Eines Abends aber kam er so müde nach Hause, daß er seinen Sohn gerade noch bitten konnte in den Wald hinauszugehen und diese Nacht bei den Kohlenmeilern zu wachen; dann sank er auf sein Lager und schlief ein. Die Mutter traute erst ihren Augen nicht, als der Sohn den Vespersack über den Rücken warf und sich auf den Weg machte. „Vielleicht wird er doch vernünftiger und gibt sein wildes Leben auf“, dachte sie; „es wäre wahrhaftig an der Zeit, und der Vater könnte auf seine alten Tage eine tüchtige Stütze recht wohl brauchen.“ All dies überlegte sich der Sohn auch, während er dem Walde zuschritt und nahm sich fest vor, ein anderer Kerl zu werden. Noch keine Stunde aber war vergangen, da fiel ihm plötzlich ein, daß ja heute abend in der Dorfschenke drunten Tanz sei. Da vergaß er alle guten Vorsätze wieder, ließ die Arbeit Arbeit sein und eilte dem Wirtshaus zu. Dort ging es hoch her, und mit Trinken und Singen und Tanzen verging die Zeit wie im Fluge. Die Hähne krähten schon, als der leichtsinnige Köhlerssohn endlich zu seinen Meilern zurückkehrte. Aber all das schöne Holz war zu Asche verbrannt; keine Handvoll Kohle blieb übrig. Da überfiel den Burschen plötzlich die Angst vor dem väterlichen Zorne dermaßen, daß er auf und davon lief, immer tiefer in den stockdunklen Wald hinein. Stundenlang lief er wie ein gehetztes Wild, verstrickte sich in spitzdorniges Buschwerk und fand zuletzt weder Weg noch Steg mehr. Hungrig und sterbensmüde sank er unter einer Tanne ins Moos nieder und schlief ein.
Dort fand ihn am nächsten Morgen der König des Landes, der gerade eine Jagd abhielt; er hatte Mitleid mit ihm, und weil ihm auch der stattliche Bursche und sein gutes Benehmen wohl gefiel, fragte er ihn, ob er Stallknecht bei ihm werden wolle. O ja, das will ich wohl!“ antwortete der Köhlerssohn und trat sogleich seinen Dienst an. Das Leben und Treiben am königlichen Hofe gefiel ihm sehr, und er hielt sich so gut, daß der König bald seine Freude an ihm hatte und ihn zu seinem Kammerdiener machte.
Nun hatte aber der König in der Hauptstadt des Landes noch ein zweites, großes Schloß. Darin lebte seine jüngere Schwester, eine sehr schöne, aber stolze und lieblose Prinzessin, die immer noch unverheiratet war, weil ihr kein Mann gut genug schien. Manch schmucker und reicher Freier hatte schon um ihre Hand angehalten, an jedem aber hatte sie etwas auszusetzen gehabt und einen nach dem andern abgewiesen. Der König mochte ihr freundlich zusprechen oder ihr im Ärger Vorwürfe machen, soviel er wollte, sie lachte nur und sagte schnippisch : „Was geht’s dich an?“ Als nun die Prinzessin wieder einen Bewerber, einen reichen Grafen, abgewiesen hatte, dachte der König bei sich. „Warte nur, ich will dich schon drankriegen! Ist dir ein Graf zu schlecht, so ist dir mein Kammerdiener wohl recht.“ Er ließ ihn sogleich zu sich kommen und weihte ihn in seinen Plan ein, und der Bursche war wohl damit zufrieden.
Am nächsten Sonntag hieß der König dem Burschen fürstliche Kleider anlegen, gab ihm ein Dutzend Diener zur Begleitung, ließ seine besten Rappen vor die Staatskutsche spannen und schickte ihn zur Stadt in die Schloßkirche. Dort war die Prinzessin und der ganze Hofstaat schon versammelt, und man sang gerade das erste Lied, als das Portal noch einmal aufging und der fremde Prinz in prächtigem Gewande und mit stattlichem Gefolge in die Halle trat. Alle Blicke wandten sich nach ihnen um, und auch die Prinzessin bewunderte den schönen Prinzen. Sie wandte kein Auge von ihm und hatte nur den einen Wunsch, daß er einmal zu ihr herübersehen und sie mit einem freundlichen Blick grüßen möge. Doch der Prinz beachtete sie gar nicht und verschwand noch ehe der Gottesdienst zu Ende ging, so rasch wie er gekommen war.
