugen sie die Milch zum Markt und verkauften sie. Aber eines Tages gab Milchweiß keine Milch mehr, und nun wussten sie nicht, was sie tun sollten.
„Was sollen wir nur anfangen, was sollen wir nur anfangen?“ klagte die Witwe.
„Sei guten Mutes, Mutter, ich werde fortziehen und Arbeit suchen“. sagte Hans.
„Das hast du ja schon einmal versucht“, sagte die Mutter, „aber niemand hat dich nehmen wollen. Wir müssen Milchweiß verkaufen und mit dem Geld ein Geschäft anfangen oder sonst etwas.“
„Gut, Mutter“, sagte Hans, „heute ist Markttag, da werde ich Milchweiß gut verkaufen können. Dann wollen wir sehen, was sich machen lässt.“ Und Hans band die Kuh an einen Strick und ging fort mit ihr.
Auf dem Weg zum Markt begegnete ihm ein seltsam anmutendes altes Männlein, das sagte zu ihm: „Guten Morgen, Hans!“
„Auch einen schönen guten Morgen“, sagte Hans und wunderte sich, wieso das Männlein seinen Namen kannte.
„Nun, Hans, wohin des Wegs?“ fragte das Männlein.
„Auf den Markt, die Kuh verkaufen.“
„Du schaust mir gar nicht danach aus, als ob du Kühe verkaufen könntest“, sagte das Männlein. „Ich glaube, du weißt nicht einmal, wie viele Bohnen fünf ergeben.“
„Zwei in deiner Hand und eine in deinem Mund“, sagte Hans hurtig.
„Richtig“, sagte das Männlein, „und da hast du auch schon die Bohnen.“ Und darauf zog es aus seiner Tasche eine Handvoll seltsam aussehender Bohnen.
„Weil du so schlau bist“, sagte es, „so hab ich nichts dagegen, mit dir einen Handel zu machen. Gib mir die Kuh, ich gebe dir die Bohnen.“
„Das möchte dir so passen“, sagte Hans.
„Ah, du weißt nicht, was für Bohnen das sind.“, sagte der Mann, „Wenn du sie am Abend einpflanzt, so sind sie am Morgen bis zum Himmel hinauf gewachsen.“
„Ist das wahr, was du da sagst?“ fragt Hans.
„Ja, es ist wahr, und wenn es nicht so ist, so kannst du deine Kuh zurück haben.“
„Gut“, sagt Hans und gibt ihm den Strick mit der Kuh und steckt die Bohnen in die Tasche.
Hans geht nun heimwärts, und weil er noch nicht weit gewesen ist, kommt er gerade nach Haus, bevor es dunkel wird.
„Bist du schon zurück?“ sagt die Mutter „Ich sehe nicht mehr. Wie viel hast du für sie bekommen?“
„Das wirst du nie erraten, Mutter!“ sagt Hans. „Nun, nun, so arg wird es nicht sein, mein guter Bub. Fünfzehn? Nein, zwanzig, das ist doch nicht möglich!“
„Ich habe es dir ja gesagt, du wirst es nie erraten. Was sagst du zu diesen Bohnen? Das sind Zauberbohnen! Pflanz sie ein über Nacht und…“
„Was?“ ruft da die Mutter, „Bist du so ein Tollpatsch, so ein Dummian, so ein Narr und hast unsre Milchweiß für so ein paar lumpige Bohnen eingetauscht? Da, schau her, zum Fenster schmeiß ich sie hinaus, deine teuren Bohnen! Und mit dir, marsch ins Bett Keinen Löffel Suppe und keinen Bissen Brot sollst du heute mehr bekommen.“
Traurig stieg Hans in sein Dachkämmerlein. Es tat ihm leid, dass seine Mutter so böse war und er nun hungrig zu Bett gehen musste. Endlich schlief er ein.
