So war der König schon jahrelang in großer Sorge, und die Zeit ging dahin, und er sah keine Rettung. Wenn nur erst einmal die drei Riesen unschädlich gemacht wären, vielleicht hätte dann zugleich auch der Teufel seine tückische Gewalt eingebüßt. Doch es sah noch gar nicht danach aus. So oft ein Schäfer die Herde in eines der drei Täler trieb, erschien ein Riese, zerriß die Tiere und brachte den Hirten um. Zu jedem neuen Hirten, den er einstellte, sagte der König: „Du darfst überall hüten, nur nicht in den drei Tälern! Treibst du die Herde dorthin, so wird es dir schlecht gehen!“ Alle Schäfer versprachen zwar, das Verbot zu beachten, konnten aber ihr Wort nie halten. „E i n m a l wenigstens will ich’s versuchen und sehen, was Geheimnisvolles dahinter steckt!“ dachte jeder, trieb in eines der drei Täler hinein und kam niemals wiede heraus.
So hatte der König auch wieder einmal alle seine Schafe mitsamt dem Schäfer verloren. Er kaufte sich aber gleich wieder eine Herde und suchte einen Hirten für sie. Schon am andern Tag meldete sich ein junger, hübscher Bursche, Veit mit Namen. Er gefiel dem König gut, und so vertraute er ihm die Herde an. Der König erzählte dem Schäfer, wie es schon einigen seiner Vorgänger ergangen sei und warnte ihn, in eines der drei Täler zu gehen, wenn ihm sein Leben lieb sei. Veit versprach, die Herde nicht dahin zu treiben, hütete auch eine Zeitlang die Schafe in einer andern Gegend, und es geschah ihm kein Leid. Im stillen aber war er mit seinen Gedanken immer in den drei Tälern und dachte: „Ich möchte doch sehen, wer mir da etwas tun könnte! Ich wollte es niemand raten! Es sollt‘ ihm übel bekommen!“
Also zog er eines Tages mit seiner Herde in das eine Tal. Was wuchs da für ein fettes, saftiggrünes Gras! Die Schafe taten sich gütlich und weideten bis gegen Abend, ohne daß ihnen etwas zugestoßen‘ wäre. Mit einemmal aber kam aus der Felsschlucht ein gewaltiger Riese auf den Schäfer zu und rief: „Was suchst du hier mit deinen Grasmücken?“ – „Das geht dich nichts an!“ sagte Veit. – „Das wollen wir gleich sehen!“ brummte der Riese und griff nach seinem Schwert, um ihn zu erschlagen. Doch der Bursche war rascher bei der Hand, schlug ihm seine spitze Schippe auf den Kopf, daß er betäubt umfiel, sprang flink herzu und schlug so lange auf den Riesen ein, bis er tot liegenblieb. Hierauf nahm er ihm sein Schwert und seine Kleider ab und warf ihn ins dichte Gebüsch. Wie nun aber der Schäfer nach seiner Herde Umschau hielt, sah er in dem Tale plötzlich ein schönes Schloß stehen. Verwundert ging er hinein und kam in ein prächtiges Zimmer. Auf einem gedeckten Tisch stand ein Krug voll Wein, und daneben lag ein Zettel, auf den die Worte geschrieben waren:
Wer diesen Krug austrinkt
und dieses Schwert regiert,
der zwingt den Teufel.
Das las der Schäfer, dachte sich nichts weiter dabei und ließ den Wein stehen. Er legte das Schwert und die Kleider des Riesen auf einen Stuhl im Zimmer und wanderte dann durch Gänge und Hallen, um all das Wunderbare zu betrachten. Im Stalle unten stand ein prächtiger Schimmel. Er ließ aber auch ihn da, wo er stand, verließ das seltsame Schloß und zog mit seinen Schafen heim.
Am andern Morgen trieb Veit die Herde in das zweite Tal. Um sich besser wehren zu können, nahm er einen langen Spieß mit. Ein paar Stunden hatte er hier gehütet, da kam abermals ein Riese daher. Der war noch größer als der erste und rief: „Was suchst du hier mit deinen Grasmücken?“ – „Was geht’s dich an?“ antwortete Veit. – „Das will ich dir gleich zeigen!“ sagte der Riese und zog sein Schwert. Der Schäfer war aber auf der Hut, nahm seinen Spieß und rannte gegen den Riesen an. Er traf ihn aber beim Stoß auf eine Rippe, so daß die Spitze nicht tief eindrang und dem Riesen nur wenig schadete. Schon schwang der Unhold sein Schwert, um dem Schäfer den Kopf abzuschlagen; da zog der Bursche blitzschnell seinen Spieß heraus und sprang zurück, so daß der Riese den Hieb in die Luft tat und zu Boden stürzte. Im Augenblick sprang der Schäfer herzu und bohrte ihm den Spieß mitten ins Herz. Dann zog er ihm die Kleider aus, nahm sein Schwert an sich und warf ihn in das Gebüsch.