Am nächsten Sonntag, als der Köhlerprinz mit noch herrlicheren Gewändern und einem noch zahlreicheren Gefolge die Kirche betrat, sah die Prinzessin sich wiederum fast die Augen aus. Einmal seufzte sie sogar vor Sehnsucht laut auf. Doch der Prinz tat, als sehe und höre er überhaupt nicht und schritt wieder aus der Kirche, bevor der Pfarrer das Amen gesagt hatte. Beim Heimgang sagte die Prinzessin zu ihrer ersten Hofdame: „Hast du den schönen fremden Prinzen gesehen, der heute schon zum zweiten Male in der Kirche war. Er gefällt mir und ich liebe ihn, er und kein anderer soll mein Gemahl werden! Lade ihn am nächsten Sonntag in meinem Namen zu Tisch aufs Schloß. Und daß du mir es ja nicht an Aufmerksamkeiten und Ehren fehlen läßt!“
Die Prinzessin konnte den nächsten Sonntag kaum erwarten, und das Schloß glich die ganze Woche hindurch einem riesigen Bienenkorbe, so krabbelte und summte es drin und drum herum: Da ging es an ein Putzen und Wischen und Scheuern, Mägde und Knechte und Pagen rannten, und Koch und Kellermeister hatten alle Hände voll zu tun. Nun war es Sonntag. Der ganze Hof war in der Kirche versammelt, und – zum dritten Male tat sich die hohe Pforte auf, durch die der Köhlerprinz mit seinem prunkvollen Gefolge einzog. Als er sich aber wieder vorzeitig entfernen wollte, trat die erste Hofdame zierlich vor ihn, entbot ihm den Gruß der Prinzessin und lud ihn zur Mittagstafel aufs Schloß ein. „Wen darf ich meiner hohen Herrin melden?“ fragte die Hofdame. „Den Prinzen von Schwarzdorf“, gab der Kohlenbrenner zur Antwort. Die Prinzessin empfing ihn freundlich und ließ sich von ihm zu Tische führen. Die allerfeinsten Speisen wurden aufgetragen und die teuersten Weine eingeschenkt. So etwas hatte der Köhlersohn in seinem Leben noch nie gegessen und getrunken! Und als ihn gar nach dem Essen die schöne Prinzessin in den Garten führte und ihn fragte, ob er ihr Gemahl werden wolle, da wäre er wohl der dümmste Kerl im ganzen Böhmerland gewesen, wenn er nicht von Herzen ja gesagt hätte. Da fand noch am gleichen Tage die Verlobung statt, und am dritten wurde die Hochzeit mit aller Pracht und Herrlichkeit gefeiert.
Ein ganzes Jahr lang lebte er nun schon als Prinz von Böhmen mit seiner Gemahlin im königlichen Schlosse, da erinnerte er sich in seinem Glück endlich auch einmal wieder an seine armen Eltern. Er sagte darum zu seiner Frau, er müsse seinen kranken Vater besuchen, ließ die Reisekutsche mit Geld und Kostbarkeiten vollpacken und fuhr seiner Wäldlerheimat zu. Als er aber mitten in dem riesengroßen Walde war, überfielen ihn Räuber, nahmen Pferd und Wagen und all sein Geld und Gut an sich und führten ihn in ihre Höhle. Dort lag der Hauptmann schwer krank auf dem Bärenfell und dachte an kein Gesundwerden mehr. So war er milde und mitleidig gestimmt und schenkte dem Prinzen das Leben. Seine schönen Kleider aber ließ er ihm abnehmen, warf ihm dafür ein paar alte Lumpen hin und trieb ihn dann wieder in den finstern Wald hinaus.
