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Es waren einmal ein Bruder und eine Schwester, die hatten weder Vater noch Mutter, und hatten sich von Herzen lieb. Sie waren sehr arm, und hatten nur zwei Ziegen, die trieb das Schwesterlein auf die Weide. Eines Tages aber entsprang die eine Ziege, und die Schwester mußte ihr nachlaufen. Sie lief und lief immer weiter, bis es Nacht wurde, und sie sich in einer einsamen Gegend sah, und den Weg nach Hause nicht mehr finden konnte. Die Ziege aber lief immer vor ihr her, und als sie an einem Hause vorbeikamen, sprang sie zur Thüre und legte sich auf die Schwelle nieder. Da dachte das Kind: »Es ist dunkle Nacht, und ich finde den Weg nach Haus doch nicht mehr; so will ich denn hier bleiben, bis es Tag wird.« Als es nun anfing zu tagen, hörte sie im Hause eine gewaltige Stimme, die brummte: »Was riecht es hier nach Menschenfleisch!« und zugleich trat aus der Thür ein Riese, der war gar furchtbar anzusehen, also daß das arme Kind erschrak. »Was thust du da?« frug der Riese. Da erzählte ihm das Kind, wie es habe der Ziege nachlaufen müssen, und bei dunkler Nacht an das Haus gerathen sei. »Gut,« sprach der Riese, »komm herauf in mein Haus und diene mir.« »Ach nein,« antwortete das Kind, »ihr werdet mich gewiß fressen.« »Sei unbesorgt,« sagte der Riese, »wenn du mir treu dienst, so werde ich dir nichts zu Leide thun.« Also blieb das Kind bei dem Riesen, diente ihm und hatte es gut bei ihm. Der Bruder aber, da er sein Schwesterchen nicht mehr finden konnte, wurde traurig und sehnte sich immerfort nach ihm.
Nun begab es sich eines Tages, daß er traurig die eine Ziege hütete, die ihm noch geblieben war. Da entsprang ihm die Ziege, und er mußte ihr nachlaufen über Berg und Thal, bis er in eine ganz fremde Gegend kam, und keinen Ausweg mehr fand. Die Ziege aber lief vor ihm her, und als sie an ein Haus kam, sprang sie zur Thür und legte sich nieder. Der Bursche dachte: »Bei der dunklen Nacht kann ich doch den Rückweg nicht finden, so will ich hier bleiben bis es Tag wird.« Es war dies aber eben das Haus des Riesen, in dem seine Schwester weilte. Da sie nun am Morgen früh die Thür öffnete, sah sie den schönen Jüngling da liegen, und als sie ihn genauer ansah, erkannte sie ihren Bruder, und umarmte ihn mit großer Freude, aber auch mit großer Angst, denn sie fürchtete, der Riese möchte ihn umbringen. »Lieber Bruder,« sprach sie, »ich muß dich verstecken, denn mein Herr, der Riese, wird sogleich aufwachen, und dann könnte er dich fressen.« Da versteckte sie ihn im Keller. Als nun der Riese aufwachte, brummte er: »Was riecht es hier nach Menschenfleisch! was riecht es hier nach Menschenfleisch!« »Ach, was sagt ihr,« antwortete sie, »es ist niemand da.« Er aber brummte immerfort: »Was riecht es hier nach Menschenfleisch!« Da faßte sie sich endlich ein Herz und sprach: »Ich will es euch nur sagen, daß mein Bruder hier ist. Wie ihr mich verschont habt, müßt ihr nun aber auch ihn verschonen.« Das versprach der Riese, und sie ging, ihren Bruder zu holen, der gefiel dem Riesen so wohl, daß er ihn auch bei sich behielt. So lebten denn die Beiden bei dem Riesen, und dienten ihm, und hatten es gut bei ihm.
