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Meister Floh

3.7
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Im Märchenlande Famagusta – dem Lande der seltsamsten Blumen und Blütenwesen, dem Lande der sprechenden Vögel und Wunderdinge mehr, die kein Sterblicher je gesehen noch gehört hat – erschienen eines Tages zwei Eindringlinge aus der Menschenwelt. Zwei toll aussehende Kerle, von Natur aus böse, Schlingel, von Beruf aber Magier und Zauberer. Sie kamen in der Verkleidung harmloser Botaniker mit grünen Insektentrommeln und Schmetterlingsnetzen. Heimlich aber waren sie bewaffnet mit scharfen Instrumenten, mit Mikroskopen und zusammenlegbaren Fernrohren. Dieses Eindringen war nur möglich gewesen durch das glückliche Zusammentreffen einiger Zufälle, welche die Schlingel in ihrer Eigenart als Zauberer gerochen haben mochten. Der Wächter des Märchenlandes, ein baumhoher Riese, hielt gerade seinen achttägigen Schlaf. Und der Schöne Geist, der hier schaltete und waltete, war in die Sternenwelt geflogen, um sich nach neuen Dingen umzusehen. Also konnten die Magier ungestört auf die Suche gehen. Der eine der Beiden, namens Leuwenhoek, hatte auf dem Jahrmarkt vor den Toren einer nicht sehr entfernt gelegenen Kleinstadt einen Flohzirkus und der andere, der Swammer hieß, betrieb alldorten eine Zauberbude. Schon hatten sie mit ihren haarscharfen Mikroskopen etwas entdeckt, das sie vor Freude wie Ziegenböcke tanzen ließ. im Blütenstaub eines Tulpenkelches hatten sie eine Perle liegen sehen, die in ihrem märchenhaften Glanz das Bildnis eines schönen Mädchengesichtes widerspiegelte. Sofort fingen die Magier an, mit ihren unheimlichen Kräften den Zauberbann zu brechen, der auf der Perle lastete. Eine stachelige Distel, die hier im Märchenlande Zeherit, der Distelprinz, genannt wurde, umwuchs die Tulpe, stets bemüht, die Wunderperle zu beschützen. Der Prinz stach nun verzweifelt um sich, und Leuwenhoek und Swammer heulten oft vor Schmerz auf, daß es sich ausnahm wie das heisere Bellen alter Hofhunde. Nach vielen Experimenten gelang aber doch den Zauberern, was sie erhofft hatten. Bald sprang aus dem Tulpenkelch eine zierliche Mädchengestalt von fast übernatürlichem Liebreiz. Leuwenhoek faßte die Wundergestalt gleich mit seinen groben Händen an, damit sie ihm nicht entschlüpfen könne; der böse Swammer hätte ja auch gerne zugegriffen, aber er fürchtete wohl, das kleine zarte Wesen, das nur schwache Lebenszeichen von sich gab, könnte zerbrechen. Er verließ sich auf seine Verschlagenheit und freute sich schon im Stillen darauf, seinem Kollegen dieses Wunderwerk bald abzunehmen. Als die beiden Zauberer, ohne es sich gegenseitig merken zu lassen, darüber nachdachten, wie sie sich den alleinigen Besitz des elfenhaft schönen Mädchens sichern könnten, hörten sie plötzlich von irgend woher eine ganz feine und singende Stimme, die von einem Wesen kommen mußte, das in großen Sätzen über sie hinwegsprang. Einmal erklang die Stimme hinter ihnen, einmal hoch aus der Luft, dann von rechts und schon wieder von links. – „O weh, o weh! was habt ihr gemacht, ihr Bösewichter. Schlimmer Strafe werdet ihr nicht entgehen, ihr habt die Tochter Alinore des mächtigen Königs Sekatis, die der Schöne Geist in eine Perle verwandelte, um sie der Last des Erdenlebens zu entheben, in ihre menschliche Gestalt zurückgebracht. Wehe euch Bösewichtern!“ Aber die beiden hartgesottenen Magier lachten nur. Leuwenhoek hielt das kleine Mädchen noch fester, indem er mit der anderen Hand sein Fernglas zog, um zu sehen, wer da in so gewaltigen Sätzen herumsprang – es mußte ein verzwickt kleines und dabei sehr sonderbares Geschöpf sein. – „Richtig, da ist es!“ rief Leuwenhoek, „es ist ein riesiger Floh vom Umfange einer stattlichen Bohne. Der wäre für meinen Zirkus wie geschaffen!