Als er unten war, lugte er noch einmal in das Wasser, und siehe da! Abermals sah er das Nest ganz deutlich. Was gibst, was hast war er wieder oben im Baum, aber auch diesmal konnte er das Nest nicht entdecken. Das trieb er so zum dritten und vierten Mal. Endlich fiel es ihm ein, er wolle im Wasser alle Äste zählen bis zum Nest hinauf. Gedacht, getan, und nun ging’s. Er kletterte und zählte richtig, und als er bei dem rechten Aste angelangt war, griff er zu und hielt plötzlich ein schneeweißes Steinchen in der Hand, und nun bekam er auch das Nest selber zu sehen. Da ganz vorne auf dem Ast lag’s, daß er sich verwunderte, wie es ihm so lange hatte entgehen können. Da ihm das schneeweiße Steinchen gefiel, steckte er’s in die Tasche und stieg herunter.
Am Abend trieb er seine Geißen und Schafe heim und sang und jodelte dabei nach seiner Gewohnheit aus Herzenslust. Aber was geschah? Wie er ins Dorf kam, sperrten die Leute Maul und Augen auf, denn sie hörten ihren Geißbuben wohl singen, aber kein Mensch sah ihn. Und als er vor seiner Eltern Haus kam, sprang der Vater heraus und rief: „Ums Himmels willen, Bub, was hast du gemacht? Komm herein in die Stube.“ Vater und Mutter wußten vor Schrecken nicht, wo aus und ein, und der Bube wußte nicht, daß er unsichtbar war, bis es ihm der Vater sagte.
„Bist du etwa auf einem Hexenplatz gewesen?“ fragte der Vater.
„Nein“, sagte der Bube und erzählte von dem Vogelnest. „Gib weidlich das Steinchen heraus!“ riefen Vater und Mutter.
Da gab er es dem Vater in die Hand, aber was geschah? „Herr Jesus, Ätti, wo bist du?“ riefen die Mutter und der Bube. Denn jetzt war der Bube wieder sichtbar, aber der Vater war dafür unsichtbar geworden.
Dem war’s jedoch, als ob er eine Kröte in der Hand hätte, und er warf das Steindien auf den Tisch. Aber was geschah? Da sahen sie den Tisch nicht mehr. Jetzt fuhr der Vater auf, tappte nach dem Tisch und erwischte glücklich das Steinchen. Wie der Wind sprang er mit demselben aus dem Haus und warf es mitten in den Ziehbrunnen hinunter. Aber hei! Wie das da drunten blitzte und krachte, nicht anders, als wenn Himmel und Erde zusammenstürzen müßten. Was gibst du mir, wenn ich’s wieder heraufhole?
Quelle:
(Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz)