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Es war einmal eine schöne Wirtin, die hatte eine Tochter, die noch weit schöner war als sie selber. Die Wirtin war aber ein überaus eitles Ding, und es jagte ihr allemal die Galle auf, sooft sie von den Gästen zu verstehen bekam, daß das Wirtstöchterlein den Leuten weit besser gefalle als die Frau Mutter. Schließlich wurde sie so eifersüchtig, daß sie ihren Knechten den Auftrag gab, die Tochter in den Wald hinauszuführen und ums Leben zu bringen. Als Beweis verlangte sie Hände, Füße und Zunge des armen Mädchens.
Die Knechte schickten sich an, diesen Auftrag zu vollziehen, und schleppten die Wirtstochter hinaus in den finsteren Wald. Hier fiel das Mädchen auf die Knie nieder, hob seine schneeweißen Hände auf und bat die rauhen Knechte, ihr wenigstens die Zunge zu lassen, damit es in seinem Elend doch zu Gott beten könne. Im übrigen sollten sie dem Befehl der Mutter nur nachkommen und ihm Hände und Füße abhacken.
Die Knechte wurden durch die Bitten des unschuldigen Mädchens gerührt, hackten ihm bloß Hände und Füße ab, ließen ihm aber die Zunge, um damit zu Gott zu beten. Auf dem Heimweg packten sie einen Hund, dem sie die Zunge ausrissen, um sie statt der Zunge des Mädchens als Beweis nach Hause zu bringen.
Die Wirtstochter blieb in dem Wald und wurde von ihrer bösen Mutter für tot gehalten. Sie führte da ein elendes, mühseliges Leben und hätte gar keine Freude gehabt, wenn sie nicht ihre Zunge hätte zum Gebet rühren können. Eines Tages kam sie zu einem königlichen Obstgarten, der ganz angefüllt war von Fruchtbäumen mancherlei Art. An der Ringmauer des Gartens entdeckte sie ein Loch, durch das Wasser herausfloß. Weil sie der Hunger gar so sehr plagte, so schlüpfte sie bei Nacht durch diese Öffnung hinein und labte sich an einigen Früchten. Dem König kam es bald zu Ohren, daß im Garten Früchte weggekommen waren. Er stellte daher eine Wache auf und gab ihr den strengsten Befehl, den kecken Dieb abzufangen.
Als die Wache im Garten stand und auf jedes Säuseln und Rauschen der Blätter achtgab, ließ sich immer und immer nichts sehen, bis es späte Nacht war. Da kam endlich etwas bei einem Loch hereingekrochen, das schien weder Hände noch Füße zu haben und doch sonst einem Menschen zu gleichen. Es rutschte auf seinen Knien zu einem Baum hin und aß ein paar Äpfel. Die Wache getraute sich nicht, das seltsame Wesen anzureden, weil sie sich vor diesem Geschöpf fürchtete, von dem sie nicht wußte, ob es ein Tier oder ein Mensch sei. Des anderen Tags aber meldeten sie dem König, was im Garten vorgegangen war, und erzählten, daß es sich in der Nacht nicht ausnehmen ließe, was denn der Dieb für ein spaßiges Wesen sei. Als der König sah, daß seine Wache nichts ausgerichtet hatte, ging er in der folgenden Nacht selbst in den Garten, nahm ein geladenes Gewehr mit sich und wartete auf den Dieb. In später Nacht kam endlich etwas herbeigekrochen und näherte sich einem Baum. Der König wollte schießen – allein wie er eben im Begriff war, loszudrücken, sah er, daß dieser sonderbare Dieb doch mehr Ähnlichkeit habe mit einem Menschen als mit einem Tier. Er faßte sich ein Herz und redete das unbekannte Wesen an. Auf seine Fragen: »Wer und woher bist du und was machst du da?«, erhob das Mädchen erschrocken seine Stimme. Und als einmal der Schrecken vorbei war, erzählte es aufrichtig, wie es ihm ergangen war, daß ihm die eifersüchtige Mutter habe Hände und Füße abhacken lassen und daß nur die mitleidigen Knechte ihm das Leben und die Zunge gelassen hätten.
Der König war nicht wenig verwundert bei dieser Erzählung, sein Herz wurde gerührt, und er nahm das Mädchen zu sich in das Schloß. Da er sah, daß es gar so schön sei, ließ er ihm silberne Hände und Füße machen und tat ihr überhaupt alles, was er ihm nur an den Augen ansah. Sooft er es anschaute, gewann er es lieber, und es dauerte nicht lange, da dachte er sich: Diese und keine andere muß meine Frau werden.
Nach kurzen Zubereitungen wurde die Hochzeit mit aller Pracht gefeiert, und König und Königin lebten in Eintracht und Liebe beieinander. Es dauerte aber nicht lange, da mußte der König Abschied nehmen von seiner Frau und in den Krieg ziehen. Während er im Felde war, bekam die Frau Königin zwei Kindlein. Beide waren Knaben, und jeder war so schön, daß man ihn nicht genug anschauen konnte. Wie sehr sich die Königin gefreut hat über die zwei Prinzen und wie gern sie sie gehabt hat, das ist gar nicht zu sagen.
Allein es lebte noch die Mutter des Königs, und diese konnte die junge Königin nicht leiden, weil sie von niederem Herkommen war und nicht von königlichem Geblüt. Sie hatte immer daran gedacht, ihrer Schwiegertochter ein bitteres Leid anzutun und sie vom königlichen Hof zu entfernen. Als nun die Königin die Kindlein bekommen hatte, gab die Alte Befehl, die zwei Prinzen sollten ihr auf den Rücken gebunden und sie selbst aus der Gegend fortgeschafft werden.