“ Er richtete sein Glas so scharf auf das Insekt, daß dieses betäubt mitten aus seinem großen Satz aus der Luft herabfiel, dem Flohbändiger Leuwenhoek gerade auf die Nase. Von der glatten blanken Nase rutschte der Floh ab und sprang noch ganz benommen unglücklicherweise in die große Botanisiertrommel, deren Deckel weit offenstand. – „Halt! den hätten wir!“ rief Leuwenhoek mit einem freudigen Grunzen und klappte schnell die Dose zu. – „Dieses Prachtexemplar von einem Floh wird mir die Hauptattraktion meiner Schaustellung werden!“ – Nun wurde es für die Magier Zeit, sich wieder um die zarte Alinore zu kümmern. Leuwenhoek hatte sie während der Flohjagd etwas heftig gedrückt, und das schöne Mädchen lag wie ein lebloses Püppchen über seinem Arm. – „Hilfe ihrer Seel! sie stirbt mir unter den Augen!“ stieß der Flohbändiger enttäuscht hervor. Beide Magier murmelten jetzt Zauberformeln und hauchten sie mit ihrem warmen Atem an, in der Hoffnung, sie lebend nach Hause bringen zu können, schob Leuwenhoek das Mädchen ganz vorsichtig in seine Blechtrommel, die von zwei Seiten mit Fliegengittern versehen war, und lief schnell davon, um seine Beute in Sicherheit zu bringen. Hinter ihm her lief Swammer, der Gift und Galle spuckte, weil er dem Kollegen den Besitz Alinorens mißgönnte. Als der Floh in der Botanisiertrommel nun mit der kleinen Alinore, einem menschlichen Wesen, allein war, wurde er sofort lebendig und interessierte sich ausnehmend für ihren Zustand. Das arme Mädchen konnte weder leben noch sterben und rang unter Seufzen mit dem Tode. Der Floh sah ihre Schönheit und Anmut, wurde von heftigem Mitleid ergriffen und entschloß sich, ihr zu helfen. – „Still, holdes Menschenkind! wir werden gleich die Grenze des Märchenlandes Famagusta überschreiten. – Bevor wir nicht die Grenze passiert haben, kann ich Dir die nötige Lebenskraft nicht verleihen; erst dann hört die Macht des Schönen Geistes auf und seine Rache kann mich nicht mehr erreichen.“ – „Ich sterbe! ich sterbe!“ hauchte Alinore, wurde bleich bis in die Lippen und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Schnell versetzte der Floh dem unglücklichen Mädchen einen Stich in die Schulter. Wie durch Zauber öffnete Alinore die Augen, und über ihre Wangen huschte ein lebendes Rot. Sie lächelte wie ein überglückliches Kind und rief in einem fort: „Mein Herz schlägt! – ich lebe! Hab‘ tausend Dank, Meister Floh!“ – Bald aber sollte das schöne Mädchen. so jäh aus seinen glücklichen Märchenträumen herausgerissen, erfahren, daß es kein großes Glück war, in die Menschenwelt versetzt zu sein. Nach einigen Tagen schon stand sie auf den schwanken und ungehobelten Brettern der Schaubude des Flohbändigers Leuwenhoek. Hinter ihr wehte eine drohende Leinwand, die mit bunten Albernheiten und Scheußlichkeiten bemalt war. Quiekende Orgeltöne, schlechte Musik und schrille Glocken ertönten von allen Seiten und ergaben ein ohrenbetäubendes Durcheinander. Dazwischen drängten die Menschen und schrieen mit ihren groben Stimmen wie die Kuhtreiber. Alinore befand sich im tollsten Jahrmarktrummel. Sehnsuchtsvoll dachte sie zurück an das Land Famagusta; dachte an Zeherit, den edlen Distelprinzen, der sie mit seinen ritterlichen Armen immerfort umschlungen gehalten hatte, um sie vor Ungemach zu schützen. Es erschien ihr jetzt wie ein verlorenes Paradies. Ihr einziger Trost war Meister Floh, auf dessen unbedingte Hilfe sie rechnete. Er saß neben ihr mit einem winzigen Kettchen festgebunden auf der langen Nase einer riesigen Pappmaske und mußte gleich ihr die vorbeiziehenden Leute in die Bude hineinlocken. Beide hatten ihr Liedchen zu singen. Meister Floh machte gewöhnlich vorher einige Sprünge und sang als erster:

Ich bin der Meister alle Flöhe,
Spring 20 Meter in die Höhe;
Kann kostbare Gewänder tragen
Und fahr in einem goldenen Wagen;
Kann reiten und kanonenschießen,
im Zweikampf mit dem Stachel spießen;
Kann am Trapez den Drehbaum machen,
Daß alle Menschen drüber lachen!