Da stand er nun, der Prinzgemahl, und war wieder so arm wie früher. ja, wenn er seine zerrissenen Schuhe und die Fetzen an seinem Leibe ansah, schämte er sich in den Boden hinein; denn, dachte er: „Wenn ich so zu Hause anklopfe, werden mich Vater und Mutter gewiß für einen Bettler halten, und abweisen.“ Und als er sich nach langem Überlegen endlich doch nach Schwarzdorf aufmachte und in sein Vaterhaus eintrat, da erging es ihm beinahe so, wie er vermutet hatte. Als er erzählte, daß er Prinz von Böhmen geworden sei und daß er ihnen einen Wagen voll Silber und Gold habe mitbringen wollen, im dunkeln Wald aber von Räubern überfallen und ausgeplündert worden sei bis auf die paar Fetzen, die er anhabe – da sagte der Vater verächtlich: „Du bist mir der rechte Prinz! Man braucht dich ja nur anzusehen! Ein Lump und Lügner und Landstreicher bist du! – Wir kennen dich noch von früher her!“ ja, der Alte glaubte sogar, sein Sohn müsse wohl durch sein unordentliches Leben den Verstand verloren haben. Deshalb band er ihn mit einer Eisenkette in der Ecke hinter dem großen Kachelofen fest. Da saß er nun hinterm Ofen, der Köhlerprinz, und konnte über sich und der Welt Lauf nachdenken.
Zur selben Zeit lag die junge Prinzessin im Königsschlosse an einer eigentümlichen Krankheit darnieder. Sie aß und trank nicht mehr, sprach mit keinem Menschen auch nur ein einziges Wort, sondern sah traurig vor sich hin oder weinte sich die Augen wund. Der Kummer um ihren spurlos verschwundenen Prinzen hatte ihr Gemüt krank gemacht. Der König ließ alle berühmten Ärzte kommen, damit sie der Kranken helfen und Tag und Nacht an ihrem Bette wachen sollten. Die Prinzessin aber wollte von keinem Arzt und keiner Arznei etwas wissen; sie sann und grübelte immerzu nur dem einen Gedanken nach: wie sie am besten unerkannt aus dem Schlosse gelangen und ihren Mann suchen könnte. Und endlich hatte sie auch einen Plan ausgedacht: Eines Abends, als wieder einer ihrer Ärzte ins Zimmer trat, um die Nacht bei ihr zu wachen, bot sie ihm zur Stärkung ein Glas Wein an, in das sie zuvor ein Schlafpulver geschüttet hatte. Über eine kleine Weile war er fest eingeschlafen. Da zog die Prinzessin rasch den schwarzen Gelehrtenmantel an und drückte sich den‘ großen Doktorhut ins Haar. Dann packte sie ihr Hochzeitskleid in die Reisetasche, füllte sie vollends bis obenan mit Goldstücken und ritt auf ihrem Pferde im Galopp davon, in die Nacht hinein, Schwarzdorf zu.
Als sie aber mitten im finstern Böhmerwalde war, brachen plötzlich die Räuber aus ihrem Versteck hervor, nahmen sie gefangen und führten auch sie in die Höhle. Dort fiel ihr erster Blick auf die kostbaren Kleider, die da in einer Ecke an der Wand hingen. Sie erkannte sofort, daß es die Gewänder des Prinzen waren, ließ sich aber ihre Überraschung und ihren Schrecken nicht anmerken. Der Hauptmann lag noch immer todkrank darnieder, und wie er sah, daß seine Kumpane einen Arzt in die Höhle brachten, bat er den sogleich um Hilfe. Da trat die Prinzessin an sein Lager, fühlte ihm den Puls und sprach mit verstellter Stimme: „Dir kann noch geholfen werden! Ich habe zufällig meine Lebensarznei in der Tasche. Wer davon einen Schluck trinkt, ist Zeit seines Lebens gegen alle Krankheiten gefeit und wird hundert Jahre alt.“ Sie setzte dem Kranken die Flasche an den Mund, und der nahm einen tiefen Schluck daraus. Weil aber die andern Räuber auch hundert Jahre alt werden wollten, rissen sie ihrem Hauptmann die Arzneiflasche vom Mund und tranken einer nach dem andern, bis kein Tropfen mehr drin war. Im Augenblick aber lagen alle auf dem Boden der Höhle durcheinander und schnarchten um die Wette – denn sie hatten keine Lebensarznei, sondern -einen schweren Schlaftrunk eingenommen. Nun schnürte die Prinzessin die Kleider ihres Gemahls in ein Bündel zusammen, versteckte sie unter ihrem weiten Doktormantel und ritt so schnell sie nur konnte nach Schwarzdorf.