Als sie nun größer wurden, wollten sie gern fortziehen, und wieder unter Menschen kommen, der Riese aber ließ sie nicht gehen. Da sprach der Bruder eines Tages zur Schwester: »Ich halte es in dieser Einöde nicht länger aus, wir können doch nicht immer hier bleiben, und überdieß sind wir nie sicher. Wer weiß, ob es nicht eines schönen Tages dem Riesen einfällt, uns zu fressen. Suche also aus ihm herauszukriegen, wie man ihn umbringen kann, so will ich ihn tödten und wir können dann fort.« Die Schwester war es zufrieden, ging zum Riesen, und sprach zu ihm: »Soll ich euch nicht ein wenig lausen?« Der Riese sagte ja, und als sie so bei einander waren, fing sie an: »Saget mir doch, wenn euch einer umbringen wollte, was aber nicht geschehen möge, wie müßte er es anfangen?« »Ja, liebes Kind,« antwortete der Riese, »um mich zu tödten, gibt es nur ein Mittel. Siehst du alle die verrosteten Schwerter, die in meinem Zimmer hängen? Das mittelste ist ein Zauberschwert, wer das hat, dem kann nichts widerstehen, und wenn es zuvor blank geputzt worden ist, so kann auch mir der Kopf abgeschnitten werden. Wer mich aber tödtet, ist ein glücklicher Mann, denn er findet in meinem Kopf eine Salbe, und jede Wunde die damit bestrichen wird, heilt sogleich zu.« »Ach, laßt das,« rief das Mädchen, »ich will diese Geschichten lieber gar nicht hören. Möchtet ihr noch recht lange leben.« Heimlich ging sie aber zu ihrem Bruder, und erzählte ihm Alles, was der Riese gesagt hatte. Da wartete der Bruder noch einige Tage, und fing dann an, alle die Schwerter in des Riesen Kammer zu putzen, daß sie ganz hell und blank wurden. »Was machst du da?« frug der Riese. »Ich putze eure Schwerter; seht doch nur einmal, wie rostig sie sind,« antwortete der Jüngling. Als er nun auch das Zauberschwert putzte, gab es einen so hellen Glanz, wie er noch nie etwas Aehnliches gesehen hatte. Eines Abends nun, als der Riese schlief, schlich der Jüngling hinzu, und hieb ihm mit dem Zauberschwert den Kopf ab. Dann sammelte er die Salbe, die in dem Kopfe war, und verwahrte sie in einem Büchschen. Für den Riesen aber machten sie ein tiefes Grab und legten ihn hinein, nahmen dann alle die Schätze mit, die in dem Hause aufgespeichert waren, und zogen in die nächste Stadt. Dort nahmen sie ein hübsches Haus, und lebten vergnügt miteinander.
Eines Tages aber sprach der Bruder: »Liebe Schwester, ich kann nicht länger bei dir bleiben, denn ich will gern die Welt besehen, und mein Glück suchen.« Sie weinte und wollte ihn nicht ziehen lassen; er ließ sich aber nicht halten, nahm eine schöne Rüstung, schnallte das Zauberschwert um, steckte das Büchschen mit der Salbe zu sich, bestieg ein schönes Pferd, und ritt davon.
Er wanderte nun eine geraume Zeit, und kam endlich in eine große, schöne Stadt, die war ganz schwarz behangen, und alle Leute gingen in schwarzen Kleidern. Da frug er seinen Wirth, was das bedeute. »Ach,« antwortete der, »die Stadt ist übel heimgesucht von einem Lindwurm mit sieben Köpfen, der haust auf jenem Berge, und jedes Jahr muß man ihm eine vornehme Jungfrau zuführen, sonst verheert er die ganze Stadt. Dieses Jahr hat das Loos die Königstochter getroffen, und heute ist der Tag, an welchem sie auf den Berg geführt werden soll. Der König hat zwar verkündigen lassen, daß derjenige Ritter, der den Lindwurm tödte, seine Tochter zur Frau haben solle, es hat es aber keiner versuchen wollen, denn der Lindwurm ist ein gar zu schreckliches Thier.« Da dachte der Jüngling: »Ich will mein Glück versuchen, habe ich doch mein Zauberschwert.« Also bestieg er wieder sein Pferd, schnallte sein Zauberschwert um, steckte auch das Büchschen mit der Salbe zu sich, und ritt dem Berg zu. Als er nun in die Nähe der Höhle kam, wo der Lindwurm hauste, kam gleich das Ungethüm hervorgekrochen, denn es roch Menschenfleisch. Da zog der Jüngling sein Zauberschwert, und kämpfte mit dem Lindwurm, und schlug ihm einige Köpfe ab. Der Lindwurm aber verwundete ihn am Bein, und verwundete auch das Pferd. Da ritt der Jüngling ein wenig abseits, zog sein Büchschen hervor, und bestrich seine Wunden mit der Salbe, und auch die Wunden seines Pferdes, und alsobald wurden sie Beide wieder gesund, also daß er sein Schwert wieder ziehen konnte, und den Lindwurm vollends todt machte. Dann schnitt er ihm die sieben Zungen aus den sieben Köpfen, wickelte sie in sein Tuch, und kehrte in das Wirthshaus zurück.
