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Der Bärensohn

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Es giengen einmal ein Bauer und seine Frau auf das Feld, um das Heu zu sammeln. Am Rande des Waldes legte die Frau ein Körbchen nieder, in welchem ein gesundes Knäblein schlief, und gieng ihrer Arbeit nach. Als es gegen Abend gieng, kam die Mutter wieder und wollte ihr Kind holen; aber es war nirgends zu finden. In der Angst ihres Herzens lief die arme Frau zu ihrem Manne und erzählte ihm, was geschehen. Der Bauer aber sprach ganz ruhig: »Den Buben hat der Bär geholt, den finden wir nimmer.« Die Beiden suchten zwar den Wald die Kreuz und die Quere aus, aber ohne Erfolg und giengen betrübt nach Hause. Das Knäbchen hatte aber wirklich der Bär geholt, oder vielmehr die Bärin, die den armen Wurm sorgfältig säugte und pflegte.
Nach fünf Jahren führte die Bärenmutter den Knaben zu einer mächtigen Tanne und hieß ihn den Baum aus der Erde herausreißen. Das gieng aber über die Kräfte des Buben, der wieder der Bärin folgen mußte, die ihn neuerdings säugte und pflegte. Als abermals fünf Jahre verflossen waren, sollte der Knabe wieder die Tanne entwurzeln; allein es gieng wieder nicht. Als er aber zwanzig Jahre alt wurde, da riß der Bärensohn die stärkste Waldtanne, als wenn sie ein Strohhalm wäre, sammt den Wurzeln aus dem Boden heraus. Da lachte die Bärin, daß es im Forste wiederhallte und sagte zu dem Knaben, er möchte jetzt nach Hause gehen und seine Eltern aufsuchen. Das that der junge Mann.
Im Vaterhause angekommen, frug er die Mutter, die am Herde saß und ihn nicht erkannte, ob sie nicht Etwas habe, um seinen Hunger zu stillen. Auf die bejahende Antwort gieng der Starke in die Brodkammer und verzehrte den ganzen reichen Brodvorrath. Um seinen Durst zu löschen, stieg er hinab in den Keller, faßte das größte Stückfaß mit den Händen, brachte das Spundloch an den Mund und leerte den gewaltigen Inhalt in Einem Zuge aus. Darob erschrack die gute Frau und gab dem Manne zu verstehen, daß sie einen solchen Gast nicht im Hause brauchen könne. Da schwoll dem jungen Manne die Zornader an der Stirne; er stieg hinauf auf die höchsten Berggipfel und kam mit Gemsen schwer beladen in die Hütte seiner Eltern zurück. Das sei der Lohn für das Empfangene, sprach der Unheimliche und gieng grollend von dannen, ohne sich zu erkennen zu geben. In einem fernen Lande verdingte er sich als Knecht und verlangte von seinem Herrn keinen andern Lohn als den, nach abgelaufenem Dienstjahre dem Brodherrn Streiche versetzen zu dürfen. Damit war der reiche Bauer wohl zufrieden, denn er kannte die Stärke seines neuen Knechtes nicht. Als er aber sah, wie sein Dienstmann mit einem einzigen Faustschlage den stärksten Ochsen niederwarf, da faßte ihn ein geheimer Schauer, und er beschloß bei sich selbst, den Knecht mit übermenschlichen Arbeiten zu erdrücken. So sandte der Bauer den Bärensohn in die Hölle, um dort gemahlenes Mehl in Empfang zu nehmen, und gab ihm eine ganze Ladung Säcke mit. Der Knecht aber lachte höhnisch auf, schlug zwei Ochsen nieder, zog ihnen die Haut ab, nähte sie zusammen und stieg getrost hinab in den Höllenschlund. Dort stieß er auf eine Schaar von gehörnten Unholden und brachte diesen sein Anliegen vor. Da lachten die Teufel ob dem dummen Gesellen und sagten ihm, sie hätten kein Mehl bereit für seinen Herrn. Aber der Starke verstand keinen Spaß und ließ seine Faust so lange auf die Schädel der Teufel niederfallen, bis sie ihm das Gewünschte herbeiholten. Damit belastet, kam er zu seinem Herrn zurück und gab ihm den Rath, für die Zukunft sich eine bequemere Mühle aufzusuchen. Dem Dienstherrn ward es dabei immer unheimlicher, und er schickte den Knecht zum zweitenmale in die Hölle, um vom Belzebub die Zinse seiner Kapitalien zu erheben, in der Hoffnung, auf diesem Wege vom Bärensohn auf immer befreit zu werden. Er aber gieng und kam mit dem Gelde, und da das Dienstjahr just herum war, versetzte er dem Bauer einen Stoß, daß der sieben Meilen weit wegflog.
Das ist die Geschichte vom Bärensohn.

(In Campodials bei Somvix erzählt)
[Rätoromanien: Dietrich Jecklin: Volksthümliches aus Graubünden]

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