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Es war einmal eine Wirtin, die hatte eine einzige Tochter. So oft Gäste kamen, sagten sie unter sich: »Die Wirtin ist doch wahrhaft ein schönes Weib, wie keines im Lande!« Sobald sie aber die Tochter ansahen, da konnten sie ihre Augen gar nicht mehr abwenden und sagten: »Die Frau Wirtin ist schön, aber ihre Tochter ist doch viel schöner!«
Die Wirtin war stolz auf ihre Schönheit und wäre gern allein die schönste gewesen, sie kränkte sich daher, so oft die Leute sagten, ihre Tochter sei schöner als sie. Als aber das Mädchen täglich noch schöner wurde, konnte die Mutter ihren Ärger und Zorn nicht länger verhalten. Sie bestellte einen Mann und gab ihn den Auftrag, das Mädchen auf den Berg zu führen und dort zu töten; zum Zeichen sollte er ihr das Herz zurückbringen. Der Mann führte das Mädchen auf den Berg und kündete ihm dort den Befehl der Mutter an. Da weinte das Mädchen bitterlich, warf sich auf die Knie und bat ihn flehentlich, er möge doch ihr junges Leben schonen. Der Mann war gerührt und schenkte ihr das Leben unter der Bedingung, daß sie weit fortgehe in fremde Länder und nie mehr nach Hause zurückkomme. Der Wirtin aber brachte er das Herz eines Hundes.
Traurig ging das Mädchen in die weite Welt und kam endlich in eine Stadt, wo sie längere Zeit als Dienstmagd blieb. Aber sie war immer traurig und dachte an die Heimat und an ihre böse Mutter. Sie konnte nicht glauben, daß eine Mutter so grausam sein könne, und sagte zu sich selbst: »Gewiß hat sie es schon oft bereut und weint und trauert jetzt im Stillen über meinen vermeintlichen Tod!« Endlich konnte sie ihrer Sehnsucht nicht länger widerstehen und begab sich auf die Reise in die Heimat.
Allein sie wurde von ihrer Mutter mit zorniger Verwunderung empfangen. Das stolze Weib ließ jenen Mann wieder kommen und verwies ihm den Betrug, den er sich gegen sie hatte zuschulden kommen lassen. Sie gab ihm von neuem den Auftrag, das Mädchen auf den Berg zu führen und es zu töten; zum Zeichen sollte er ihr die abgehauenen Hände mitbringen. Der Mann tat es und als sie auf dem Berge waren, fiel das Mädchen vor ihm auf die Knie und beschwor ihn weinend und flehend, ihr doch das Leben zu schenken. Der Mann wurde selbst davon gerührt, aber er fürchtete den Zorn der Wirtin. »Wie soll ich es angehen,« sagte er; »deine Mutter hat mir befohlen, ihr deine Hände mitzubringen, und ich muß ihr gehorchen.« Da warf das junge Mädchen einen schmerzlichen Blick zum Himmel und sagte: »Lieber will ich die Hände, als das Leben verlieren. Hau mir die Hände ab, doch schenke mir das Leben!« Sie legte die Hände auf einen Baumstrunk und das Schreckliche geschah; dann half ihr der Mann noch die blutenden Hände verbinden, befahl ihr weit fortzugehen und ließ sie schwören, nie mehr nach Hause zu kommen.
Mit unsäglichen Schmerzen ging das Mädchen weit in den dunkeln Wald hinein. Sie betete, daß Gott sie heilen lasse und schütze, und ihr Gebet war nicht umsonst. Die Arme fingen bald an, langsam zu heilen, sie fand Nahrung an Kräutern und Wurzeln und Früchten des Waldes und die wilden Tiere bedrohten ihr Leben nicht. Anfangs wohnte sie in einer Höhle; dann aber fand sie einen großen alten Weidenbaum, dessen Stamm innen schon morsch war, und sie höhlte ihn mit großer Mühe und Anstrengung aus. Da war sie nun gegen Hitze und Kälte sowie gegen die wilden Tiere besser geschützt, und wenn ihre Wunden sie schmerzten und ihr die Frage, was aus ihr wohl noch werden solle, schwer auf das Herz fiel, so betete sie und weinte und das Gebet und die Tränen erleichterten ihren Kummer. »Gott wird dich nicht verlassen!« rief eine Stimme in ihr und glücklich ist ja selbst der Ärmste und Elendeste, welcher eine solche Stimme in sich hört und ihr gläubig lauscht.
