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Leila und Keila

4.5
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Im Türkenland lag eine Stadt. In dieser Stadt lebte ein Statthalter, dessen Herz sehr schlecht war und der, weil er keine Bezahlung von Seiten des Sultans erhielt, die Armen preßte.

Einmal hatte er einen Handel mit einem armen Tischler, und um sich zu rächen, legte er ihm auf, eine Summe von dreihundert Unzen Gold zu bezahlen. Der arme Tischler besaß weiter nichts als diese Summe, und als er sie nun weggegeben, befand er sich in kummervollster Lage: Er war am Verhungern. Er hatte nun eine Tochter namens Leila. Sie war bucklig, häßlich, ihr Gesicht pockennarbig, ein Auge blind und ihre Hautfarbe ganz dunkel. In kurzen Worten, sie konnte das Meer wild machen. Sie hatte eine Freundin namens Keila. In dem Maße, wie Leila häßlich war, war Keila eine Schönheit. Die beiden jungen Mädchen hatten sich sehr lieb – man konnte sie für Schwestern halten. Einstmals, es war an dem Tag darauf, als der Vater Leilas das Geld an den Statthalter gezahlt hatte, traf unsere Leila bekümmerten Herzens mit Keila zusammen. Die merkte sofort, daß Leila etwas zugestoßen war, und sie fragte sie danach. Mit Tränen in den Augen erzählte ihr Leila, was der Statthalter ihrem Vater angetan habe. Keila erwiderte: „Du hast ein Recht, zu weinen, aber quäle trotzdem dein Herz nicht zu Tode! Bitte Gott, daß er uns ein Mittel ausfindig macht, damit dein Vater sein Geld, und zwar mit Zinsen, wiederbekommt.“ Als nach etwa vier Tagen Keila zur Kirche ging und dort eintrat, traf sie mit Leila zusammen und sprach zu ihr: „Höre, Leila, ich habe dir etwas zu sagen.“ Und auf der Stelle erzählte sie ihr, welchen Plan sie gefaßt hatte. Dieser gefiel der Leila sehr, und sie nahm Keila mit zu ihrem Vater und hieß die Freundin, ihm alles zu erzählen, was sie selber eben gehört hatte. Der arme Tischler versicherte Keila, daß ihr Plan sehr gut sei, und sie kamen überein, schon anderntags mit der Ausführung zu beginnen.

