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Es war einmal ein Jäger, der hatte ein Weib und viele Kinder, aber dabei eine sparsame Schüssel. Die Wirtschaft machte ihm viele Sorgen, und er hätte gern alles selbst getan, was es von Männerarbeit in und außer dem Hause zu tun gab; allein er machte es doch nicht recht und mußte bei seinem schmalen Einkommen auch noch einen Knecht halten. Mit der Jägerei ging es ihm, wie es jedem geht; heute bekam er etwas, morgen wieder nichts, und wenn er sich den ganzen Tag müde gelaufen hatte, so mußte er oft abends mit leerer Tasche heimgehen.
Nicht weit von seinem Haus war ein großmächtiger Berg, und auf diesem jagte er am häufigsten und am liebsten, weil er da doch am leichtesten ein Wild zu sehen bekam. Da sah er einmal, als er auf diesem Berg jagte, oberhalb des Fußsteigs einen Menschen liegen. Der Hund sprang hinzu, rannte mit lautem Bellen um den Liegenden herum und tat so wild, als ob er ihn zerreißen wollte. Der Jäger hatte genug zu tun, ihn zurückzuhalten, es kam ihm aber ganz sonderbar vor, daß der Hund, der sonst niemandem etwas zuleide tat, mit solcher Wut über diesen Menschen herfiel. Während der Hund um ihn herumbellte, erhob sich der Liegende ein wenig und sagte zum Jäger: »Sei doch so gut und gib mir diesen Hund zu kaufen.«
»Nein«, sprach der Jäger, »diesen Hund brauche ich selbst, und kann ihn dir nicht geben. Ich habe aber noch einen zu Hause, den kannst du bekommen, wenn es dir um einen Hund gerade zu tun ist.«
»Ist schon recht«, sagte der Liegende, »gib mir nur den anderen zu kaufen. Aber morgen gerade um diese Zeit mußt du ihn herbringen, dann wollen wir den Handel schließen. Hast du gehört – gerade um diese Zeit.«
Der Jäger gab sein Wort darauf, ging dann mit seinem Hund davon und jagte noch eine Weile auf dem Berg. Weil er aber gar nichts bekam, so ließ er das Herumlaufen gut sein und machte sich auf den Heimweg.
Als er nach Hause kam, ging er vor allem, seine Frau zu grüßen, und erzählte ihr, daß er den Hund, den er doch nie auf die Jagd mitnehme, verschachert habe. Die Jägersfrau war froh darüber und sagte: »Hättest ihm den andern schon auch lassen können; wir geben unser Brot besser den Kindern zu essen, als daß wir damit die Hunde füttern.«
Am anderen Tag, als es gegen die bestimmte Zeit ging, sagte der Jäger: »Ich muß jetzt mit dem Hund hinausgehen, sonst könnte der Mensch nicht warten, und mit dem Handel wäre es nichts.« Er lockte den Hund, den er dem Menschen versprochen hatte, und wollte gehen. Da lief sein dreizehnjähriges Töchterlein herbei und schrie: »O Vater, laßt mich auch mitgehen!«
»Aber warum willst du denn gerade heute mitgehen?« fragte der Jäger.
Das Mädchen wußte darauf keine Antwort zu geben, hörte aber nicht auf zu bitten, daß es mitgehen dürfe. Inzwischen kam auch die Jägerin herbei und half dem Mädchen, so daß der Vater endlich einwilligte und es mitgehen ließ.
Sie gingen nun hinaus auf den Berg und kamen zu dem Steig, an welchem der Mensch gestern gelegen hatte. Heut lag aber dort ein unbändiger Wurm, so daß dem Jäger bang wurde und er sich gleich dachte, mit dem Menschen, den gestern der Hund angebellt hatte, sei es nicht richtig gewesen. Er nahm sein Töchterlein an der Hand und sagte: »Geh, wir wollen umkehren. Mir ist schon gestern der Mensch nicht richtig vorgekommen, und heute liegt anstatt seiner ein Wurm da.«
Das Mädchen fürchtete sich auch, reichte ihm gerne die Hand, und sie wollten gehen. Da regte sich der Drache, schoß auf das Mädchen los, umschlang es mit dem Schweif und fuhr damit in den Berg hinein. Der Jäger war völlig starr geworden vor Schreck und schaute dem Ungetüm nach. Jetzt reute es ihn, daß er keine Büchse mitgenommen hatte; denn wäre er bewaffnet gewesen, so hätte er dem Drachen wohl doch was Gesalzenes auf die Haut gebrannt. Das bloße Nachschauen half aber nichts, und er mußte sich endlich entschließen, nach Hause zu gehen und die traurige Botschaft zu bringen.
