Nach mehreren Tagen glücklicher Fahrt landete er mit zwanzig Mann seiner Getreuen und zwanzig Pferden in seinem Revier. Sie streiften umher und hatten eine ergiebige Jagd, doch bei einem Zug, den sie unternahmen, verirrten sie sich. Sie kamen in einen Wald, wo die Bäume magnetisch waren, deshalb konnten sie aus demselben nicht herauskommen. Es war in dem Wald aber auch kein Wild, weshalb der König und seine Leute große Not litten und die Pferde töten und essen mussten, um nicht zu verhungern. Nur das des Königs ließen sie leben.
Trotzdem waren neunzehn Leute den Anstrengungen erlegen, nur der König und ein Mann waren noch übrig. Die beiden hielten Rat, wie sie aus diesem Wald wegkommen könnten. Der Mann, der dem König noch übriggeblieben war, wusste, dass in diesem Wald ein ungeheurer Vogel hauste, der zwölf Köpfe hatte. Darauf gestützt, fasste er einen sonderbaren Plan. Das Pferd, das sie noch besaßen, solle getötet und der König in die Haut desselben eingenäht werden; er solle keine anderen Waffen als das Schwert und das Messer behalten, während der Mann sich nach dem Einnähen töten solle.
Der König wollte anfangs in diesen Plan nicht eingehen, doch nach vielem Hin- und Herreden nahm er denselben an, und es geschah, wie der Mann es wollte. Der König wurde auf der Spitze eines Berges, der sich in dem Wald befand, eingenäht, und dann tötete sich der Soldat selbst.
So war der König mehrere Stunden in einer sehr unbequemen Lage, bis endlich der Vogel kam. Der hob ihn auf, als wäre er eine Feder, und flog mit ihm davon, nicht wissend, dass er eine so edle Last trage. Er flog mit ihm mehrere Stunden durch die Luft, bis er sich in einem anderen Wald auf der Spitze einer ungeheuren uralten Eiche niederließ und den eingenähten König in sein Nest legte, in dem er seine Jungen hatte, die ebenfalls zwölfköpfig waren. Hier überließ er ihn seinen Jungen, während er selbst davonflog.
Der König hatte kaum bemerkt, dass der alte Vogel weg war, als er schon sein Messer hervorzog, die Pferdehaut durchschnitt, aus derselben kroch und sämtliche Jungen tötete. Schnell stieg er nun von dem Baum herunter und verbarg sich in der Nähe. Er hatte auch allen Grund dazu, denn der Vogel kam gerade wieder zurück. Das Geschrei, das er ausstieß, als er seine Jungen getötet sah, war unbeschreiblich; das Brüllen eines Ochsen ist nichts dagegen. Mit seinen Flügeln peitschte er die Luft, so dass man es wohl stundenweit hören konnte. Durch dieses Geschrei wurde ein Löwe herbeigelockt. Der Vogel hatte ihn aber kaum bemerkt, als er sich wütend auf ihn warf, denn er dachte, dieser sei der Mörder seiner Jungen. Der Löwe wäre bald unterlegen, wäre der König ihm nicht zu Hilfe geeilt; doch auch beide vereint hatten große Not mit dem Vogel, denn kaum hatte er ihm einen Kopf abgeschlagen, als er ihm auch schon wieder wuchs. Erst nach großen Anstrengungen gelang es ihnen, des Vogels Meister zu werden.
Nun glaubte der König, er würde es mit dem Löwen zu tun haben, doch wie wunderte er sich, als derselbe sich wie ein Hund zu seinen Füßen legte und ihm die Hände leckte. Sie wanderten viele Tage miteinander, und der Löwe versorgte den König mit Wild, bis sie endlich an einen Fluss kamen, der siedend heißes Wasser hatte. Hier wollte der König ein Floß machen, um mit Hilfe desselben den Fluss hinabfahren zu können. Er erbaute sich zuerst eine kleine Hütte, um vor dem Regen sicher zu sein, dann nahm er das Schwert zur Hand, fällte Bäume und machte ein Floß; die Fugen verschmierte er mit Harz. Während er diese Arbeiten verrichtete, jagte der Löwe im Wald und versorgte den König so reichlich mit Speise, dass noch etwas auf die Reise übrigblieb.
