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Der Rubin

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Es war an einem schönen, hellen Nachmittag, da stand Assad, ein junger Türke, der vor wenigen Tagen zum ersten Male die unermessliche Stadt Bagdad betreten hatte und sich nun mit stets gesteigertem Erstaunen unter all ihren Wundern erging, vor der Bude des reichsten und angesehensten Juweliers. Mit inniger Lust versenkte er sich in das mannigfaltige glühende Leben, das, in Strahlen und Farben sich offenbarend, die edlen Gesteine durchflammt. „Oh, Edelstein“, rief er voll Entzücken aus, „wohl mit Recht bist du erkoren, die Kronen der Könige zu schmücken, denn in dir ist alles Herrliche zugleich zusammengedrängt und geläutert, der flüchtige Sonnenstrahl ist gefangen genommen und in deinen geheimnisvollen Kern eingeschlossen; die schnell verlöschende Farbe feiert in dir ihre Verklärung und empfängt Unsterblichkeit, die reinen himmlischen Elemente, Luft, Feuer und Wasser vermählen sich in deinem Glanze! Hier steh‘ ich an der Grenze der Natur, hier ist das letzte, höchste Produkt der schaffenden Kräfte, weiter – schauernd fühlt es der Geist – kann die Unendlichkeit selbst nicht.“
Der Juwelier, ein gutmütiger Mann, der für seine Kunst enthusiastisch eingenommen war, stand gerade in der Tür und empfand großes Vergnügen über die begeisterten Worte, die aus dem Munde des Jünglings hervorgingen. Er trat, bisher ungesehen, lächelnd zu ihm heran, öffnete den Kasten, ergriff seine Hand und steckte ihm einen schweren Ring an den Finger. Assad bemerkte es kaum, seinen Blick fesselte mit magischer Gewalt ein Rubin von seltener Größe, auf den die Sonne, die eben aus einer verschleiernden Wolke hervortrat, ihren vollen Schein warf. Er drückte unwillkürlich seine gegen das Herz und holte zum Erstaunen des Juweliers einen tiefen Seufzer, dann streifte er den ihm angesteckten Ring mit dem Ausdruck sonderbaren Widerwillens wieder ab und rief, auf den Rubin zeigend, leidenschaftlich aus: „Behaltet das elende Ding und gebt mir den!“ Kopfschüttelnd erwiderte der Juwelier: „Der Stein ist mir um Hunderte nicht feil!“ – „Ich muss ihn aber haben!“ versetzte der Jüngling wie im Wahnsinn, ergriff den Rubin und stürzte flammenden Auges fort.
Der Juwelier erhob ein großes Geschrei, rannte Assad nach und schalt ihn einen Dieb, ja, da dies nicht zu helfen schien, einen Räuber und Mörder. Alsbald entstand ein Auflauf auf der Straße, der Jüngling wurde ergriffen und mit Ungestüm vor den Kadi geschleppt.
„Herr“, begann der Juwelier voll Zorn, „so jung dieser Mensch zu sein scheint und so viel Einnehmendes in seiner Gestalt liegt, so ist er doch ein frecher, undankbarer Bösewicht. Ich sah ihn vor meiner Bude stehen und ergötzte mich, als ich ihn über die dort ausgebreiteten Schätze mit lauter Stimme, wie ein Kind, seine Verwunderung ausdrücken hörte. Von Wohlwollen übermannt, dachte ich: Du sollst einmal billiger kaufen als ein anderer, nahm einen kostbaren Ring aus dem Kasten und steckte ihm diesen an. Ich erwartete, er würde, so plötzlich beschenkt, große Augen machen und nicht wissen, wie er sich gebärden solle. Stattdessen nahm er kaum Notiz von meiner Freundlichkeit und stieß zu meinem nicht geringen Ärger dumme, unvernünftige Seufzer aus. Dann zog er den Ring wieder ab, warf ihn mir verächtlich hin und verlangte in einem so gebieterischen Ton, als ob er, wenn es ihm beliebte, auch wohl meinen Kopf fordern dürfte, den wundervollsten Rubin, der je in meine Hände