Als Hans am nächsten Morgen erwachte, da schaute es in seiner Kammer ganz sonderbar aus. Die Sonne schien hell in eine Ecke, alles andre aber war dunkel und schattig. Hans hüpfte aus dem Bett und lief zum Fenster. Und was glaubt ihr, was er da sah? Ja, die Bohnen, die seine Mutter zum Fenster hinausgeworfen hatte, waren aufgegangen und zu einer großen Ranke emporgeschossen, die immer höher und höher gewachsen war, bis zum Himmel hinauf. Das Männlein hatte also die Wahrheit gesprochen.
Der Bohnenstrauch rankte sich ganz nahe am Fenster von Hans vorbei. Er brauchte bloß das Fenster zu öffnen und einen kleinen Schritt auf die Bohnenranke zu machen, die wie eine große Leiter zum Himmel ragte. Hans kletterte also, er kletterte, kletterte, kletterte und kletterte, bis er endlich am Himmel anlangte. Und als er hineinging, da war eine lange und breite Straße, die führte kerzengerade fort. Hans wanderte die Straße, und er wanderte, wanderte und wanderte, bis er zu einem großen, großen Haus kam, an dessen Türschwelle eine große, große Frau stand.
„Guten Morgen, gute Frau“, sagt Hans, so höflich er kann. „Würdet Ihr so gütig sein und mir etwas zum Frühstück geben?“ Denn er hatte noch nichts gegessen und, wie ihr wisst, auch kein Abendbrot bekommen, und er war hungrig wie ein Wolf.
„Ein Frühstück willst du?“ sagt die große, große Frau. „Das Frühstück, das wirst du selber gleich sein, wenn du dich nicht schleunigst auf und davon machst. Mein Mann ist ein Riese, und er hat nichts lieber als geröstetes Bubenfleisch auf Brot. Gleich wird er hier sein.“
„O bitte, gute Frau, gebt mir etwas zu essen. Ich habe seit gestern früh nichts gehabt, und es ist mir schon einerlei, ob ich geröstet werde oder ob ich Hungers sterben soll.“
Nun, die Frau des Riesen war nicht halb so schlecht, wie es schien. Sie führte Hans in die Küche und gab ihm eine große Scheibe Brot und Käse und einen Krug Milch. Hans hatte aber noch nicht aufgegessen, als schon – tap! tap! tap! – das ganze Haus zu dröhnen begann von dem Lärm, den der Riese bei seinem Kommen machte.
„Um Himmels willen, mein Mann kommt!“ rief die Frau des Riesen. „Was soll ich nur machen? Schnell, komm und spring da hinein!“ Und wie ein Bündel schob sie Hans in den Ofen, gerade bevor der Riese hereinkam.
Es war ein großer Riese, das könnt ihr mir glauben. An seinem Gürtel hatte er drei Kälber an den Beinen festgebunden. Er band sie los, warf sie auf den Tisch und sagte: „Da, Weib, röst mir die paar zum Frühstück! Ah! Was riecht da so fein? Ich rieche Menschenfleisch!“
„Unsinn, mein Lieber!“ sagte die Frau, „Du träumst wohl. Oder mag sein, du riechst die Überreste von dem kleinen Jungen, der dir gestern zum Frühstück so geschmeckt hat. Da, geh und wasch dich und mach dich sauber! Und wenn du zurückkommst, wird das Frühstück fertig sein.
Da ging der Riese hinaus, und Hans wollte gleich aus dem Ofen springen und fortlaufen, aber die Frau sagte zu ihm: „Warte, bis er eingeschlafen ist! Er macht immer ein Nickerchen nach den Frühstück.“
Nun, der Riese verzehrte sein Frühstück, und hernach geht er zu einer großen Kiste, nimmt ein paar Beutel Gold heraus, setzt sich nieder und zählt und zählt, bis endlich sein Kopf zu nicken beginnt. Und dann fängt er an zu schnarchen, dass das ganze Haus wackelt.