Als er heimkam und mit dem verstörten Gesicht seiner Frau begegnete, fragte diese sogleich: »Wo hast du denn das Mädel gelassen, daß du es nicht mitbringst?«
Da kamen dem Jäger die Tränen in die Augen, und er erzählte weinend, was ihm begegnet war. Als die Jägersfrau das hörte, erschrak sie sehr, jammerte im ganzen Haus herum und sagte in einem fort: »Wir haben das Kind viel zuwenig gesegnet, sonst hätte es ihm nicht so übel ergehen können.«
Am anderen Tag ging der Jäger wieder hinaus auf den Berg, durchstreifte ihn den ganzen Tag nach allen Richtungen und meinte, er müsse eine Spur seines Kindes entdecken. Allein er fand nicht einmal ein Stücklein Gewand und mußte abends unverrichteterdinge wieder heimgehen. Allein er ließ sich nicht abschrecken, sondern ging noch oft und oft hinaus, suchte alle Winkel und Löcher durch und dachte auch beim Schießen immer an seine Tochter. Aber kein Suchen wollte etwas helfen, und es vergingen sieben Jahre, ohne daß er nur die mindeste Spur des Mädchens entdeckt hätte.
Nach sieben Jahren trug es sich zu, daß der Jäger mit seinem Knecht auf den Berg jagen ging. Da sahen sie ein schönes Wild vorüberrennen, setzten ihm nach und meinten es bald zu bekommen. Das Wild aber war immer gerade so weit von ihnen, daß sie nicht zu Schuß kamen, verlor sich aber nie ganz aus ihren Augen. Sie meinten, das Wild müßten sie heute noch kriegen, möchte es gehn, wie es wollte. So liefen sie ihm lange Zeit vergebens nach und merkten nicht, daß es schon zu dämmern anfing. Erst als es völlig Nacht war, hielten sie an, und der Jäger sagte zum Knecht: »Jetzt haben wir uns schön verspätet, es ist schon Nacht, und wir kommen nimmer heim.«
»Das ist mir gleich«, sagte der Knecht, »es ist ja nicht kalt, und wir können auf dem Boden hier ebensogut schlafen wie daheim im Bett.«
»Nein«, sprach der Jäger, »auf den Boden hier leg‘ ich mich nicht. Es ist ja gerade heute sieben Jahre, daß der Wurm mein Töchterlein weggetragen hat, und wenn wir da auf dem Boden lägen, so könnte es uns wohl auch passieren, daß ein Wurm oder sonst eine Bestie über uns herfällt und uns zerreißt.«
»Wart ein bißchen«, erwiderte der Knecht, »ich will da auf einen Baum hinaufsteigen und herumschauen, ob ein Haus in der Nähe ist.«
Da lachte ihn der Jäger aus und sagte: »Jawohl, ein Haus in der Nähe! Ich kenn‘ den ganzen Berg von oben bis unten und weiß ganz gewiß, daß hier herum kein Haus ist.«
Der Knecht ließ sich aber nicht abhalten, stieg auf den Baum und schaute umher. »Siehst du«, rief er auf einmal, »gerade ein bißchen ober uns sehe ich ein Licht, da oben ist gewiß ein Haus, wo wir über Nacht bleiben können.«
Dem Jäger kam das sonderbar vor, weil er nur gar zu gut wußte, daß in dieser Gegend weitum keine menschliche Seele ihre Wohnung hatte. Der Knecht stieg schleunig vom Baum herab und sagte: »Jetzt wollen wir hinaufgehen zu dem Licht und schauen, ob uns die Leute droben ein Obdach geben.«
Der Jäger hatte keinen Schneid, mitzugehen, weil aber der Knecht nicht nachgab und ihn auslachte, entschloß er sich endlich, und sie stiegen beide den Berg hinauf. Sie waren kurze Zeit gegangen, da funkelte das Licht ganz hell zwischen den Ästen durch, und der Jäger sah jetzt wohl, daß der Knecht richtig gesehen hatte. Allein es wurde ihm nur desto banger, weil er gewiß wußte, daß hier sonst niemals ein Haus stand, und seine Angst wurde noch größer, als sie einige Schritte vorwärts gegangen waren und ein herrliches Schloß vor ihnen stand, aus dem ihnen das Licht entgegenstrahlte.