geraten ist. Als ich, meinen gerechten Unwillen bekämpfend, weil ich seine Unwissenheit für den Grund seiner Unverschämtheit hielt, ihm bescheiden bemerkte, dass ein solcher Stein mehr Wert habe als er denke, erklärte er geradezu, er müsse ihn haben, nahm auch, mit der bekannten Abneigung der Straßenräuber gegen Formalitäten, sogleich von meinem Eigentum Besitz und begab sich auf die Flucht. Ich folgte ihm; wie es mit bei der Last meines Bauches und in einer der Verdauung heiligen Stunde möglich war, ihn wieder einzuholen, begreife ich selbst nicht, die Angst muss dem Menschen übernatürliche Kräfte verleihen.“
Der Kadi, ein langer hagerer Mensch mit einem Gesicht, das, wenn er in seiner Gerichtsstube stand, die Inschrift der Danteschen Hölle furchtbar getreu widerspiegelte, war einmal selbst bestohlen worden und sprach seitdem gegen Diebe nur noch Todesurteile aus. Er fragte Assad freundlich, ob er das ihm angeschuldigte Vergehen leugne. „Wie könnt‘ ich!“ gab der Jüngling finster zur Antwort. „Es wäre auch gleichgültig“, versetzte der Kadi, mit jenem dem Teufel abgeborgten Lächeln, womit Gerichtspersonen in allen Ländern der zerquetschten Menschheit in einem Unglücklichen so gern den Gnadenstoß geben, „man führe ihn vor die Stadt hinaus und tue, was Rechtens. Jedoch nicht ohne vorgängige nachdrückliche Bastonade!“ setzte er hinzu und griff nach der Pfeife, die ein Sklave ihm darbot.
Assad wurde abgeführt. Auf der Straße wandte er sich an den Juwelier, der in seiner Entrüstung noch gar nicht daran gedacht hatte, sich den Rubin zurückgeben zu lassen, und sagte zu ihm: „Herr, ich bitte Euch um einen letzten Gefallen. Lasst mir den Stein bis zum Tode. Begleitet mich hinaus bis vor das Tor, das ich ihn dort noch einmal anschaue und in Eure Hände überliefere. Nicht wahr, Ihr werdet es mir nicht abschlagen? Es ist ja nur noch kurze Zeit.“ In dem Juwelier erwachte Mitleid, ihn dauerte der schöne gefasste Jüngling, der jetzt noch in voller Kraft und Glut des Lebens vor ihm stand und doch schon in wenigen Augenblicken der Natur vor der Zeit zur beliebigen Verwendung für einen neuen Zweck zurückgegeben war. Vielleicht hätte er nun den Rubin gern daran gesetzt, um ihn zu retten, doch das war bei der Gemütsart des Kadi unmöglich, er musste sich also darauf beschränken, dem Scheidenden freundlich seine letzte Bitte zu bewilligen.
Angelangt vor dem Tore zog Assad den Rubin, den er bis dahin auf seinem Herzen bewahrt hatte, hervor, hielt ihn gegen die Sonne, in deren Strahlen er blinkte, wie das Auge eines Menschen, drückte ihn wehmütig an den Mund und machte Anstalt, ihn dem Juwelier zurückzugeben. Bevor er aber dies noch auszuführen vermochte, trat ein Greis von sehr würdigem Ansehen, dem alles Volk willig Platz machte, auf ihn zu, maß ihn mit einem strengen Blick und sagte: „Assad, du bist ein Dieb!“ Glühendes Rot überströmte die Wangen des Jünglings, aber fest und unverwirrt schaute er zu dem Greise auf und antwortete: „Ja, und wie du gleich sehen wirst, ich leide den Tod dafür!“ – „Ist dir dein Diebstahl nicht leid?“ fragte der Greis. „Nein“, versetzte Assad schnell und bestimmt, „ich weiß nicht, was mich an diesen Stein kettet, aber es mag gut sein, dass ich sterben muss, denn ich fühl’s, ehe ich ihn in den Händen eines anderen ließe, könnte ich mich mit Raub und Mord beflecken, obgleich meine Seele vor einem Mord zurückschaudert wie vor dem eigenen Tode.“ – „Ei, wunderbar!“ entgegnete der Greis, „gib mir doch deine Hand.“ Assad reichte ihm die Hand.
