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Das Wichtelmännchen

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Vor langen, langen Jahren lebte einmal in Irland am Ufer des Flusses Lee eine arme Witwe mit ihrem Sohne. Der Sohn bestellte fleißig seinen kleinen Acker, hütete seine einzige Kuh, fischte im Flusse und trug das, was er gefangen, dann in die Stadt zum Verkauf. Donogh, so hieß der Bursche, war freilich nicht hübsch, denn er war verwachsen und hatte einen mächtigen Höcker auf dem Rücken, sonst aber war er ein gar warmherziger und treuer Bursche. Nun lag nicht weit von der Hütte, welche Donogh mit seiner Mutter bewohnte, das Schloß der Mac Carthy Mor, eines Edelmannes, der durch Glanz und Aufwand sein großes Vermögen in kurzer Zeit so dünn gemacht hat, daß ihm jetzt im ganzen Lande kein Mensch mehr einen roten Heller borgte. Mac Carthy stand eines schönen Tages mit seinem Töchterchen Maiga am Fenster, als Donogh, der eben eine gute Portion Fische gefangen hatte, vorbeiging und höflich sein Käppchen zog. Sei es, daß Mac Carthy gerade in besonders guter Laune war, oder daß Donogh verwachsene Gestalt ihm auffiel, kurz, er rief ihn an und fragte, was er in seinem Korbe da habe. Donogh zog die Decke von seinem Korbe weg, und während Mac Carthny und seine Tochter die schönen, noch lustig zappelnden Fische betrachteten, war Donogh ganz in den Anblick der holdseligen Maiga versunken und antwortete auf alle ihre Fragen, er wußte selbst nicht was. Indem kam Mac Carthys Haushofmeister, und das Mac Carthy und seine Tochter die Fische gar so schön fanden, so wollte er sie kaufen, hatte aber leider kein Geld. Doch Donogh ganz von der Schönheit der holden Maiga bezaubert, sagte dem Haushofmeister, er solle die Fische nur behalten, mit der Bezahlung habe es Zeit bis er wieder komme. Nachdem er seine Fische in dieser Weise an den Mann gebracht, wanderte Donogh wieder nach Hause, in seinen Gedanken nur mit der schönen Meiga beschäftigt, ließ ihm auch in der Nacht keine Ruhe, und auch am Morgen dachte er nur an sie. Seiner Gewohnheit gemäß ging er wieder zum Flusse hinab, allein, statt seine Netze auszuwerfen, schlenderte er mäßig am Flussufer entlang, bis er auf einmal ein leichtes Klopfen vernahm. Donogh schlich auf den Zehenspitzen nach dem Orte hin, von wo das Klopfen her kam, und sah dort ein kleines Männchen, kaum bald so hoch als sein Bein, mit gelbem, runzeligem Gesicht und altväterlichem Anzuge, das in einer Hecke auf einem kleinen Stühlchen saß und eben seinen Schuh flickte. Donogh begriff, daß dieses Männchen niemand weiter als ein Leprohan, ein Erd – oder Wichtelmännchen sein könne, und war entschlossen, dasselbe festzuhalten, koste es, was es wolle. „Ein schöner Tag für Eure Arbeit, mein Männchen“, sagte Donogh und ging gerade auf den kleinen Schuster zu.