Ihr müßt nun wissen, daß die türkischen Frauen einen Schleier tragen, der ihnen das ganze Gesicht bedeckt und nur die Augen herausschauen läßt. Also, am nächsten Morgen um zehn Uhr begab sich Keila zum Statthalter und bat ihn, sie zu empfangen, denn sie wollte ihn um eine Gnade bitten. Der Statthalter ließ ihr sagen, daß er sie erwarte. Sofort stieg Keila zu ihm hinauf in den Palast, betrat den Saal, in dem er sich aufhielt, und sprach, sich vor ihm auf die Knie werfend, zu ihm: „Herr, ich lebe in ständiger Mißhandlung durch meinen Vater. Er will mich auch nie heiraten lassen, und jedem, der mich zur Frau wünscht, sagt er irgend etwas Schlechtes von mir. Ich komme, dich zu bitten, mich aus seinen Händen zu befreien.“ – „Höre, meine Tochter“, antwortete der Statthalter, „ich glaube dir ja; aber es ist nötig, daß ich weiß, was dein Vater sagt.“ – „Herr, ich schäme mich, es dir zu sagen.“ – „Wenn du es mir nicht sagst, kann ich dir aber nicht helfen.“ – „Nun, wenn du es wissen willst, so wisse, daß er sagt, ich sei häßlich, von dunkelster Hautfarbe, bucklig, auf dem einen Auge blind, habe das ganze Gesicht von Pockennarben zerfressen und sei alt.“ – „Wie kann ich denn aber wissen, ob du häßlich bist, wenn ich nicht dein Gesicht zu sehen bekomme. Zeig dein Gesicht, meine Tochter! Laß mich sehen, ob das wahr ist.“
Nun dürfen die türkischen Frauen nach ihrem Gesetz ihr Gesicht vor keinem Mann, außer vor ihrem Ehemann, unverschleiert zeigen. Trotzdem nahm unsere Keila den Schleier von ihrem Gesicht ab, und jener geriet in Verwunderung über ihre Schönheit. „Zermartere dein Herz nicht“, sprach der Statthalter zu ihr, „denn jetzt werde ich dich aus den Händen deines Vaters befreien, da ich dich zur Frau begehre.“ Unsere Keila sprach in ihrem Herzen: ‚Dahin wollte ich dich haben!‘ Die beiden kamen überein, daß noch am gleichen Tag der Statthalter zum Tischler gehen und ihn bitten sollte, ihm die Tochter zur Frau zu geben.
Keila verließ eilends den Palast und traf Leila, der sie berichtete, daß der Statthalter sie wirklich für die Tochter des Tischlers halte, und erzählte ihr alles. Am Nachmittag begab sich nun der Statthalter zum Tischler und sprach zu ihm: „Du hast eine junge Tochter, die Leila heißt?“ – „Jawohl.“ – „Warum läßt du sie nicht heiraten, wie es doch der Koran gebietet?“ – „Herr! Wer möchte eine haben wie sie?“ – „Warum das?“ – „Sie ist alt, blind, ganz dunkelfarbig, häßlich, bucklig und pockennarbig im Gesicht.“ Der Statthalter sprach jetzt bei sich: ‚Lüg du nur! Ich habe deine Tochter heute morgen gesehen und habe auch gesehen, wie schön sie ist!‘ Und laut fuhr er fort: „Du willst sie mir nicht geben? Dann nehme ich sie dir weg!“ Und weiter sprach er: „Höre, warum willst du mir deine Tochter nicht zur Frau geben?“ – „Willst du sie so haben, wie sie ist?“ – „Gewiß! Ich will sie alt, blind, dunkelfarbig, häßlich, bucklig und pockennarbig.“ – „Hast du Appetit, mich zu verspotten?“ – „Ich scherze nicht. Willst du, oder willst du nicht?“ – „Nun, mein Herr, wenn du sie zu deiner Frau haben willst, so nimm sie. Aber wer sagt mir, daß du, wenn du sie siehst, sie nicht wieder fortjagst?“ – „Nein, ich jage sie nicht wieder fort. Und jetzt lasse ich dir einen Notar holen, und wir setzen die Schriftstücke auf.“ – „Gut, mein Herr! Aber wir wollen es so machen: du gibst mir jetzt gleich einhundertzwanzig Unzen Gold; und wenn du meine Tochter verstoßen solltest, gibst du mir weitere zweihundert Unzen.“ – „Alles recht!“ erwiderte der Statthalter und holte seinen Notar herbei, zu dem er sprach: „Herr Notar, schreibe nieder, daß ich die Tochter des Tischlers heiraten werde: alt, blind auf einem ihrer Augen, dunkelhäutig, bucklig und pockennarbig! Dem Vater gebe ich jetzt einhundertzwanzig Unzen Gold, und sollte ich die Tochter jemals verstoßen, so werde ich ihm weitere zweihundert Unzen geben.“ Der Notar brachte das zu Papier, beide Teile setzten ihren Namen darunter und gingen wieder ihrer Beschäftigung nach.

So war denn alles nach den Wünschen Leilas und Keilas verlaufen. Aber Leila war doch etwas unruhig und hatte große Angst, daß der Statthalter, wenn er merkte, daß man ihm zum besten gehabt, sie in ein Zimmer einschließen und zu Tode peitschen würde. Keila sprach ihr Mut zu, und die andere beruhigte sich schließlich.

Die Hochzeitsfeier nahte nun; man begab sich in die Kirche und dann zum Tischler. Die Musik begann. Man trank verschiedenes, und dann begann das Tanzen. Dem Statthalter aber kam es wie hundert Jahre vor, bis er endlich sich allein befand mit seiner Frau. Als die beiden in den Harem gelangt waren, sprach er zu ihr: „Mein Herz, lege jetzt den Schleier ab und laß mich das schöne Gesicht da genießen!“ Leila tat den Schleier ab. Als der Statthalter das Gesicht sah – da wurde er nicht schlecht wütend und jagte sie sofort hinaus. Leila verlor kein Wort, sondern eilte, so schnell sie konnte, zu ihrem Vater. Der Statthalter wagte nicht zu atmen; denn, wenn er erzählt hätte, was ihm geschehen war, hätte ihn ja jeder ausgelacht und er hätte sein Amt verlieren können, denn er hatte ein junges Mädchen dahin gebracht, daß sie ihr Gesicht ihm ohne Schleier zeigte! So mußte er denn, wohl oder übel, zum Tischler gehen und ihm zweihundert Unzen Gold auszahlen, wie der Kontrakt es verlangte.

Als der Statthalter vom Tischler wieder fortging, hielt er noch einmal inne und fuhr jenen an: „Du hast mich ja richtig hereinfallen lassen!“ – „Höre, mein Herr, vor kurzem hast du mir dreihundert Unzen abgenommen, und heute habe ich dir dasselbe abgenommen.“ – „Elender Kerl, der du bist – du hast mir dreihundertzwanzig, nicht bloß dreihundert abgenommen!“ – „Mein Herr, die restlichen zwanzig Unzen kommen als Zinsen dazu.“ Bei diesen Worten mußte der Tischler lachen, der Statthalter aber begann zu fluchen. Und dann ging jeder an sein Geschäft.

Quelle: (Maltesische Märchen)

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