Dieser alten Burg gegenüber erhob jenseits am rechten Ufer des Flusses unweit Wobbelkow ein stattliches Hünengrab sein grünbemoostes Haupt, von dessen Gipfel man die Stadt Barth mit ihren roten Dächern und in der Landschaft umher ein halbes Dutzend Kirchtürme und ein halbes Hundert Höfe und Dörfer überschauen konnte. Dieses Eichwäldchen ward nach den Trümmern jener Burg gewöhnlich nur zur alten Burg genannt.
Hier hatte sich nun ein Abenteuer begeben, welches durch alle Münde und Mäuler der Menschen die Runde machte: Eine junge, hübsche Dirne, welche die Kühe des Zieglers im Busche hütete, war plötzlich verschwunden oder entlaufen, und da geschah es, daß die Stimmen der Sage sich wieder aufweckten, die oft verschollen ihre Zeit träumt und schläft und dann mit doppelter Lebendigkeit wieder in die Ohren der Menschen tönt. Und in folgender Weise war die Erzählung des Gärtners Christian Benzin:
»Herr, sie sagen so was von der Dirne des Zieglers, die vor vierzehn Tagen am hellen scheinenden Mittag verschwunden und nicht wiedergekommen ist. Die Leute munkeln, und des alten Schweden Sturbergs Jungen aus Wobbelkow, die einem Kalbe nachgelaufen, haben es gesehen: Ein Matrose in bunter, rotgestreifter Jacke ist mit ihr am Saum des Waldes spazierengegangen und hat einen Blumenstrauß in der Hand gehabt, und sie glauben, der habe sie weggelockt und mit sich auf sein Schiff genommen. O du Herr Jemine! Das Schiff, worauf die Dirne fährt! Soviel ist wahr, den Buntjack werden die Sturbergsjungen wohl spazieren gesehen haben, aber meiner Sir so weit, als die dummen Leute sich einbilden, ist sie nicht unter Segel gegangen. Ich weiß wohl, wo sie sitzt, und Jochen Eigen, den sie immer den Edelmann schelten, weiß es wohl noch besser, aber der schämt sich und sagt’s nicht und verrät nichts von seinen Hausheimlichkeiten, als wenn er mal ein wenig zu tief ins Glas geguckt hat.« Und bei diesen Worten machte der Gärtner Christian eine gar absonderliche und verwunderliche Miene.
»Nun, Benzin, nur her mit Euren Geschichten! Jetzt, hoffe ich, wird’s einmal wohl ans Licht kommen, warum Ihr bei dem Namen alte Burg immer so wunderliche Reden und Gebärden braucht. Hier muß es irgendwo stecken, daß Ihr auf der Jagd nie in diesen Busch hinein wollt und mit leichten, diebischen Katzentritten an seinem Rande umherschleicht oder Euch in gehöriger Entfernung Eure Stelle anweisen laßt. Darum habt ihr, als die schönen Mamsellen aus Barth jüngst dahin Nüsse pflücken gingen und noch andere hübsche junge Frauen mitgehen wollten, so wunderliche Gesichter geschnitten und sie in den Löbnitzer Wald auf den Kamp zu laufen verlockt, wo man unter den Pfriemenbüschen wohl Hasen und Füchse aufjagen, aber keine Nüsse schütteln kann. Es muß was Besonderes mit diesem Busche sein. Und nun heraus damit! Ich lasse Euch diesmal nicht los.«
»Ja, Herr, dies ist Euch ein Busch! hier ließe sich viel erzählen, und wer eine hübsche Frau und schöne Tochter hat, der lasse andere Weiber in diesen Busch Nüsse pflücken gehen. Ich sage nur soviel: wie manche hübsche Jungfer würde ihr Herzleid zu erzählen haben, wenn sie sich nicht schämte! Ich erinnere mich noch, mein Vater hat mir’s erzählt, – es sind wohl ein paar Stiege Jahre her – da waren ein paar schöne Jungfern aus Barth gekommen Nüsse zu pflücken, und sie sind hier im Wäldchen verschwunden. Man hat die Verschwundenen tage- und wochenlang gesucht, wie man Stecknadeln sucht, bei Sonnenlicht und Laternenlicht, aber keine Spur von ihnen gefunden, kein Mensch hat sie wiedergesehen. Mein Vater sagt, es sei große Wehklage und Trauer um sie gewesen – denn es waren Kinder ehrsamer und reicher Leute – und zuletzt in Kentz und Starkow und in allen Kirchen umher mit den Glocken um sie geläutet, als hätte ein Wolf oder Bär sie gefressen. Aber deren gibt’s hier nicht; ich weiß wohl, wer der Wolf ist. Und doch hat sich’s wunderlich genug offenbart: sie waren nicht von wilden Tieren aufgefressen, sondern nach acht bis zehn Jahren von Vergessenheit und Verschollenheit sind sie mit einemmal noch ganz frisch und blank wieder unter den Lebendigen aufgetreten und haben sich nichts merken lassen. Aber die Leute haben doch eine Art Grauel vor ihnen angewandelt und haben ihrer Jungferschaft nicht recht getraut, und die armen hübschen Mädchen haben zuletzt als alte Jungfern sterben müssen.