Eines Tages geschah es, daß der Sohn des Königs einer etwas entfernten Stadt auf der Jagd in das Gebirge kam und seine Begleiter verlor. Wie er so allein durch den Wald streifte, erblickte er unweit das schöne Mädchen. Anfangs hielt er sie für ein schönes seltsames Tier und schoß seinen Pfeil nicht ab, da er es lebendig fangen wollte. Als sie ihn bemerkte, entfloh sie wie ein Reh; er aber eilte ihr nach und sah, wie sie sich in den hohlen Weidenbaum flüchtete. Er ging hin und befahl ihr hervorzutreten. Wie erstaunt war er, ein wunderschönes Mädchen mit abgehauenen Händen vor sich zu sehen! »Wer bist du, mein Kind, wie kommst du hierher? Wer hat dich der Hände beraubt?« Sie aber schwieg und weinte. Da entflammte er in Liebe zu ihr und er sagte: »Ich sehe wohl, mein Kind, daß du in böser Menschen Hände gefallen sein mußt. Aber ich will dich retten und du sollst noch schönere Tage erleben, komm mit mir in die Stadt!« Und er stieß in sein Jagdhorn, daß der Ruf gellend durch den Wald scholl und von den Felsen widerhallte. Es dauerte nicht lange, so kamen seine Begleiter und Diener, diese mußten augenblicklich eine Tragbahre herrichten, darauf setzte er das Mädchen und bedeckte es mit seinem Mantel. Als er in seinen Palast in der Stadt gekommen war, ließ er ihr eigene Gemächer einräumen, gab ihr kostbare Kleider und Diener und sorgte in allem für sie auf das beste.
Eines Tages ging er zu ihr und fragte sie, ob sie nicht seine Frau werden wolle. Da errötete sie und antwortete: »Das kann nicht sein.« Betrübt fragte er, warum sie so antworte. »Wie kann ich armes Mädchen ohne Hände deine Frau werden?« sagte sie. »Was wird deine Mutter sagen?« »Darum sei unbesorgt,« sagte er, »ich bin mein eigener Herr und folge der Stimme meines Herzens, welche mir sagt, du werdest mich glücklich machen. Ich liebe dich innig und wahr – doch, wenn du mich nicht lieben kannst -.« Bei diesen Worten wurde ihr Gesicht feuerrot und ihr Herz schlug laut, zugleich sank sie vor ihm auf die Knie und bedeckte seine Hände mit Küssen und heißen Tränen. »Nun bist du meine Braut vor Gott und vor den Menschen!« rief er jubelnd, hob sie auf und drückte ihr einen Kuß auf die reine weiße Stirne. Dann ging er zu seiner Mutter und erklärte ihr, er wolle das Mädchen heiraten.
Diese Mutter war eine stolze Frau und hatte schon lange im stillen darauf gerechnet, ihr Sohn werde nur die schönste und reichste Prinzessin heiraten. Daher wurde sie wütend vor Zorn, nachdem sie die Erklärung des Prinzen gehört hatte. »Bist du wahnsinnig?« rief sie ihm zu. »Eine hergelaufene Dirne ohne Hände willst du mir als Schwiegertochter und dem Volke zur Königin geben?« Aber der Prinz blieb fest, er zwang seine Mutter, ihren Zorn zu bezähmen oder doch zu verbergen und nahm das Mädchen zu seiner Frau. Das Volk grollte ihm deshalb nicht, sondern liebte die junge Königin immer mehr; denn ohne Hände spendete sie in kurzer Zeit viel mehr Wohltaten, als die alte Königin während ihres ganzen Lebens mit ihren gesunden Händen gegeben hatte.
Das Glück der beiden Gatten dauerte nur wenige Monate, denn es brach ein Krieg aus und der Prinz mußte mit dem Heere fort. Er befahl allen seinen Dienern, auf seine Gemahlin wohl acht zu haben und nicht zu dulden, daß ihr das mindeste Leid widerfahre. Sodann nahm er zärtlichen Abschied von ihr und zog mit dem Heere fort.