Alsogleich taten die Knechte der bösen Schwiegermutter, wie ihnen befohlen war, und banden der armen Königin ihre zwei Kindlein auf den Rücken. So wurde sie aus der Gegend hinausgetrieben, und weil sie auf ihren silbernen Füßen nicht gehen konnte, so mußte sie auf allen vieren fortkrabbeln. Sie kam hinaus in einen finsteren Wald und kroch da durch das Gesträuch fort, bis sie zu einem Gewässer gelangte. Hier rastete sie und wusch die Windeln für ihre zwei Kleinen. Während sie damit beschäftigt war, kamen zwei Fremde zu ihr heran, sahen ihr zu und fingen mit ihr zu reden an. Sie hatten Erbarmen mit der unglücklichen Frau, weil sie da eine Arbeit tun mußte, zu der die silbernen Hände und Füße nicht recht tauglich waren. Auch fragten sie, ob die zwei Kleinen schon getauft seien.
»Nein«, antwortete die Frau.
»Nun, so sollen sie jetzt getauft werden«, sagten die zwei, machten Anstalten zur Taufe und wurden selbst die Paten der zwei Kinder. Das eine bekam bei der Taufe den Namen Peter, das andere den Namen Paul.
Bevor die zwei Fremden Abschied nahmen, sagte der eine zum andern: »Was geben wir der Frau für ein Patengeschenk?«
»Ich gebe ihr gesunde Hände«, antwortete der Gefragte.
»Dann geb‘ ich ihr gesunde Füße«, sagte der andere. Alsbald hatte die Königin gesunde Hände und Füße und konnte gehen und arbeiten wie andere Leute. Die beiden Fremden hießen sie jetzt ihre Kinder nehmen und ihnen folgen und führten sie ein Stück durch den Wald, bis sie zu einem schönen, blauen See gelangten. In der Mitte des Sees stand ein nettes Häuschen, und an dem Ufer war ein kleines Boot angebunden.
»Siehst du«, sagten die Fremden, »dieses Haus sollst du bewohnen, und auf dem Schifflein, das hier am Ufer hängt, kannst du zu dem Haus hin- und, sooft es dir beliebt, wieder zurückfahren. Niemand kann ohne deinen Willen zu dir kommen, denn auf dem ganzen See ist kein anderes Schifflein als dieses.«
Als die Fremden dies gesagt hatten, nahmen sie Abschied von der Königin und gingen ihres Weges. Die Königin setzte sich sogleich in das Schifflein und fuhr in das Haus, das mitten im Wasser stand. Hier wohnte sie mit ihren Kindlein mutterseelenallein, und wenn ihr die Zeit gar zu lang wurde, dann setzte sie sich auf das Schifflein und fuhr auf dem blauen Wasser umher.
Der Krieg hatte inzwischen sein Ende erreicht, und der König war mit der größten Sehnsucht nach Hause geeilt. Seine erste Frage war: »Wo ist meine Gemahlin?«
Aber er bekam zur Antwort: »Sie ist eines Tages plötzlich verschwunden, und niemand weiß, wo sie hingekommen ist.« Kein Mensch gab ihm einen andern Bescheid als diesen.
Da weinte er viele Tage hindurch und war gar nicht zu trösten. Als der Schmerz mit der Zeit etwas nachgelassen hatte, dachte er wieder an die Jagd, die er von jeher gern getrieben hatte. Manchen Tag jagte er ganz allein im Wald herum und kehrte erst spätabends wieder nach Hause.
Einmal begegnete es ihm aber, daß er sich im Wald verirrte und so lange pfad- und planlos herumtappte, bis die Nacht anbrach. Er suchte noch lange im Dunkel herum, konnte aber keinen Ausweg finden. Endlich kam er auf einen Hügel, von dem aus er ein Licht erblicken konnte. Er ging dem Licht zu und gelangte bald zu einem See, darauf schwamm ein Schifflein herum, und im Schifflein saß eine Frau mit ihren zwei Kindern. Er rief in seiner Bangigkeit zu dem Schifflein hinüber und bat die Frau, zu ihm herzufahren und ihm ein Obdach für die Nacht zu geben.
Die Frau fuhr heran und hieß ihn in das Schifflein steigen. Sie erkannte ihn auch augenblicklich als ihren Gemahl, gab sich ihm aber nicht zu erkennen, sondern brachte ihn wie einen Fremdling in ihr Haus auf dem See. Hier stellte sie ihm ein kräftiges Nachtessen vor und bereitete ihm ein weiches Nachtlager. Er aß mit großem Appetit, weil er von dem vielen Herumlaufen hungrig geworden war, und nachdem er gegessen hatte, legte er sich wegen Müdigkeit sogleich ins Bett.