Man sieht mich hier, den Springinsfeld,
Für einen Kreuzer – wenig Geld !

Gleich darauf erklang die wunderfeine Stimme des schönen Mädchens, und alles horchte auf:

Ich bin das Prinzeßchen Aline,
Mit puppenhafter Miene.
ich stamme aus dem Märchenland,
Das Famagusta ist genannt,
Wo verzauberte Menschen wohnen,
Verborgene Geister thronen,
Wo Vögel und Blumen sprechen,
Wo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !

Weiter kam sie nicht. Der böse Swammer, der gegenüber seine Zauberbude betrieb, mißgönnte dem Kollegen Leuwenhoek seinen Erfolg. Mit allen Mitteln war er darauf bedacht, ihm das Geschäft zu unterbinden. Jedesmal, wenn Meister Floh und Aline ihre Lieder sangen, nahm der Bösewicht sein mächtiges Sprachrohr und überschrie ihre feinen Stimmen. Dann stürzte der geschädigte Leuwenhoek wutschnaubend aus dem roten Samtvorhang seines Flohtheaters hervor. Die beiden finsteren Magier zückten ihre gefährlichen Waffen und – der Kampf der Teleskope begann. Mit riesigen Fernrohren gingen die ehemaligen Freunde und nunmehr erbitterten Feinde sich zu Leibe. – „Zieh, Verdammter, wenn Du Courage hast!“ schrie Leuwenhoek. – „Nur heran, ich stehe Dir; bald sollst Du meine Macht fühlen!“ rief Swammer seinerseits und zog sein Fernrohr auseinander. Beide setzten nun die scharfen Gläser an ihre Augen und fielen grimmig gegeneinander aus.

Mit mörderischen Augenblitzen nahm der Kampf seinen Verlauf; jeder wehrte sich heftig, indem er seine Waffe bald verlängerte, bald verkürzte, durch Aus- und Einschieben. Die Kämpfenden hatten sich oft schwer getroffen, so daß sie auf ganz tolle Weise vor Schmerzen hüpften und dazu mit Heulen und Schreien eine Musik machten, die dem Wehgeheul der Verdammten in der Hölle zu gleichen schien. – Bei einem solchen Kampfe sah Aline eines Tages in der gaffenden Zuschauermenge einen jungen Mann mit wehendem Lockenhaar, der sich bis an die Stufen der Bude herandrängte. Das Mädchen traute seinen Augen nicht – es war kein Zweifel – so mußte Zeherit, ihr Distelprinz, als Mensch aussehen. Und er war es wirklich! Aus übergroßer Sehnsucht zu ihr, der schönen Alinore, war er selbst Fleisch und Blut geworden, um in der dunklen Atmosphäre der Menschenwelt sie auch für die Zukunft beschützen zu können. „Zeherit!“ rief das Mädchen in freudiger Überraschung von seinem hohen Podium herab. Doch der Jüngling legte den Finger auf seinen Mund und reichte ihr mit fiebernder Hast ein zusammengefaltetes Stückchen Papier, auf dem einige Worte gekritzelt standen. Mit „Pepusch“ waren diese Zeilen unterzeichnet. Aline las mit fliegendem Herzen. – „Oh, Herr Pepusch…!“ In diesem Augenblick rief die schwere Glocke des Leuwenhoek sie und Meister Floh zur Vorstellung in das Zelt hinein. Noch ganz verwirrt suchte die kleine Aline drinnen im Halbdunkel des Theaters nach dem Meister. Dieser aber hockte weit von ihr entfernt und grollte; er hatte ihren sehnsuchtsvollen und verliebten Blick gesehen, den sie dem Herrn Pepusch zugeworfen. Meister Floh hatte seinen Stolz. Er hatte sie gerettet – bedachte sie denn nicht, daß seine Stiche