Als sich Veit umwandte und zu seiner Herde zurück wollte, sah er mitten im Tal ein schönes Schloß vor sich stehen. Er ging hinein und kam in ein großes Zimmer. Auf einem Tisch stand ein Krug Wein und daneben lag ein Zettel mit den Worten:
Wer diesen Krug austrinkt
und dieses Schwert regiert,
der zwingt den Teufel.
Er las den Zettel, ließ den Wein unbeachtet stehen, legte die Kleider und das Schwert des Riesen auf einen Stuhl und besah sich das Schloß. Im Stalle unten stand wieder ein prächtiges Pferd; nur war es diesmal ein Fuchs, der sich hell wiehernd umwandte, als Veit die Stalltüre schloß, um zu seiner Herde zurückzukehren.
Am andern Morgen zog er wieder hinaus. Da dachte er unterwegs: „Ei, ich möchte doch auch wissen, wie’s in dem dritten Tal aussieht!“ und schlug sogleich den Weg dorthin ein. Kaum hatte er das Tal betreten kam ihm ein ungeheurer Riese entgegen. Der hatte eine Haut so grob wie Eichenrinde und langes Moos wuchs in seinem Gesicht. Da wäre es dem Schäfer schier angst geworden; denn er hatte seine Waffen mitzunehmen vergessen. Als aber der Riese brüllte: „Was willst du hier?!“ besann er sich nicht lange, sagte: „Das sollst du gleich sehen!“ und griff sich geschwind vom Wege drei spitze Steine zusammen. Die pfiffen dem Riesen pfeilschnell entgegen. Der erste traf ihn mitten auf die Brust, der zweite an den Hals, aus dem sogleich ein dicker Blutstrahl schoß; der dritte aber traf die linke Schläfe so gut, daß der Riese zusammenbrach und mausetot war.
Im gleichen Augenblick stand wieder ein prächtiges Schloß im Tale. In das trug der Schäfer das Schwert und die Kleider, die er dem Riesen abgenommen hatte, fand in einem Zimmer den Tisch mit dem Weinkrug und den Zettel mit dem Spruch daneben:
Wer diesen Krug austrinkt
und dieses Schwert regiert,
der zwingt den Teufel.
Doch er ließ alles stehen, rührte den Wein nicht an und sah bloß nach, ob im Stall drunten auch wieder ein Pferd stehe. Richtig, es stand wieder eines drin! Diesmal aber war es ein glänzender Rappe. Vergnügt zog der Schäfer nach Hause.
Nach einiger Zeit fragte der König den Schäfer: „Bist du auch schon in den drei Tälern gewesen?“ – „Jawohl, ich bin dort gewesen!“ antwortete Veit und wollte schon zu erzählen anfangen. Jedoch der König ließ ihn gar nicht zu Wort kommen; so böse war er darüber, daß der Schäfer sein Verbot nicht eingehalten hatte. Er wollte den Burschen auf der Stelle fortjagen. Der aber bettelte und flehte, man solle ihn doch hierbehalten, bis der König endlich nachgab und sprach: „Nun, so magst du bleiben und dem Gärtner helfen, Mist und Wasser zu tragen. Die Schafe kann ich dir aber nicht länger anvertrauen.“ So war nun also Veit Gärtnergehilfe geworden, und wenn er auch viel lieber die Schafe in den drei Tälern gehütet hätte, war er doch froh, daß er wenigstens am königlichen Hofe bleiben durfte.
Ein Jahr war unterdessen vergangen und der Tag herangekommen, an dem der König seine Tochter dem Teufel übergeben sollte. Darüber entstand große Trauer im Schlosse. Der König hatte vor Sorgen Tag und Nacht keine Ruhe mehr, fragte alle seine Minister und Hofherren um Rat, aber keiner wußte einen Ausweg. Zuletzt klagte er auch noch dem Gärtner seine Not; aber der wußte auch keinen Rat und erzählte die Geschichte seinem Gehilfen. „Denke dir nur, Veit“, erzählte er, „morgen muß der König die junge Prinzessin dem Teufel ausliefern. Wer da helfen könnte der hätte sein Glück gemacht.“ – „Wie war das?‘ fragte Veit und ließ sich die ganze Geschichte noch einmal erzählen. Da fielen ihm die drei Schlösser ein, und er dachte an den Spruch, den er in jedem auf dem Zettel gelesen hatte. Er hatte Mitleid mit der schönen Königstochter und nahm sich vor, sie um jeden Preis zu befreien.