Im Schlaf geschah es nun, daß er den Fuß etwas über das Bett hinaushängen ließ. Die Königin bemerkte es und sagte zu ihrem Sohn: »Peter, geh hin und leg dem Vater den Fuß ins Bett.«
Der Peter ging hin und tat, wie ihm die Mutter befohlen hatte. Der König aber war noch nicht tief eingeschlafen und hatte die Rede der Frau so halb und halb verstanden. Das Wort Vater kam ihm so sonderbar vor, daß es ihm nimmer aus dem Kopf wollte. Weil er aber nicht wußte, ob er etwa bloß geträumt habe, so legte er jetzt die Hand über das Bett hinaus. Die Königin bemerkte das wieder und sagte zu ihrem anderen Sohn: »Paul, leg dem Vater die Hand ins Bett.«
Wie der König das hörte, sprang er sogleich aus dem Bett und fragte die unbekannte Frau, ob sie denn wirklich seine Gemahlin sei und die zwei bildschönen Knaben seine Kinder wären. Als sie es bejahte, fiel er ihr und den Söhnen um den Hals, küßte und herzte sie ohne Ende und hatte eine Freude, daß er laut hätte aufjauchzen mögen. Er fragte die Königin um alles, wie sie hierhergekommen sei und woher sie die gesunden Hände und Füße bekommen habe, und erzählte dann selbst wieder von seinen Kriegszügen und Abenteuern, so daß die Nacht vor lauter Fragen und Erzählen im Nu vorbeiging, ohne daß sie ans Schlafen dachten.
Als der Tag anbrach, setzten sie sich alle vier in das Schifflein und fuhren ans Ufer. Hier stiegen sie aus und begaben sich nun auf den Weg in die Heimat. Am Hof wurde die Königin von niemandem erkannt, und daß die zwei Knaben des Königs Söhne seien, das wäre gar keinem im Traum eingefallen.
Der König ließ jetzt Anstalten machen zu einer herrlichen Mahlzeit und lud dazu alles ein, was nur am Hof war, und auch die Mutter der Königin. Bei der Mahlzeit fing er an, die Lebensgeschichte seiner Gemahlin zu erzählen, tat aber, als ob sie sich nur mit irgendeiner Frau zugetragen hätte. Als er mit seiner Erzählung zu Ende war, fragte er die Wirtin, was die Mutter und Schwiegermutter, von denen in der Erzählung die Rede war, für eine Strafe verdienten.
Die Wirtin meinte, es könnte ihr Urteil nicht ganz gerecht ausfallen, es solle die alte Königin urteilen, die in diesen Stücken sicherlich mehr verstehe. Der König wandte sich also an seine Mutter und forderte sie auf, ihre Meinung zu sagen. Sie war mit ihrem Urteil bald fertig und sagte: »Solche Bösewichter verdienen, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden.«
»Ist ganz recht«, erwiderte der König und gab alsogleich Befehl, daß seiner Mutter und der Wirtin nach diesem Urteil geschehe.
Der König und die Königin lebten jetzt froh und glücklich beieinander und hatten alles, was sie wünschten, in Hülle und Fülle. Am meisten Freude machten ihnen die zwei Prinzen, welche so schleunig heranwuchsen, daß man es ihnen fast von Tag zu Tag ansehen konnte. Sie waren bald so stark, daß sie mit dem Vater in den Forst hinausgehen und das Jägerhandwerk betreiben konnten.
Als sie in das Alter gekommen waren, wo junge Leute Lust bekommen, die Welt zu sehen, da sagten sie zu ihrem Vater: »Vater, wir sind jetzt lange genug in der Heimat gesessen, wir wollen nun auch hinausziehen und uns in der Welt umschauen.«
Der Vater gab ihnen seine Erlaubnis, und sie machten nun alles zur Abreise fertig. Auch gingen sie in den Wald hinaus, und jeder von ihnen fing sich ein junges Bärlein, um es zum Tanzen abzurichten. Auch steckten sie ein Messer in einen Baum und sprachen zueinander: »Wenn einer von uns wiederkehrt und sieht dies Messer von Rost angelaufen, so soll ihm das ein Zeichen sein, daß dem andern ein Unglück begegnet ist.«
Sie gingen nun wieder nach Hause, und nachdem die Bärlein einige Tänze gelernt hatten, auch sonst alles zur Abreise in Ordnung war, nahmen sie Abschied von der Heimat und gingen hinaus in die weite, weite Welt. Der Peter reiste nach Babylon, der Paul aber noch tiefer hinein in das Morgenland.
Als der Peter in Babylon angekommen war, zog er mit seinem Bärlein in der Stadt umher und ließ es vor den Leuten seine Tänze aufführen. Der Ruf von dem jungen Menschen und seinem Tanzbärlein kam auch dem babylonischen König zu Ohren, und er ließ ihn alsbald an den Hof berufen. Der Bursche erschien und gefiel dem König so sehr, daß er ihn nicht wieder fortließ, sondern bei sich am Hof behielt. Er gewann ihn auch von Tag zu Tag lieber und war ihm bald so zugetan, daß er ihm seine Tochter zur Gemahlin gab und ihn zum Vizekönig von Babylon ernannte.
Der junge Vizekönig hatte keine liebere Unterhaltung als die Jagd und durchstreifte oft die finsteren Wälder, ohne jemanden mit sich zu nehmen als sein tanzendes Bärlein. Die Vizekönigin hatte wohl oft große Sorge um ihn und sagte: »Schau, geh nicht allein hinaus in den finsteren Wald. Es könnte dir leicht etwas zustoßen von wilden Tieren oder von bösen Menschen.«
Der Vizekönig aber ließ sich dadurch nicht irremachen, suchte seiner Gemahlin die Sorgen auszureden und ging wieder mit seinem Bärlein allein auf die Jagd.
So war er auch einmal mit seinem Bärlein tief in den Wald hineingeraten. Auf einmal sah er kohlschwarze Wolken heranziehen und hörte einen schaurigen Wind durch die Bäume rauschen. Es wurde immer finsterer, und auf einmal fing es an zu regnen, als ob der Himmel offen wäre. Vom Wind und der Nässe wurde dem Vizekönig bald so kalt, daß er Holz zusammenzulesen begann und sich ein Feuer anmachte.