auch fernerhin nötig waren, um ihr das Leben zu erhalten? Aufs tiefste gekränkt, nahm er sich vor, das Mädchen zu verlassen. Jetzt war draußen gerade ein großer Tumult; der Konkurrent hatte wieder sein tönendes Sprachrohr auf Leuwenhoeks Zirkus gerichtet. Swammer versuchte, die hereinströmenden Menschen zurückzuhalten. Meister Floh erkannte die günstige Gelegenheit. Er schwang sich mit einem entschlossenen Satz durch ein Loch, das sich in der Zeltwand befand, hinaus ins Freie – Unversehens kam er in den bunten Krimskrams der Nachbarbude, eines Spielwaren-Bazars. Hier vor der Auslage stand unter vielen anderen der ehrenwerte Herr Peregrinus Tys und machte seine Weihnachtseinkäufe. Dieser Herr Peregrinus war ein Junggeselle; doch war er es wider Willen und zwar nur aus übergroßer Schüchternheit, die er in Gegenwart der holden Weiblichkeit nicht überwinden konnte. Er hatte eine Auswahl der allerschönsten Sachen getroffen, um in recht großzügiger Weise den Kindern seines Nachbarn, des Buchbinders Lämmerhirt, zu bescheren. Der Beweggrund seiner Freigebigkeit war, ohne daß er es sich selber gestehen mochte, in der heimlichen Zuneigung zu suchen, die er seit langem zu der ältesten Tochter der kinderreichen Familie gefaßt hatte; doch wagte er nicht, seinen Blick frei und offen zu dem schönen und sanften Mädchen zu erheben. Peregrinus Tys, beide Arme voll bepackt, wollte gerade nach dem letzten Stück seiner Auswahl greifen – einer ovalen Schachtel mit einer wilden Schweinsjagd -, als eine kleine Verwirrung entstand. Meister Floh kam gesprungen. Er hatte bemerkt, daß Aline ihm in banger Sorge um ihr Leben gefolgt war. Schnell sprang er in eine der herumstehenden Schachteln, um sich zu verstecken. Doch schon war Aline zur Stelle, ergriff die Schachtel, in der sie den Meister verborgen wähnte, und lief mit ihr davon. Peregrinus, der seine Hand schon ausgestreckt hielt, stutzte einen Moment, dann aber faßte er zu – nach der vermeintlichen Schweinsjagd. – Im Hause angekommen, nahm ihm seine Haushälterin die eingekauften Gegenstände ab. Pauline war eine dicke alte Matrone mit einer kupferroten Nase, – sie war übrigens das einzige weibliche Wesen, das der menschenscheue Sonderling und Stubenhocker um sich duldete. Mag der Himmel wissen, wie diese häßliche Person mit den triefenden Augen und dem struppigen Haar zu dem berühmten Namen der Kaiserin von Golkonda gekommen war. – Es mag gleich gesagt sein, daß an keinem Weihnachtsabend dem Junggesellen, Herrn Peregrinus Tys, das Herz vor banger Erwartung so heftig schlug, wie an diesem. Er hörte schon das feine Silberglöcklein bei Lämmerhirtens und den lauten Jubel der Kinderschar. Doch bevor er ging, sah er noch einmal die Geschenke durch. Mißmutig stellte er fest, daß die wilde Schweinsjagd abhanden gekommen war. Da gewahrte er eine noch ungeöffnete Schachtel, und als er diese öffnete, war sie zu seinem Entsetzen leer; aber es war ihm, als spränge etwas Lebendiges, das einem großen bunten Floh nicht unähnlich war, ihm daraus entgegen, das mit dem Blick ganz zu erfassen sein Auge zu stumpf war.