„Ja wohl, Donogh, ein schöner Tag!“ antwortete das Wichtelmännchen und sah wohl etwas erschrocken aus, grinste aber dabei doch recht giftig und tückisch. „Ihr scheint mir ein tüchtiger Schuhmacher zu sein, mein Männchen“, fuhr Donogh fort. „Geht wohl an“, antwortete das Wichtelmännchen; „doch bin ich gar nichts gegen den Mann da hinter Euch.“ Doch Donogh war nicht so dumm, sich umzusehen, wußte er doch, daß das Wichtelmännchen dies nur sagte, um ihn zum Wegsehen zu veranlassen, damit es entwischen könne. „Ich sehe doch lieber Euch an, als den hinter uns, mein artiges Männchen“, entgegnete Donogh. „Wer ist denn dieser Mann, der dort über den Fluß kommt?“ fragte das Wichtelmännchen und deutete dabei mit dem Finger nach dem Wasser hin. „Ei, gucke und frage selber, du Pfiffikus!“ sagte Donogh und packte den Kleinen am Kragen. „Sag mir auf der Stelle, wo ich einen recht großen Schatz finden kann, sonst steche ich dir mein Messer in den Leib! Und damit zog Donogh sein Taschenmesser hervor, machte es mit den Zähnen auf und setzte die Spitze desselben dem Kleinen auf die Brust. „Ihr werdet mich doch nicht umbringen wollen?“ fragte der Leprohan. „Wenn Ihr mir das Geld nicht ohne weiteres Gefasel herbeischafft“, antwortete Donogh und machte dabei ein entschlossenes Gesicht als nur möglich, „so schlitze ich Euch den Bauch auf, so wahr ich lebendig hier bin.“
„Nun, macht nur kein so böses Gesicht“, stammelte der Kleine, „ich will ich Euch ja gern sagen, wo Ihr so viel Geld finden könnt, als Ihr nur haben wollt. Vor allen Dingen aber nehmt das Messer weg.“ Donogh zog das Messer zurück. „Wißt Ihr, wo der Riedesendamm ist?“ fuhr das Wichtelmännchen fort. Ich habe von ihm reden hören“, antwortete Donogh. „Nun beim Riesendamme unter einem großen Felsen, auf dem ein einsamer Strauch wächst, da liegt ein großer Topf mit so viel Geld, daß man die ganze Grafschaft Cork dafür kaufen könnte.“
„Ihr seid ein Schlaukopf“; versetzte Donogh.
„Meint Ihr, ich liefe Euch für hin und wieder nichts bis an das Ende der Welt? Ihr müßt mir sagen, wo näher etwas zu holen ist, oder, so wahr ich lebe, ich steche Euch tot.“ „Ach! flucht doch nicht so!“ unterbrach ihn das Wichtelmännchen. „Kennt Ihr den Taraberg?“
„Nur vom Hörensagen!“ „Dort auf der Ostseite des Berges, ist ein alter Ziehbrunnen; auf dem Grunde desselben liegt so viel Gold und Silber, daß man das ganze Königreich Munster damit kaufen könnte. Gefällt Euch das besser?“ fragte das Wichtelmännchen. „Das hilft Euch alles nichts“; antwortete Donogh. „Zeigt mir, wo das Geld liegt, so daß ich die Hand darauf legen kann, sonst habe ich mein Messer für Euch parat.“ „Oh! Ihr schwatzt da ganz allerliebst“, versetzte der Leprohan, und sah sich ängstlich um, „und sehet nicht, daß dort Mahonys toller Stier hergerannt kommt, kommt gerade auf uns zu!“ „Wo? Wo denn?“ schrie Donogh, der, weil verwachsen, nicht gut laufen konnte und wandte sich rasch um. In demselben Augenblicke, jedoch schallte ihm ein gellendes Gelächter in die Ohren, und als er sich umwandte, da war seine Hand leer und das Wichtelmännchen verschwunden. „O, du verdammter Schuft, du Erzspitzbube!“ schrie Donogh, als er sich in dieser Weise vernarrt sah. „Aber warte nur, wenn ich dich wieder erwische, so sollst du nicht wieder so leichten Kaufes davonkommen!“

Als Donogh nach Hause kam, erzählte er sein Zusammentreffen mit dem Wichtelmännchen seiner Mutter. „Du wirst“, antwortete diese, die sich auf das Wesen und Treiben der Unterirdischen ganz trefflich verstand, „entweder ein sehr glückliches oder ein sehr unglückliches Menschenkind. Solltest du den Leprohan aber einmal wieder treffen, so laß dich mit ihm nicht erst in ein langes Gerede ein, sondern fordere von ihm, daß er das Geld – denn die Wichtelmännchen wissen alle ihre Schätze, die da in der Erde vergraben sind, und haben eine gar große Macht – auf der Stelle herbeischaffe; stelle ihn mit dem Rücken an einen Baum und schwöre ihm, daß du ihn mit deinem Messer an demselben festnageln würdest, wenn er dir nicht einen Schatz herbeischaffe, bevor du bis zwanzig zählst.“
Donogh versprach, den Rat seiner Mutter zu befolgen, wenn das Glück ihm je so wohl wolle, daß er dem Wichtelmännchen aufs neue begegne, und ging am anderen Morgen wieder, wie gewöhnlich, auf den Fischfang, hatte auch das Glück, eine tüchtige Anzahl schöner, großer Fische zu fangen. Diesen seinen Fang wollte er nun nach der Stadt zum Markte tragen, als er aber an Mac Carthys Schlosse vorbeikam, so stand Mac Carthys mit seiner Tochter wieder am Fenster. Unwillkürlich blieb Donogh stehen und hob den Deckel von seinem Korbe. Da kam der Haushofmeister, kaufte die Fische, sagte aber zugleich, mit der Bezahlung müsse sich Donogh noch gedulden. Donogh aber war so vertieft in den Anblick der schönen Maiga, daß er gar nicht daran dachte, ob es überhaupt noch solche Dinge wie Körbe und Fische auf der Welt gäbe, und die letzteren dem Haushofmeister abermals ohne Bezahlung überließ. Als er nun nach Hause kam, und seine Mutter ihn fragte, ob er viel Geld für seine Fische gelöst, da gab er so verkehrte Antworten, daß die Alte nicht anders glaubte, als sei ihr Sohn von dem Wichtelmännchen bezaubert, das heißt, verrückt geworden, und deshalb in ein gar großes Geschrei und Wehklagen ausbrach.
Ein paar Tage später ging Donogh wieder am Flussufer spazieren. Er war jetzt ganz tiefsinnig geworden, der arme Bursche, denn immer mußte er an die schöne Maiga denken, dieselbe wollt ihm gar nicht mehr aus dem Sinne. Als er nun so am Fluß dahinging, hörte er auf einmal wieder ein solches Klopfen wie damals, als er das Wichtelmännchen getroffen.
„Ach, wenn er das Wichtelmännchen wäre!“ dachte er und schlich sich leise nach dem Orte hin, von wo das Kopfen herkam.

„Ah, habe ich dich endlich!“ schrie er, als er das Wichtelmännchen ganz wie das erste Mal, an seinem Schuh arbeitend, erblickte, und packte den kleinen Kerl mit einem festen Griffe. „Ach, seid Ihr’s, Donogh?“ fragte das Wichtelmännchen und grinste ihn höhnisch an.
„wie seid Ihr denn voriges Mal mit dem Stier fertig geworden?“ „Ah, warte du Spitzbube“, antwortete Donogh; „so leicht wie das vorige Mal sollst du mir jetzt nicht entkommen; ich bin nicht mehr so dumm, mich von dir überlisten zu lassen.“ „sieh nur den Kerl da“, versetzte ihm der Kleine, „wie der sich über deinen Buckel und dein krummes Bein lustig macht.“ „Ich will mit dir nichts zu fragen noch zu antworten haben“; antwortete Donogh.