Wieder verflossen mehrere Monate, da gebar die junge Königin zwei wunderschöne Knaben. Die alte Königin war voll Zorn und gern hätte sie ihr die Kinder entrissen, aber die Diener, der Worte ihres Herrn eingedenk, bewachten die junge Königin und ihre Kinder getreulich und ließen sie keinen Augenblick hinein.
Nun sandte die alte Königin einen vertrauten Boten an den Prinzen und ließ ihm melden, seine Gemahlin habe zwei Kinder geboren, welche wie junge Hunde aussähen, das Volk murre laut und er solle daher befehlen, was zu tun sei. Sie glaubte, ihr Sohn würde nun den Befehl geben, Mutter und Kinder zu töten, aber sie täuschte sich. Der Prinz ließ den Befehl melden, niemand solle sich an seiner Frau und an den Kindern vergreifen, bevor er selbst zurückkomme. Da ergrimmte die alte Königin noch mehr und schickte denselben Boten wieder zum Prinzen mit der Nachricht, das Volk drohe mit einem Aufstande und sie sehe sich daher genötigt, Mutter und Kinder auf öffentlichem Platze verbrennen zu lassen. Sie würde es wohl auch getan haben, wenn es nicht die junge Königin rechtzeitig erfahren hätte. Da stand sie in der Nacht auf, nahm ihre beiden Kinder in die Arme und flüchtete heimlich aus dem Schlosse und aus der Stadt. »Gott wird mich und die armen Würmlein nicht verlassen!« dachte sie und ging ihres Weges.
Sie ging weit und war endlich in ein Tal in der Wildnis des Waldes gekommen. Da begegneten ihr zwei ehrwürdige Männer und fragten sie: »Sind diese Kinder getauft?« »Nein,« erwiderte sie und erzählte ihnen von ihrer Flucht und ihrer Bedrängnis. Da sagte der eine: »Wohl, so will ich die Kinder taufen; welche Namen soll ich ihnen geben?« »Welche ihr wollt!« sagte sie. »Wohlan,« erwiderte der Mann, »so soll der eine Johannes, der andere Joseph heißen!« Und er taufte die Knaben mit dem Wasser des Flusses, welcher durch das Tal strömte. Die beiden Männer aber waren niemand anderes als die Heiligen Johannes und Joseph selbst. Sodann sagte ersterer: »Nun nimm deine Kinder und geh noch bis in den Hintergrund des Tales; dort wirst du ein schönes Haus finden nebst allem, was du für dich und deine Kinder nötig hast. Aber nie sollst du jenes Haus mehr verlassen und auch nie jemandem öffnen, es sei denn, er rufe dich bei den fünf Wunden unseres Heilandes an.« Erfreut versprach sie es, dankte ihnen herzlich und ging weiter. Da begegnete sie einer schönen Frau, die sah sie mild an und sagte: »Armes Weib, du hast keine Hände!« Da seufzte sie; die schöne Frau aber war keine andere als die Mutter Gottes und sie sagte: »Stecke deine Arme in das Wasser dieses Flusses!« Sie tat es, und als sie die Arme herauszog, hatte sie ihre beiden gesunden Hände wieder. Vor Freude weinend dankte sie der himmlischen Frau, welche ihr zum Abschiede sagte: »Geh in jenes Haus und beobachte getreulich alles, was dir die beiden Heiligen gesagt haben. Dann wird es dir und deinen Kindern gut ergehen, weil du immer fromm gewesen bist und in deinen Nöten auf den Himmel vertraut hast.«
Frohen Herzens ging sie weiter und fand das ihr bezeichnete Haus. Da blieb sie einsam, denn weit und breit war keine menschliche Seele zu finden, aber sie hatte alles was sie wünschte. Die zwei Knaben wuchsen und bald sprangen sie lustig im Walde herum; der Mutter aber folgten sie auf das Wort, waren fromm und gut und beteten fleißig morgens und abends zum lieben Gott, daß er sie schützen und segnen möge.