Die Königstochter bereitete sich unterdessen auf ihren schweren Gang vor, und ob sie gleich bitterlich weinte, mußte sie doch endlich von ihren Eltern Abschied nehmen, und den Weg zum Berge antreten. Ein Sklave ihres Vaters aber begleitete sie. Als sie nun auf den Berg kamen, sahen sie den Lindwurm in seinem Blute liegen; da dankte die Königstochter dem lieben Gott von Herzen, daß sie nun nicht zu sterben brauche. Der Sklave aber dachte es sich zu Nutzen zu machen, setzte ihr sein Schwert auf die Brust und sprach: »Wenn du mir nicht versprichst, deinem Vater zusagen, ich habe den Lindwurm getödtet, so bringe ich dich um.« Da versprach sie es in ihrer Herzensangst, und der Sklave nahm die sieben abgeschnittenen Köpfe zum Wahrzeichen mit. Als nun die Königstochter gesund und unversehrt vom Berge herunterkam, und aussagte, der Sklave habe den Lindwurm erschlagen, war große Freude im ganzen Land, und der König sprach zum Sklaven: »Du hast meine Tochter befreit, und sollst sie nun zur Gemahlin haben.« Da wurde ein großes Fest veranstaltet, und das ganze Land freute sich; die Königstochter aber war traurig, denn sie wollte den Sklaven nicht gerne heirathen.
Als der wahre Besieger des Lindwurms aber hörte, daß der Sklave die schöne Königstochter heirathen sollte, ließ er sich eilends ein schönes Gewand machen, nahm die sieben Zungen in die Tasche, ging auf das Schloß, und ließ sich beim König melden. »Herr König,« sprach er, »ich habe gehört, daß euer Sklave eine so große Heldenthat vollbracht hat, und den Lindwurm getödtet. Erzählt mir doch, wie das zugegangen ist.« Der König antwortete: »Mein Sklave begleitete meine Tochter auf den Berg; derselbe hat die Kraft gehabt, den Lindwurm zu besiegen, und ihm die sieben Köpfe abzuschneiden, und zum Wahrzeichen hat er die sieben Köpfe mitgebracht.« »Könnte ich wohl die Köpfe einmal sehen?« frug der Jüngling. Da gab der König Befehl, man solle die sieben Köpfe des Lindwurms herbeibringen und dem Fremden zeigen. »Ja, das sind gewaltige Köpfe,« sprach der Jüngling, »wie groß mögen nur die Zungen sein.« Damit öffnete er dem einen Kopf den Rachen, es fand sich aber keine Zunge darin. Der König und seine Minister waren sehr erstaunt, und meinten: »Wie ist denn das möglich? Sollte das Unthier keine Zungen gehabt haben?« Der Jüngling aber zog sein Tuch hervor, mit den sieben Zungen, und steckte in jeden Rachen eine Zunge, und siehe da, sie paßten ganz genau. Da sprach er: »Nicht wahr, Herr König, der Besieger des Lindwurms muß doch derjenige sein, der die Zungen herausschnitt, ehe die Köpfe eurer Majestät überbracht wurden? Ich habe mit dem Lindwurm gekämpft und ihn besiegt; der Sklave aber ist ein elender Lügner.« Da ließ der König seine Tochter kommen, und frug sie noch einmal, ob der Sklave wirklich den Lindwurm getödtet habe. Sie aber fiel auf die Knie, und sprach: »Ach nein, lieber Vater, er hat es nicht gethan, er hat mir aber gedroht, mich zu tödten, wenn ich euch die Wahrheit sagte.« Da ward der König sehr erfreut, und sprach: »Siehe, dieser schöne Jüngling ist dein Erretter, und ihn sollst du nun zum Gemahl bekommen; den falschen Sklaven aber will ich gleich aufhängen lassen.«
Und so geschah es. Der falsche Sklave wurde zum Galgen geführt und erhängt. Der fremde Jüngling aber heirathete die schöne Königstochter, und ließ auch seine Schwester zu sich kommen. Und da lebten sie Alle glücklich und zufrieden, nur wir sind leer ausgegangen.