Als das Feuer unter einem dichten Baum recht lustig aufflackerte und er dabeistand und mit den Händen über die Flammen fuhr, kam ein altes Mütterchen herbei, dem vor lauter Frost die Zähne klapperten. »Darf ich mich nicht ein bißchen wärmen an deinem Feuer?« brummte die Alte und schaute den König verstohlen an.
»Komm nur näher«, erwiderte der Vizekönig, »und schau, daß dir warm wird. Es friert heute stark.«
»Aber tut mir das Vieh da wohl nichts?« fragte die Alte wieder, schlug aber zugleich mit einer Rute, die sie mit sich trug, auf das Bärlein. Und im Augenblick war das Bärlein in Stein verwandelt. Dann schlug sie mit der Rute auf den Vizekönig, und augenblicklich hatte auch dieser seine menschliche Gestalt verloren und war in Stein verwandelt.
Der andere Bruder, Paul, war indessen weit, weit in das Morgenland hineingereist und hatte allerlei gesehen und erlebt, so daß er glaubte, es könnte jetzt einmal genug sein, und sich anschickte, nach Hause zu reisen.
Nachdem er viele Tage und Wochen gewandert war, kam er endlich in dem Wald an, wo die zwei Brüder das Messer in den Baum gesteckt hatten. Voller Neugierde und Besorgnis suchte er den Baum auf, und mit dem größten Schrecken sah er das ganze Messer mit Rost überzogen. Sogleich dachte er: Meinem Bruder muß etwas Böses widerfahren sein; ich will mich aufmachen nach Babylon und sehen, was ihm begegnet ist. Augenblicklich kehrte er wieder um und machte sich aufs neue dem Morgenland zu.
Nach langer, langer Wanderung kam er in Babylon an. Als ihn die Leute mit seinem Bärlein durch die Gassen kommen sahen, erhob sich von allen Seiten ein Jubel- und Freudengeschrei, das gar nimmer enden wollte. Denn weil er seinem Bruder auf ein Haar gleichsah und auch ein Bärlein mit sich führte, so hielten ihn die Leute für den Vizekönig und taten ihm alle Ehren an. Bei Hof wurde er auch als Vizekönig begrüßt und freudenvoll aufgenommen, und der Vizekönigin war der schwerste Stein vom Herzen gefallen, weil sie glaubte, ihr Mann sei wiedergekommen. Paul gab sich auch nicht zu erkennen und erkundigte sich nur insgeheim über seinen Bruder.
Er war erst wenige Tage am Hof, als er einmal sagte, er wolle jetzt in den Wald hinausgehen auf die Jagd. Da fing die Vizekönigin an zu weinen und bat ihn kniefällig, zu Hause zu bleiben und ihr nicht wieder solche Ängste zu verursachen. Er aber ließ sich nicht irremachen und ging mit seinem Bärlein hinaus in den Wald.
Er war noch nicht lange zwischen den Bäumen herumgestrichen, da zogen stockfinstere Wolken herauf, und ein schneidiger Wind pfiff durch die Bäume. Es fing an völlig unheimlich zu werden in dem dunklen Wald, und wenn du und ich dabeigewesen wären, so hätten wir uns zu Tode gefürchtet. Bald fing es auch an zu schütten, als ob der Himmel offen wäre, und Blitz und Donner wechselten immerfort ab. Wegen des scharfen Windes und der Nässe fing den Paul zu frieren an, er suchte Holz zusammen und machte sich ein Feuer. Als die Flammen unter einem dichten Baum aufflackerten und der Paul mit den Händen darüber hin und her fuhr, kam eine abscheuliche Alte mit einer Rute zwischen den Bäumen hervor und schnatterte, als ob sie das Fieber hätte. »Oh, wie ist es so kalt, wie beutelt es mich zusammen, darf ich mich nicht ein bißchen wärmen?« murmelte sie in einem fort.
»Komm nur her«, sagte Paul, »das Feuer ist groß genug für uns beide.«
»Aber tut mir das Bärlein wohl nichts?« fragte die Alte.
»O nein«, sagte Paul und riß der Alten die Rute aus der Hand, als ob er das Bärlein damit fortjagen wollte. Er schlug aber nicht auf das Bärlein, sondern auf die Alte, und augenblicklich war sie in Stein verwandelt. Dann schlug er mit der Rute auf den nächsten Stein, und siehe da, statt des Steins stand ein Bärlein vor ihm, das gar freundlich um ihn herumtappte. Dann ging er wieder zum nächsten Stein und schlug mit der Rute darauf. Und augenblicklich stand sein Bruder vor ihm, fiel ihm um den Hals und wollte nimmer aufhören, ihn zu herzen und zu küssen vor lauter Freude und Dankbarkeit.
Dann gingen die zwei Brüder mit ihren Bärlein zurück nach Babylon, wo es eine Freude und Verwirrung gab, die ohne Grenzen war. Die Leute sahen wohl, daß einer von den beiden der Vizekönig sein müsse, konnten aber nicht unterscheiden, welcher es denn eigentlich sei. Manche schauten sich fast die Augen heraus, konnten aber doch keinen Unterschied zwischen den beiden herausfinden. Als sie endlich an den Hof kamen und vor die Vizekönigin traten, da wußte sich diese nicht zu raten und zu helfen, weil sie ihren Gemahl nicht herausfinden konnte. Peter aber gab sich ihr durch ein verborgenes Merkmal zu erkennen, und da war ihre Freude erst vollkommen. Sie lebten wieder froh und glücklich beieinander bis in ein hohes Alter.
