»Der Vogel Dam ist hier,
Wo Du nicht kannst, da hilft er Dir«,
sprach die Stimme, und dann sagte sie: »Wenn Du morgen aufwachst, musst Du sogleich aufs Stabur gehen und vier Tonnen Rocken für mich zum Frühstück holen; die muß ich erst zu Leibe haben, denn sonst kann ich Nichts für Dich thun.« – Als der Prinz am andern Morgen aufwachte, erblickte er neben seinem Bett einen entsetzlich großen Vogel, der hatte eine Feder im Nacken, die war so groß wie eine halb ausgewachsene Tanne. Der Königssohn ging nun aufs Stabur und holte vier Tonnen Rocken für den Vogel Dam. Als dieser sein Frühstück zu Leibe hatte, sagte er zu dem Königssohn, er solle ihm nun den Schrank mit den goldnen Kronen an der einen Seite um den Hals hängen und so viel Gold und Silber nehmen, daß es den Schrank aufwöge, und es ihm an der andern Seite um den Hals hängen, und dann solle er sich ihm auf den Rücken setzen und sich nur gut an der Nackenfeder fest halten. Als der Prinz das gethan hatte, ging es in einem Sausen fort durch die Luft, und es dauerte nicht lange, so waren sie über dem Schiff. Der Königssohn wollte gern an Bord, um das Schwert zu holen, das, wie der Troll ihm gesagt hatte, die Andern nicht sehen dürften; aber der Vogel Dam sagte zu ihm, das könne nicht angehen; »der Ritter Röd wird es nicht zu sehen bekommen«, sagte er: »kommst Du aber an Bord, so trachtet er Dir nach dem Leben, denn er will gern die jüngste Prinzessinn haben; aber für die kannst Du ganz ruhig sein, denn sie legt jede Nacht ein bloßes Schwert vor sich ins Bett.« – Endlich und zuletzt kamen sie bei dem Trollprinzen an, und da wurde nun der Königssohn so wohl aufgenommen, daß es gar nicht zu sagen ist. Der Trollprinz wußte nicht, Was er ihm all für Gutes erzeigen sollte, weil er seinen Herrn getödtet und ihn zum König gemacht hatte. Er hätte dem Königssohn gern seine Tochter und das halbe Reich dazu gegeben; aber der war nun einmal so in die jüngste von den Prinzessinnen verliebt, daß er nur an sie dachte und durchaus wieder fort wollte. Aber der Troll bat ihn, sich noch eine Zeitlang zu gedulden und sagte, daß die Andern beinahe noch sieben Jahre zu segeln hätten, ehe sie wieder nach Hause kämen. Von der Prinzessinn sagte der Troll Dasselbe, was der Vogel Dam gesagt hatte: »Für die«, sagte er: »kannst Du ganz ruhig sein; denn sie legt immer ein bloßes Schwert vor sich ins Bett. Und wenn Du mir nicht glauben willst, so kannst Du an Bord gehen, wenn sie hier vorüber segeln, und Dich selbst davon überzeugen und mir dann zugleich das Schwert wiederbringen; denn wiederhaben muß ich es durchaus.« – Als nun nach sieben Jahren die Andern dort vorübersegelten, war es vorher wieder ein heftiges Unwetter gewesen; und wie der Königssohn an Bord kam, schliefen sie alle insgesammt, und jede der Prinzessinnen schlief bei ihrem Prinzen, nur die jüngste Prinzessinn schlief allein mit einem bloßen Schwert vor sich im Bette, und auf dem Boden vor dem Bette schlief der Ritter Röd. Der Königssohn nahm nun das Schwert und ruderte wieder ans Land, ohne daß Jemand es bemerkt hatte, daß er an Bord gewesen war. – Der Prinz war indeß beständig unruhig und wollte immer wieder fort; und als endlich die sieben Jahre zu Ende gingen und nur noch drei Wochen fehlten, sagte der Trollkönig zu ihm: »Nun kannst Du Dich zur Reise fertig machen, da Du doch einmal nicht bei uns bleiben willst. Ich will Dir ein eisernes Boot leihen, das geht von selbst auf dem Wasser, wenn Du bloß sagst: ‚Boot, geh vorwärts!‘ Im Boote liegt ein eiserner Kloben, und den Kloben sollst Du ein wenig in die Höhe heben, wenn Du das Schiff grade vor Dir siehst; dann bekommen sie einen solchen Fahrwind, daß sie vergessen, sich nach Dir umzusehen. Wenn Du dann neben das Schiff kommst, sollst Du den Kloben noch einmal aufheben; alsdann wird es ein solcher Sturm, daß sie wohl etwas Anders zu thun bekommen, als nach Dir auszugucken. Und wenn Du ihnen nun vorbei gekommen bist, sollst Du den Kloben zum dritten Mal in die Höhe heben; aber Du mußt ihn immer wieder vorsichtig niederlegen, denn sonst wird es ein solches Wetter, daß sowohl Du, als die Andern darin umkommen. Sobald Du nachher ans Land gekommen bist, brauchst Du Dich nicht weiter um das Boot zu bekümmern, sondern schieb‘ es dann nur umgewendet in die See und sprich: ‚Boot, geh wieder nach Hause!’