Da kroch Hans auf den Zehenspitzen aus dem Ofen heraus, und als er beim Riesen vorbeiging, nahm er einen Beutel Gold unter seinen Arm und rannte, so schnell ihn nur seine Füße trugen, bis er zur Bohnenranke kam. Er warf den Beutel Gold hinunter, der, versteht sich, in Mutters Garten fiel, und dann kletterte er abwärts, immer abwärts, bis er wieder bei seinem Fenster anlangte. Er erzählte alles seiner Mutter, zeigte ihr das Gold im Beutel und sagte: „Nun, Mutter, hab ich nicht recht gehabt mit den Bohnen? Es sind wirklich Zauberbohnen.“
Nun lebten sie eine schöne Zeitlang von dem Gold im Beutel. Aber einmal nahm das auch ein Ende, und Hans beschloss, noch einmal sein Glück mit der Bohnenranke zu versuchen. Eines schönen Morgens stand er zeitig auf und kletterte die Bohnenranke hinauf. Und er kletterte, kletterte, kletterte und kletterte, bis er wieder zu der Straße kam und zu dem großen, großen Haus. in dem er gewesen war. Und richtig, da stand auch wieder die große, große Frau auf der Türschwelle.
„Guten Morgen, gute Frau“, sagte Hans, so kühn er nur konnte, „würdet Ihr so gütig sein und mir etwas zum Essen geben?“
„Geschwind, lauf fort!“ sagte die große, große Frau, „Oder mein Mann wird kommen und dich zum Frühstück aufessen. Aber bist du nicht der Bengel, der schon einmal da war? Weißt du auch, dass am selben Tag meinem Mann ein Goldbeutel gefehlt hat?“
„Sonderbar, wirklich sonderbar“, sagte Hans. „ich glaube, ich könnte Euch darüber etwas erzählen, aber ich bin so hungrig, dass ich nicht reden kann, bevor ich nicht gegessen habe.“
Nun, die große, große Frau war so neugierig, dass sie den Buben ins Haus hineinließ und ihm etwas zu essen gab. Kaum aber hatte er mit dem Essen begonnen, als sie – tap! tap! tap! – die Schritte des Riesen hörten. Und die Frau versteckte Hans wieder in dem Ofen.
Nun war alles wieder so wie das erste Mal. Der Riese kam herein, sagte: „Ich rieche Menschenfleisch!“ und bekam drei geröstete Ochsen zum Frühstück. Dann sagte er: „Frau, bring mir die Henne, die die goldenen Eier legt.“ Da brachte die Frau die Henne, und der Riese sagte: „Leg!“ und die Henne legte ein Ei, das war ganz aus Gold. Und dann begann der Riese einzunicken und zu schnarchen, dass das ganze Haus wackelte.
Da kroch Hans auf den Zehenspitzen aus dem Ofen, packte die Henne und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen. Aber auf einmal gackerte die Henne, und der Riese wachte auf, und gerade als Hans zum Haus hinauslief, hörte er ihn rufen: „Weib, Weib, was hast du mit meiner Henne gemacht?“
Und die Frau sagte: „Warum, mein Lieber?“
Das war alles, was Hans noch hörte, denn er eilte fort zur Bohnenranke und kletterte so schnell hinunter, als ob zehn Teufel hinter ihm her wären. Als er heimkam, zeigte er seiner Mutter die Wunderhenne und sagte: „Leg!“ Und die Henne legte ein goldenes Ei, sooft er es sagte.
Aber Hans war noch immer nicht zufrieden, und nicht lange, so beschloss er, wieder sein Glück mit der Bohnenranke zu versuchen Eines schönen Morgens stand er zeitig auf, ging zur Bohnenranke, und er kletterte, kletterte, kletterte und kletterte, bis er ganz oben war und wieder zu der Straße kam. Diesmal aber war er klüger und ging nicht geradewegs in das Haus des Riesen. Er versteckte sich in der Nähe hinter einem Busch und wartete, bis die Frau des Riesen herauskam und mit einem Kübel zum Brunnen ging. Da schlüpfte Hans ins Haus und kroch in einen großen Kupferkessel. Bald darauf hörte er, genauso wie früher – tap! tap! tap! -, und der Riese und seine Frau kamen herein.
