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Es waren einmal vor langer Zeit ein Vater und ein Sohn, die hatten beide Soldat werden müssen. Aber weder dem Vater, der doch durch seine Klugheit Offizier geworden war, noch auch dem Sohn wollte der enge Soldatenrock behagen, und es wäre ihnen ihr Bauernwams viel lieber gewesen.
Da begab es sich, daß beide bei kalter Winterszeit Wache stehen mußten, innen in der Wachstube war der Vater, der Sohn aber ging außen auf und ab und stampfte, daß es hallte. Endlich nach einer Weile stand er still, dann ging er schnell zum Vater hinein und sagte ihm: »Sei Soldat, wer da will, ich laufe davon!«
»Wenn du davonläufst«, antwortete ihm dieser, »dann mache ich’s auch nicht besser. Ich bin nun schon ein alter Kerl, man wird mir’s nicht so übelnehmen, wenn’s die jungen Burschen nicht mehr aushalten.«
Damit war’s beschlossen, sie nahmen Säbel und Gewehr mit und ließen Wache Wache sein.
Am Tag streiften sie in Wäldern umher, schossen Wild und nahmen, wo sie etwas fanden, abends stiegen sie auf einen Baum, um nicht entdeckt zu werden. Als sie umherschweiften, begegnete ihnen einer, den sie für einen alten Soldaten ansahen, und sie fragten ihn, woher er sei. Jener, der wohl sah, er habe es mit seinesgleichen zu tun, lachte und gab ihnen zu verstehen, daß er nicht gerne Wache gehalten habe, und nannte sich einen Polen.
Sie gingen nun mitsammen weiter und kamen zu einem wohlgebauten Haus. Tore und Türen fanden sie offen und Küche und Keller aufs beste bestellt, aber sie hörten und sahen im Haus keine Menschenseele. Das hatte indessen nichts zu sagen, sie waren froh, wenn nur niemand kam, und ließen sich’s gerne gefallen, immer zu bleiben. Wirklich kam auch niemand.
Tags darauf gingen Vater und Sohn auf die Jagd und der Pole blieb daheim, achtzugeben, daß nicht Feuer auskomme. Während er sich sein Mittagmahl herrichtete, kam ein recht schmutziger, alter Bettler zu ihm in die Küche, der hatte einen langen, schwarzen Bart und bat aufs kläglichste, sich auf den Herd setzen zu dürfen, weil ihm so kalt sei.
»Setz dich nur hinauf, Alter!« brummte der Pole und arbeitete indessen dieses und jenes in der Küche. Sobald aber das bärtige Bettelmännlein merkte, daß man auf ihn nicht mehr achtgab, sprang es vom Herd und zerkratzte und zerzauste den armen Deserteur aufs jämmerlichste und war schnell wieder fort.
Abends kamen die anderen nach Hause, und als sie ihren Kameraden so übel zugerichtet sahen, fragten sie, wie das zugegangen war.
»Ja«, antwortete er, »da kam heute eine große Katze, die setzte sich auf den Herd, und als ich nicht aufpaßte, sprang sie mir ins Gesicht – das andere seht ihr schon selber.«
Die zwei lachten und gingen zu Bett.
»Heute gehen wir zwei jagen, ich und der Pole«, sagte am anderen Tag der Sohn zum Vater, »schau fein, daß dich die Katz‘ in Ruh‘ läßt.«
Die Jäger gingen fort, und der Vater besorgte zu Hause die Geschäfte. Gegen Mittag klopfte es an der Haustür. Der Vater machte auf, und draußen stand das alte, bärtige Männlein und bat inständig um Einlaß, weil ihm so kalt sei.
Da ging es nun wie am vorigen Tag. Nach einer Viertelstunde war der Schelm fort, und der alte Soldat fluchte und wischte sich das Blut vom zerkratzten Gesicht; am Abend aber mußte er gleichwohl auch der Katze die Schuld geben, denn er schämte sich, daß er sich von dem alten Wicht hatte überlisten lassen.
Am dritten Tag blieb der Sohn zu Hause. Es dauerte nicht lange, da kam der schmutzige Bettler und bat um die Erlaubnis, sich ans Feuer setzen zu dürfen.
»Von mir aus«, sagte der Junge mürrisch und dachte bei sich: Aha, das Männlein schaut noch tückischer drein als unser Korporal, wenn er sich einen neuen Prügelstock abschnitt. Vielleicht ist’s gar die große Katze, die dem Vater und dem Polen so viel zu schaffen machte. Er stellte sich, als ob er den Bettler ganz unbeachtet lasse, gab aber gut auf ihn acht.
Sobald sich jener unbemerkt glaubte, sprang er vom Herd; aber der Junge hatte ihn im nämlichen Augenblick schon am Bart gefaßt und schleppte ihn lachend unter das Dach hinauf, wo er ihn festband und mit Stricken beim Bart an einen Nagel hängte.