Paul ging nach Hause zu seinen Eltern, und auch ihm ging es gut sein Lebtag.
Die Knechte schickten sich an, diesen Auftrag zu vollziehen, und schleppten die Wirtstochter hinaus in den finsteren Wald. Hier fiel das Mädchen auf die Knie nieder, hob seine schneeweißen Hände auf und bat die rauhen Knechte, ihr wenigstens die Zunge zu lassen, damit es in seinem Elend doch zu Gott beten könne. Im übrigen sollten sie dem Befehl der Mutter nur nachkommen und ihm Hände und Füße abhacken.
Die Knechte wurden durch die Bitten des unschuldigen Mädchens gerührt, hackten ihm bloß Hände und Füße ab, ließen ihm aber die Zunge, um damit zu Gott zu beten. Auf dem Heimweg packten sie einen Hund, dem sie die Zunge ausrissen, um sie statt der Zunge des Mädchens als Beweis nach Hause zu bringen.
Die Wirtstochter blieb in dem Wald und wurde von ihrer bösen Mutter für tot gehalten. Sie führte da ein elendes, mühseliges Leben und hätte gar keine Freude gehabt, wenn sie nicht ihre Zunge hätte zum Gebet rühren können. Eines Tages kam sie zu einem königlichen Obstgarten, der ganz angefüllt war von Fruchtbäumen mancherlei Art. An der Ringmauer des Gartens entdeckte sie ein Loch, durch das Wasser herausfloß. Weil sie der Hunger gar so sehr plagte, so schlüpfte sie bei Nacht durch diese Öffnung hinein und labte sich an einigen Früchten. Dem König kam es bald zu Ohren, daß im Garten Früchte weggekommen waren. Er stellte daher eine Wache auf und gab ihr den strengsten Befehl, den kecken Dieb abzufangen.
Als die Wache im Garten stand und auf jedes Säuseln und Rauschen der Blätter achtgab, ließ sich immer und immer nichts sehen, bis es späte Nacht war. Da kam endlich etwas bei einem Loch hereingekrochen, das schien weder Hände noch Füße zu haben und doch sonst einem Menschen zu gleichen. Es rutschte auf seinen Knien zu einem Baum hin und aß ein paar Äpfel. Die Wache getraute sich nicht, das seltsame Wesen anzureden, weil sie sich vor diesem Geschöpf fürchtete, von dem sie nicht wußte, ob es ein Tier oder ein Mensch sei. Des anderen Tags aber meldeten sie dem König, was im Garten vorgegangen war, und erzählten, daß es sich in der Nacht nicht ausnehmen ließe, was denn der Dieb für ein spaßiges Wesen sei. Als der König sah, daß seine Wache nichts ausgerichtet hatte, ging er in der folgenden Nacht selbst in den Garten, nahm ein geladenes Gewehr mit sich und wartete auf den Dieb. In später Nacht kam endlich etwas herbeigekrochen und näherte sich einem Baum. Der König wollte schießen – allein wie er eben im Begriff war, loszudrücken, sah er, daß dieser sonderbare Dieb doch mehr Ähnlichkeit habe mit einem Menschen als mit einem Tier. Er faßte sich ein Herz und redete das unbekannte Wesen an. Auf seine Fragen: »Wer und woher bist du und was machst du da?«, erhob das Mädchen erschrocken seine Stimme. Und als einmal der Schrecken vorbei war, erzählte es aufrichtig, wie es ihm ergangen war, daß ihm die eifersüchtige Mutter habe Hände und Füße abhacken lassen und daß nur die mitleidigen Knechte ihm das Leben und die Zunge gelassen hätten.
Der König war nicht wenig verwundert bei dieser Erzählung, sein Herz wurde gerührt, und er nahm das Mädchen zu sich in das Schloß. Da er sah, daß es gar so schön sei, ließ er ihm silberne Hände und Füße machen und tat ihr überhaupt alles, was er ihm nur an den Augen ansah. Sooft er es anschaute, gewann er es lieber, und es dauerte nicht lange, da dachte er sich: Diese und keine andere muß meine Frau werden.
Nach kurzen Zubereitungen wurde die Hochzeit mit aller Pracht gefeiert, und König und Königin lebten in Eintracht und Liebe beieinander. Es dauerte aber nicht lange, da mußte der König Abschied nehmen von seiner Frau und in den Krieg ziehen. Während er im Felde war, bekam die Frau Königin zwei Kindlein. Beide waren Knaben, und jeder war so schön, daß man ihn nicht genug anschauen konnte. Wie sehr sich die Königin gefreut hat über die zwei Prinzen und wie gern sie sie gehabt hat, das ist gar nicht zu sagen.
Allein es lebte noch die Mutter des Königs, und diese konnte die junge Königin nicht leiden, weil sie von niederem Herkommen war und nicht von königlichem Geblüt. Sie hatte immer daran gedacht, ihrer Schwiegertochter ein bitteres Leid anzutun und sie vom königlichen Hof zu entfernen. Als nun die Königin die Kindlein bekommen hatte, gab die Alte Befehl, die zwei Prinzen sollten ihr auf den Rücken gebunden und sie selbst aus der Gegend fortgeschafft werden.
Alsogleich taten die Knechte der bösen Schwiegermutter, wie ihnen befohlen war, und banden der armen Königin ihre zwei Kindlein auf den Rücken. So wurde sie aus der Gegend hinausgetrieben, und weil sie auf ihren silbernen Füßen nicht gehen konnte, so mußte sie auf allen vieren fortkrabbeln. Sie kam hinaus in einen finsteren Wald und kroch da durch das Gesträuch fort, bis sie zu einem Gewässer gelangte. Hier rastete sie und wusch die Windeln für ihre zwei Kleinen. Während sie damit beschäftigt war, kamen zwei Fremde zu ihr heran, sahen ihr zu und fingen mit ihr zu reden an. Sie hatten Erbarmen mit der unglücklichen Frau, weil sie da eine Arbeit tun mußte, zu der die silbernen Hände und Füße nicht recht tauglich waren. Auch fragten sie, ob die zwei Kleinen schon getauft seien.
»Nein«, antwortete die Frau.
»Nun, so sollen sie jetzt getauft werden«, sagten die zwei, machten Anstalten zur Taufe und wurden selbst die Paten der zwei Kinder. Das eine bekam bei der Taufe den Namen Peter, das andere den Namen Paul.
Bevor die zwei Fremden Abschied nahmen, sagte der eine zum andern: »Was geben wir der Frau für ein Patengeschenk?«
»Ich gebe ihr gesunde Hände«, antwortete der Gefragte.
»Dann geb‘ ich ihr gesunde Füße«, sagte der andere. Alsbald hatte die Königin gesunde Hände und Füße und konnte gehen und arbeiten wie andere Leute. Die beiden Fremden hießen sie jetzt ihre Kinder nehmen und ihnen folgen und führten sie ein Stück durch den Wald, bis sie zu einem schönen, blauen See gelangten. In der Mitte des Sees stand ein nettes Häuschen, und an dem Ufer war ein kleines Boot angebunden.
»Siehst du«, sagten die Fremden, »dieses Haus sollst du bewohnen, und auf dem Schifflein, das hier am Ufer hängt, kannst du zu dem Haus hin- und, sooft es dir beliebt, wieder zurückfahren. Niemand kann ohne deinen Willen zu dir kommen, denn auf dem ganzen See ist kein anderes Schifflein als dieses.«
Als die Fremden dies gesagt hatten, nahmen sie Abschied von der Königin und gingen ihres Weges. Die Königin setzte sich sogleich in das Schifflein und fuhr in das Haus, das mitten im Wasser stand. Hier wohnte sie mit ihren Kindlein mutterseelenallein, und wenn ihr die Zeit gar zu lang wurde, dann setzte sie sich auf das Schifflein und fuhr auf dem blauen Wasser umher.
Der Krieg hatte inzwischen sein Ende erreicht, und der König war mit der größten Sehnsucht nach Hause geeilt. Seine erste Frage war: »Wo ist meine Gemahlin?«
Aber er bekam zur Antwort: »Sie ist eines Tages plötzlich verschwunden, und niemand weiß, wo sie hingekommen ist.« Kein Mensch gab ihm einen andern Bescheid als diesen.
Da weinte er viele Tage hindurch und war gar nicht zu trösten. Als der Schmerz mit der Zeit etwas nachgelassen hatte, dachte er wieder an die Jagd, die er von jeher gern getrieben hatte. Manchen Tag jagte er ganz allein im Wald herum und kehrte erst spätabends wieder nach Hause.
Einmal begegnete es ihm aber, daß er sich im Wald verirrte und so lange pfad- und planlos herumtappte, bis die Nacht anbrach. Er suchte noch lange im Dunkel herum, konnte aber keinen Ausweg finden. Endlich kam er auf einen Hügel, von dem aus er ein Licht erblicken konnte. Er ging dem Licht zu und gelangte bald zu einem See, darauf schwamm ein Schifflein herum, und im Schifflein saß eine Frau mit ihren zwei Kindern. Er rief in seiner Bangigkeit zu dem Schifflein hinüber und bat die Frau, zu ihm herzufahren und ihm ein Obdach für die Nacht zu geben.
Die Frau fuhr heran und hieß ihn in das Schifflein steigen. Sie erkannte ihn auch augenblicklich als ihren Gemahl, gab sich ihm aber nicht zu erkennen, sondern brachte ihn wie einen Fremdling in ihr Haus auf dem See. Hier stellte sie ihm ein kräftiges Nachtessen vor und bereitete ihm ein weiches Nachtlager. Er aß mit großem Appetit, weil er von dem vielen Herumlaufen hungrig geworden war, und nachdem er gegessen hatte, legte er sich wegen Müdigkeit sogleich ins Bett.
Im Schlaf geschah es nun, daß er den Fuß etwas über das Bett hinaushängen ließ. Die Königin bemerkte es und sagte zu ihrem Sohn: »Peter, geh hin und leg dem Vater den Fuß ins Bett.«
Der Peter ging hin und tat, wie ihm die Mutter befohlen hatte. Der König aber war noch nicht tief eingeschlafen und hatte die Rede der Frau so halb und halb verstanden. Das Wort Vater kam ihm so sonderbar vor, daß es ihm nimmer aus dem Kopf wollte. Weil er aber nicht wußte, ob er etwa bloß geträumt habe, so legte er jetzt die Hand über das Bett hinaus. Die Königin bemerkte das wieder und sagte zu ihrem anderen Sohn: »Paul, leg dem Vater die Hand ins Bett.«
Wie der König das hörte, sprang er sogleich aus dem Bett und fragte die unbekannte Frau, ob sie denn wirklich seine Gemahlin sei und die zwei bildschönen Knaben seine Kinder wären. Als sie es bejahte, fiel er ihr und den Söhnen um den Hals, küßte und herzte sie ohne Ende und hatte eine Freude, daß er laut hätte aufjauchzen mögen. Er fragte die Königin um alles, wie sie hierhergekommen sei und woher sie die gesunden Hände und Füße bekommen habe, und erzählte dann selbst wieder von seinen Kriegszügen und Abenteuern, so daß die Nacht vor lauter Fragen und Erzählen im Nu vorbeiging, ohne daß sie ans Schlafen dachten.