« – Als der Prinz nun abreiste, bekam er so viel Gold und Silber und andre Kostbarkeiten und Kleider und Leinenzeug mit, das die Prinzessinn während der langen Zeit, die er auf der Insel zugebracht, für ihn genäht hatte, so daß er viel reicher war, als irgend einer von seinen Brüdern. Kaum hatte er sich nun ins Boot gesetzt und gesagt: »Boot, geh vorwärts!« so ging das Boot fort. Und als er das Schiff grade vor sich erblickte, hob er den Kloben ein wenig in die Höhe; da bekamen sie einen solchen Fahrwind, daß sie vergaßen, sich nach ihm umzusehen. Als er darauf neben das Schiff kam, hob er den Kloben noch einmal in die Höhe, und da ward es ein solcher Sturm und ein solches Wetter, daß der weiße Schaum rund um das Schiff stand, und die Wellen über das Verdeck hinschlugen, so daß sie etwas Anders zu thun bekamen, als nach ihm auszugucken. Und als er ihnen nun vorbeigekommen war, hob er den Kloben zum dritten Mal auf, und da bekamen sie so reichlich zu thun, daß sie gar keine Zeit hatten, sich nach ihm umzusehen. Er kam weit, weit früher ans Land, als das Schiff; und als er all seine Sachen aus dem Boot geschafft hatte, kehrte er es um, schob es hinaus in die See und sprach: »Boot, geh wieder nach Hause!« und da ging das Boot wieder fort.
Der Königssohn kleidete sich nun als ein Seemann aus – ob der Trollkönig ihm das gerathen hatte, oder ob es seine eigne Erfindung war, das muß ich ungesagt lassen – und begab sich nach einer armseligen Hütte zu einer alten Frau, zu der sagte er, er wäre ein armer Matrose, der auf einem Schiff gewesen, das untergegangen sei, und er wäre der Einzige von der ganzen Mannschaft, der sich gerettet hätte, und dann bat er sie, ihn nebst den Sachen, die er geborgen, bei sich beherbergen zu wollen. »Ach, Gott helf mir!« sagte die Frau: »ich kann Niemandem Herberge geben. Ihr seht wohl, wie es hier beschaffen ist; ich habe nicht einmal Betten, worauf ich selbst liegen kann, viel weniger noch für Andre.« Ja, das wäre einerlei, sagte der Seemann, wenn er bloß ein Dach über dem Kopf hätte, dann wär’s ihm ganz gleich, wie er läge. Ein Obdach konnte sie ihm denn nicht versagen, wenn er so damit fürlieb nehmen wolle, wie sie’s hätte. – Am Abend brachte der Seemann seine Sachen in die Hütte, und sogleich begann die Alte, die gern etwas Neues zu erzählen haben wollte, zu fragen, was für Einer er wäre, wo er wohl her sei, wo er gewesen, und wo er hin wolle, was das für Sachen wären, die er bei sich hätte, in welchem Geschäft er reiste, und ob er Nichts von den zwölf Prinzessinnen gehört hätte, die vor vielen lieben Jahren verschwunden wären, und dergleichen mehr, so daß es zu weitläufig sein würde, es alles zu erzählen. Der Seemann sagte aber, er befände sich so schlecht und hätte solche Kopfschmerzen von dem entsetzlichen Wetter, das da regiert hätte, daß er sich auf keine Sache recht besinnen könne; sie möchte ihm nur noch einige Tage Ruhe lassen, bis er sich von der schweren Arbeit, die er während des schlimmen Wetters gehabt, etwas erholt hätte, dann solle sie nachher schon Alles erfahren. Den andern Tag begann die Frau aufs neue zu fragen und ihn auszuforschen; aber der Seemann hatte noch solche Kopfschmerzen von dem bösen Wetter, daß er sich auf keine Sache recht besinnen konnte; doch ließ er so von ungefähr ein Wort fallen, als wüßte er wohl Etwas von den Prinzessinnen. Sogleich lief die Alte mit dieser Neuigkeit fort zu all den Klatschweibern rund umher, und nun kam die eine nach der andern gerannt und fragte nach den Prinzessinnen, ob der Seemann sie gesehen hätte, ob sie bald kämen, ob sie schon auf der Reise wären u.s.w. Der Seemann aber hatte immer noch Kopfschmerzen von dem bösen Wetter, so daß er nicht auf Alles Bescheid geben konnte; aber so Viel sagte er doch, daß wenn die Prinzessinnen nicht Schiffbruch gelitten hätten in dem heftigen Sturm, sie dann wohl um vierzehn Tage, oder vielleicht noch etwas früher, ankommen würden; er könne aber, fügte er hinzu: nicht mit Gewißheit sagen, ob sie noch am Leben wären; er hätte sie zwar gesehen, sie könnten aber wohl nachher in dem bösen Wetter umgekommen sein. Sogleich lief eins von den Klatschweibern zu dem Königsschloß und erzählte dort, es wäre in der Hütte bei der und der Frau ein Seemann, der hätte die Prinzessinnen gesehen und hätte gesagt, sie würden wohl um vierzehn Tage, oder vielleicht noch etwas früher, ankommen. Als der König das hörte, schickte er sogleich zu dem Seemann und ließ ihm sagen, daß er zu ihm kommen und ihm die Sache selbst berichten solle. Der Matrose sagte: »Ich habe nicht solche Kleider und sehe nicht so aus, daß ich zu dem König gehen kann.