Beim Abendessen fragte der Vater ganz verwundert, ob die Katze nicht gekommen sei, während er auf der Jagd war.
»Ja«, sagte der Sohn, »geht nur und schaut, unter dem Dach oben hängt sie.«
Da sprangen alle vom Tisch auf, die Katze anzuschauen, sahen aber nur den langen, schwarzen Bart des Männleins am Strick hängen, und über den Estrich hin bis hinab über die Stiege zogen sich Blutspuren. Wohin mag nun etwa das Männlein geflohen sein? Fort war es nun einmal, wenn auch ohne Bart. Neugierig gingen sie der blutigen Spur nach und kamen bis zu einem großen Stein, wo sie aufhörte. In der festen Überzeugung, das Männlein müßte da hineingeschlüpft sein, wälzten sie den Stein weg und fanden, daß er über eine große Öffnung hingeworfen war, die tief unter die Erde führen mußte.
Nur allzugerne hätten die drei gewußt, wie es unten etwa aussehe, und waren ganz einverstanden, als der Sohn sagte, das Männlein dürfe nicht auskommen; aber damit waren sie nicht einverstanden, daß sie hinabsteigen sollten, weil ihnen der Aufenthalt des tückischen Bettlers doch gar zu unheimlich schien. So dachten der Vater und der Pole; der Sohn aber hatte sich ein Herz gefaßt und war ins Haus zurückgelaufen, um Stricke und Seile zu holen.
Bald war er wieder mit Stricken versehen zurückgekommen und verlangte ohne weiteres, sie sollten oben festhalten, während er am Seil hinabglitte, und ihn erst dann wieder heraufziehen, wenn er ihnen durch Anziehen des Strickes ein Zeichen geben werde. Die zwei waren es zufrieden, wenn es nur nicht ihnen auf die Haut ginge, und hielten aus Leibeskräften. Das Seil war schon fast zu kurz geworden, da kam zum Glück der unerschrockene Jüngling unten an und wußte kaum, was er denken sollte, wie er vor sich die schönste, lieblichste Landschaft erblickte. Er dachte gar nicht mehr daran, daß oben seine Genossen ihn erwarteten, und ging immer voll Freude auf den sonnigen Feldern vorwärts, denn ihn lockten in der Ferne drei Schlösser, und er gab sich selbst das Versprechen, nicht eher zu ruhen, als bis er sie erreicht hätte. Da er immer auf die Schlösser schaute, hätte er bald einen Hirten und eine Herde am Weg übersehen. Es war das Männchen ohne Bart – doch nach einem flüchtigen Blick eilte er vorüber immer rascher und schneller, bis er endlich das erste der Schlösser erreichte.
Durch ein großes Tor trat er in den Hof, und von dort stieg er über glatte Marmorsteine hinauf, aber das ganze Schloß schien wie ausgestorben. Nur ein Wesen trat ihm endlich nach langem Suchen entgegen, es war die Herrin des Palastes. Sie schien dem jungen Wanderer die lieblichste Jungfrau auf der ganzen weiten Welt.
Wie erschrocken wandte sie sich an den staunenden Gast und bat ihn, entweder schnell sich zu entfernen oder in jedem Augenblick bereit zu sein, einen furchtbaren Kampf mit einem Ungetier zu bestehen. »Aber«, setzte sie noch mit sichtbarer Freude hinzu, »bist du Sieger im Kampf, dann bist du dadurch auch mein Befreier und nicht bloß der meinige, sondern auch der meiner zwei Schwestern, die in den anderen beiden Schlössern verzaubert sind. Zwar mußt du auch für sie noch vieles wagen, aber es wird dir leichter fallen. So wisse, ich und meine Schwestern sind die Kinder eines reichen Königs, die von einem bösen Schwarzkünstler in diese einsamen Schlösser verzaubert wurden, wo uns greuliche Drachen und siebenköpfige Adler und ein furchtbar wütender Hund bewachen. Merke wohl darauf, daß mein grausiger Wächter, wenn er kommt, nicht so leicht durch das Tor eindringen kann, sonst bist du verloren.«
So schnell wie möglich wurden jetzt alle Tore fest geschlossen, und nur ein Torflügel wurde offengelassen. Kaum war das geschehen, da wurde es völlig dunkel vor dem Tor, wo der Jüngling sich mit einer gewaltigen Hacke bereithielt, und durch das halb geöffnete Tor streckte ein ungeheurer Drache seinen Rachen und schnaubte Rauch und giftiges Feuer, da er merkte, daß man ihn nicht einlassen wollte. Aber das Tor war fest, und ehe der Schlangenleib zur Hälfte hereinkommen konnte, lagen schon alle seine sieben Köpfe auf dem Boden, und augenblicklich wurde es im ganzen Schloß lebendig, und was da war vom geringsten Diener bis zur Prinzessin dankte seinem Retter. Die Prinzessin aber war jetzt noch zehnmal schöner als früher, und mit der Bitte, sie nicht zu vergessen, wenn auch ihre Schwestern durch ihn befreit wären, gab sie ihm ein goldenes Krönlein und wünschte ihm viel Glück bei der Befreiung der Schwestern.