Als der Tag anbrach, setzten sie sich alle vier in das Schifflein und fuhren ans Ufer. Hier stiegen sie aus und begaben sich nun auf den Weg in die Heimat. Am Hof wurde die Königin von niemandem erkannt, und daß die zwei Knaben des Königs Söhne seien, das wäre gar keinem im Traum eingefallen.
Der König ließ jetzt Anstalten machen zu einer herrlichen Mahlzeit und lud dazu alles ein, was nur am Hof war, und auch die Mutter der Königin. Bei der Mahlzeit fing er an, die Lebensgeschichte seiner Gemahlin zu erzählen, tat aber, als ob sie sich nur mit irgendeiner Frau zugetragen hätte. Als er mit seiner Erzählung zu Ende war, fragte er die Wirtin, was die Mutter und Schwiegermutter, von denen in der Erzählung die Rede war, für eine Strafe verdienten.
Die Wirtin meinte, es könnte ihr Urteil nicht ganz gerecht ausfallen, es solle die alte Königin urteilen, die in diesen Stücken sicherlich mehr verstehe. Der König wandte sich also an seine Mutter und forderte sie auf, ihre Meinung zu sagen. Sie war mit ihrem Urteil bald fertig und sagte: »Solche Bösewichter verdienen, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden.«
»Ist ganz recht«, erwiderte der König und gab alsogleich Befehl, daß seiner Mutter und der Wirtin nach diesem Urteil geschehe.
Der König und die Königin lebten jetzt froh und glücklich beieinander und hatten alles, was sie wünschten, in Hülle und Fülle. Am meisten Freude machten ihnen die zwei Prinzen, welche so schleunig heranwuchsen, daß man es ihnen fast von Tag zu Tag ansehen konnte. Sie waren bald so stark, daß sie mit dem Vater in den Forst hinausgehen und das Jägerhandwerk betreiben konnten.
Als sie in das Alter gekommen waren, wo junge Leute Lust bekommen, die Welt zu sehen, da sagten sie zu ihrem Vater: »Vater, wir sind jetzt lange genug in der Heimat gesessen, wir wollen nun auch hinausziehen und uns in der Welt umschauen.«
Der Vater gab ihnen seine Erlaubnis, und sie machten nun alles zur Abreise fertig. Auch gingen sie in den Wald hinaus, und jeder von ihnen fing sich ein junges Bärlein, um es zum Tanzen abzurichten. Auch steckten sie ein Messer in einen Baum und sprachen zueinander: »Wenn einer von uns wiederkehrt und sieht dies Messer von Rost angelaufen, so soll ihm das ein Zeichen sein, daß dem andern ein Unglück begegnet ist.«
Sie gingen nun wieder nach Hause, und nachdem die Bärlein einige Tänze gelernt hatten, auch sonst alles zur Abreise in Ordnung war, nahmen sie Abschied von der Heimat und gingen hinaus in die weite, weite Welt. Der Peter reiste nach Babylon, der Paul aber noch tiefer hinein in das Morgenland.
Als der Peter in Babylon angekommen war, zog er mit seinem Bärlein in der Stadt umher und ließ es vor den Leuten seine Tänze aufführen. Der Ruf von dem jungen Menschen und seinem Tanzbärlein kam auch dem babylonischen König zu Ohren, und er ließ ihn alsbald an den Hof berufen. Der Bursche erschien und gefiel dem König so sehr, daß er ihn nicht wieder fortließ, sondern bei sich am Hof behielt. Er gewann ihn auch von Tag zu Tag lieber und war ihm bald so zugetan, daß er ihm seine Tochter zur Gemahlin gab und ihn zum Vizekönig von Babylon ernannte.
Der junge Vizekönig hatte keine liebere Unterhaltung als die Jagd und durchstreifte oft die finsteren Wälder, ohne jemanden mit sich zu nehmen als sein tanzendes Bärlein. Die Vizekönigin hatte wohl oft große Sorge um ihn und sagte: »Schau, geh nicht allein hinaus in den finsteren Wald. Es könnte dir leicht etwas zustoßen von wilden Tieren oder von bösen Menschen.«
Der Vizekönig aber ließ sich dadurch nicht irremachen, suchte seiner Gemahlin die Sorgen auszureden und ging wieder mit seinem Bärlein allein auf die Jagd.
So war er auch einmal mit seinem Bärlein tief in den Wald hineingeraten. Auf einmal sah er kohlschwarze Wolken heranziehen und hörte einen schaurigen Wind durch die Bäume rauschen. Es wurde immer finsterer, und auf einmal fing es an zu regnen, als ob der Himmel offen wäre. Vom Wind und der Nässe wurde dem Vizekönig bald so kalt, daß er Holz zusammenzulesen begann und sich ein Feuer anmachte.
Als das Feuer unter einem dichten Baum recht lustig aufflackerte und er dabeistand und mit den Händen über die Flammen fuhr, kam ein altes Mütterchen herbei, dem vor lauter Frost die Zähne klapperten. »Darf ich mich nicht ein bißchen wärmen an deinem Feuer?« brummte die Alte und schaute den König verstohlen an.