Der Knecht blieb stehen und sagte: »Jetzt siehst du, wer von uns beiden recht gehabt hat. Das hab‘ ich mir gleich gedacht, wenn ein Licht am Berg ist, so ist ein Haus auch dabei. Wir wollen nun hinaufgehen und die Leute um Unterkunft bitten.«
Der Jäger riet ihm davon ab und sprach: »An diesem Platz bin ich oft gewesen, aber da ist niemals ein Schloß gestanden. Glaub mir, das ist nichts Rechtes. Wir wollen lieber umkehren und auf einem Baum übernachten.«
Der Knecht ließ sich nicht abhalten und sagte, er wolle einmal hineingehen, und sei es, was es wolle.
Dann muß ich halt auch mitgehen, dachte sich der Jäger und stieg mit dem Knecht zur Tür hinauf. Sie gingen hinein, der Knecht mutig voraus, der Jäger verzagt hintennach. Da kam ihnen eine wunderschöne Jungfrau entgegen und fragte sie, was sie wollten.
Der Knecht nahm das Wort und sagte: »Wir haben uns im Wald verspätet und kommen nimmer nach Hause. Dürften wir nicht um eine Nachtherberge bitten?«
»O ja«, erwiderte die Jungfrau, »über Nacht bleiben könnt ihr genug, aber nur eins sage ich euch: Ihr dürft euch weder grausen noch fürchten.«
»Wenn es weiter nichts ist«, sagte der Kecht, »dann können wir wohl über Nacht bleiben, denn grausen und fürchten tun wir uns gar nicht.«
Das konnte der Knecht wohl von sich sagen, aber der Jäger hinter ihm dachte ganz anders, obwohl er jetzt den Mund hielt und sich in das Schicksal fügte.
Die Jungfrau führte nun die beiden hinauf in ein Zimmer. Sie hieß sie da niedersetzen, ging dann in die Küche und brachte ihnen zu essen. Die zwei aßen mit gutem Appetit, und es kam ihnen gar kein Grausen. Während sie aßen, brachte die Jungfrau einen Bottich und stellte ihn im Zimmer nieder. Dann ging sie um Wasser und trug so lange Wasser herein, bis der Bottich voll war. Die zwei wußten nicht, was das zu bedeuten habe, und der Jäger fürchtete sich noch immer im stillen. Da kam auf einmal ein abscheulicher Wurm zur Tür herein und stürzte sich in den Bottich, daß das Wasser hoch aufspritzte. Der Jäger fürchtete sich jetzt noch mehr, denn soviel er ausnehmen konnte, war das der nämliche Wurm, der ihm vor sieben Jahren die Tochter geraubt hatte. Jetzt ging die Jungfrau zum Bottich und fing an, den Wurm fleißig zu waschen. Je länger sie wusch, desto roter wurde das Wasser, und zuletzt war es so rot, als ob lauter Blut in dem Gefäß wäre. Da mußten sich die zwei am Tisch stark zusammennehmen, daß ihr Herz nicht anfing zu flattern.