Bist doch ein rechtes Glückskind! dachte sich unser Held, als er das Schloß verließ, um nur ja recht bald zu den anderen beiden zu gelangen. Und als er nach wenigen Stunden mit den lieblichen Königskindern wieder zum Schloß zurückkam, da dachte er: Nun bist du noch ein weit seligeres Glückskind. Durch seine Unerschrockenheit war es ihm gelungen, auch sie zu befreien, und von ihnen hatte er einen Ring und ein Kettlein aus hellem Gold bekommen, als Andenken an den Tag der Erlösung.
Nun begann die freudige Reise zum alten König zurück. Da mußten sie zum ersten Schloß zurück, wo der junge Retter sich am Strick herabgelassen hatte. Als sie zum Strick kamen, der von der Öffnung herabhing, die nach oben führte, gab der Sohn dem Vater und dem Polen, die, wie er wußte, oben seiner warteten, das Zeichen durch Anziehen des Strickes, und nun wurden zuerst die glücklich Befreiten hinaufgezogen. Jetzt kam die Reihe an den Befreier selbst. Eben wollte er das Seil ergreifen, als es zu seinem Schrecken herabfiel, und von der Öffnung her kam es ihm gerade vor, als ob er den Polen und den Vater lachen hörte.
Da war guter Rat teuer – der Betrogene aber, denn das war er, wußte sich gar nicht zu helfen. Am meisten schmerzte ihn, daß er so ganz und gar allein war und auch seine Prinzessin nicht mehr sehen konnte. Jetzt fiel ihm das alte Männlein ein, das er früher gesehen hatte, das wollte er nun aufsuchen, um wenigstens eine Ansprache zu haben. Er fand es auch und klagte ihm, weil er sonst niemandem klagen konnte, seine große Not.
»Siehst du«, sagte da das Männlein, »wenn du mir auch übel mitgespielt hast, ich will dir helfen, wenn du mir folgst. Ich besitze die Kunst mich zu verwandeln, in was ich will. Nun verwandle ich mich in einen großen Adler und trage dich hinauf. Aber ich werde sehr matt vom Flug, und da mußt du geschwind ein Lamm schlachten und es in drei Teile zerteilen. Sooft ich dann schreien werde, mußt du mir schnell ein Stück geben, sonst fallen wir herab, und du bist tot.«
Was das Männlein versprach, erfüllte es auch sogleich, und so packte der Adler mit seinen Klauen den Jüngling, dieser aber trug das Fleisch. Dreimal hatte schon der schnellfliegende Vogel nach Futter geschrien, und noch waren sie nicht oben, als er zum viertenmal schrie. Das Lamm war verzehrt – was nun? Schnell schnitt sich der Soldat ein Stück von seiner Wade herunter und gab es dem Adler zu fressen, denn anders wußte er sich nicht mehr zu helfen. Einige Augenblicke noch, und sie waren oben.
Der Adler war nun wieder zum alten Männlein geworden und dankte dem Soldaten herzlich für die Befreiung, die er dadurch erlangte, daß er ihm ein Stück von der Wade zu fressen gab. »Das war das einzige Mittel meiner Rettung«, sagte es, »auch ich bin verzaubert worden, und jenes Haus, in das du und dein Vater zuerst gekommen seid, gehörte mir; nun übergebe ich es dir. Ich will dich auch zu einem Brünnlein führen, wo deine Wunde an der Wade alsbald heil wird, dann magst du deines Weges weitergehen.«
Darauf war das Männlein, nachdem es ihm das Heilbrünnlein gezeigt hatte, fort, und er sah es nicht wieder.