Hinter seinem Halstuch fühlte er jetzt ein eigenartiges Kitzeln. Da nun einmal Weihnachten war, wollte sich Herr Peregrinus keine weiteren Gedanken machen und schickte sich daher an, mit all den herrlichen Gaben zu seinem Nachbarn zu gehen. Plötzlich aber stand vor ihm eine sehr feine und zierlich gebaute Person, gekleidet und geputzt, als käme sie eben von einem Ball, angetan mit einem Zindelkleid und einem Diadem im schwarzen Haar. Der beängstigte Junggeselle wollte sich schnell davon machen; die Erscheinung aber faßte ihn an beiden Händen und lispelte mit lieblicher Stimme: „Oh, Peregrin, teurer Peregrin, ich bringe Euch die hölzerne Schachtel, welche die vermißte Schweinsjagd enthält.“ Es war Alinore, die ihren Irrtum entdeckt hatte. Diese Begebenheit und der Anblick des schönen Mädchens war für die dicke Haushälterin Pauline, die noch im Zimmer stand, zu viel, sie duldete keine zweite neben sich; sie verweigerte den Dienst, kündigte und stürzte aus dem Zimmer. Als Alinore mit Herrn Peregrinus Tys allein war, warf sie sich ihm vor die Füße: „Teurer Freund, gebt mir den Gefangenen zurück, bedenkt, daß mein ganzes Schicksal von seinem Besitz abhängt!“ Peregrinus wußte nicht, daß sie mit dem Gefangenen das ungewisse Etwas meinte, das der leeren Schachtel entsprungen war. Er glaubte, es ginge ihm ein Mühlrad im Kopfe herum. In seinen Ohren lag ein Schluchzen und Weinen. Als er aus seinem Taumel erwachte, sah er die schöne Alinore, die totenbleich und regungslos vor ihm lag – „Seid auf Eurer Hut, edler Mann, seid auf Eurer Hut!“ So lispelte es dicht vor Peregrinus‘ Nase. Ein kaum spannlanges Ungeheuer saß auf seiner seidenen Kravatte. In dem Vogelkopf staken ein Paar runde, glänzende Augen und aus dem Sperlingsschnabel starrte ein langes spitzes Ding hervor, darüber aber streckten sich zwei Hörner aus der Stirne. An den Füßen trug das kuriose Wesen goldene Stiefel mit diamantenen Sporen. – „Zwar kennt ihr mich nicht, edler Herr Peregrinus; doch laßt mich gewähren! Ich bin der Meister Floh. Gestattet, daß ich Euch in die linke Pupille ein feines Mikroskop einsetze, das ein geschickter Optiker aus meinem Volke verfertigte. Ihr werdet gleich sehen, welche Übermacht das Mikroskop Euch über die Menschen gibt, in dem Euch ihre innersten Gedanken offen vor Augen liegen. Tragt es aber nicht immer, es würde Euch sonst die stete Erkenntnis der Gedanken Eurer Mitmenschen zu Boden drücken!“ Fast hätte Peregrinus Tys das schöne Mädchen vergessen, das leblos zu seinen Füßen lag; so sehr war er im Banne dieses zauberhaften Insektes. – „Weh mir, ich sterbe!“ stammelte jetzt Alinore mit schneeweißen Lippen. – „Gib – den – Gefangenen! – ich sterbe!“ Augenblicklich ließ sich ein durchdringender, doch harmonischer Laut hören, als würden kleine goldene Glöckchen angeschlagen. Alinore, plötzlich frischen Rosenschimmer auf Lippen und Wangen, sprang auf und hüpfte lachend im Zimmer umher. Der mitleidige Meister Floh hatte ihr einen Stich versetzt. Herr Peregrinus Tys stand starr vor Staunen; jedoch die Ereignisse der Stunde hatten ihr Ende noch nicht gefunden. Die Tür sprang auf – Leuwenhoek und Swammer stürzten herein; die beiden Schurken hatten sich wieder vereinigt und wollten mit gemeinsamer Kraft die beiden Entflohenen zurückholen. Peregrinus