Als die Jungfrau den Wurm sauber gewaschen hatte, half sie ihm heraus. Da hub er an zu reden und sprach: »Jungfrau, möchtest du mich nicht heiraten?«
»Nein«, sagte sie, »das kann ich nicht, du bist ja ein Wurm, und ich bin ein Mensch.«
Er fragte sie noch einmal: »Jungfrau, tätest du mich nicht heiraten?«
Sie aber sagte wieder: »Nein, das kann ich nicht, du bist ja ein Wurm, und ich bin ein Mensch.«
Da fragte er sie zum dritten Male: »Jungfrau, möchtest du mich denn gar nicht heiraten?«
Da konnte sie es ihm nicht mehr abschlagen, sondern erbarmte sich über ihn und sagte: »Weil du nicht nachgibst, so will ich dich halt nehmen. Ich habe dich sieben Jahre gewaschen, nun werde ich dich wohl noch eine Weile waschen können.«
Kaum hatte sie das gesagt, war der Wurm verschwunden, und es stand anstatt seiner ein wunderschöner Jüngling vor ihr, der ihr als Bräutigam die Hand bot und sagte: »Du hast mich jetzt erlöst, zum Dank dafür will ich dich wirklich zur Frau nehmen und dir ein angenehmes Leben bereiten. Zeug und Sachen haben wir in dem Schloß genug, und das Schloß selbst wird auch nicht mehr verzaubert sein, wie es bisher war.«
Dann führte er die Jungfrau vor den Jäger und fragte ihn: »Kennst du dieses Mädchen?«
Der Jäger sagte: »Wie sollte ich sie kennen?«
»Schau sie einmal gut an«, sprach der Jüngling, »und sage, ob es nicht etwa deine Tochter ist. Sieben Jahre, bevor sie auf die Welt kam, war ich schon verbannt. Dreizehn Jahre mußte ich warten, bis ich sie auf mein Schloß brachte, und sieben Jahre hat sie mich täglich waschen müssen. Jetzt ist der Zauber aus, und ich nehme sie zu meiner Gemahlin. Ihr alle braucht jetzt keine Not mehr zu leiden, und auch wenn du noch mehr Kinder hättest, als du wirklich hast, würde mein Gut wohl ausreichen, für sie zu sorgen.«
Der Jäger wußte nicht, wie ihm geschah, als er dies alles mit anhörte, er schaute bald die Jungfrau, bald den Jüngling an und konnte es fast nicht glauben, daß die Frau sein Kind, der andere sein künftiger Schwiegersohn sein sollte. Aber wenn er seinen Augen trauen wollte, so mußte er doch glauben, daß seine Tochter wirklich vor ihm stehe, und warum er dem Jüngling nicht glauben sollte, das wußte er auch nicht. Er war völlig außer sich vor Freude, sprang auf, umarmte beide und dankte lange Zeit, daß alles so gut abgelaufen war.
Am anderen Tag gingen sie alle miteinander ins Jägerhaus und stellten sich der Jägersfrau vor und erzählten ihr die ganze Geschichte. Diese hatte eine solche Freude, daß es gar nicht zu sagen ist, und beeilte sich, die Anstalten zur Hochzeit zu treffen. Wie alles in Ordnung war, wurde die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert.
Von nun an hatten die Jägersleute bei dem Gemahl ihrer Tochter das beste Leben, und alle miteinander waren fein bis an ihr Ende.
Nicht weit von seinem Haus war ein großmächtiger Berg, und auf diesem jagte er am häufigsten und am liebsten, weil er da doch am leichtesten ein Wild zu sehen bekam. Da sah er einmal, als er auf diesem Berg jagte, oberhalb des Fußsteigs einen Menschen liegen. Der Hund sprang hinzu, rannte mit lautem Bellen um den Liegenden herum und tat so wild, als ob er ihn zerreißen wollte. Der Jäger hatte genug zu tun, ihn zurückzuhalten, es kam ihm aber ganz sonderbar vor, daß der Hund, der sonst niemandem etwas zuleide tat, mit solcher Wut über diesen Menschen herfiel. Während der Hund um ihn herumbellte, erhob sich der Liegende ein wenig und sagte zum Jäger: »Sei doch so gut und gib mir diesen Hund zu kaufen.«
»Nein«, sprach der Jäger, »diesen Hund brauche ich selbst, und kann ihn dir nicht geben. Ich habe aber noch einen zu Hause, den kannst du bekommen, wenn es dir um einen Hund gerade zu tun ist.«
»Ist schon recht«, sagte der Liegende, »gib mir nur den anderen zu kaufen. Aber morgen gerade um diese Zeit mußt du ihn herbringen, dann wollen wir den Handel schließen. Hast du gehört – gerade um diese Zeit.«
Der Jäger gab sein Wort darauf, ging dann mit seinem Hund davon und jagte noch eine Weile auf dem Berg. Weil er aber gar nichts bekam, so ließ er das Herumlaufen gut sein und machte sich auf den Heimweg.