Der erste Gedanke, den nun der junge Deserteur hatte, war, in die Stadt des Königs zu gehen, dessen Töchter er befreit hatte, und sei sie auch, wo sie wolle. Die andern haben mich betrogen, dachte er, vielleicht betrügt mich das Glück nicht. Und richtig, das Glück schien ihn zu begleiten, denn eher, als er dachte, gelangte er ans Ziel seiner Reise. Er befand sich schon nach einigen Tagen in der Königsstadt, wo alles vom Größten bis zum Kleinsten sich der Freude hingab und ihm jeder, den er fragte: »Warum so lustig, Bruder?«, froh zur Antwort gab: »Ja, weil die Königskinder wieder da sind und bald Hochzeit sein wird.«
Daß die Königskinder da waren, das war unserem Wanderer freilich lieb und recht, aber die Hochzeit kam ihm ein wenig zu schnell. Allein er konnte unter so vielen fröhlichen Gesichtern doch auch nicht traurig sein und mußte, als er erfuhr, der Vater und der Pole hätten sich für die Befreier der Prinzessinnen ausgegeben, zum schlechten Spiel gute Miene machen. Nur eines gab ihm noch Hoffnung, seine drei Andenken: sein Krönlein, das Ringlein und das Kettlein. Ich will zum König gehen, sagte er zu sich selbst, bei der Hochzeit habe ich auch etwas dreinzureden, und er sah dann wieder die hohen Paläste und dies und das an, um sich zu zerstreuen.
Da gewahrte er einen Mann in einer offenen Werkstätte sitzen, und der feilte so emsig an einem goldenen Ding, daß ihn wundernahm, was das abgebe. Er ging hinzu und fragte: »Was feilt Ihr denn da? Ihr schaut Euch ja völlig die Augen heraus?«
»Das braucht es auch«, antwortete der Goldschmied, ohne aufzusehen, »wenn die Prinzessin eine schöne Krone bekommen soll und ich eine schöne Belohnung.«
»Ei, willkommen, Meister«, lachte nun der Wanderer, »ich bin ein Goldschmiedgeselle, wollt Ihr mich nicht in Dienst nehmen? Ich hoffe, Ihr sollt zufrieden sein.«
Der Meister gab ihm dazu bald sein Jawort, der neue Goldschmiedgeselle verlangte ein Zimmer allein, wo er ganz ungestört arbeiten könnte, und schloß sich nun, ohne sich viel sehen zu lassen, eine ganze Woche lang ein. Dann nahm er sein Krönlein, gab es dem Meister und ging schnell wieder fort zu einem anderen Goldarbeiter, denn er hatte erfahren, daß auch ein Brautring und ein Halsgeschmeide für die zwei älteren Königstöchter noch angefertigt würden. Der Goldschmied war aber ganz erstaunt über die kunstvolle Arbeit der neuen Krone und hatte jetzt nichts Eiligeres zu tun, als diese ausgezeichnete Arbeit dem König zu zeigen.
Sobald aber der König und die Prinzessinnen das herrliche Krönlein sahen, schrie die jüngste laut auf, und die beiden älteren sahen einander freudig an, denn sie wußten wohl, wer dieses Krönlein einst getragen hatte, und waren nun voll froher Hoffnung, ihren wahren Befreier wiederzufinden.
Gleich mußte der Goldarbeiter alles erzählen, wie er zu dem Krönlein gekommen war, und als er nun vom fremden Gesellen sprach, da drängten alle, ihn schnell holen zu lassen. Jedoch schien alle Eile vergeblich, und selbst als der zweite Goldschmied mit dem goldenen Brautringlein, das ein fremder Geselle gefertigt hatte, sich vor dem König meldete, war alles Nachforschen umsonst und der fremde Künstler schon wieder fort. Die Königskinder aber waren teils voll froher Hoffnung, teils traurig.
Inzwischen war es in der ganzen Stadt laut geworden, die vermeintlichen Befreier der Königstöchter seien böse Betrüger, und der eigentliche Befreier sei angekommen und halte sich wahrscheinlich in der Stadt auf.
Unser junger Wanderer war bis jetzt schon beim dritten Meister als Lehrjunge im Dienst und sollte, so gut er nur immer könnte, ein goldenes Halskettlein machen, was er auch ganz auf die nämliche Art und Weise wie bei den vorigen Meistern zu tun versprach. Der neue Meister aber war schlauer als die vorigen, und sobald er merkte, daß der Geselle sich nur so stelle, als ob er arbeite, während er sich aber in seinem abgeschlossenen Zimmer mit anderen Sachen beschäftigte, ging er in der völligen Gewißheit, den Vogel gefangen zu haben, in den Königspalast und meldete, er könnte Auskunft über den fremden Künstler geben, der Krone und Brautringlein gemacht hatte.
Gleich wurde zum Goldarbeiter geschickt, die königlichen Boten trafen den langgesuchten Künstler bald an und überraschten ihn, wie er eben lächelnd das Halskettlein betrachtete. Sie führten ihn voll Freude zum König.
Das war nun ein schöner Tag für das ganze Königshaus und ein fröhliches Wiedersehen für den Befreier und die Befreiten. Kurz darauf nahm der Glückliche die schönste und jüngste der Königstöchter bei der Hand und führte sie zum Hochzeitstanz. Dem Vater und dem Polen aber vergingen die lustigen Tage, denn sie wurden ins einsame Waldhaus verbannt zur Strafe für ihren Betrug, und sie fürchteten sich noch oft vor dem alten, tückischen Bettelmännlein.