« Der Bote aber sagte, er solle nur kommen, der König wolle und müsse ihn sprechen, einerlei, er möge nun so, oder so aussehen; denn es wäre noch Niemand da gewesen, der Nachrichten von den Prinzessinnen hätte bringen können. Da ging denn der Seemann endlich zu dem Schloß und trat zu dem König ein; der fragte ihn, ob es wahr wäre, daß er die Prinzessinnen gesehen. »Ja, das ist wahr«, sagte der Seemann: »aber ich weiß nicht, ob sie noch am Leben sind; denn als ich sie sah, war es ein solches Unwetter, daß wir Schiffbruch litten. Wenn sie aber damals nicht untergegangen sind, so mögen sie wohl um vierzehn Tage, oder vielleicht noch etwas früher, kommen.«
Als der König das hörte, war er beinahe außer sich vor Freuden; und als es nun um die Zeit war, daß die Prinzessinnen, wie der Seemann gesagt hatte, kommen sollten, zog der König ihnen in vollem Staat entgegen an den Strand – und groß war die Freude über das ganze Land, als endlich das Schiff mit den Prinzessinnen und den Prinzen und dem Ritter Röd ankam. Die elf ältesten Prinzessinnen waren fröhlich und guter Dinge; aber die jüngste, die den Ritter Röd haben sollte, welcher sagte, daß er es sei, der die Prinzessinnen befreit und den Trollen getödtet hätte, war immer traurig und weinte unaufhörlich. Dem König wollte das gar nicht behagen, und er fragte sie daher, warum sie nicht auch so munter und vergnügt wäre, wie die andern Prinzessinnen; sie hätte doch, meinte er, keine Ursache, betrübt zu sein, da sie nun von dem Trollen befreit wäre und einen Mann zum Gemahl haben solle, wie der Ritter Röd sei. Sie durfte aber Nichts sagen; denn der Ritter Röd hatte ja gedroht, wenn Einer erzählen würde, wie sich Alles wirklich zugetragen, dann wolle er ihn ums Leben bringen.
Als nun die Prinzessinnen eines Tages an ihrem Brautputz nähten, trat plötzlich Jemand in einer großen Matrosenjacke und mit einem Tabuletkasten auf dem Rücken zu ihnen ein und fragte, ob sie ihm keine Schmucksachen zu ihrer Hochzeit abkaufen wollten, er hätte, sagte er, außerordentlich seltne und kostbare Dinge von Gold und auch von Silber. – Ja, das könnte wohl möglich sein. Sie sahen die Waaren an, und sie sahen ihn an; denn es wollte sie bedünken, sie sollten ihn und auch manche von den Sachen kennen, die er hatte. »Der so viel prächtige Schmucksachen hat«, sagte endlich die jüngste Prinzessinn: »könnte auch wohl Etwas haben, das noch prächtiger und für uns noch passender wäre.« – »Das wäre wohl möglich«, sagte der Krämer. Aber die andern tuschten sie und sagten, sie möchte doch bedenken, womit der Ritter Röd ihnen gedroht hätte. – Einige Zeit darnach, als die Prinzessinnen eines Tages vor dem Fenster saßen, kam der Königssohn wieder in seiner großen Matrosenjacke und trug auf dem Rücken den Schrank mit den goldnen Kronen. Als er in den Schloßsaal eingetreten war, machte er den Schrank auf, und da nun die Prinzessinnen jede ihre goldne Krone wieder erkannten, sagte die jüngste: »Mir däucht, es ist billig und recht, daß Der, welcher uns befreit hat, den Lohn erhalte, der ihm zukommt, und das ist nicht der Ritter Röd, sondern Der, welcher unsre goldnen Kronen brachte – der hat uns befreit.« Da warf der Königssohn die Matrosenjacke ab und stand nun da weit stattlicher, als alle die Andern; und darauf ließ der König den Ritter Röd sogleich ums Leben bringen. Nun war die Freude erst recht groß im Königsschloß; und jeder Prinz nahm seine Prinzessinn und hielt mit ihr Hochzeit, so daß man sich in zwölf Königreichen davon zu erzählen hatte.
[Norwegen: P. [C.] Asbjørnsen/Jörgen Moe: Norwegische Volksmärchen]