So verflossen sechs Jahre. Der Prinz war indessen aus dem Kriege zurückgekehrt und König geworden. Er war immer traurig, denn er erinnerte sich oft an seine Gemahlin und seine Kinder, die er für tot hielt; seine Mutter aber hatte er vom Hofe verbannt. Da ging er wieder einmal auf die Jagd und verirrte sich im Walde. Schon brach die Nacht herein und ein furchtbares Wetter war heraufgezogen. Vergebens suchte er unter alten Bäumen Schutz; der Wind peitschte ihm den Regen ins Gesicht, der Donner rollte in einem fort und die flammenden Blitze erleuchteten die Gegend. Da sah er jenes Haus, in welchem seine Frau und seine Kinder lebten, und er pochte an die Türe; allein niemand öffnete ihm. Das Wetter wurde immer ärger, eben flammte wieder ein Blitz, da rief er in größtem Schrecken: »Bei den fünf Wunden unseres Heilands macht die Türe auf!« Als die Königin diese Worte hörte, schloß sie die Türe auf und ließ ihn eintreten. »Gebt mir ein Obdach für die Nacht,« rief er, »ich bin ganz ermüdet und durchnäßt!« Sie hatte ihn gleich erkannt; er selbst glaubte anfangs auch seine Frau zu sehen und wollte in Freudenrufe ausbrechen. Aber ein Blick auf ihre Hände sagte ihm, daß er sich täusche; denn seine Frau hatte ja keine Hände. Sie aber hielt sich zurück und gab sich ihm nicht zu erkennen; dann führte sie ihn zum Herde, schürte ein großes Feuer an und brachte ihm Speise und Trank. Die beiden Knaben aber wagten es anfangs nicht, den fremden Mann anzusehen und fürchteten sich, denn die armen Kleinen hatten ja außer ihrer Mutter noch nie einen Menschen gesehen. Erst auf das Zureden der Mutter kamen sie schüchtern näher und blickten, sich an die Arme der Mutter schmiegend, mit großen Augen auf den fremden Mann, welcher mit ihnen recht lieb und freundlich tat. Mit Tränen in den Augen dachte er sich: »So groß müßten jetzt meine Kinder auch sein, wenn sie noch am Leben wären!«
Der König saß am Feuer und trocknete seine Kleider; da überfiel ihn der Schlaf und er schlummerte ein. Als sie sah, daß er schlafe, sagte sie ihren Kindern, dieser Mann sei ihr Vater; sie sollten daher, wenn er wieder erwache, recht freundlich mit ihm sein. Da geschah es, daß dem schlafenden Könige der Hut vom Kopfe auf die Erde fiel. »Johannes,« befahl die Mutter, »heb dem Vater den Hut auf!« Der Knabe gehorchte, der König aber war halb erwacht und hatte die Worte gehört. »Was soll das sein?« dachte er sich, »ich will mich nun stellen, als ob ich schlafe und den Hut wieder fallen lassen.« Nach einer Weile fiel der Hut wieder auf den Boden. »Joseph,« rief die Mutter, »heb dem Vater den Hut auf!« Als der König dies hörte, richtete er sich auf und sagte: »Frau, warum nennt Ihr mich Vater?« Da lächelte sie und sagte: »Seht mich einmal recht an!« Da brach er in Tränen aus und sagte: »Ja, Ihr gleichet ganz meiner Frau, aber es ist nicht möglich, daß Ihr es seid; denn meine geliebte Gemahlin war ohne Hände.« Da rief sie: »Und doch ist es möglich, mein herzgeliebter Gemahl, Gott hat mir meine Hände wieder gegeben, und diese Knaben sind deine Kinder!« Da umarmten sie sich, daß ihnen vor Seligkeit das Herz fast brechen wollte; dann nahm er die beiden Knaben auf die Arme und konnte sich an ihnen nicht satt sehen und küßte sie in einem fort, während die Tränen der Freude über seine Wangen rannen. Sie blieben die ganze Nacht beisammen und konnten sich nicht genug erzählen.
Am Morgen wollte er sie und die Knaben mit sich in die Stadt führen, aber sie sagte: »Mein herzliebster Gemahl, die Heiligen haben mir geboten, für immer hier zu bleiben, und ich muß ihnen gehorchen.« Da sprach er kein Wort dagegen, sondern küßte sie und die Knaben zum Abschied und sagte: »Ich werde bald wieder zu euch kommen.«
Er kehrte in die Stadt zurück. Dort legte er die Krone und die Regierung nieder, verkaufte alles, was er hatte, wählte unter seinen Dienern die treuesten aus und kehrte dann zu seiner Frau und seinen Kindern zurück. Da lebten sie im schönen, stillen, grünen Bergtal noch lange Jahre froh zusammen und genossen in reichlichstem Maße jenes Glück, welches nur die wahre treue Liebe der Herzen und der heilige Friede der Seele den Menschen zu bieten vermag.