Plötzlich befand er sich auf einer unbekannten Landstraße. Der Greis stand neben ihm. Mehr verwundert und überrascht als erfreut, schaute der Jüngling seinen Retter mit einem fragenden Blick an. „Du bist jetzt über hundert Stunden von Bagdad entfernt“, begann der Greis, der seinen Blick wohl verstanden hatte, „und sie können dort, wenn sie wollen, ein Lamm strangulieren, das ich zum Zeichen deiner Unschuld an deiner Stelle zurückgelassen habe. Glaube jedoch nicht, dass ich dich gerettet haben würde, wenn Leichtsinn oder schnöde Habsucht dich zum Raub an fremdem Eigentum verleitet hätten. Mir stehen große Kräfte zu Gebote, aber ich missbrauche sie nie, wie so manche Genossen meiner Gewalt. Die Natur hat jene Macht, die den gewöhnlichen Lauf der Dinge aufhalten und verändern kann, vertrauensvoll in unsere Hände gelegt, damit wir ihr in irgendeinem außerordentlichen Falle, wenn die allgemeine Regel, das einfache Gesetz, nicht ausreicht, zu Hilfe kommen mögen. Solch ein Fall ist der deinige, denn der Rubin, den du dort in der Hand hältst, ist das Grab einer wunderschönen verzauberten Prinzessin. Aus ihrem Blut hat er das dunkle wunderbare Rot in sich gesogen, in das er getaucht ist. Das Feuer ihres Auges sprüht dir entgegen aus den blitzenden Strahlen, die er so verschwenderisch versendet. Ihr schlummerndes Leben schauerte dich an, als du den Stein im Sonnenschein glänzen sahst, da wurde deine Seele bis in die innersten Tiefen mit süßer Ahnung getränkt, und deine Hand musste vollbringen, was Herz und Sinne geboten.“ – „Kann die Prinzessin durch mich erlöst werden?“ fragte Assad tief aufatmend. „Das weiß nur sie selbst!“ versetzte der Greis, „und du kannst, wenn du willst, sie einmal sehen und mit ihr reden. Sobald du um Mitternacht alle deine Gedanken in den einzigen an sie zusammendrängst und auf den Rubin drei Küsse drückst, so weicht der Zauber auf einen Augenblick, und sie tritt in voller Glorie und Schönheit aus ihrem steinernen Gefängnis hervor. Aber, wage nicht dein Glück und deinen Frieden an einen ungewissen Moment; mit dem Dämon ist schwer zu kämpfen, dich aber würde die herrlichste der Jungfrauen mit unwiderstehlicher Gewalt in deinem tiefsten Sein gefangen nehmen, und, wenn des dir dann nicht gelänge, ihren Bann zu brechen, so wärest du elend auf ewig. Und nun leb wohl, kein Sterblicher sieht mich zum zweiten Mal!“
Der Greis war verschwunden, sowie er ausgeredet hatte. Assad bemerkte es kaum, denn jede seiner Empfindungen, jeder seiner Gedanken war an das Wunder, das er in seiner Hand hielt, gebunden. Wie freute er sich, dass die Sonne sich schon zum Untergang neigte, dass die Schatten sich verlängerten, wie sehnte er sich nach der Mitternacht, die er sonst als unheimliche Freistunde der Toten und Gespenster gescheut, vor der er sich ängstlich in die schützenden Arme des frommen Schlafs hineingeflüchtet hatte. Sie erschien ihm jetzt wie ein Gefäß, aus dem seinen durstenden Lippen der holdeste Inbegriff alles Lebens entgegenschäumte, und dass sie über die ganze übrige Welt Angst, Grauen und Entsetzen ausgoss, gab ihr für ihn eben noch einen letzten, schauerlich-zauberischen Reiz. Unterdes eilte er, da es schon dunkel wurde, rastlos fort, um noch vor völligem Einbruch der Finsternis die Stadt, die er in nicht gar weiter Ferne vor sich liegen sah, zu erreichen. Dies gelang ihm, auch war das Glück ihm günstig, dass er bald bei einer alten Frau ein Unterkommen für die Nacht fand. Er zog sich sogleich, große Müdigkeit vorschützend, in das ihm bestimmte Schlafgemach zurück, legte den Rubin vor sich auf den Tisch und zählte nun bei brennender Lampe und verhängten Fenstern die Minuten, die langsam, langsam, als wollte jede ihm den Inhalt der Ewigkeit vorrechnen, vorüber krochen. Endlich war es zwölf. Mit unsäglicher Inbrunst drückte er jetzt den Rubin an seinen Mund und küsste ihn dreimal.