Als er nach Hause kam, ging er vor allem, seine Frau zu grüßen, und erzählte ihr, daß er den Hund, den er doch nie auf die Jagd mitnehme, verschachert habe. Die Jägersfrau war froh darüber und sagte: »Hättest ihm den andern schon auch lassen können; wir geben unser Brot besser den Kindern zu essen, als daß wir damit die Hunde füttern.«
Am anderen Tag, als es gegen die bestimmte Zeit ging, sagte der Jäger: »Ich muß jetzt mit dem Hund hinausgehen, sonst könnte der Mensch nicht warten, und mit dem Handel wäre es nichts.« Er lockte den Hund, den er dem Menschen versprochen hatte, und wollte gehen. Da lief sein dreizehnjähriges Töchterlein herbei und schrie: »O Vater, laßt mich auch mitgehen!«
»Aber warum willst du denn gerade heute mitgehen?« fragte der Jäger.
Das Mädchen wußte darauf keine Antwort zu geben, hörte aber nicht auf zu bitten, daß es mitgehen dürfe. Inzwischen kam auch die Jägerin herbei und half dem Mädchen, so daß der Vater endlich einwilligte und es mitgehen ließ.
Sie gingen nun hinaus auf den Berg und kamen zu dem Steig, an welchem der Mensch gestern gelegen hatte. Heut lag aber dort ein unbändiger Wurm, so daß dem Jäger bang wurde und er sich gleich dachte, mit dem Menschen, den gestern der Hund angebellt hatte, sei es nicht richtig gewesen. Er nahm sein Töchterlein an der Hand und sagte: »Geh, wir wollen umkehren. Mir ist schon gestern der Mensch nicht richtig vorgekommen, und heute liegt anstatt seiner ein Wurm da.«
Das Mädchen fürchtete sich auch, reichte ihm gerne die Hand, und sie wollten gehen. Da regte sich der Drache, schoß auf das Mädchen los, umschlang es mit dem Schweif und fuhr damit in den Berg hinein. Der Jäger war völlig starr geworden vor Schreck und schaute dem Ungetüm nach. Jetzt reute es ihn, daß er keine Büchse mitgenommen hatte; denn wäre er bewaffnet gewesen, so hätte er dem Drachen wohl doch was Gesalzenes auf die Haut gebrannt. Das bloße Nachschauen half aber nichts, und er mußte sich endlich entschließen, nach Hause zu gehen und die traurige Botschaft zu bringen.
Als er heimkam und mit dem verstörten Gesicht seiner Frau begegnete, fragte diese sogleich: »Wo hast du denn das Mädel gelassen, daß du es nicht mitbringst?«
Da kamen dem Jäger die Tränen in die Augen, und er erzählte weinend, was ihm begegnet war. Als die Jägersfrau das hörte, erschrak sie sehr, jammerte im ganzen Haus herum und sagte in einem fort: »Wir haben das Kind viel zuwenig gesegnet, sonst hätte es ihm nicht so übel ergehen können.«
Am anderen Tag ging der Jäger wieder hinaus auf den Berg, durchstreifte ihn den ganzen Tag nach allen Richtungen und meinte, er müsse eine Spur seines Kindes entdecken. Allein er fand nicht einmal ein Stücklein Gewand und mußte abends unverrichteterdinge wieder heimgehen. Allein er ließ sich nicht abschrecken, sondern ging noch oft und oft hinaus, suchte alle Winkel und Löcher durch und dachte auch beim Schießen immer an seine Tochter. Aber kein Suchen wollte etwas helfen, und es vergingen sieben Jahre, ohne daß er nur die mindeste Spur des Mädchens entdeckt hätte.