Die Wirtin war stolz auf ihre Schönheit und wäre gern allein die schönste gewesen, sie kränkte sich daher, so oft die Leute sagten, ihre Tochter sei schöner als sie. Als aber das Mädchen täglich noch schöner wurde, konnte die Mutter ihren Ärger und Zorn nicht länger verhalten. Sie bestellte einen Mann und gab ihn den Auftrag, das Mädchen auf den Berg zu führen und dort zu töten; zum Zeichen sollte er ihr das Herz zurückbringen. Der Mann führte das Mädchen auf den Berg und kündete ihm dort den Befehl der Mutter an. Da weinte das Mädchen bitterlich, warf sich auf die Knie und bat ihn flehentlich, er möge doch ihr junges Leben schonen. Der Mann war gerührt und schenkte ihr das Leben unter der Bedingung, daß sie weit fortgehe in fremde Länder und nie mehr nach Hause zurückkomme. Der Wirtin aber brachte er das Herz eines Hundes.
Traurig ging das Mädchen in die weite Welt und kam endlich in eine Stadt, wo sie längere Zeit als Dienstmagd blieb. Aber sie war immer traurig und dachte an die Heimat und an ihre böse Mutter. Sie konnte nicht glauben, daß eine Mutter so grausam sein könne, und sagte zu sich selbst: »Gewiß hat sie es schon oft bereut und weint und trauert jetzt im Stillen über meinen vermeintlichen Tod!« Endlich konnte sie ihrer Sehnsucht nicht länger widerstehen und begab sich auf die Reise in die Heimat.
Allein sie wurde von ihrer Mutter mit zorniger Verwunderung empfangen. Das stolze Weib ließ jenen Mann wieder kommen und verwies ihm den Betrug, den er sich gegen sie hatte zuschulden kommen lassen. Sie gab ihm von neuem den Auftrag, das Mädchen auf den Berg zu führen und es zu töten; zum Zeichen sollte er ihr die abgehauenen Hände mitbringen. Der Mann tat es und als sie auf dem Berge waren, fiel das Mädchen vor ihm auf die Knie und beschwor ihn weinend und flehend, ihr doch das Leben zu schenken. Der Mann wurde selbst davon gerührt, aber er fürchtete den Zorn der Wirtin. »Wie soll ich es angehen,« sagte er; »deine Mutter hat mir befohlen, ihr deine Hände mitzubringen, und ich muß ihr gehorchen.« Da warf das junge Mädchen einen schmerzlichen Blick zum Himmel und sagte: »Lieber will ich die Hände, als das Leben verlieren. Hau mir die Hände ab, doch schenke mir das Leben!« Sie legte die Hände auf einen Baumstrunk und das Schreckliche geschah; dann half ihr der Mann noch die blutenden Hände verbinden, befahl ihr weit fortzugehen und ließ sie schwören, nie mehr nach Hause zu kommen.
Mit unsäglichen Schmerzen ging das Mädchen weit in den dunkeln Wald hinein. Sie betete, daß Gott sie heilen lasse und schütze, und ihr Gebet war nicht umsonst. Die Arme fingen bald an, langsam zu heilen, sie fand Nahrung an Kräutern und Wurzeln und Früchten des Waldes und die wilden Tiere bedrohten ihr Leben nicht. Anfangs wohnte sie in einer Höhle; dann aber fand sie einen großen alten Weidenbaum, dessen Stamm innen schon morsch war, und sie höhlte ihn mit großer Mühe und Anstrengung aus. Da war sie nun gegen Hitze und Kälte sowie gegen die wilden Tiere besser geschützt, und wenn ihre Wunden sie schmerzten und ihr die Frage, was aus ihr wohl noch werden solle, schwer auf das Herz fiel, so betete sie und weinte und das Gebet und die Tränen erleichterten ihren Kummer. »Gott wird dich nicht verlassen!« rief eine Stimme in ihr und glücklich ist ja selbst der Ärmste und Elendeste, welcher eine solche Stimme in sich hört und ihr gläubig lauscht.