Da war es, als ob sich der Edelstein in seiner Hand in leichten, gefärbten Duft auflockerte, der zu einer morgenroten Wolke, die das ganze Zimmer erfüllte, anschwoll. Aus der Wolke schimmerte eine weibliche Gestalt hervor, anfangs blass und im schwachen Umriss kaum erkennbar, aber schnell aufblühend zu frischem, glühendem Dasein. Die holde Jungfrau, in ein blaues Gewand gekleidet, das Haupt in kindlicher Anmut ein wenig vorwärts neigend, warf einen schüchternen Blick auf ihre Umgebung und rief: „Wo bin ich?“ Gleich darauf aber heftete sie, wie in trostloser Verzweiflung, ihr Auge starr und tränenlos auf Assad, vor dem es eben noch mädchenhaft scheu zurückgebebt war, und, als erdrückte die erst jetzt erwachte Erinnerung an ihren Zustand, wie ein Leichenstein, jedwede ihrer Lebensregungen, holte sie einen Seufzer, in dem mehr als menschlicher Schmerz sich kundzutun schien, aus tiefster Brust. Dieser Seufzer schnitt Assad in Mark und Bein. Die Jünglingsblödigkeit, mit der er sich bisher in ehrerbietiger Entfernung hielt, verschwand, männlich fest und die Hand an seinen Dolch legend, trat er vor, verneigte sich und sprach: „Edle Fürstin, wenn Eure Erlösung die schwachen Kräfte eines Menschen nicht übersteigt, so vergönnt mir, dass ich Euch mein Blut und Leben weihen darf.“
„Wie gern tue ich das“, gab sie hastig zur Antwort, „aber, Ihr werdet, wie standhaft auch Euer Entschluss sei, das Werk nimmer vollbringen, nicht weil es zu schwer ist, sondern weil es zu leicht ist!“
„Habe ich recht gehört?“ fragte Assad mit höchster Verwunderung.
„Ich begreife Eure Frage“, versetzte sie, „Ihr könnt Euch nicht vorstellen, dass die Leichtigkeit meiner Entzauberung sie unmöglich macht, und dennoch ist es so. Der boshafteste und verschmitzteste aller Zauberer hat mich, die Tochter eines mächtigen Sultans, in einen Rubin gebannt, mich im Garten überraschend, weil mein Vater ihm seine Bitte um drei Tropfen meines Blutes, deren er vielleicht zu irgendeinem schnöden Zweck bedurfte, zornig abschlug. – Durch den jedesmaligen Besitzer des Steines kann der Zauber gebrochen werden, damit ich aber niemals wieder des schönen Lebens mich erfreuen möge, hat er die Entzauberung an ein Mittel geknüpft, auf das, weil es einem jeden an jedem Ort und zu jeder Stunde zu Gebote steht, eben darum keiner verfallen wird, und das ich, obgleich er mich, um meine Qual vollkommen zu machen, damit bekannt gemacht hat, als das teuerste Geheimnis bei mir bewahren muss, wenn ich nicht für ewig begraben sein will. Ach, wie fröstelt’s mich! War’s denn länger als eine Minute, dass ich die Freiheit genoss? Gib mir einen Becher Wein, schöner Jüngling, denn mich dürstet, aber schnell.“
Von seltsamer Rührung über diese Bitte ergriffen, welche ihm aus dem Munde einer Sterbenden zu kommen schien, die vom Leben noch einen letzten Genuss verlangt, um das Leben dadurch noch um einen letzten Augenblick zu betrügen, reichte Assad ihr mit abgewandtem Gesicht den Wein, den seine Wirtin ihm gebracht, und den er in seiner Aufgeregtheit ungetrunken gelassen hatte. – Freundlich dankend trank sie den Wein, gleich darauf war sie wieder von der Wolke umflossen. Mit einem glühenden Blick auf Assad, indem sie wie ein verlöschendes Licht noch einmal aufzuflammen schien, rief sie aus: „O Gott, ich möchte doch leben!“ – Dunkler wurde die Wolke und ringelte sich dichter und dichter um sie herum; Assad sah mit herzzerschneidendem Schmerz, wie die reizenden Formen sichtlich ineinander schmolzen und zerrannen; noch immer glaubte er ihr, wie in stummem Flehen auf ihn gerichtetes Auge in dem Nebelknäuel unterscheiden zu können, der sie einschlang, doch bald bemerkte er seinen Irrtum, was er für ihr Auge hielt, war nichts anderes als der Rubin, der schon wieder, matt von dem letzten Geflacker der nach Öl schmachtenden Lampe beschienen, auf dem Tisch lag. „Ihr Leib, ihre Seele, oh!“ seufzte Assad und starrte den Edelstein an, die Lampe erlosch, wie ein wirkliches Wesen drängte sich die kalte, laut- und lichtlose Nacht an seine Brust.