Nun begab es sich eines Tages, daß er traurig die eine Ziege hütete, die ihm noch geblieben war. Da entsprang ihm die Ziege, und er mußte ihr nachlaufen über Berg und Thal, bis er in eine ganz fremde Gegend kam, und keinen Ausweg mehr fand. Die Ziege aber lief vor ihm her, und als sie an ein Haus kam, sprang sie zur Thür und legte sich nieder. Der Bursche dachte: »Bei der dunklen Nacht kann ich doch den Rückweg nicht finden, so will ich hier bleiben bis es Tag wird.« Es war dies aber eben das Haus des Riesen, in dem seine Schwester weilte. Da sie nun am Morgen früh die Thür öffnete, sah sie den schönen Jüngling da liegen, und als sie ihn genauer ansah, erkannte sie ihren Bruder, und umarmte ihn mit großer Freude, aber auch mit großer Angst, denn sie fürchtete, der Riese möchte ihn umbringen. »Lieber Bruder,« sprach sie, »ich muß dich verstecken, denn mein Herr, der Riese, wird sogleich aufwachen, und dann könnte er dich fressen.« Da versteckte sie ihn im Keller. Als nun der Riese aufwachte, brummte er: »Was riecht es hier nach Menschenfleisch! was riecht es hier nach Menschenfleisch!« »Ach, was sagt ihr,« antwortete sie, »es ist niemand da.« Er aber brummte immerfort: »Was riecht es hier nach Menschenfleisch!« Da faßte sie sich endlich ein Herz und sprach: »Ich will es euch nur sagen, daß mein Bruder hier ist. Wie ihr mich verschont habt, müßt ihr nun aber auch ihn verschonen.« Das versprach der Riese, und sie ging, ihren Bruder zu holen, der gefiel dem Riesen so wohl, daß er ihn auch bei sich behielt. So lebten denn die Beiden bei dem Riesen, und dienten ihm, und hatten es gut bei ihm.