Das Floß war gemacht und der König vollkommen reisefertig, nur der Löwe war noch abwesend. Da fasste der König den Plan, sich von demselben zu befreien, da er ihm noch immer nicht recht traute. Er stieg rasch auf das Floß und stieß vom Ufer ab, doch der Löwe kam gerade, mit einem Tier im Rachen, von seiner Jagd zurück, und als er den König auf dem Floß sah, stutzte er ein wenig, doch besann er sich nicht lange und sprang mit einem ungeheuren Sprung aufs Floß. Aber nur mit den Vorderfüßen erreichte er dasselbe, der Hinterteil fiel ins heiße Wasser, so dass er sich tüchtig brannte. Infolgedessen gingen ihm die Haare an jenem Teil aus, und daher sind die Löwen bis auf den heutigen Tag hinten ganz kurz behaart. Nach einiger Anstrengung gelang es ihm, aufs Floß zu gelangen, wo er dem König einen Blick sandte, der ihm durch Mark und Bein ging. Doch war der Löwe großmütig und tat dem König nichts. Nun fuhren sie zusammen auf dem Floß; hatten sie keine Nahrung, so hielten sie an, und der Löwe ging auf die Jagd.
Sie waren viele Tage hindurch gefahren, jedoch immer durch unbewohnte Gegenden, bis sie endlich nach einigen Monaten zu einem Wirtshaus kamen. Sie gingen hinein. Im Zimmer war niemand als der Wirt, dem die sonderbare Kleidung des Königs auffiel, denn er war nur in Tierfelle eingehüllt; auch wunderte er sich über seinen Begleiter. Der König fragte den Wirt um den Namen des Landes, in dem er sich befinde, und es zeigte sich, dass er nicht mehr weit von seinem Schloss war; doch die Frist war beinahe abgelaufen. Im Gastzimmer hing an der Wand ein Schwert, das sich von selbst bewegte und das der König um jeden Preis haben wollte. Da er aber kein Geld hatte, es zu kaufen, so nahm er es, als der Wirt auf einen Augenblick hinausgegangen war, von der Wand, während er sein eigenes an dieselbe Stelle hängte. Er gab demselben einen Schwung und ging samt dem Löwen hinaus. Sie stiegen aufs Floß und wollten fortfahren, doch es ging nicht, denn der Fluss war ganz voll von Gestrüpp und Schlingpflanzen. Der König hing nun das Schwert an die Spitze des Fahrzeugs, wodurch sie sich Luft machten, denn das Schwert fuhr hin und her und zerschnitt die Schlingpflanzen. So fuhren sie noch mehrere Tage, bis sie endlich am letzten Tag der Frist vor dem Residenzschloss anlangten.
Während dieser Ereignisse hatte die Königin in einem Zustand der Aufregung gelebt. Das Schiff, das den König mit seinen Leuten ins Revier geführt hatte, war zurückgekommen und hatte das Verschwinden des Königs gemeldet, deshalb drangen die Fürsten und Großen des Reichs in sie, sich einen anderen Gemahl zu erwählen, doch sie sagte immer: »Kommt er binnen zehn Jahren nicht zurück, so werde ich mir einen wählen, früher nicht.« Die Fürsten aber drohten ihr, denn sie wollten nicht von einer Frau beherrscht werden, bis sie endlich einwilligte, sich zu vermählen. Die Trauung sollte am letzten Tag der zehn Jahre stattfinden. Der Bräutigam war gerade mit den Fürsten angekommen, um sich in die Kirche zu begeben, als die Heirat durch das Erscheinen des Königs verhindert wurde. Der Bräutigam und auch die Fürsten widersetzten sich und wollten den König töten, doch er zog sein Schwert, welches so fürchterliche Verheerungen anrichtete, dass von den anwesenden Fürsten kein einziger am Leben blieb.
Der König lebte noch lange mit seiner Gemahlin und war sehr glücklich; der Löwe blieb immer sein treuer Gefährte, und als der König gestorben war, nahm er keine Speise mehr und starb auf dem Grab seines Herrn.
Quelle:
(Theodor Vernaleken)