Dort stellte sie sich zur Trauerweide, unter der Hans gewöhnlich schlief. Sie wartete lange, bis endlich der Bruder kam, und glaubte, er würde sich nun fürchten. Hans hatte aber das Gruseln nie gelernt, besann sich nicht lange, nahm seinen Knittel auf und schlug den Geist mausetot. – Alsdann schaute er, was das für ein Geist gewesen sei, und fand, o Schrecken, seine liebe einzige Schwester leblos und blutbefleckt zu seinen Füßen liegen. Er wußte sich nun weder Trost noch Rat und sah sich schon auf dem Rade. Der Boden brannte ihm unter den Füßen und er beschloß, in die weite Welt zu wandern, um dem Gerichte und wo möglich dem Gewissen zu entrinnen. – Er machte sich noch in derselben Stunde auf und ging ohne zu rasten und ohne nur einmal rückwärts zu schauen, bis am andern Tage die Nacht herandunkelte und alles ins Schweigen und Träumen wiegte. – Da war Hans hungrig und müde und ging in ein Wirtshaus, das am Wege stand und gar herrlich beleuchtet war.
„Hier ist kein Platz mehr“, sprach der Wirt, „das Haus ist vollgestopft wie eine magere Wurst. Hier kannst du keine Herberge mehr finden.“ „Ist hier in der Nähe auch nirgends ein Nachtlager zu haben?“ forschte der Ermüdete. „Nein“, antwortete der Befragte, „es steht mein Wirtshaus hier Mutterseelen allein. Da drüben das Schloß wäre wohl ganz leer und du hättest darin Platz genug – allein ich will es früher sahen – es geistert in den Sälen. Schon mancher ließ es sich nicht wehren und schlief drüben, allein morgens fand man noch jeden tot.“ „Pah, was geistern!“ fiel Hans dem Wirt in die Rede, „die Geister scheren mich nicht. Will mal sehen, was die da drüben treiben.“ Er ließ sich vom Wirt nun eine Flasche Wein, ein Brot, ein Spiel Karten geben und verlangte aufs Geisterschloß zu gehen. Der Wirt trug ihm zwei Lichter voran, führte ihn in ein schönes, hohes, aber etwas altertümliches Zimmer, stellte dort den Armleuchter auf den Tisch und ging wieder fort. Hans war nun allein und ganz guter Dinge, er trank und aß und spielte für sich, gab aber immer die Karten für zwei Spieler aus und spielte auch für die Abwesenden.
Als es auf dem Turme der Schlosskapelle mit dumpfen Klängen zwölf Uhr schlug, klopfte es stark an die Türe des Zimmers. „Herein, was Hosen sein, Weiber sollen draußen bleiben“, rief Hans mit starker Stimme. Kaum hatte er dieses gesagt, so öffnete sich die Türe und ein weißer Geist trat ein und verneigte sich vor dem Spieler. Als Hans dieses sah, stand er voll Freuden auf, bot dem Fremdling seinen Sitz an und lud ihn ein mitzuspielen. Der Geist nickte stillschweigend und spielte ohne ein Wort zu verlieren. – So hatten sie einige Zeit gespielt, do klopft es wider an der Türe. „Herein, was Hosen sein, Weiber sollen draußen bleiben“, antwortete Hans. Auf diese Worte öffnete sich die Türe und es kam wieder ein Geist und trug einen schweren, schweren Sack auf der rechten Achsel. Schweigend winkte der Ankömmling dem Hans, er möchte ihm doch helfen. – Der Meßnersohn sprach aber: „I hab dir nit aufgeholfen, i hilf dir a nit ab.“ Trotzig warf nun der Geist den schweren Sack auf die Erde, daß die Dielen zitterten und die Wände bebten. Hans verzog zum bösen Spiele keine Miene und wartete neugierig auf die Dinge, die da kommen würden. Der zweite Geist setzte sich nun auch zum Tische und spielte mit den Zweien. Nachdem er einige Zeit lang gespielt hatte, stand er auf und winkte dem Hans wieder, er möchte ihm den Sack aufhelfen. – Der gute Hans gab ihm aber wieder zur Antwort: „I hab dir nie abgeholfen, i helfe dir a nie auf.“ – Wie Hans das gesagt hatte, waren die Geister erlöst, übergaben ihm das Geld und das Schloß und verschwanden wie der Rauch bei heiterem Himmel. – Hans war nun ein reicher Mann und legt sich froh und glücklich aufs Bett und schnarchte bis zum späten Morgen.