Als sie nun größer wurden, wollten sie gern fortziehen, und wieder unter Menschen kommen, der Riese aber ließ sie nicht gehen. Da sprach der Bruder eines Tages zur Schwester: »Ich halte es in dieser Einöde nicht länger aus, wir können doch nicht immer hier bleiben, und überdieß sind wir nie sicher. Wer weiß, ob es nicht eines schönen Tages dem Riesen einfällt, uns zu fressen. Suche also aus ihm herauszukriegen, wie man ihn umbringen kann, so will ich ihn tödten und wir können dann fort.« Die Schwester war es zufrieden, ging zum Riesen, und sprach zu ihm: »Soll ich euch nicht ein wenig lausen?« Der Riese sagte ja, und als sie so bei einander waren, fing sie an: »Saget mir doch, wenn euch einer umbringen wollte, was aber nicht geschehen möge, wie müßte er es anfangen?« »Ja, liebes Kind,« antwortete der Riese, »um mich zu tödten, gibt es nur ein Mittel. Siehst du alle die verrosteten Schwerter, die in meinem Zimmer hängen? Das mittelste ist ein Zauberschwert, wer das hat, dem kann nichts widerstehen, und wenn es zuvor blank geputzt worden ist, so kann auch mir der Kopf abgeschnitten werden. Wer mich aber tödtet, ist ein glücklicher Mann, denn er findet in meinem Kopf eine Salbe, und jede Wunde die damit bestrichen wird, heilt sogleich zu.« »Ach, laßt das,« rief das Mädchen, »ich will diese Geschichten lieber gar nicht hören. Möchtet ihr noch recht lange leben.« Heimlich ging sie aber zu ihrem Bruder, und erzählte ihm Alles, was der Riese gesagt hatte. Da wartete der Bruder noch einige Tage, und fing dann an, alle die Schwerter in des Riesen Kammer zu putzen, daß sie ganz hell und blank wurden. »Was machst du da?« frug der Riese. »Ich putze eure Schwerter; seht doch nur einmal, wie rostig sie sind,« antwortete der Jüngling. Als er nun auch das Zauberschwert putzte, gab es einen so hellen Glanz, wie er noch nie etwas Aehnliches gesehen hatte. Eines Abends nun, als der Riese schlief, schlich der Jüngling hinzu, und hieb ihm mit dem Zauberschwert den Kopf ab. Dann sammelte er die Salbe, die in dem Kopfe war, und verwahrte sie in einem Büchschen. Für den Riesen aber machten sie ein tiefes Grab und legten ihn hinein, nahmen dann alle die Schätze mit, die in dem Hause aufgespeichert waren, und zogen in die nächste Stadt. Dort nahmen sie ein hübsches Haus, und lebten vergnügt miteinander.
Eines Tages aber sprach der Bruder: »Liebe Schwester, ich kann nicht länger bei dir bleiben, denn ich will gern die Welt besehen, und mein Glück suchen.« Sie weinte und wollte ihn nicht ziehen lassen; er ließ sich aber nicht halten, nahm eine schöne Rüstung, schnallte das Zauberschwert um, steckte das Büchschen mit der Salbe zu sich, bestieg ein schönes Pferd, und ritt davon.
Er wanderte nun eine geraume Zeit, und kam endlich in eine große, schöne Stadt, die war ganz schwarz behangen, und alle Leute gingen in schwarzen Kleidern. Da frug er seinen Wirth, was das bedeute. »Ach,« antwortete der, »die Stadt ist übel heimgesucht von einem Lindwurm mit sieben Köpfen, der haust auf jenem Berge, und jedes Jahr muß man ihm eine vornehme Jungfrau zuführen, sonst verheert er die ganze Stadt. Dieses Jahr hat das Loos die Königstochter getroffen, und heute ist der Tag, an welchem sie auf den Berg geführt werden soll. Der König hat zwar verkündigen lassen, daß derjenige Ritter, der den Lindwurm tödte, seine Tochter zur Frau haben solle, es hat es aber keiner versuchen wollen, denn der Lindwurm ist ein gar zu schreckliches Thier.« Da dachte der Jüngling: »Ich will mein Glück versuchen, habe ich doch mein Zauberschwert.« Also bestieg er wieder sein Pferd, schnallte sein Zauberschwert um, steckte auch das Büchschen mit der Salbe zu sich, und ritt dem Berg zu. Als er nun in die Nähe der Höhle kam, wo der Lindwurm hauste, kam gleich das Ungethüm hervorgekrochen, denn es roch Menschenfleisch. Da zog der Jüngling sein Zauberschwert, und kämpfte mit dem Lindwurm, und schlug ihm einige Köpfe ab. Der Lindwurm aber verwundete ihn am Bein, und verwundete auch das Pferd. Da ritt der Jüngling ein wenig abseits, zog sein Büchschen hervor, und bestrich seine Wunden mit der Salbe, und auch die Wunden seines Pferdes, und alsobald wurden sie Beide wieder gesund, also daß er sein Schwert wieder ziehen konnte, und den Lindwurm vollends todt machte. Dann schnitt er ihm die sieben Zungen aus den sieben Köpfen, wickelte sie in sein Tuch, und kehrte in das Wirthshaus zurück.
