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Von dem König, der eine schöne Frau wollte

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Es war einmal ein König, der wollte sich gern verheirathen; seine Frau sollte aber schöner als die Sonne sein, und so viele Mädchen er auch sah, es war ihm keine schön genug. Da rief er seinen vertrauten Diener, und befahl ihm, überall nachzuforschen, ob er wohl irgendwo ein hübsches Mädchen fände. Der Diener machte sich auf, und wanderte durch das ganze Land, fand aber keine, die ihm schön genug dünkte. Eines Tages aber, da er wieder viel gelaufen war und großen Durst spürte, kam er an ein Häuschen. Da klopfte er an, und verlangte einen Trunk Wasser. In dem Häuschen aber wohnten zwei ganz alte Weiber, davon war die eine achtzig Jahr alt und die andere neunzig, und die ernährten sich mit Spinnen. Da nun der Diener um etwas Wasser bat, stand die achtzigjährige auf, öffnete ein kleines Thürchen im Laden und reichte ihm so das Wasser hinaus. Vom vielen Spinnen werden aber die Hände sehr weiß und fein, und als der Diener die weiße Hand sah, dachte er: »es muß ein schönes Mädchen sein, wenn es eine so weiße, feine Hand hat.« Also machte er sich eilends auf, kam zum König und sprach: »Königliche Majestät, ich habe gefunden, was ihr sucht; dies und das ist mir passirt.« »Gut,« antwortete der König, »geh noch einmal hin und schaue zu, ob du sie sehen kannst.«
Der Diener kam zum Häuschen, klopfte an und verlangte wieder etwas Wasser. Die Alte aber machte die Fenster nicht auf, sondern reichte ihm den Krug durch die kleine Oeffnung im Laden. »Wohnt ihr ganz allein da drinnen?« frug der Diener. »Nein,« antwortete sie, »ich wohne mit meiner Schwester hier; wir sind arme Mädchen, und ernähren uns von unserer Hände Arbeit.« »Wie alt seid ihr denn?« »Ich bin fünfzehn Jahre alt und meine Schwester zwanzig.« Da ging der Diener zum König und berichtete ihm alles, und der König sprach: »Ich will die fünfzehnjährige. Gehe hin und bringe sie mir hierher.« Als nun der Diener zu den beiden Alten kam und ihnen sagte, der König wolle die Jüngere zu seiner Gemahlin erheben, antwortete sie: »Saget dem König, ich sei bereit, seinen Willen zu thun. Seit meiner Geburt bin ich von keinem Sonnenstrahl getroffen worden, und wenn mich jetzt ein Sonnenstrahl oder Lichtstrahl trifft, so muß ich ganz schwarz werden. Bittet also den König daß er mir Abends einen geschlossenen Wagen schicke, so will ich zu ihm aufs Schloß fahren.«
Als der König das hörte, schickte er ihr königliche Kleider und einen geschlossenen Wagen, und als es Nacht geworden war, verhüllte die Alte ihr Gesicht mit einem dichten Schleier und fuhr aufs Schloß. Der König empfing sie voll Freuden und bat sie, den Schleier doch abzunehmen. Sie aber antwortete: »Hier brennen zu viele Kerzen, und ihr Licht würde mich schwarz machen.« Also ließ sich der König mit ihr trauen, ohne ihr Gesicht gesehn zu haben. Als sie aber in die Kammer des Königs kam und den Schleier abnahm, sah der König erst, was für eine häßliche Alte er zu seiner Frau genommen hatte, und in seinem Zorn riß er das Fenster auf und warf sie hinaus. Glücklicherweise war ein Nagel in der Mauer, an dem blieb sie mit ihrem Kleide hängen, und hing nun so zwischen Himmel und Erde. Zufällig kamen vier Feen vorbei, und als sie die Alte da hängen sahen, rief die Eine: »Seht, Schwestern, das ist die Alte, die den König angeführt hat, wollen wir ihr wünschen, daß ihr Kleid zerreiße und sie herunterfalle?« »Ach, nein, thun wir das nicht,« rief die jüngste und schönste Fee, »wir wollen ihr lieber jede etwas Gutes wünschen. Ich wünsche ihr Jugend.« »Und ich Schönheit.« »Und ich Weisheit.« »Und ich ein gutes Herz.« So riefen die Feen, und während sie noch sprachen, wurde die Alte zu einem wunderschönen jungen Mädchen, wie man es nirgends schöner sehen konnte.
Als der König am andern Morgen zum Fenster hinausschaute und das schöne Mädchen da hängen sah, erschrak er und dachte: »Ich Unglücklicher, was habe ich gethan! Hatte ich denn diese Nacht keine Augen?« Da ließ er sie vorsichtig mit langen Leitern herunterholen und bat sie um Verzeihung und sprach: »Nun wollen wir aber auch ein großes Fest feiern und recht vergnügt sein.« Da feierten sie ein glänzendes Fest, und die junge Königin war die Schönste in der ganzen Stadt.
Eines Tages nun kam die alte neunzigjährige Schwester auf das Schloß, und wollte ihre Schwester, die Königin besuchen. »Wer ist dieses häßliche Wesen?« frug der König. »Eine alte Nachbarin, die halb närrisch ist,« antwortete schnell die Königin. Die Alte aber schaute immer nur ihre verjüngte Schwester an und sagte: »Wie hast du es nur angefangen, so jung und schön zu werden? Ich will auch wieder jung und schön sein.« Da sie nun den ganzen Tag dasselbe frug, so verlor die Königin endlich die Geduld und sagte: »Ich habe mir meine alte Haut abziehen lassen, und da ist diese neue glatte Haut zum Vorschein gekommen.« Da ging die Alte zu einem Barbier und sprach zu ihm: »Ich gebe euch, was ihr wollt, ihr müßt mir aber meine alte Haut abziehen, daß ich wieder jung und schön werde.« Aber gute Alte, ihr müßt ja sterben, wenn ich euch die Haut abziehe. Die Alte wollte aber nichts hören, und so that der Barbier ihr endlich den Willen, nahm sein Messer und machte ihr einen Schnitt in die Stirn. »Aï!« schrie die Alte.

»Wer schön will aussehen,
Muß Schmerz und Leid ausstehen,«

antwortete der Barbier. »So häutet nur, Meister!« sprach die Alte. Als der Barbier aber immer weiter schnitt, fiel die Alte auf einmal um und war todt.

[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]

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