Eines Tages geschah es, daß der Sohn des Königs einer etwas entfernten Stadt auf der Jagd in das Gebirge kam und seine Begleiter verlor. Wie er so allein durch den Wald streifte, erblickte er unweit das schöne Mädchen. Anfangs hielt er sie für ein schönes seltsames Tier und schoß seinen Pfeil nicht ab, da er es lebendig fangen wollte. Als sie ihn bemerkte, entfloh sie wie ein Reh; er aber eilte ihr nach und sah, wie sie sich in den hohlen Weidenbaum flüchtete. Er ging hin und befahl ihr hervorzutreten. Wie erstaunt war er, ein wunderschönes Mädchen mit abgehauenen Händen vor sich zu sehen! »Wer bist du, mein Kind, wie kommst du hierher? Wer hat dich der Hände beraubt?« Sie aber schwieg und weinte. Da entflammte er in Liebe zu ihr und er sagte: »Ich sehe wohl, mein Kind, daß du in böser Menschen Hände gefallen sein mußt. Aber ich will dich retten und du sollst noch schönere Tage erleben, komm mit mir in die Stadt!« Und er stieß in sein Jagdhorn, daß der Ruf gellend durch den Wald scholl und von den Felsen widerhallte. Es dauerte nicht lange, so kamen seine Begleiter und Diener, diese mußten augenblicklich eine Tragbahre herrichten, darauf setzte er das Mädchen und bedeckte es mit seinem Mantel. Als er in seinen Palast in der Stadt gekommen war, ließ er ihr eigene Gemächer einräumen, gab ihr kostbare Kleider und Diener und sorgte in allem für sie auf das beste.
Eines Tages ging er zu ihr und fragte sie, ob sie nicht seine Frau werden wolle. Da errötete sie und antwortete: »Das kann nicht sein.« Betrübt fragte er, warum sie so antworte. »Wie kann ich armes Mädchen ohne Hände deine Frau werden?« sagte sie. »Was wird deine Mutter sagen?« »Darum sei unbesorgt,« sagte er, »ich bin mein eigener Herr und folge der Stimme meines Herzens, welche mir sagt, du werdest mich glücklich machen. Ich liebe dich innig und wahr – doch, wenn du mich nicht lieben kannst -.« Bei diesen Worten wurde ihr Gesicht feuerrot und ihr Herz schlug laut, zugleich sank sie vor ihm auf die Knie und bedeckte seine Hände mit Küssen und heißen Tränen. »Nun bist du meine Braut vor Gott und vor den Menschen!« rief er jubelnd, hob sie auf und drückte ihr einen Kuß auf die reine weiße Stirne. Dann ging er zu seiner Mutter und erklärte ihr, er wolle das Mädchen heiraten.
Diese Mutter war eine stolze Frau und hatte schon lange im stillen darauf gerechnet, ihr Sohn werde nur die schönste und reichste Prinzessin heiraten. Daher wurde sie wütend vor Zorn, nachdem sie die Erklärung des Prinzen gehört hatte. »Bist du wahnsinnig?« rief sie ihm zu. »Eine hergelaufene Dirne ohne Hände willst du mir als Schwiegertochter und dem Volke zur Königin geben?« Aber der Prinz blieb fest, er zwang seine Mutter, ihren Zorn zu bezähmen oder doch zu verbergen und nahm das Mädchen zu seiner Frau. Das Volk grollte ihm deshalb nicht, sondern liebte die junge Königin immer mehr; denn ohne Hände spendete sie in kurzer Zeit viel mehr Wohltaten, als die alte Königin während ihres ganzen Lebens mit ihren gesunden Händen gegeben hatte.
Das Glück der beiden Gatten dauerte nur wenige Monate, denn es brach ein Krieg aus und der Prinz mußte mit dem Heere fort. Er befahl allen seinen Dienern, auf seine Gemahlin wohl acht zu haben und nicht zu dulden, daß ihr das mindeste Leid widerfahre. Sodann nahm er zärtlichen Abschied von ihr und zog mit dem Heere fort.
Wieder verflossen mehrere Monate, da gebar die junge Königin zwei wunderschöne Knaben. Die alte Königin war voll Zorn und gern hätte sie ihr die Kinder entrissen, aber die Diener, der Worte ihres Herrn eingedenk, bewachten die junge Königin und ihre Kinder getreulich und ließen sie keinen Augenblick hinein.
