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Das Bettelmädchen

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Es lebte ein alter Burgvogt, der wünschte, daß einst sein Sohn, der junge Graf, heirate, damit das Burgvogtrecht in der Verwandtschaft bleibe. Der Vater gab nun ein Mahl, an dem er sich äußerte, daß sein Sohn demnächst heiraten werde. Der Sohn erwiderte dem Vater, daß er geneigt sei zu heiraten, nur solle man ihm die Wahl überlassen und nichts dagegen einwenden, ob er nun bald ein reiches oder ein armes Mädchen nach Hause bringe, die Hauptsache sei, daß sie ihm gefalle. Daraufhin unternahm er einen großen Spaziergang und kam durch ein Dorf, wo er ein Mädchen am Brunnen waschen sah, das ihm sehr gefiel. Wieder zu Hause angelangt, ließ er die Schneiderin kommen und eine Magd, die ungefähr von derselben Größe war wie das Brunnenmädchen, und ließ für die Schöne ein Kleid anmessen. Als das Kleid fertig war, ließ er den Wagen anspannen und fuhr mit dem neuen Kleid in das Dorf vor das Haus des Mädchens, wo er ausstieg. Er fand Mutter und Tochter zu Hause. Er bat die Mutter um die Hand ihrer Tochter; er habe sie am Brunnen gesehen und wünsche sich keine andere zur Frau. Die Mutter entgegnete: „Das ist gewiß nur ein Traum oder ein Scherz von Euch, Herr, ich bin arm und kann dem Mädchen nichts geben. Wenn Eure Neigung aber eine ernste ist, so will ich nicht dagegen sein!“ Da fragte er die Tochter, und diese erwiderte ihm dasselbe wie die Mutter. Da sagte der Herr zu dem Mädchen: „Ja, es ist mir ernst, nur mußt du mir versprechen, in allen Fällen gehorsam zu sein!“

Sie versprach es mit Herz und Hand, und nun packte er das schöne Kleid aus, sie zog es an, und es paßte ihr gut; dann nahm er sie mit in den Wagen, fuhr mit ihr nach Hause und hielt Hochzeit.

Das arme Mädchen hatte sich bald in die vornehmen Verhältnisse hineingefunden. Nach zwei Jahren gebar sie ein Mädchen. Als es zwei Jahre alt war, sagte der Burgvogt zu seiner Frau: „Du hast mir versprochen, immer gehorsam zu sein; das Volk beginnt zu murren, daß das erstgeborne Kind nicht ein Bub ist, drum wäre es besser, wenn wir das Kind entfernten!“ Die Mutter erwiderte: „Was ich versprochen, bin ich bereit zu halten!“ Sie gab dem Kleinen ihren Segen und ließ es fortnehmen; sie wußte nicht, wohin es kam, und fragte auch nicht.

Nach weitern zwei Jahren gebar sie einen Sohn. Zwei Jahre verflossen, und da trat der Graf wieder vor sie und sagte: „Das Volk murrt, daß der Kleine der Sohn eines ehemaligen Bettelmädchens ist, drum ist es besser, wenn er fortkommt!“ Die Mutter hatte nichts dagegen einzuwenden und erteilte ihrem Söhnchen den Segen. Beide Kinder wurden, ohne daß die Mutter es wußte, zu Verwandten gebracht und dort standesgemäß erzogen.

Nach einigen Jahren trat der Graf wieder vor seine Frau und sagte: „Das Volk murrt gegen mich, daß ich dich geheiratet habe; wenn ich Frieden haben will, so müssen wir uns trennen. Geh du wieder in dein Elternhaus, dann werde ich eine Vornehme heiraten, und das Volk wird wieder zufrieden sein!“ Die Frau wurde traurig und sagte: „Ich habe dir versprochen, in allen Teilen zu gehorchen, und werde mein Wort halten, ohne zu murren!“

Da holte ihr der Gemahl die Bauernkleider, die er aufbewahrt; sie zog ihr schönes Gewand aus und schlüpfte in das Bettelkleid. Der Graf gab ihr einiges Geld mit, und sie zog wieder nach Hause. Die Mutter suchte sie zu trösten: „Ich habe es dir gesagt, es geht so lange, dann bist du ihm verleidet!“

Nach zwei Jahren ließ sie der Graf wieder in seine Burg rufen und sagen, sie möchte das Schloß putzen und fegen helfen, denn er wolle wieder heiraten. Sie gehorchte und fegte das Schloß mit den andern Dienstboten von oben bis unten, Dem Burgvogt gingen dabei die Augen über. Dann sagte er zu ihr: „Wenn ich nun Hochzeit halte, so sollst du allein mir aufwarten!“ Sie nickte stumm und ging an die Arbeit. Am Hochzeitstage saß neben dem Grafen ein blutjunges, schönes Mädchen. Er fragte seine Aufwärterin, wie ihm die Braut gefalle. Sie antwortete: „Sie gefällt mir gut, nur wünsche ich, daß sie Euch immer gefallen möge bis an Euer Ende und sie nicht einst so hart abgewiesen wird wie ich!“ Da fiel ihr der Graf um den Hals und rief aus: „Ich wollte nie eine andere heiraten; die du da siehst und als meine Braut wähnst, ist unsere Tochter, die ich von dir genommen habe, und der schöne Jüngling neben ihr ist unser Sohn. Jetzt bist du wieder meine Gemahlin und lebst im Schlosse mit mir, und wir halten treu zusammen, bis der Tod uns trennen wird!“

Quelle:
(Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz)

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