„Ich rieche Menschenfleisch“, rief der Riese. Und seine Frau sagte: „Dann ist es gewiss der kleine Bengel, der das Gold und die Henne gestohlen hat Bestimmt hat er sich im Ofen versteckt.“ Und beide stürzten zum Ofen, aber zum Glück war Hans nicht dort. Und die Frau des Riesen sagte: „Du mit deinem ‚Ich rieche Menschenfleisch!‘. Gewiss riechst du noch etwas von dem Jungen, den ich dir gestern zum Frühstück geröstet habe. Nach so vielen Jahren könntest du doch endlich einmal den Unterschied zwischen lebendigen und gerösteten Buben kennen!“
So setzte sich der Riese wieder zum Frühstück hin, aber alle Augenblicke murmelte er: „Ich hätte geschworen…“ Und er stand auf und suchte in der Speisekammer, in den Schränken, überall. Zum Glück aber dachte er nicht an den Kupferkessel.
Als er mit dem Frühstück fertig war, rief er: „Weib, bring mir die goldene Harfe!“ Da brachte ihm die Frau die Harfe, und er stellte sie vor sich hin auf den Tisch. Dann sagte er: „Sing!“ Und die goldene Harfe fing an, wunderbar zu singen. Und sie sang und sang, bis der Riese fest eingeschlafen war und zu schnarchen anhub, dass das ganze Haus zitterte.
Da hob Hans den Deckel des Kupferkessels auf, ganz vorsichtig, schlüpfte hinaus wie eine Maus und kroch auf Händen und Füßen zum Tisch hin, packte die goldene Harfe und eilte zur Tür.
Aber da rief die Harfe ganz laut: „Meister! Meister!“ Und der Riese erwachte gerade noch rechtzeitig, um Hans mit der Harfe aus dem Haus laufen zu sehen.
Hans lief, so schnell er konnte, der Riese ihm nach, und der hätte ihn auch bald eingeholt, aber Hans lief kreuz und quer, um den Riesen zu täuschen. Als er zu der Bohnenranke kam, war der Riese nur noch zehn Schritte hinter ihm. Plötzlich aber verschwand Hans, und als der Riese ans Ende der Straße kam, sah er ihn die Bohnenranke hinunterklettern.
Nun, der Riese wollte sich einer solchen Leiter nicht anvertrauen, so stand er und wartete. Dadurch bekam Hans einen größeren Vorsprung. Aber in diesem Augenblick rief die Harfe wieder: „Meister! Meister!“
Da schwang sich der Riese auf die Bohnenranke, die unter seinem Gewicht gewaltig schaukelte. Immer tiefer kletterte Hans, er kletterte, kletterte und kletterte, und hinter ihm der Riese. Schon war Hans ganz nahe seinem Haus, da rief er: „Mutter, Mutter! Bring mir eine Axt! Bring mir eine Axt!“
Und seine Mutter stürzte heraus mit einer Axt in der Hand. Aber als sie zu der Bohnenranke kam, blieb sie stocksteif stehen vor Schreck, denn sie sah gerade den Riesen mit seinen Beinen durch die Wolkendecke kommen.
Hans aber war mit einem Satz unten, ergriff die Axt, und mit einem Hieb spaltete er die Bohnenranke bis zur Hälfte. Der Riese spürte, wie die Bohnenranke schwankte und bebte, und er hielt inne, um nachzusehen, was los wäre. Da schlug Hans zum zweiten Mal zu und hieb die Bohnenranke entzwei. Sie wankte und knickte zusammen, der Riese aber stürzte kopfüber hinunter und brach sich das Genick, und die Bohnenranke stürzte über ihn und begrub ihn.
Dann zeigte Hans seiner Mutter die goldene Harfe. Und von dem Gesang der Harfe und von den goldenen Eiern, die sie verkauften, wurden Hans und seine Mutter sehr reich. Hans heiratete eine schöne Prinzessin, und sie lebten glücklich bis an ihr Ende.

Quelle: (Märchen aus England)

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