Da begab es sich, daß beide bei kalter Winterszeit Wache stehen mußten, innen in der Wachstube war der Vater, der Sohn aber ging außen auf und ab und stampfte, daß es hallte. Endlich nach einer Weile stand er still, dann ging er schnell zum Vater hinein und sagte ihm: »Sei Soldat, wer da will, ich laufe davon!«
»Wenn du davonläufst«, antwortete ihm dieser, »dann mache ich’s auch nicht besser. Ich bin nun schon ein alter Kerl, man wird mir’s nicht so übelnehmen, wenn’s die jungen Burschen nicht mehr aushalten.«
Damit war’s beschlossen, sie nahmen Säbel und Gewehr mit und ließen Wache Wache sein.
Am Tag streiften sie in Wäldern umher, schossen Wild und nahmen, wo sie etwas fanden, abends stiegen sie auf einen Baum, um nicht entdeckt zu werden. Als sie umherschweiften, begegnete ihnen einer, den sie für einen alten Soldaten ansahen, und sie fragten ihn, woher er sei. Jener, der wohl sah, er habe es mit seinesgleichen zu tun, lachte und gab ihnen zu verstehen, daß er nicht gerne Wache gehalten habe, und nannte sich einen Polen.
Sie gingen nun mitsammen weiter und kamen zu einem wohlgebauten Haus. Tore und Türen fanden sie offen und Küche und Keller aufs beste bestellt, aber sie hörten und sahen im Haus keine Menschenseele. Das hatte indessen nichts zu sagen, sie waren froh, wenn nur niemand kam, und ließen sich’s gerne gefallen, immer zu bleiben. Wirklich kam auch niemand.
Tags darauf gingen Vater und Sohn auf die Jagd und der Pole blieb daheim, achtzugeben, daß nicht Feuer auskomme. Während er sich sein Mittagmahl herrichtete, kam ein recht schmutziger, alter Bettler zu ihm in die Küche, der hatte einen langen, schwarzen Bart und bat aufs kläglichste, sich auf den Herd setzen zu dürfen, weil ihm so kalt sei.
»Setz dich nur hinauf, Alter!« brummte der Pole und arbeitete indessen dieses und jenes in der Küche. Sobald aber das bärtige Bettelmännlein merkte, daß man auf ihn nicht mehr achtgab, sprang es vom Herd und zerkratzte und zerzauste den armen Deserteur aufs jämmerlichste und war schnell wieder fort.
Abends kamen die anderen nach Hause, und als sie ihren Kameraden so übel zugerichtet sahen, fragten sie, wie das zugegangen war.
»Ja«, antwortete er, »da kam heute eine große Katze, die setzte sich auf den Herd, und als ich nicht aufpaßte, sprang sie mir ins Gesicht – das andere seht ihr schon selber.«
Die zwei lachten und gingen zu Bett.
»Heute gehen wir zwei jagen, ich und der Pole«, sagte am anderen Tag der Sohn zum Vater, »schau fein, daß dich die Katz‘ in Ruh‘ läßt.«
Die Jäger gingen fort, und der Vater besorgte zu Hause die Geschäfte. Gegen Mittag klopfte es an der Haustür. Der Vater machte auf, und draußen stand das alte, bärtige Männlein und bat inständig um Einlaß, weil ihm so kalt sei.
Da ging es nun wie am vorigen Tag. Nach einer Viertelstunde war der Schelm fort, und der alte Soldat fluchte und wischte sich das Blut vom zerkratzten Gesicht; am Abend aber mußte er gleichwohl auch der Katze die Schuld geben, denn er schämte sich, daß er sich von dem alten Wicht hatte überlisten lassen.
Am dritten Tag blieb der Sohn zu Hause. Es dauerte nicht lange, da kam der schmutzige Bettler und bat um die Erlaubnis, sich ans Feuer setzen zu dürfen.
»Von mir aus«, sagte der Junge mürrisch und dachte bei sich: Aha, das Männlein schaut noch tückischer drein als unser Korporal, wenn er sich einen neuen Prügelstock abschnitt. Vielleicht ist’s gar die große Katze, die dem Vater und dem Polen so viel zu schaffen machte. Er stellte sich, als ob er den Bettler ganz unbeachtet lasse, gab aber gut auf ihn acht.
Sobald sich jener unbemerkt glaubte, sprang er vom Herd; aber der Junge hatte ihn im nämlichen Augenblick schon am Bart gefaßt und schleppte ihn lachend unter das Dach hinauf, wo er ihn festband und mit Stricken beim Bart an einen Nagel hängte.
Beim Abendessen fragte der Vater ganz verwundert, ob die Katze nicht gekommen sei, während er auf der Jagd war.