Nun sandte die alte Königin einen vertrauten Boten an den Prinzen und ließ ihm melden, seine Gemahlin habe zwei Kinder geboren, welche wie junge Hunde aussähen, das Volk murre laut und er solle daher befehlen, was zu tun sei. Sie glaubte, ihr Sohn würde nun den Befehl geben, Mutter und Kinder zu töten, aber sie täuschte sich. Der Prinz ließ den Befehl melden, niemand solle sich an seiner Frau und an den Kindern vergreifen, bevor er selbst zurückkomme. Da ergrimmte die alte Königin noch mehr und schickte denselben Boten wieder zum Prinzen mit der Nachricht, das Volk drohe mit einem Aufstande und sie sehe sich daher genötigt, Mutter und Kinder auf öffentlichem Platze verbrennen zu lassen. Sie würde es wohl auch getan haben, wenn es nicht die junge Königin rechtzeitig erfahren hätte. Da stand sie in der Nacht auf, nahm ihre beiden Kinder in die Arme und flüchtete heimlich aus dem Schlosse und aus der Stadt. »Gott wird mich und die armen Würmlein nicht verlassen!« dachte sie und ging ihres Weges.
Sie ging weit und war endlich in ein Tal in der Wildnis des Waldes gekommen. Da begegneten ihr zwei ehrwürdige Männer und fragten sie: »Sind diese Kinder getauft?« »Nein,« erwiderte sie und erzählte ihnen von ihrer Flucht und ihrer Bedrängnis. Da sagte der eine: »Wohl, so will ich die Kinder taufen; welche Namen soll ich ihnen geben?« »Welche ihr wollt!« sagte sie. »Wohlan,« erwiderte der Mann, »so soll der eine Johannes, der andere Joseph heißen!« Und er taufte die Knaben mit dem Wasser des Flusses, welcher durch das Tal strömte. Die beiden Männer aber waren niemand anderes als die Heiligen Johannes und Joseph selbst. Sodann sagte ersterer: »Nun nimm deine Kinder und geh noch bis in den Hintergrund des Tales; dort wirst du ein schönes Haus finden nebst allem, was du für dich und deine Kinder nötig hast. Aber nie sollst du jenes Haus mehr verlassen und auch nie jemandem öffnen, es sei denn, er rufe dich bei den fünf Wunden unseres Heilandes an.« Erfreut versprach sie es, dankte ihnen herzlich und ging weiter. Da begegnete sie einer schönen Frau, die sah sie mild an und sagte: »Armes Weib, du hast keine Hände!« Da seufzte sie; die schöne Frau aber war keine andere als die Mutter Gottes und sie sagte: »Stecke deine Arme in das Wasser dieses Flusses!« Sie tat es, und als sie die Arme herauszog, hatte sie ihre beiden gesunden Hände wieder. Vor Freude weinend dankte sie der himmlischen Frau, welche ihr zum Abschiede sagte: »Geh in jenes Haus und beobachte getreulich alles, was dir die beiden Heiligen gesagt haben. Dann wird es dir und deinen Kindern gut ergehen, weil du immer fromm gewesen bist und in deinen Nöten auf den Himmel vertraut hast.«
Frohen Herzens ging sie weiter und fand das ihr bezeichnete Haus. Da blieb sie einsam, denn weit und breit war keine menschliche Seele zu finden, aber sie hatte alles was sie wünschte. Die zwei Knaben wuchsen und bald sprangen sie lustig im Walde herum; der Mutter aber folgten sie auf das Wort, waren fromm und gut und beteten fleißig morgens und abends zum lieben Gott, daß er sie schützen und segnen möge.