Tys erkannte sofort mittels der Kraft des Mikroskopes die schwarzen Gedanken dieser Bösewichter. Noch eine dritte Person erschien – Herr Pepusch war zur Stelle, um Alinore zu beschützen. Jetzt wurden dem Junggesellen Peregrinus durch das Wunderwerk des Meister Floh, das er im Auge trug, die Zusammenhänge dieser geheimnisvollen Geschehnisse immer klarer. Zum Erstaunen aller Anwesenden drang jetzt ein milchiger Lichtstreif durchs Fenster, der sich spiralförmig um den Kronleuchter drehte. Der Schöne Geist aus dem Märchenlande Famagusta war noch in letzter Minute angelangt, um den beiden Magiern seine früheren Errungenschaften, die diese ihm gestohlen hatten, streitig zu machen. Als er sichtbare Gestalt angenommen hatte, stürzten sich die beiden Zauberer Swammer und Leuwenhoek mit einem wahren Wutgeheul auf den Geist, ergriffen zwei Stühle und droschen so lange auf ihn los, bis sich die milchige Substanz seines Körpers nach allen Ecken hin auflöste. – Nun erst war der Zauberbann, der auf der schönen Alinore und Herrn Pepusch lastete, gebrochen; auch die beiden Magier hatten keine Gewalt mehr über sie. Alinore fiel Herrn Pepusch an die Brust; beide waren glücklich, jetzt hatten sie Lebenskraft für ein ganzes Menschendasein. Wie zwei geprügelte Hunde zogen Swammer und Leuwenhoek davon. – Die Luft war rein. Meister Floh rührte sich: er flüsterte dem Junggesellen Peregrinus Tys, der allein zurückgeblieben war, ins Ohr: „Jetzt kommt die große Entscheidung für Euch, Herr Peregrinus. Nehmt Eure Geschenke! Wir wollen zu Eurem Nachbarn hinüber. Ich will Euch verraten, daß das schöne Röschen Lämmerhirt auch Euch ihrerseits schon lange erwartet. Seid nicht so schüchtern, Herr Peregrinus, gebt dem erwartungsvollen Kind die Hand und sagt ihm, daß Ihr bereit seid!“

Ein Jahr glücklicher Ehe war verflossen. Man kannte den einstigen Junggesellen Peregrinus nicht wieder; er war ein brauchbarer Ehemann geworden. Er saß an der Wiege und schaukelte seinen Erstgeborenen. – „Ich hätte Dich niemals kennengelernt, mein Sohn, wenn Meister Floh nicht gewesen wäre.“ Der wackere Papa erzählte seinem schlafenden Söhnchen die ganze Flohiade von Anfang bis zu Ende. – Peregrinus horchte plötzlich auf. Draußen in der Küche gab es Geschrei. Meister Floh hatte seiner alten Haushälterin, der dicken Pauline, weil sie aus Unachtsamkeit die Milch für den Kleinen hatte überkochen lassen, heftig in die kupferrote Nase gestochen. Auch Röschen, die schöne junge Frau, kam jetzt zu dem freudigen Vater an die Wiege, und beide lachten über diesen Scherz vergnüglich. Aber auch schon hörten sie die silberfeine Stimme des Meister Floh: „Herr und Frau Peregrinus Tys, ergebenster Diener! Habe die Ehre, zu verkünden, daß meine Mission erfüllt ist! Schließlich, man bedenke, daß ich ein Floh bin. Entschuldigt! Man erwartet mich wo anders. Sollten Seiner Gnaden, der junge Herr Tys, einmal nicht recht gedeihen wollen, so werde ich sofort wieder zur Stelle sein und mit einigen Stichen nachhelfen!“ Nach dieser Versicherung machte das menschenfreundliche Insekt einige riesige Sprünge: „Auf Wiedersehen! Ich springe zurück zu meinen Springinsfelden, zu dem Volk der Flöhe, dessen Meister ich bin!“

Quelle:
(E. T. A. Hoffmann)

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