Als die Morgensonne schon in das nahe Tal gekommen und die Vögel ihr Morgenlied sangen, dachte sich der Wirt, „ich muß doch sehen, wie’s dem Burschen geht“, und ging hinüber im festen Glauben, ihn tot zu finden. Wie groß aber war das Staunen als er den Hans frisch und gesund im Bette fand und ihm dieser die ganze Geschichte der verflossenen Nacht erzählte. Hans war nun reich wie ein Fürst, und wohnte einige Jahre auf dem Schlosse, das er sich stattlich herbauen ließ. Endlich wurde ihm das einsame Leben da droben zu langweilig und er beschloss weiter zu wandern und die Welt anzuschauen. Er besorgte sich ein stolzes Reitpferd und schöne Kleider und ritt nun in die Ferne. Eines Abends kam er auf seinen Wanderzügen in eine große, prächtige Stadt, in der ein König wohnte. Es war aber in den weiten Gassen und in den schönen Palästen gar öde und traurig, denn nirgends wurde gelacht oder gesungen und die Leute gingen herum mit gar trüben und ernsten Gesichtern. Ritter Hans fragte nach der Ursache der allgemeinen Trauer und hörte, die Königstochter müsse heute dem Drachen vorgeworfen werden. – Hans war, als er dieses erfahren, nicht faul, ging zum Könige und fragte ihn, was er ihm geben wollte, wenn er seine Tochter befreien würde. „Meine Tochter selbst!“ rief freudig der König, dem ein unerwarteter Hoffnungsstrahl, dass seine wunderschöne Tochter vielleicht noch gerettet werden könnte, durchs Herz zuckte.
Hans war mit dem Preise einverstanden, brachte ihm die Drachenzunge und wurde wie ein Sohn vom alten Herrscher aufgenommen und umarmt. Er hätte nun die Königstochter heiraten und mit sich nehmen gesollt, allein er sprach: „Ich will mich noch in der Welt umsehen und wenn ich nach einem Jahr wieder komme, werde ich die schöne Prinzessin zum Altare führen.“ Hans kehrte nun wieder auf sein Schloss zurück und baute und ordnete dort, oder jagte in den Wäldern Hirsche und Rehe. Es gingen Tage und Wochen vorbei, und dem Hans gefiel das Leben und Treiben so wohl, dass er die Königstochter fast vergaß. Das Jahr war fast zu Ende, da dachte er sich: „Ich muß doch mein Wort halten“ und machte sich auf den Weg in die Königsstadt. Als er in die Stadt kam, sah er in allen Ecken und Enden nur fröhliche Gesichter und überall waren Vorbereitungen zu großen Festlichkeiten getroffen. Hans konnte sich das alles nicht erklären und fragte einen, der ihm begegnete, was das alles zu bedeuten hätte. – „Ja“ wurde ihm erwidert, „die Königstochter hat Hochzeit und deshalb triumphiert alles so.“
„Die Königstochter Hochzeit!“ sprach Hans stille bei sich, „wenn dem so wäre, müßte ich doch auch etwas davon wissen“, und wollte in die Burg zum Könige. Wie der König den Retter seiner Tochter sah, von dem er dreihundertfünfund sechzig Tage kein Wörtchen mehr gehört hatte, stand er wie versteinert da. Hans konnte an den Mienen des Königs lesen, daß er hier zu spät gekommen sei, und sagte zum Könige, er wolle seine Ansprüche auf die Prinzessin fahren lassen, wenn er ihm viel Geld geben würde. Der König war über diesen Antrag ganz getröstet und gab ihm soviel Gold, daß es Hans fast nicht fortbringen konnte. Der Meßnersohn kehrte nun in sein Schloß zurück und war der Reichste im ganzen Lande.
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Märchen aus Österreich