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Die singende Rose

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Ein König hatte drei Töchter, die waren alle drei weit schöner als die Jungfräulein heutzutage, und jede von ihnen hatte schon das sechzehnte Lebensjahr überschritten. Da dachte der König daran, eine von den drei Töchtern zur Königin zu machen. Er wußte aber nicht, welche er den übrigen zweien vorziehen sollte. Eines Tages ließ er nun alle drei vor sich kommen und sagte zu ihnen: »Meine lieben Kinder, ich bin jetzt alt und gebrechlich und jeder Tag ist mir von Gott geschenkt. Bevor ich aber sterbe, möchte ich alles in meinem Reiche in Ordnung bringen und eine von euch zur Erbin des Königreichs ernennen. Gehet nun hinaus in die weite Welt und diejenige von euch, welche bei ihrer Rückkehr eine singende Rose mitbringt, soll meinen Thron erben und Königin sein über das ganze Land.« Als die drei Töchter dies gehört hatten, nahmen sie weinend Abschied von ihrem alten Vater und gingen aufs Geratewohl hinaus ins fremde Land, jede auf einem andern Wege.
Einmal traf es sich, daß die jüngste und schönste von ihnen durch einen finstern Tannenwald zu gehen hatte. Da sangen allerlei Vögel durcheinander, es war eine rechte Freude ihnen zuzuhören. Bald aber fing es an zu dämmern und die Vöglein flogen in ihre Nester und nach und nach wurde es mäuschenstille. Da fing es auf einmal an zu tönen, so hell und laut und schön, wie es die Königstochter weder von Vögeln noch Menschen jemals gehört hatte, und sie dachte sich sogleich: »Das ist nichts anderes als die singende Rose.«
Sie ging nun eiligst auf die Stelle los, woher der Gesang zu tönen schien. Sie war noch nicht lange gegangen, da sah sie auf einem Felsen ein großes altertümliches Schloß, von dem die herrlichsten Töne in den Wald herabklangen. Mit allem Eifer stieg sie zum Schlosse hinan und zog einigemal an der Klinke. Da öffnete sich endlich knarrend das Tor und ein alter Mann mit langem, eisgrauem Barte schaute heraus. »Was ist dein Begehren?« fragte er griesgrämig die erschrockene Jungfrau. »Ich möchte eine singende Rose,« antwortete diese, »habt ihr nicht eine solche in Eurem Garten?« »Jawohl«, antwortete der Alte. »Nun was verlangt Ihr dafür, wenn Ihr mir dieselbe mitgebt?« »Zu geben brauchst du mir gar nichts für die singende Rose. Du kannst dieselbe heute noch haben, aber dafür werde ich in sieben Jahren kommen und dich mit mir in dieses mein Schloß nehmen.« »So bringt mir nur schnell diese kostbare Blume,« rief die Jungfrau erfreut, denn sie dachte nur an die singende Rose und an das Königreich, nicht aber an das, was nach sieben Jahren geschehen sollte.
Der Alte begab sich in das Schloß zurück und kam bald wieder mit einer vollen, glühenden Rose zurück, die sang so schön, daß der Jungfrau vor Freuden das Herz hüpfte. Sie streckte begierig die Hand danach aus und als sie die Blume in ihren Händen hatte, sprang sie wie ein Reh den Berg hinab, der Greis rief aber noch mit ernster Stimme nach: »Auf Wiedersehen in sieben Jahren.«
Die Jungfrau wanderte nun mit ihrer Rose die ganze Nacht durch den finstern Wald, denn die Freude über die singende Blume und das erworbene Königreich ließ sie alle Furcht vergessen. Die Rose sang aber auch auf dem ganzen Wege unausgesetzt fort und je lauter sie sang, desto freudiger und schneller eilte die Königstochter der Heimat zu.
Als sie daselbst angelangt war und dem Vater alles erzählte, was ihr begegnet war, und die Rose so herrlich sang, da war eine unermeßliche Freude im Schlosse und der König ließ ein Fest nach dem andern anstellen. Bald kamen auch die beiden älteren Schwestern, allein sie hatten nichts gefunden und unverrichteter Sache wieder umkehren müssen. Jetzt wurde die jüngste Tochter, welche die Rose gebracht hatte, Königin; der alte Vater aber führte noch die Regierung fort. Die königliche Familie lebte nun recht schöne, fröhliche Tage, – allein schleunig verstrich Tag um Tag und Jahr um Jahr.
Endlich ging auch das siebente Jahr zu Ende und am ersten Morgen des achten erschien schon der Alte aus dem Schlosse vor dem Könige und verlangte von ihm diejenige von seinen Töchtern, welche die singende Rose nach Hause gebracht habe. Da stellte ihm der König die älteste Tochter vor, der Alte aber schüttelte unwillig den Kopf und murrte: »Das ist nicht die rechte.« Wie nun der König sah, daß da mit Betrug nichts auszurichten sei, übergab er ihm mit blutendem Herzen das jüngste und liebste seiner Kinder.