Die Königstochter bereitete sich unterdessen auf ihren schweren Gang vor, und ob sie gleich bitterlich weinte, mußte sie doch endlich von ihren Eltern Abschied nehmen, und den Weg zum Berge antreten. Ein Sklave ihres Vaters aber begleitete sie. Als sie nun auf den Berg kamen, sahen sie den Lindwurm in seinem Blute liegen; da dankte die Königstochter dem lieben Gott von Herzen, daß sie nun nicht zu sterben brauche. Der Sklave aber dachte es sich zu Nutzen zu machen, setzte ihr sein Schwert auf die Brust und sprach: »Wenn du mir nicht versprichst, deinem Vater zusagen, ich habe den Lindwurm getödtet, so bringe ich dich um.« Da versprach sie es in ihrer Herzensangst, und der Sklave nahm die sieben abgeschnittenen Köpfe zum Wahrzeichen mit. Als nun die Königstochter gesund und unversehrt vom Berge herunterkam, und aussagte, der Sklave habe den Lindwurm erschlagen, war große Freude im ganzen Land, und der König sprach zum Sklaven: »Du hast meine Tochter befreit, und sollst sie nun zur Gemahlin haben.« Da wurde ein großes Fest veranstaltet, und das ganze Land freute sich; die Königstochter aber war traurig, denn sie wollte den Sklaven nicht gerne heirathen.
Als der wahre Besieger des Lindwurms aber hörte, daß der Sklave die schöne Königstochter heirathen sollte, ließ er sich eilends ein schönes Gewand machen, nahm die sieben Zungen in die Tasche, ging auf das Schloß, und ließ sich beim König melden. »Herr König,« sprach er, »ich habe gehört, daß euer Sklave eine so große Heldenthat vollbracht hat, und den Lindwurm getödtet. Erzählt mir doch, wie das zugegangen ist.« Der König antwortete: »Mein Sklave begleitete meine Tochter auf den Berg; derselbe hat die Kraft gehabt, den Lindwurm zu besiegen, und ihm die sieben Köpfe abzuschneiden, und zum Wahrzeichen hat er die sieben Köpfe mitgebracht.« »Könnte ich wohl die Köpfe einmal sehen?« frug der Jüngling. Da gab der König Befehl, man solle die sieben Köpfe des Lindwurms herbeibringen und dem Fremden zeigen. »Ja, das sind gewaltige Köpfe,« sprach der Jüngling, »wie groß mögen nur die Zungen sein.« Damit öffnete er dem einen Kopf den Rachen, es fand sich aber keine Zunge darin. Der König und seine Minister waren sehr erstaunt, und meinten: »Wie ist denn das möglich? Sollte das Unthier keine Zungen gehabt haben?« Der Jüngling aber zog sein Tuch hervor, mit den sieben Zungen, und steckte in jeden Rachen eine Zunge, und siehe da, sie paßten ganz genau. Da sprach er: »Nicht wahr, Herr König, der Besieger des Lindwurms muß doch derjenige sein, der die Zungen herausschnitt, ehe die Köpfe eurer Majestät überbracht wurden? Ich habe mit dem Lindwurm gekämpft und ihn besiegt; der Sklave aber ist ein elender Lügner.« Da ließ der König seine Tochter kommen, und frug sie noch einmal, ob der Sklave wirklich den Lindwurm getödtet habe. Sie aber fiel auf die Knie, und sprach: »Ach nein, lieber Vater, er hat es nicht gethan, er hat mir aber gedroht, mich zu tödten, wenn ich euch die Wahrheit sagte.« Da ward der König sehr erfreut, und sprach: »Siehe, dieser schöne Jüngling ist dein Erretter, und ihn sollst du nun zum Gemahl bekommen; den falschen Sklaven aber will ich gleich aufhängen lassen.«
Und so geschah es. Der falsche Sklave wurde zum Galgen geführt und erhängt. Der fremde Jüngling aber heirathete die schöne Königstochter, und ließ auch seine Schwester zu sich kommen. Und da lebten sie Alle glücklich und zufrieden, nur wir sind leer ausgegangen.
[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]