»Ja«, sagte der Sohn, »geht nur und schaut, unter dem Dach oben hängt sie.«
Da sprangen alle vom Tisch auf, die Katze anzuschauen, sahen aber nur den langen, schwarzen Bart des Männleins am Strick hängen, und über den Estrich hin bis hinab über die Stiege zogen sich Blutspuren. Wohin mag nun etwa das Männlein geflohen sein? Fort war es nun einmal, wenn auch ohne Bart. Neugierig gingen sie der blutigen Spur nach und kamen bis zu einem großen Stein, wo sie aufhörte. In der festen Überzeugung, das Männlein müßte da hineingeschlüpft sein, wälzten sie den Stein weg und fanden, daß er über eine große Öffnung hingeworfen war, die tief unter die Erde führen mußte.
Nur allzugerne hätten die drei gewußt, wie es unten etwa aussehe, und waren ganz einverstanden, als der Sohn sagte, das Männlein dürfe nicht auskommen; aber damit waren sie nicht einverstanden, daß sie hinabsteigen sollten, weil ihnen der Aufenthalt des tückischen Bettlers doch gar zu unheimlich schien. So dachten der Vater und der Pole; der Sohn aber hatte sich ein Herz gefaßt und war ins Haus zurückgelaufen, um Stricke und Seile zu holen.
Bald war er wieder mit Stricken versehen zurückgekommen und verlangte ohne weiteres, sie sollten oben festhalten, während er am Seil hinabglitte, und ihn erst dann wieder heraufziehen, wenn er ihnen durch Anziehen des Strickes ein Zeichen geben werde. Die zwei waren es zufrieden, wenn es nur nicht ihnen auf die Haut ginge, und hielten aus Leibeskräften. Das Seil war schon fast zu kurz geworden, da kam zum Glück der unerschrockene Jüngling unten an und wußte kaum, was er denken sollte, wie er vor sich die schönste, lieblichste Landschaft erblickte. Er dachte gar nicht mehr daran, daß oben seine Genossen ihn erwarteten, und ging immer voll Freude auf den sonnigen Feldern vorwärts, denn ihn lockten in der Ferne drei Schlösser, und er gab sich selbst das Versprechen, nicht eher zu ruhen, als bis er sie erreicht hätte. Da er immer auf die Schlösser schaute, hätte er bald einen Hirten und eine Herde am Weg übersehen. Es war das Männchen ohne Bart – doch nach einem flüchtigen Blick eilte er vorüber immer rascher und schneller, bis er endlich das erste der Schlösser erreichte.
Durch ein großes Tor trat er in den Hof, und von dort stieg er über glatte Marmorsteine hinauf, aber das ganze Schloß schien wie ausgestorben. Nur ein Wesen trat ihm endlich nach langem Suchen entgegen, es war die Herrin des Palastes. Sie schien dem jungen Wanderer die lieblichste Jungfrau auf der ganzen weiten Welt.
Wie erschrocken wandte sie sich an den staunenden Gast und bat ihn, entweder schnell sich zu entfernen oder in jedem Augenblick bereit zu sein, einen furchtbaren Kampf mit einem Ungetier zu bestehen. »Aber«, setzte sie noch mit sichtbarer Freude hinzu, »bist du Sieger im Kampf, dann bist du dadurch auch mein Befreier und nicht bloß der meinige, sondern auch der meiner zwei Schwestern, die in den anderen beiden Schlössern verzaubert sind. Zwar mußt du auch für sie noch vieles wagen, aber es wird dir leichter fallen. So wisse, ich und meine Schwestern sind die Kinder eines reichen Königs, die von einem bösen Schwarzkünstler in diese einsamen Schlösser verzaubert wurden, wo uns greuliche Drachen und siebenköpfige Adler und ein furchtbar wütender Hund bewachen. Merke wohl darauf, daß mein grausiger Wächter, wenn er kommt, nicht so leicht durch das Tor eindringen kann, sonst bist du verloren.«
So schnell wie möglich wurden jetzt alle Tore fest geschlossen, und nur ein Torflügel wurde offengelassen. Kaum war das geschehen, da wurde es völlig dunkel vor dem Tor, wo der Jüngling sich mit einer gewaltigen Hacke bereithielt, und durch das halb geöffnete Tor streckte ein ungeheurer Drache seinen Rachen und schnaubte Rauch und giftiges Feuer, da er merkte, daß man ihn nicht einlassen wollte. Aber das Tor war fest, und ehe der Schlangenleib zur Hälfte hereinkommen konnte, lagen schon alle seine sieben Köpfe auf dem Boden, und augenblicklich wurde es im ganzen Schloß lebendig, und was da war vom geringsten Diener bis zur Prinzessin dankte seinem Retter. Die Prinzessin aber war jetzt noch zehnmal schöner als früher, und mit der Bitte, sie nicht zu vergessen, wenn auch ihre Schwestern durch ihn befreit wären, gab sie ihm ein goldenes Krönlein und wünschte ihm viel Glück bei der Befreiung der Schwestern.