So verflossen sechs Jahre. Der Prinz war indessen aus dem Kriege zurückgekehrt und König geworden. Er war immer traurig, denn er erinnerte sich oft an seine Gemahlin und seine Kinder, die er für tot hielt; seine Mutter aber hatte er vom Hofe verbannt. Da ging er wieder einmal auf die Jagd und verirrte sich im Walde. Schon brach die Nacht herein und ein furchtbares Wetter war heraufgezogen. Vergebens suchte er unter alten Bäumen Schutz; der Wind peitschte ihm den Regen ins Gesicht, der Donner rollte in einem fort und die flammenden Blitze erleuchteten die Gegend. Da sah er jenes Haus, in welchem seine Frau und seine Kinder lebten, und er pochte an die Türe; allein niemand öffnete ihm. Das Wetter wurde immer ärger, eben flammte wieder ein Blitz, da rief er in größtem Schrecken: »Bei den fünf Wunden unseres Heilands macht die Türe auf!« Als die Königin diese Worte hörte, schloß sie die Türe auf und ließ ihn eintreten. »Gebt mir ein Obdach für die Nacht,« rief er, »ich bin ganz ermüdet und durchnäßt!« Sie hatte ihn gleich erkannt; er selbst glaubte anfangs auch seine Frau zu sehen und wollte in Freudenrufe ausbrechen. Aber ein Blick auf ihre Hände sagte ihm, daß er sich täusche; denn seine Frau hatte ja keine Hände. Sie aber hielt sich zurück und gab sich ihm nicht zu erkennen; dann führte sie ihn zum Herde, schürte ein großes Feuer an und brachte ihm Speise und Trank. Die beiden Knaben aber wagten es anfangs nicht, den fremden Mann anzusehen und fürchteten sich, denn die armen Kleinen hatten ja außer ihrer Mutter noch nie einen Menschen gesehen. Erst auf das Zureden der Mutter kamen sie schüchtern näher und blickten, sich an die Arme der Mutter schmiegend, mit großen Augen auf den fremden Mann, welcher mit ihnen recht lieb und freundlich tat. Mit Tränen in den Augen dachte er sich: »So groß müßten jetzt meine Kinder auch sein, wenn sie noch am Leben wären!«
Der König saß am Feuer und trocknete seine Kleider; da überfiel ihn der Schlaf und er schlummerte ein. Als sie sah, daß er schlafe, sagte sie ihren Kindern, dieser Mann sei ihr Vater; sie sollten daher, wenn er wieder erwache, recht freundlich mit ihm sein. Da geschah es, daß dem schlafenden Könige der Hut vom Kopfe auf die Erde fiel. »Johannes,« befahl die Mutter, »heb dem Vater den Hut auf!« Der Knabe gehorchte, der König aber war halb erwacht und hatte die Worte gehört. »Was soll das sein?« dachte er sich, »ich will mich nun stellen, als ob ich schlafe und den Hut wieder fallen lassen.« Nach einer Weile fiel der Hut wieder auf den Boden. »Joseph,« rief die Mutter, »heb dem Vater den Hut auf!« Als der König dies hörte, richtete er sich auf und sagte: »Frau, warum nennt Ihr mich Vater?« Da lächelte sie und sagte: »Seht mich einmal recht an!« Da brach er in Tränen aus und sagte: »Ja, Ihr gleichet ganz meiner Frau, aber es ist nicht möglich, daß Ihr es seid; denn meine geliebte Gemahlin war ohne Hände.« Da rief sie: »Und doch ist es möglich, mein herzgeliebter Gemahl, Gott hat mir meine Hände wieder gegeben, und diese Knaben sind deine Kinder!« Da umarmten sie sich, daß ihnen vor Seligkeit das Herz fast brechen wollte; dann nahm er die beiden Knaben auf die Arme und konnte sich an ihnen nicht satt sehen und küßte sie in einem fort, während die Tränen der Freude über seine Wangen rannen. Sie blieben die ganze Nacht beisammen und konnten sich nicht genug erzählen.
Am Morgen wollte er sie und die Knaben mit sich in die Stadt führen, aber sie sagte: »Mein herzliebster Gemahl, die Heiligen haben mir geboten, für immer hier zu bleiben, und ich muß ihnen gehorchen.« Da sprach er kein Wort dagegen, sondern küßte sie und die Knaben zum Abschied und sagte: »Ich werde bald wieder zu euch kommen.«
Er kehrte in die Stadt zurück. Dort legte er die Krone und die Regierung nieder, verkaufte alles, was er hatte, wählte unter seinen Dienern die treuesten aus und kehrte dann zu seiner Frau und seinen Kindern zurück. Da lebten sie im schönen, stillen, grünen Bergtal noch lange Jahre froh zusammen und genossen in reichlichstem Maße jenes Glück, welches nur die wahre treue Liebe der Herzen und der heilige Friede der Seele den Menschen zu bieten vermag.
(Welschtirol)
[Österreich: Ignaz und Josef Zingerle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol]