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Wald-Marie

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Es war einmal ein König, der ging zur Jagd, und er verirrte sich bei Einbruch der Nacht im Gebirge. Mit seinem Pagen bat er in der Hütte eines Köhlers, der im Gebirge lebte, um Unterkunft. Der Köhler gab dem König sofort sein Bett, und seine Frau legte sich, da sie krank war, auf einen Strohsack im Stall. In der Nacht hörte der König ein grosses Geschrei und Weinen und eine Stimme, die sagte:

Die, die soeben geboren ist
wird noch einmal deine Frau werden.
Und so wenig ihr das Schicksal auch hold sein mag,
so wird sie doch mit dir Königin werden.

Der König war reichlich verwirrt, und er versuchte zu erfahren, wie spät es war. Es war genau Mitternacht. Am nächsten Tag, als er mit dem Köhler sprach, fragte er ihn, was das für ein Lärm gewesen sei. »Mir ist ein Töchterchen geboren worden, es muß genau um Mitternacht gewesen sein, Herr.« Der König sagte, daß er für das Glück jenes Kindes sorgen wolle und daß er ihm viel Geld geben würde, wenn er ihm das Kind mitgäbe. Der Köhler willigte ein, und der König zog fort. Unterwegs sagte er dem Pagen, er solle jenes Kind töten, denn es gelte, einem bösen Omen zu entfliehen, unter dem es geboren sei. Der Page hatte kein Herz, das unschuldige Kind zu töten und ließ es tief in einer Höhle zwischen Brombeergestrüpp zurück, eingewickelt in seinen roten Gürtel, den er sich abband. Dann kehrte er zu dem Platz zurück, wo sich der König aufhielt, und sagte: »Herr König, ich hatte keinen Mut, daß Kind zu töten, sondern ich ließ es an einem Ort zurück, von wo man weder Berg noch Quelle sieht, und da wird es mit Sicherheit sterben.« Es geschah, daß ein Holzfäller an jenen Ort kam um zu arbeiten; er hörte ein Kind weinen, stieg in die Höhle hinab, zog es gerührt hervor und nahm es mit nach Haus. Seine Frau, die keine Kinder hatte, nahm es zufrieden auf und behandelte es, als ob es ihr eigen Blut wäre, und zur Erinnerung an das Geschehene nannten sie es Wald-Marie.
Nach einigen Jahren reiste der Page mit dem König und er sah ein kleines Mädchen von fünf Jahren in einen roten Umhang gehüllt, den er als seinen Gürtel wiedererkannte. Sie suchten die Bauern auf, erfuhren die Geschichte des Mädchens, und der König gab ihnen viel Geld, damit sie ihn es mit auf das Schloß nehmen ließen. Sobald der König abgereist war, ließ er eine Kiste anfertigen, in die er Wald-Marie hineinsteckte, und er selbst warf sie ins Meer. Auf hoher See fand ein Schiff die Kiste, man wollte sehen, was in ihr war, und man war erstaunt, ein wunderhübsches Kind zu finden, das noch am Leben war. Sie erzählten alles an dem Ort, an dem sie landeten, und der dortige König wollte das kleine Mädchen sehen; die Königin gewann es lieb und wünschte, daß es im Palast aufgezogen würde, damit es der Prinzessin als Hofdame diente. Als die Hochzeit der Prinzessin gefeiert wurde, da war Wald-Marie schon groß. Zum Hochzeitsfest kamen viele Könige und Prinzen, und es kam auch der, der Wald-Marie töten wollte.
Der Page, der ihn begleitete, erkannte Wald-Marie sogleich wieder und sagte dies seinem Herrn, dem König. Als er zum Ball ging, wollte der König mit ihr tanzen, und er gab ihr einen Ring mit den Worten:

Beim Tanz gebe ich ihn dir, beim Tanz sollst du ihn mir geben;
und wenn du ihn mir nicht gibst, dann soll es dich das Leben kosten.

Und sie antwortete:

Beim Tanz empfing ich ihn, beim Tanz werde ich ihn geben;
und auch werde ich Königin sein und in seinem Reiche herrschen.

Als der Ball zu Ende war ging Wald-Marie in ihr Zimmer, und eine von dem besagten König bestochene Dienerin raubte ihr den Ring und warf ihn ins Meer. Wald-Marie war sehr traurig als sie sah, daß sie den Ring verloren hatte und über ihn nicht mehr Rechenschaft ablegen konnte. Sie saß an einem Fenster, als sie in einem Garten ein Dienstmädchen Fisch zubereiten sah. Sie lief hin und sah im Bauche des Fischs den Ring blitzen. Sie zog ihn hervor und kehrte ins Schloß zurück. Abends beim Ball tanzte der König wieder mit ihr und er wiederholte die Worte, die er am Vortage gesagt hatte. Wald-Marie zeigte ihm den Ring und wiederholte die Worte, die sie am Vortage gesagt hatte. Da war der König sehr erstaunt, und er sagte: »Da niemand seinem Schicksal entfliehen kann, und du meine Frau und Königin sein mußt, hab‘ ich dich lieb und heute noch soll Hochzeit sein.«

[Portugal: T. Braga: Contos tradicionaes do povo portuguez]

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