Nach sieben Jahren trug es sich zu, daß der Jäger mit seinem Knecht auf den Berg jagen ging. Da sahen sie ein schönes Wild vorüberrennen, setzten ihm nach und meinten es bald zu bekommen. Das Wild aber war immer gerade so weit von ihnen, daß sie nicht zu Schuß kamen, verlor sich aber nie ganz aus ihren Augen. Sie meinten, das Wild müßten sie heute noch kriegen, möchte es gehn, wie es wollte. So liefen sie ihm lange Zeit vergebens nach und merkten nicht, daß es schon zu dämmern anfing. Erst als es völlig Nacht war, hielten sie an, und der Jäger sagte zum Knecht: »Jetzt haben wir uns schön verspätet, es ist schon Nacht, und wir kommen nimmer heim.«
»Das ist mir gleich«, sagte der Knecht, »es ist ja nicht kalt, und wir können auf dem Boden hier ebensogut schlafen wie daheim im Bett.«
»Nein«, sprach der Jäger, »auf den Boden hier leg‘ ich mich nicht. Es ist ja gerade heute sieben Jahre, daß der Wurm mein Töchterlein weggetragen hat, und wenn wir da auf dem Boden lägen, so könnte es uns wohl auch passieren, daß ein Wurm oder sonst eine Bestie über uns herfällt und uns zerreißt.«
»Wart ein bißchen«, erwiderte der Knecht, »ich will da auf einen Baum hinaufsteigen und herumschauen, ob ein Haus in der Nähe ist.«
Da lachte ihn der Jäger aus und sagte: »Jawohl, ein Haus in der Nähe! Ich kenn‘ den ganzen Berg von oben bis unten und weiß ganz gewiß, daß hier herum kein Haus ist.«
Der Knecht ließ sich aber nicht abhalten, stieg auf den Baum und schaute umher. »Siehst du«, rief er auf einmal, »gerade ein bißchen ober uns sehe ich ein Licht, da oben ist gewiß ein Haus, wo wir über Nacht bleiben können.«
Dem Jäger kam das sonderbar vor, weil er nur gar zu gut wußte, daß in dieser Gegend weitum keine menschliche Seele ihre Wohnung hatte. Der Knecht stieg schleunig vom Baum herab und sagte: »Jetzt wollen wir hinaufgehen zu dem Licht und schauen, ob uns die Leute droben ein Obdach geben.«
Der Jäger hatte keinen Schneid, mitzugehen, weil aber der Knecht nicht nachgab und ihn auslachte, entschloß er sich endlich, und sie stiegen beide den Berg hinauf. Sie waren kurze Zeit gegangen, da funkelte das Licht ganz hell zwischen den Ästen durch, und der Jäger sah jetzt wohl, daß der Knecht richtig gesehen hatte. Allein es wurde ihm nur desto banger, weil er gewiß wußte, daß hier sonst niemals ein Haus stand, und seine Angst wurde noch größer, als sie einige Schritte vorwärts gegangen waren und ein herrliches Schloß vor ihnen stand, aus dem ihnen das Licht entgegenstrahlte.
Der Knecht blieb stehen und sagte: »Jetzt siehst du, wer von uns beiden recht gehabt hat. Das hab‘ ich mir gleich gedacht, wenn ein Licht am Berg ist, so ist ein Haus auch dabei. Wir wollen nun hinaufgehen und die Leute um Unterkunft bitten.«
Der Jäger riet ihm davon ab und sprach: »An diesem Platz bin ich oft gewesen, aber da ist niemals ein Schloß gestanden. Glaub mir, das ist nichts Rechtes. Wir wollen lieber umkehren und auf einem Baum übernachten.«
Der Knecht ließ sich nicht abhalten und sagte, er wolle einmal hineingehen, und sei es, was es wolle.
Dann muß ich halt auch mitgehen, dachte sich der Jäger und stieg mit dem Knecht zur Tür hinauf. Sie gingen hinein, der Knecht mutig voraus, der Jäger verzagt hintennach. Da kam ihnen eine wunderschöne Jungfrau entgegen und fragte sie, was sie wollten.
Der Knecht nahm das Wort und sagte: »Wir haben uns im Wald verspätet und kommen nimmer nach Hause. Dürften wir nicht um eine Nachtherberge bitten?«
»O ja«, erwiderte die Jungfrau, »über Nacht bleiben könnt ihr genug, aber nur eins sage ich euch: Ihr dürft euch weder grausen noch fürchten.«
»Wenn es weiter nichts ist«, sagte der Kecht, »dann können wir wohl über Nacht bleiben, denn grausen und fürchten tun wir uns gar nicht.«
Das konnte der Knecht wohl von sich sagen, aber der Jäger hinter ihm dachte ganz anders, obwohl er jetzt den Mund hielt und sich in das Schicksal fügte.