„Aber das schwöre ich dir, so wahr ich ehrlich bin, daß ich den Fleck hier, auf dem wir stehen, mit deinem Blute dünge, wenn du nicht auf der Stelle so viel echte und gute Goldstücke herbeischaffst, als ich tragen kann.“
„Huh, Ihr seid ja recht böse, heute!“ entgegnete das Wichtelmännchen. „Aber dort kommt Mac Carthy mit seiner Tochter, der schönen Maiga!“ Bei diesen Worten fuhr Donogh auf, doch er besann sich schnell, daß dies ja doch nur eine neue List des Wichtelmännchens sei, und er beschloß sich, sich nicht umzusehen, und wenn gleich der Tod hinter ihm stände. „Sprich kein Wort mehr“, sagte er, „nicht ein einziges, sondern schaffe das Geld herbei, was ich haben will, bevor ich bis zwanzig zähle, sonst, das schwöre ich dir, ist dein letztes Brot gebacken!“ Und damit drückte er das Wichtelmännchen, ihm das Messer auf die Brust setzend, mit dem Rücken gegen einen Baum und fing an zu zählen: „Eins, zwei, drei“, so schnell er konnte. Als er bis fünfzehn gezählt und der Leprohan sich noch nicht rührte, setzte Donogh ihm das Messer etwas fester an den Leib. „Halt! halt!“ schrie das Wichtelmännchen . „Du bist ein Glückskind, Donogh, denn du hast mich gefangen, und ich will dir mehr geben, als du verlangst, jeden Fall mehr, als du brauchst!“ Und damit stampfte der Kleine auf den Boden, und augenblicklich tat die Erde sich auf, und vor Donoghs Augen zeigte sich ein großes, tiefes Gefäß voll lauter Gold – und Silbermünzen.
„Ist es auch wirklich echtes Gold, dass sich nachher nicht in Dreck verwandelt?“ fragte Donogh, dessen Auge vom Anblicke dieser Reichtümer fast geblendet war. „Du hast mein Wort“, antwortete Leprohan, „und wir Elfen müssen unser Wort unverbrüchlich halten, wenn wir es einmal gegeben!“ Und bei diesen Worten hatte sich das Wichtelmännchen mit einem Rucke Donoghs Händen entwunden und sich zugleich aus einem alten, verschrumpften Männchen in ein junges, schönes, obwohl immer noch winziges kleines Wesen verwandelt.

„Donogh, du wirst glücklich sein…ich sage es dir!“ sprach der Elfe und riß bei diesen Worten einen Zweig von einem nahestehenden Erlenbaume ab und versetzt mit demselben unserem Donogh einen derben Schlag über das Gesicht, so daß derselbe ein paar Augenblicke wie blind war. Als er endlich wieder sehen konnte, da war das Wichtelmännchen verschwunden, der Topf mit dem Golde aber war noch da. Nun verlor Donogh aber keine Minute sich alle Taschen bis obenhin mit Gold zu füllen, dann drückte er den Deckel wieder auf das Gefäß und bedeckte seinen Schatz noch sorgfältig mit Erde. Dies getan, eilte Donogh so rasch, als er vermochte, nach Hause zu seiner Mutter. Die Alte aber fuhr auf, als sie ihn erblickte: „Mein Gott“, schrie sie, „wer bist denn du? Dein Gesicht ist meines lieben Sohnes Gesicht, deine Stimme ist seine Stimme, aber mein Sohn war bucklig, und du bist gerade und hübsch und schlank gewachsen!“ Donogh hatte in der Freude seines Herzens über das viele Geld, welches er so plötzlich sein eigen nannte, gar die Veränderung nicht bemerkt, welche das Wichtelmännchen dadurch, daß es ihm den Schlag mit dem Erlenzweige gab, mit seiner ganzen Gestalt zuwege gebracht. Jetzt aber war Donogh auf einmal ein so hübscher Bursche, als je einer auf zwei Beinen herumgelaufen ist und seine Freude war nun doppelt groß. Allmählich brachte er den ganzen Schatz des Wichtelmännchens in seine Wohnung, und dann kaufte er ein Stück Land nach dem andern, zuletzt alle Besitzungen des alten Mac Carthy und freite dann um die schöne Maiga. Diese letztere bewilligte ihm ihre Hand unter der Bedingung, daß er ihr auf dem steilen Felsen Carrickadhroid ein Schloß erbaue. Was ist mit dem Gelde unmöglich?
Donogh ließ Werkleute kommen aus allen Weltgegenden und bald war der Prachtbau fertig, dessen Ruinen noch heute den Fremden mit Staunen und Bewunderung erfüllen.
Und als das Schloß fertig war, so heiratete Donogh die schöne Maiga und lebte mit ihr lange Jahre in Glück und Freude.

 
Märchen aus Irland

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