Die Königstochter mußte nun mit dem griesgrämigen Graubarte in jenes Schloß wandern, aus dem sie einst die singende Rose geholt hatte. Das war für die schöne Jungfrau ein sehr trauriger Aufenthalt, denn sie hatte niemanden um sich als den alten Gebieter, und Tag und Nacht dachte sie mit großem Herzeleid an ihren Vater und ihre Schwestern. Andere Freuden hatte sie freilich im Schlosse vollauf, aber nichts konnte sie trösten, weil sie keine liebe Gesellschaft um sich hatte und ihre Gedanken immer in der Heimat waren. Zudem waren ihr alle Türen und Kästen im Schlosse versperrt und der Alte gab ihr keinen einzigen Schlüssel in die Hände.
Einmal vernahm sie – weiß Gott wo! – ihre älteste Schwester wolle sich mit einem benachbarten Fürsten vermählen und in wenigen Tagen solle die Hochzeit sein. Da ließ es ihr nun keine Ruhe mehr, sie ging zu dem Alten und bat ihn um die Erlaubnis, bei der Hochzeit ihrer Schwester zugegen sein zu dürfen.
»Nun, so geh halt!« brummte der Alte. »Aber das sag ich dir zum voraus, den ganzen Hochzeitstag hindurch sollst du mir nicht lachen. Übertrittst du mein Gebot, so zerreiße ich dich in tausend Stücke. Ich selbst werde in einem fort an deiner Seite bleiben und sobald du nur zum Lachen den Mund verziehst, ist’s um dich geschehen. Also wohlgemerkt!«
Der Königstochter schien dies ein leichtes und am bestimmten Tage erschien sie mit dem alten Graubart bei der Hochzeit ihrer Schwester. Es war große Freude im Königsschlosse, als man die lange vermißte Königin wieder herankommen sah. Diese war recht fröhlich und machte sich den Tag wohl zunutze, aber sie vergaß auch das Gebot des Alten nicht und verzog nicht einmal den Mund zum Lachen. Abends mußte sie wieder Abschied nehmen von den Ihrigen und trübselig ging sie mit ihrem Begleiter in das einsame Schloß zurück. Da fingen nun wieder langweilige Zeiten an, so daß die arme Königstochter immer froh war, wenn wieder ein Tag heimging.
Da kam nun einmal das Gerücht zu ihren Ohren, die andere Schwester werde auch in Kürze Hochzeit haben. Da ließ es ihr wieder keine Ruhe und sie fragte den Alten, ob sie denn nicht bei der Hochzeit ihrer zweitgeborenen Schwester zugegen sein dürfte. »So geh denn,« brummte der Alte, »aber diesmal darfst du den ganzen Tag kein Wort reden. Ich werde wieder mit dir gehen und dich fleißig beobachten.«
Der Königstochter schien das ein leichtes und am bestimmten Tage erschien sie mit dem alten Graubarte bei der Hochzeit ihrer Schwester und es war große Freude im Königsschlosse, als man die lange vermißte Königin wieder einmal herankommen sah. Alles eilte ihr entgegen und begrüßte und bewillkommte sie und fragte sie um allerlei Dinge. Sie aber tat, als ob sie stumm wäre, und ließ kein Sterbenswörtlein über ihre schönen Lippen fahren. Es war ihr dabei freilich auch nicht so wohl zumute wie das vorige Mal und abends, als alles ineinander schwätzte, so daß es ein Summen abgab wie in einem Bienenkorbe, da entschlüpfte auch ihr ein Wörtlein. Der Alte stand rasch auf, nahm sie bei der Hand und führte sie aus dem Saale in sein einsames Schloß. Hier hatte nun wieder die Königstochter andere Dinge in Hülle und Fülle, aber alle liebe Gesellschaft mußte sie vermissen und es kam ihr wieder recht langweilig vor.
Eines Tages als sie eben traurig durch den Garten ging, in welchem einst jene Rose geblüht und gesungen hatte, kam der Alte auf sie zu und sagte mit ernster Miene: »Königliche Jungfrau! wenn du morgen, während es zwölf Uhr schlägt, in drei Streichen meinen Kopf abschlägst, so ist alles dein, was du im Schlosse findest, und du bist frei für immer!« Die Königstochter faßte sich bei der Rede des Alten ein Herz und sie entschloß sich, das Wagestück auszuführen.
Am andern Tage – es war Samstag – ein wenig vor zwölf Uhr erschien der Alte vor ihr und entblößte seinen Nacken. Sie zog das Schwert, das sie sich umgehängt hatte, und als die Schloßuhr den ersten Streich hören ließ, schwang sie das Schwert zum erstenmal, dann rasch nacheinander noch zweimal und der Kopf des Alten kugelte auf den Boden hin. Aber sieh da, statt des Blutes hüpfte aus dem Kopf ein Schlüssel heraus, der alle Kästen und Türen im ganzen Schlosse öffnete. Da fand nun die Königstochter viele, viele Kostbarkeiten und war steinreich und frei für immer.

(Bozen)
[Österreich: Ignaz und Josef Zingerle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol]

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