Bist doch ein rechtes Glückskind! dachte sich unser Held, als er das Schloß verließ, um nur ja recht bald zu den anderen beiden zu gelangen. Und als er nach wenigen Stunden mit den lieblichen Königskindern wieder zum Schloß zurückkam, da dachte er: Nun bist du noch ein weit seligeres Glückskind. Durch seine Unerschrockenheit war es ihm gelungen, auch sie zu befreien, und von ihnen hatte er einen Ring und ein Kettlein aus hellem Gold bekommen, als Andenken an den Tag der Erlösung.
Nun begann die freudige Reise zum alten König zurück. Da mußten sie zum ersten Schloß zurück, wo der junge Retter sich am Strick herabgelassen hatte. Als sie zum Strick kamen, der von der Öffnung herabhing, die nach oben führte, gab der Sohn dem Vater und dem Polen, die, wie er wußte, oben seiner warteten, das Zeichen durch Anziehen des Strickes, und nun wurden zuerst die glücklich Befreiten hinaufgezogen. Jetzt kam die Reihe an den Befreier selbst. Eben wollte er das Seil ergreifen, als es zu seinem Schrecken herabfiel, und von der Öffnung her kam es ihm gerade vor, als ob er den Polen und den Vater lachen hörte.
Da war guter Rat teuer – der Betrogene aber, denn das war er, wußte sich gar nicht zu helfen. Am meisten schmerzte ihn, daß er so ganz und gar allein war und auch seine Prinzessin nicht mehr sehen konnte. Jetzt fiel ihm das alte Männlein ein, das er früher gesehen hatte, das wollte er nun aufsuchen, um wenigstens eine Ansprache zu haben. Er fand es auch und klagte ihm, weil er sonst niemandem klagen konnte, seine große Not.
»Siehst du«, sagte da das Männlein, »wenn du mir auch übel mitgespielt hast, ich will dir helfen, wenn du mir folgst. Ich besitze die Kunst mich zu verwandeln, in was ich will. Nun verwandle ich mich in einen großen Adler und trage dich hinauf. Aber ich werde sehr matt vom Flug, und da mußt du geschwind ein Lamm schlachten und es in drei Teile zerteilen. Sooft ich dann schreien werde, mußt du mir schnell ein Stück geben, sonst fallen wir herab, und du bist tot.«
Was das Männlein versprach, erfüllte es auch sogleich, und so packte der Adler mit seinen Klauen den Jüngling, dieser aber trug das Fleisch. Dreimal hatte schon der schnellfliegende Vogel nach Futter geschrien, und noch waren sie nicht oben, als er zum viertenmal schrie. Das Lamm war verzehrt – was nun? Schnell schnitt sich der Soldat ein Stück von seiner Wade herunter und gab es dem Adler zu fressen, denn anders wußte er sich nicht mehr zu helfen. Einige Augenblicke noch, und sie waren oben.
Der Adler war nun wieder zum alten Männlein geworden und dankte dem Soldaten herzlich für die Befreiung, die er dadurch erlangte, daß er ihm ein Stück von der Wade zu fressen gab. »Das war das einzige Mittel meiner Rettung«, sagte es, »auch ich bin verzaubert worden, und jenes Haus, in das du und dein Vater zuerst gekommen seid, gehörte mir; nun übergebe ich es dir. Ich will dich auch zu einem Brünnlein führen, wo deine Wunde an der Wade alsbald heil wird, dann magst du deines Weges weitergehen.«
Darauf war das Männlein, nachdem es ihm das Heilbrünnlein gezeigt hatte, fort, und er sah es nicht wieder.
Der erste Gedanke, den nun der junge Deserteur hatte, war, in die Stadt des Königs zu gehen, dessen Töchter er befreit hatte, und sei sie auch, wo sie wolle. Die andern haben mich betrogen, dachte er, vielleicht betrügt mich das Glück nicht. Und richtig, das Glück schien ihn zu begleiten, denn eher, als er dachte, gelangte er ans Ziel seiner Reise. Er befand sich schon nach einigen Tagen in der Königsstadt, wo alles vom Größten bis zum Kleinsten sich der Freude hingab und ihm jeder, den er fragte: »Warum so lustig, Bruder?«, froh zur Antwort gab: »Ja, weil die Königskinder wieder da sind und bald Hochzeit sein wird.«
Daß die Königskinder da waren, das war unserem Wanderer freilich lieb und recht, aber die Hochzeit kam ihm ein wenig zu schnell. Allein er konnte unter so vielen fröhlichen Gesichtern doch auch nicht traurig sein und mußte, als er erfuhr, der Vater und der Pole hätten sich für die Befreier der Prinzessinnen ausgegeben, zum schlechten Spiel gute Miene machen. Nur eines gab ihm noch Hoffnung, seine drei Andenken: sein Krönlein, das Ringlein und das Kettlein. Ich will zum König gehen, sagte er zu sich selbst, bei der Hochzeit habe ich auch etwas dreinzureden, und er sah dann wieder die hohen Paläste und dies und das an, um sich zu zerstreuen.