Die Jungfrau führte nun die beiden hinauf in ein Zimmer. Sie hieß sie da niedersetzen, ging dann in die Küche und brachte ihnen zu essen. Die zwei aßen mit gutem Appetit, und es kam ihnen gar kein Grausen. Während sie aßen, brachte die Jungfrau einen Bottich und stellte ihn im Zimmer nieder. Dann ging sie um Wasser und trug so lange Wasser herein, bis der Bottich voll war. Die zwei wußten nicht, was das zu bedeuten habe, und der Jäger fürchtete sich noch immer im stillen. Da kam auf einmal ein abscheulicher Wurm zur Tür herein und stürzte sich in den Bottich, daß das Wasser hoch aufspritzte. Der Jäger fürchtete sich jetzt noch mehr, denn soviel er ausnehmen konnte, war das der nämliche Wurm, der ihm vor sieben Jahren die Tochter geraubt hatte. Jetzt ging die Jungfrau zum Bottich und fing an, den Wurm fleißig zu waschen. Je länger sie wusch, desto roter wurde das Wasser, und zuletzt war es so rot, als ob lauter Blut in dem Gefäß wäre. Da mußten sich die zwei am Tisch stark zusammennehmen, daß ihr Herz nicht anfing zu flattern.
Als die Jungfrau den Wurm sauber gewaschen hatte, half sie ihm heraus. Da hub er an zu reden und sprach: »Jungfrau, möchtest du mich nicht heiraten?«
»Nein«, sagte sie, »das kann ich nicht, du bist ja ein Wurm, und ich bin ein Mensch.«
Er fragte sie noch einmal: »Jungfrau, tätest du mich nicht heiraten?«
Sie aber sagte wieder: »Nein, das kann ich nicht, du bist ja ein Wurm, und ich bin ein Mensch.«
Da fragte er sie zum dritten Male: »Jungfrau, möchtest du mich denn gar nicht heiraten?«
Da konnte sie es ihm nicht mehr abschlagen, sondern erbarmte sich über ihn und sagte: »Weil du nicht nachgibst, so will ich dich halt nehmen. Ich habe dich sieben Jahre gewaschen, nun werde ich dich wohl noch eine Weile waschen können.«
Kaum hatte sie das gesagt, war der Wurm verschwunden, und es stand anstatt seiner ein wunderschöner Jüngling vor ihr, der ihr als Bräutigam die Hand bot und sagte: »Du hast mich jetzt erlöst, zum Dank dafür will ich dich wirklich zur Frau nehmen und dir ein angenehmes Leben bereiten. Zeug und Sachen haben wir in dem Schloß genug, und das Schloß selbst wird auch nicht mehr verzaubert sein, wie es bisher war.«
Dann führte er die Jungfrau vor den Jäger und fragte ihn: »Kennst du dieses Mädchen?«
Der Jäger sagte: »Wie sollte ich sie kennen?«
»Schau sie einmal gut an«, sprach der Jüngling, »und sage, ob es nicht etwa deine Tochter ist. Sieben Jahre, bevor sie auf die Welt kam, war ich schon verbannt. Dreizehn Jahre mußte ich warten, bis ich sie auf mein Schloß brachte, und sieben Jahre hat sie mich täglich waschen müssen. Jetzt ist der Zauber aus, und ich nehme sie zu meiner Gemahlin. Ihr alle braucht jetzt keine Not mehr zu leiden, und auch wenn du noch mehr Kinder hättest, als du wirklich hast, würde mein Gut wohl ausreichen, für sie zu sorgen.«
Der Jäger wußte nicht, wie ihm geschah, als er dies alles mit anhörte, er schaute bald die Jungfrau, bald den Jüngling an und konnte es fast nicht glauben, daß die Frau sein Kind, der andere sein künftiger Schwiegersohn sein sollte. Aber wenn er seinen Augen trauen wollte, so mußte er doch glauben, daß seine Tochter wirklich vor ihm stehe, und warum er dem Jüngling nicht glauben sollte, das wußte er auch nicht. Er war völlig außer sich vor Freude, sprang auf, umarmte beide und dankte lange Zeit, daß alles so gut abgelaufen war.
Am anderen Tag gingen sie alle miteinander ins Jägerhaus und stellten sich der Jägersfrau vor und erzählten ihr die ganze Geschichte. Diese hatte eine solche Freude, daß es gar nicht zu sagen ist, und beeilte sich, die Anstalten zur Hochzeit zu treffen. Wie alles in Ordnung war, wurde die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert.
Von nun an hatten die Jägersleute bei dem Gemahl ihrer Tochter das beste Leben, und alle miteinander waren fein bis an ihr Ende.
(gehört in Meran)
[Österreich: Ignaz und Joseph Zingerle: Kinder und Hausmärchen aus Süddeutschland]