»Komm nur näher«, erwiderte der Vizekönig, »und schau, daß dir warm wird. Es friert heute stark.«
»Aber tut mir das Vieh da wohl nichts?« fragte die Alte wieder, schlug aber zugleich mit einer Rute, die sie mit sich trug, auf das Bärlein. Und im Augenblick war das Bärlein in Stein verwandelt. Dann schlug sie mit der Rute auf den Vizekönig, und augenblicklich hatte auch dieser seine menschliche Gestalt verloren und war in Stein verwandelt.
Der andere Bruder, Paul, war indessen weit, weit in das Morgenland hineingereist und hatte allerlei gesehen und erlebt, so daß er glaubte, es könnte jetzt einmal genug sein, und sich anschickte, nach Hause zu reisen.
Nachdem er viele Tage und Wochen gewandert war, kam er endlich in dem Wald an, wo die zwei Brüder das Messer in den Baum gesteckt hatten. Voller Neugierde und Besorgnis suchte er den Baum auf, und mit dem größten Schrecken sah er das ganze Messer mit Rost überzogen. Sogleich dachte er: Meinem Bruder muß etwas Böses widerfahren sein; ich will mich aufmachen nach Babylon und sehen, was ihm begegnet ist. Augenblicklich kehrte er wieder um und machte sich aufs neue dem Morgenland zu.
Nach langer, langer Wanderung kam er in Babylon an. Als ihn die Leute mit seinem Bärlein durch die Gassen kommen sahen, erhob sich von allen Seiten ein Jubel- und Freudengeschrei, das gar nimmer enden wollte. Denn weil er seinem Bruder auf ein Haar gleichsah und auch ein Bärlein mit sich führte, so hielten ihn die Leute für den Vizekönig und taten ihm alle Ehren an. Bei Hof wurde er auch als Vizekönig begrüßt und freudenvoll aufgenommen, und der Vizekönigin war der schwerste Stein vom Herzen gefallen, weil sie glaubte, ihr Mann sei wiedergekommen. Paul gab sich auch nicht zu erkennen und erkundigte sich nur insgeheim über seinen Bruder.
Er war erst wenige Tage am Hof, als er einmal sagte, er wolle jetzt in den Wald hinausgehen auf die Jagd. Da fing die Vizekönigin an zu weinen und bat ihn kniefällig, zu Hause zu bleiben und ihr nicht wieder solche Ängste zu verursachen. Er aber ließ sich nicht irremachen und ging mit seinem Bärlein hinaus in den Wald.
Er war noch nicht lange zwischen den Bäumen herumgestrichen, da zogen stockfinstere Wolken herauf, und ein schneidiger Wind pfiff durch die Bäume. Es fing an völlig unheimlich zu werden in dem dunklen Wald, und wenn du und ich dabeigewesen wären, so hätten wir uns zu Tode gefürchtet. Bald fing es auch an zu schütten, als ob der Himmel offen wäre, und Blitz und Donner wechselten immerfort ab. Wegen des scharfen Windes und der Nässe fing den Paul zu frieren an, er suchte Holz zusammen und machte sich ein Feuer. Als die Flammen unter einem dichten Baum aufflackerten und der Paul mit den Händen darüber hin und her fuhr, kam eine abscheuliche Alte mit einer Rute zwischen den Bäumen hervor und schnatterte, als ob sie das Fieber hätte. »Oh, wie ist es so kalt, wie beutelt es mich zusammen, darf ich mich nicht ein bißchen wärmen?« murmelte sie in einem fort.
»Komm nur her«, sagte Paul, »das Feuer ist groß genug für uns beide.«
»Aber tut mir das Bärlein wohl nichts?« fragte die Alte.
»O nein«, sagte Paul und riß der Alten die Rute aus der Hand, als ob er das Bärlein damit fortjagen wollte. Er schlug aber nicht auf das Bärlein, sondern auf die Alte, und augenblicklich war sie in Stein verwandelt. Dann schlug er mit der Rute auf den nächsten Stein, und siehe da, statt des Steins stand ein Bärlein vor ihm, das gar freundlich um ihn herumtappte. Dann ging er wieder zum nächsten Stein und schlug mit der Rute darauf. Und augenblicklich stand sein Bruder vor ihm, fiel ihm um den Hals und wollte nimmer aufhören, ihn zu herzen und zu küssen vor lauter Freude und Dankbarkeit.
Dann gingen die zwei Brüder mit ihren Bärlein zurück nach Babylon, wo es eine Freude und Verwirrung gab, die ohne Grenzen war. Die Leute sahen wohl, daß einer von den beiden der Vizekönig sein müsse, konnten aber nicht unterscheiden, welcher es denn eigentlich sei. Manche schauten sich fast die Augen heraus, konnten aber doch keinen Unterschied zwischen den beiden herausfinden. Als sie endlich an den Hof kamen und vor die Vizekönigin traten, da wußte sich diese nicht zu raten und zu helfen, weil sie ihren Gemahl nicht herausfinden konnte. Peter aber gab sich ihr durch ein verborgenes Merkmal zu erkennen, und da war ihre Freude erst vollkommen. Sie lebten wieder froh und glücklich beieinander bis in ein hohes Alter.
Paul ging nach Hause zu seinen Eltern, und auch ihm ging es gut sein Lebtag.
(mündlich bei Meran)
[Österreich: Ignaz und Joseph Zingerle: Kinder und Hausmärchen aus Süddeutschland]