Dort war aber Kirchweih und das Wirtshaus so überfüllt von Gästen aus nah und fern, daß von der Scheune bis zum Speicher kein leeres Eckchen mehr zu finden war. -„Es tut mir leid, hochgelehrter Herr, daß ich Euch nicht beherbergen kann“, sprach der dicke Wirt; „aber ich will mit meinem Nachbarn, dem alten Köhler, sprechen; er wird Euch gewiß für eine Nacht aufnehmen können.“ Der Nachbar sagte auch zu, begrüßte den gelehrten Herrn freundlich und lud ihn ein, am Mahle teilzunehmen. Während sie aßen, seufzte auf einmal jemand in der dunkeln Ecke hinter dem Ofen. Als sich der Doktor umwandte, sagte der Kohlenbrenner: „Seid unbesorgt. Das ist nur mein Sohn, dem spukt’s im. Kopf, und darum hab‘ ich ihn dort hinterm Ofen angebunden. Denkt Euch nur, er erzählt, er habe die schöne Prinzessin geheiratet und sei Prinz von Böhmen geworden! Daran seht Ihr schon, daß ihm ein Vögelchen unterm Schopfe pfeift.“ – „So, so! Dies ist also mein Prinz von Schwarzdorf!“ dachte die Prinzessin im stillen, gab den Köhlersleuten einen Gulden und sprach: „Geht noch ein bißchen auf die Kirchweih und trinkt einen Krug Bier auf meine Gesundheit. Ich muß morgen früh aus den Federn und will darum zeitig zu Bett gehen.“ Die beiden alten Leutchen wußten vor Freude nicht, wie sie sich bedanken sollten und trollten sich glücklich zur Tür hinaus.
Sobald die Köhlersleute aus dem Hause waren, zog die Prinzessin ihr Brautkleid an, nahm ein Licht zur Hand und leuchtete in die dunkle Ofenecke. „Schönen guten Abend, mein lieber Prinz von Schwarzdorf!“ sprach sie. „So muß ich dich wiederfinden? Das hätte ich mir nie und nimmer träumen lassen!“ Als der Köhlerssohn seine Frau erkannte, fing er bitterlich zu weinen an und verbarg vor Scham sein Gesicht in den Händen. Da strich sie ihm liebevoll übers Haar, küßte ihn und sagte: „Ei, so weine doch nicht! Du bist und bleibst doch mein lieber Mann!“ Dann machte sie ihn von seinen Ketten los, wusch ihm Gesicht und Hände und half ihm in seine fürstlichen Kleider, die sie aus der Räuberhöhle mitgebracht hatte. „So“, sagte sie, „nun sind wir wieder Prinz und Prinzessin, gehen miteinander auf die Kirchweih und feiern unser Wiedersehen!“ – Da nahm der Prinz seine liebe Frau an den Arm, führte sie in den Tanzsaal und zu seinen Eltern und sprach: „Seht ihr nun, daß die schöne Prinzessin meine Frau ist und daß ich Prinz von Böhmen geworden bin?“ Da reichte ihm der Vater die Hand zur Versöhnung, und die alte Mutter weinte vor Glück und Freude. Dann aber griff er in die Geldtasche und warf Hände voll Gold unter die Kirchweihgäste. „Es lebe der Prinz! Es lebe die schöne Prinzessin!“ riefen‘ jung und alt durcheinander und hoben die vollen Gläser, um auf ihre Gesundheit anzustoßen. Als aber die Prinzessin erzählte, wie sie im finstern Wald von Räubern überfallen worden sei und wie sie die Bande mit einem Schlaftrunk unschädlich gemacht habe, da beschlossen die Dorfleute, den Kerlen das Handwerk zu legen sprangen von den Bänken hoch, spannten einen Leiterwagen ein und fuhren im Galopp in den Wald hinaus zur Räuberhöhle. Da lagen noch die Kerle und schnarchten, als wollten sie den ganzen Böhmerwald zu Meilerholz kleinsägen. Im Handumdrehen waren die Spießgesellen aufgeladen und nach Schwarzdorf geschafft. Dort luden die Köhlerburschen die Fracht ab, aber nicht vor dem Wirtshaus, sondern vor dem Diebsturm, aus dem sie nie wieder ans Tageslicht kamen. – Der Köhlerprinz aber beschenkte seine Eltern reichlich, nahm Abschied von ihnen und fuhr mit seiner Gemahlin fröhlich durch den grünen Böhmerwald in die Stadt und vors Schloß. Dort wurden sie vom König herzlich empfangen, lebten bei ihm, bis er starb und wurden zuletzt noch König und Königin des schönen Böhmerlandes.
Quelle:
(Schwäbisches Volksmärchen – Franz Georg Brustgi)