Ein Jahr war verflossen. Es war ein schöner Morgen. Assad hatte sich aus der großen, geräuschvollen Stadt geflüchtet, still und bleich saß er auf einer Bank, die weit vor dem Tore am Ufer des großen Flusses, dem die Stadt ihr reges Leben, ihre Macht und ihren Reichtum dankte, an einem einsamen Platze stand, in seiner Hand hielt er, ihn nach seiner Gewohnheit in stummer Verzweiflung betrachtend, den Rubin. „Das ist ein herrlicher Stein“, erscholl es auf einmal hinter ihm. Er sah sich um und erblickte einen ältlichen Mann von hoher, gebietender Gestalt, mit edlen Zügen, in denen sich ein tiefer, aber ins Innerste zurückgedrängter Lebensschmerz auszudrücken schien. „Ja, ein herrlicher Stein!“ wiederholte Assad düster, und verbarg mit den Gefühlen eines Eifersüchtigen den Rubin wieder auf seiner Brust. „Junger Mann“, sagte der Alte, „diesen Stein kauf‘ ich dir ab. Es soll Edelsteine geben, die den Menschen sanft und mild machen, andere, die ihm liebliche Träume bringen. Als ich den deinigen erblickte, beschlich mich wunderbare Wehmut und das Bild einer verlorenen Tochter ging mir, als ob sie mir neu geboren würde, in der Seele auf. Überlass mir den Stein und bestimme selbst den Preis.“
Assad schüttelte, ohne aufzusehen, den Kopf und erwiderte kalt und bitter: „Und wenn du mir ein Königreich zu Füßen legtest, so würde ich den Stein nicht dafür geben. Ich lass‘ ihn nur mit dem Tode und auch dann nicht, denn selbst ins Grab nehme ich ihn mit hinunter.“
„Sklav“, rief der Alte ergrimmt, „du gibst den Stein, oder ich nehme den Kopf dazu!“
Er richtete sich bei diesen Worten von der Lehne der Bank, über die er sich mit halbem Leib hingebeugt hatte, auf und warf, brennend vor Zorn, auf Assad einen durchbohrenden Blick. Assad antwortete nichts, aber er erhob sich ebenfalls und lächelte still vor sich hin, wie in verachtendem Hohn.
Der Alte, kreideweiß geworden, wandte sich um und winkte mit der Hand eine stattlich gekleidete Schar Bewaffneter heran. „Zeigt dem Hund da“, rief er ihnen entgegen und deutete mit einer heftigen Bewegung auf Assad, „wie der Sultan mit denen verfährt, die ihm trotzen.“ Assad zog seinen Dolch, doch sein Widerstand war fruchtlos, er sah sich alsbald von der Menge umringt und war nahe daran, überwältigt zu werden. Da fiel sein Blick auf den Sultan, der ihn scharf beobachtete, ein spöttisches Lächeln überflog sein Gesicht, er zog den Rubin hervor, nickte dem Sultan zu und warf, bevor noch jemand daran denken konnte, ihn zu hindern, den Stein weit von sich in den Fluss. „Durchstoßt ihn!“ rief der Sultan und riss, zitternd vor Wut, sein Schwert aus der Scheide. „Ich tu’s selbst!“ sagte Assad und zückte den Dolch gegen die eigene Brust. Da tönte auf einmal ein leises Ach, es war nur ein Laut, aber ein Laut, der in Assad das innerste Leben noch im Angesicht des Todes zur ungestümen Flamme auftrieb, er ließ den erhobenen Arm sinken und stand, wie in ein Wunder verloren, regungslos.