Und nun will ich erzählen, was Jochen Eigen mir erzählt hat, der diese Geschichten am besten weiß; aber er wird sich hüten sie dem Herrn zu erzählen. Und dann wird der Herr verstehen, warum ich hübsche junge Frauen und Mädchen nicht so leichtfertig in den Wald laufen lassen will, und warum ich neulich krank ward, als ich die Nacht bei dem Fuchsbau am Burgwall, wo sie gegraben hatten, Schildwache stehen und die jungen Füchse, wenn sie etwa heraus wollten, zurücktreiben sollte.
Vor langen, langen Jahren war Jochen Eigens Urgroßvater*, ein prächtiger, stolzer Edelmann, so prächtig und steinreich, daß er den Zaum seines Pferdes mit Juwelen besetzte und in einem goldnen Steigbügel saß. Dieser hatte im Lande Rügen und auch hier im Pommerlande viele schöne Höfe, Wälder und Bauern, so viele, daß man sie nicht zählen konnte – ein prächtiger, stolzer Mensch, der mit sechsen vom Bock fuhr, einen Läufer vor sich herlaufen und seine Pferde in langen Strängen springen ließ. Aber es war ein wilder, verwegner Mensch, der nichts von Gottes Wort und Wegen wissen wollte, ein toller Jäger und Reiter und ein greulicher Weiberjäger, der wie der Falk auf die Tauben, auf die schönen Dirnen lauerte.
Diesem Eigen hat in jenen alten Zeiten auch Löbnitz und Diwitz und Wobbelkow gehört, und hier bei Löbnitz hat er im Walde ein prächtiges Burgschloß gehabt mit vielen Türmen und Fenstern, wo er manche schöne Nacht durchschwärmt und durchtrunken und mit seinen lustigen Gesellen bei Wein und Weibern bankettiert hat. Und dort auf dem hohen Hünengrabe an dem andern Ufer, dort am Wege zwischen Redebas und Wobbelkow, hat er sich ein prächtiges, aus eitel gehauenen demantenen Steinen gebautes Lustschloß hingestellt. Da ist er oft hingaloppiert und hat dort gesessen und mit einem Kieker auf die Landstraßen umher ausgeschaut, ob seine wilden Lauscher und Räuber, die er ausgeschickt hatte, schöne Weiber einzufangen, nicht irgendwo mit Beute heransprengten.
Diese armen Gefangenen haben sie dann bei nächtlicher Weile, wo andere gute Christenleute schlafen, auf die Burg im Walde geschleppt und dort versteckt, daß weder Hund noch Hahn danach gekräht hat. So hat der böse Mensch sein wildes, verruchtes Wesen viele lange Jahre getrieben, und Gott hat ihm manchen Tag die Zügel schießen lassen. Das lag aber in seinem Blute, und Jochen, dem der Edelmann lange vergangen sein sollte, dessen Großvater schon ein armer Weber gewesen – der Herr glaubt nicht, was die alten Leute von dem zu erzählen wissen, wie grausam der in seinen jungen Jahren auf die hübschen Dirnen gejagt hat. Er will sich’s nun nur nicht mehr merken lassen, aber diese lüsternen Edelmannsnücken hat er noch genug in sich. Endlich aber ist doch des alten wilden Jägers Tag gekommen, es ist Krieg geworden, und Pest und Hunger und Moskowiterzeit und Kalmückenzeit, ich weiß den Namen nicht recht, aber eine grausame böse Zeit ist gekommen, und da ist jener Bösewicht auch von seinem Jammer gefaßt worden: seine Schlösser und Häuser verbrannt, seine Scheunen und Speicher ausgeleert, sein Vieh weggetrieben.
Da hat er sich zuletzt hier in die Burg bergen und verstecken und knapp leben lernen müssen wie andere arme Leute. Da ist seine Rechnung bei dem höchsten und obersten Rechenmeister übervoll gewesen, und er hat ihn mit seinem Blitz geschlagen und sein prächtiges Sündenhaus angezündet, und er und seine Weiber sind alle zu weißen Aschen verbrannt, und von der ganzen Herrlichkeit, wo sonst Geigen und Trompeten klangen und Tag und Nacht bankettiert ward, liegen noch kaum ein paar Steine da, und nun sind die Füchse und Marder und Eulen die einzigen Nachtmusikanten.
Quelle:
Sage von Ernst Moritz Arndt