Da gewahrte er einen Mann in einer offenen Werkstätte sitzen, und der feilte so emsig an einem goldenen Ding, daß ihn wundernahm, was das abgebe. Er ging hinzu und fragte: »Was feilt Ihr denn da? Ihr schaut Euch ja völlig die Augen heraus?«
»Das braucht es auch«, antwortete der Goldschmied, ohne aufzusehen, »wenn die Prinzessin eine schöne Krone bekommen soll und ich eine schöne Belohnung.«
»Ei, willkommen, Meister«, lachte nun der Wanderer, »ich bin ein Goldschmiedgeselle, wollt Ihr mich nicht in Dienst nehmen? Ich hoffe, Ihr sollt zufrieden sein.«
Der Meister gab ihm dazu bald sein Jawort, der neue Goldschmiedgeselle verlangte ein Zimmer allein, wo er ganz ungestört arbeiten könnte, und schloß sich nun, ohne sich viel sehen zu lassen, eine ganze Woche lang ein. Dann nahm er sein Krönlein, gab es dem Meister und ging schnell wieder fort zu einem anderen Goldarbeiter, denn er hatte erfahren, daß auch ein Brautring und ein Halsgeschmeide für die zwei älteren Königstöchter noch angefertigt würden. Der Goldschmied war aber ganz erstaunt über die kunstvolle Arbeit der neuen Krone und hatte jetzt nichts Eiligeres zu tun, als diese ausgezeichnete Arbeit dem König zu zeigen.
Sobald aber der König und die Prinzessinnen das herrliche Krönlein sahen, schrie die jüngste laut auf, und die beiden älteren sahen einander freudig an, denn sie wußten wohl, wer dieses Krönlein einst getragen hatte, und waren nun voll froher Hoffnung, ihren wahren Befreier wiederzufinden.
Gleich mußte der Goldarbeiter alles erzählen, wie er zu dem Krönlein gekommen war, und als er nun vom fremden Gesellen sprach, da drängten alle, ihn schnell holen zu lassen. Jedoch schien alle Eile vergeblich, und selbst als der zweite Goldschmied mit dem goldenen Brautringlein, das ein fremder Geselle gefertigt hatte, sich vor dem König meldete, war alles Nachforschen umsonst und der fremde Künstler schon wieder fort. Die Königskinder aber waren teils voll froher Hoffnung, teils traurig.
Inzwischen war es in der ganzen Stadt laut geworden, die vermeintlichen Befreier der Königstöchter seien böse Betrüger, und der eigentliche Befreier sei angekommen und halte sich wahrscheinlich in der Stadt auf.
Unser junger Wanderer war bis jetzt schon beim dritten Meister als Lehrjunge im Dienst und sollte, so gut er nur immer könnte, ein goldenes Halskettlein machen, was er auch ganz auf die nämliche Art und Weise wie bei den vorigen Meistern zu tun versprach. Der neue Meister aber war schlauer als die vorigen, und sobald er merkte, daß der Geselle sich nur so stelle, als ob er arbeite, während er sich aber in seinem abgeschlossenen Zimmer mit anderen Sachen beschäftigte, ging er in der völligen Gewißheit, den Vogel gefangen zu haben, in den Königspalast und meldete, er könnte Auskunft über den fremden Künstler geben, der Krone und Brautringlein gemacht hatte.
Gleich wurde zum Goldarbeiter geschickt, die königlichen Boten trafen den langgesuchten Künstler bald an und überraschten ihn, wie er eben lächelnd das Halskettlein betrachtete. Sie führten ihn voll Freude zum König.
Das war nun ein schöner Tag für das ganze Königshaus und ein fröhliches Wiedersehen für den Befreier und die Befreiten. Kurz darauf nahm der Glückliche die schönste und jüngste der Königstöchter bei der Hand und führte sie zum Hochzeitstanz. Dem Vater und dem Polen aber vergingen die lustigen Tage, denn sie wurden ins einsame Waldhaus verbannt zur Strafe für ihren Betrug, und sie fürchteten sich noch oft vor dem alten, tückischen Bettelmännlein.
(mündlich in Hall und zu Fließ im Oberinntal)
[Österreich: Ignaz und Joseph Zingerle: Kinder und Hausmärchen aus Süddeutschland]