„Oh, Fatime, Tochter, so sehe ich dich endliche wieder?“ rief der Sultan aus und tat einen Schritt vorwärts, hielt dann aber plötzlich an, als ob er fürchtete, die teure Erscheinung möchte sich in nichts auflösen, sobald er sie zu fassen versuchte. – „Allah sei gelobt!“ jauchzten die erstaunten Trabanten und warfen sich, ihr Angesicht verhüllend, zu Boden.
„Vater, führe mich zu meiner Mutter!“ rief die süße Stimme, die Assad in jener Mitternacht vernahm, und leidenschaftlich ängstlich umschlang die Jungfrau den alten Mann. – Schmerz und Freude vermischten sich in Assads Brust, er seufzte laut auf, da trat die Prinzessin zu ihm heran, fasste errötend seine Hand und sagte, indem sie ihn zu ihrem Vater führte: „Hier ist mein Retter!“
Der Sultan blieb eine Weile stumm und ernst, dann sprach er zu Assad: „Ich wollte dich töten!“
„Ja“, erwiderte Assad, „aber noch leb‘ ich.“
„Und du sollst leben bis ans Ende deiner Tage“, versetzte der Sultan mit erhöhter Stimme, „und wenn du mein Reich forderst, so will ich’s dir zu Füßen legen und mir nichts ausbedingen als einen Turban, ein Schwert und ein Grab.“
„Ich habe nichts zu fordern!“ entgegnete Assad düster und dumpf. Dann fuhr er, sich zu der Prinzessin wendend, langsam und gemessen fort, wie einer, der über sich selbst ein Todesurteil ausspricht: „Ich hätte gern für dich den letzten Tropfen meines Blutes verspritzt, aber es ward mir nicht vergönnt, ich konnte dich nicht erlösen, ich konnte dich bloß beklagen, und das konnte jedermann. Und heute – heute war ich sogar nichtswürdig genug, den Stein, der dein holdes Selbst umschloss, in die schlammige Tiefe hinabzuschleudern, als der Mann, der, wie ich jetzt sehe, dein Vater ist und in dem gewiss nur ahnungsvolle Sehnsucht den Wunsch nach seinem Besitz so heftig entzündete, ihn von mir verlangte. Oh! ich verachte mich selbst und du musst mich auch verachten!“
„Du tust dir unrecht“, sagte Fatime, „denn dadurch, dass du den Rubin, den du bisher, wie alle früheren Besitzer, nur und starrsinnig festgehalten hattest, freiwillig und aus eigenem Antriebe von dir warfst, ward meine Erlösung vollbracht, dies war ja eben die schlimme Bedingung, die dieselbe, obgleich ein jeder sie an jedem Ort und zu jeder Zeit erfüllen konnte, ungewisser machte, wie ein Kampf mit Ungeheuern und Drachen.“
„So ward ich denn glücklich, weil ich erbärmlich war“, versetzte Assad. Fatime schaute ihn zugleich bittend und fragend an, denn sie verstand ihn nicht mehr, aber der Sultan trat hinzu und sagte: „Du bist von nun an mein Sohn, tritt nicht zurück, ein Mann muss sich nicht schämen, das von dem Zufall als Geschenk anzunehmen, was er, wenn’s nötig wäre, dem Schicksal abtrotzen würde durch Kraft und Beharrlichkeit. Jetzt aber begleitet mich in meinen Palast, denn es ist nicht recht, dass wir uns so lange allein freuen – Fatime hat noch eine Mutter.“

Quelle:
(Friedrich Hebbel)

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