Am nächsten Morgen ging er hinaus in das erste Tal begab sich ins Schloß und in das Zimmer und trank den Krug voll Wein aus. Dann hing er sich das Wams des Riesen um, obwohl es ihm viel zu weit und zu lang war und wie ein Mantel auf die Erde hing. Zuletzt nahm er das Schwert, bestieg den Schimmel und ritt auf den Berg, auf dem der Teufel die Jungfrau abholen wollte.
Als er dort ankam, war der König mit der Prinzessin schon da und meinte zuerst, es sei der Teufel, der da angeritten komme. Der aber erschien in der Gestalt einer Schlange und fuhr wild zischend auf den Reiter los. Veit zog das Riesenschwert, schwang es mit Wucht und schlug ihr den Kopf ab. Ohne ein Wort zu sprechen und ohne daß ihn jemand erkannt hatte, ritt er wieder fort nach dem Schloß im Tal, führte den Schimmel in den Stall, legte das Schwert und die Kleider des Riesen in das Zimmer und begab sich in den Garten an seine Arbeit.
Der König meinte, nun sei sein Kind erlöst und kehrte fröhlich mit ihm heim. Jedoch nach kurzer Zeit erschien der Teufel wieder und sagte: „Du mußt mit deiner Tochter morgen noch einmal auf den Berg kommen!“ Nun war wieder großer Jammer im Schloß, und durch den Gärtner hörte auch der Gehilfe davon, daß der Teufel noch keine Ruhe gebe, obwohl er von einem fremden Reiter überwunden worden sei. Veit sagte nur: „So, so . . .,“ und tat weiter seine Arbeit.
Anderntags in aller Frühe begab sich Veit in das Schloß, das im zweiten Tale stand. Er trank den Krug aus, der auf dem Tisch stand, hing sich das Kleid und das Schwert des Riesen um, schwang sich auf den Fuchs und ritt wieder nach dem Berge. Diesmal erschien der Teufel als feuerspeiender Drache. Der Reiter kämpfte lange und erbittert mit ihm und spaltete ihm endlich mit dem scharfen Schwert den Kopf. Darauf wandte er sogleich sein Roß, um in das Riesenschloß zurückzukehren. Da hörte er aus der Erde herauf eine Stimme dem König zurufen: „Morgen um die gleiche Zeit mußt du noch einmal mit deiner Tochter hierherkommen! Sonst wehe dir und deinem ganzen Geschlechte!“ – „Schon ~echt! Ich werde aber auch dabei sein!“ dachte Veit und ritt in das Schloß im Tal zurück, ohne daß ihn der König erkannt hatte.
Am andern Morgen ging er in das dritte Schloß und trank den Wein, der dort auf dem gedeckten Tische stand. Dann bewaffnete er sich mit dem Wams und dem Schwert des Riesen, bestieg den Rappen und ritt dem Berge zu. Der König aber dachte: „Zweimal ist deine Tochter erlöst worden; doch wer weiß, was beim dritten Male geschehen könnte!“, und wollte sich darum nicht mehr auf den Berg begeben. Bald befiel ihn aber eine solche Angst und Unruhe, daß er nicht länger in seinem Schloß zu bleiben wagte und nun auch zum dritten Male die Prinzessin dem Teufel entgegenführte. Der kam diesmal als ein feuriger Greif durch die Luft gefahren und schoß wild auf den Reiter nieder. Nach langem Kampfe war endlich auch der grausige Greif besiegt. In dem Augenblick aber, in dem der Reiter dem Untier den Todesstoß gab, schlug ihm dieses mit einer Flügelspitze eine tiefe Wunde in die Hand. Der König sprang eilends herzu, um zu helfen; doch ehe er noch Hand anlegen konnte, gab der Reiter seinem Pferd die Sporen und ritt davon. Als er im Schloß ankam, brachte er den Rappen in den Stall, legte das Kleid und das Schwert ins Zimmer und kehrte an den königlichen Hof zurück, als ob nichts vorgefallen wäre.
Am andern Tag ging er in der Frühe in den Garten und an seine Arbeit. Nach einer Weile schmerzte ihn aber die Hand so sehr, daß er den Verband löste, um nach der Wunde zu sehen. Dabei überraschte ihn der König und fragte, woher er die Wunde habe. Da gestand ihm Veit alles: wie er die drei Riesen erlegt, in den drei Schlössern die Zettel und die Pferde angetroffen und durch den Wein und die Riesenschwerter den Teufel bezwungen habe. Da dankte ihm der König tausendmal und sprach: „Weil du meine Tochter und mein Land von den Riesen befreit hast, so sollst du auch beide zum Lohne bekommen!“ Nach sieben Tagen fand die Hochzeit statt. Vor allen Gästen drückte der alte König dem jungen Paare die goldenen Königskronen ins Haar, und die beiden regierten bis an ihr Ende glücklich und in Frieden im Land mit den drei Tälern.
Quelle:
(Schwäbische Volksmärchen – Franz Georg Brustgi)