Kaum war es Tag geworden, ging die Tochter, die in Wahrheit ein wunderschönes Mädchen war, mit dem ältesten Sohne des Oheims, alle beide als Burschen gekleidet, auf die Wanderschaft in die weite Welt. Aber sie waren noch nicht weit von der Heimat entfernt, als der gute Vetter die Lust verlor und umkehrte. »Weißt du was, liebe Base«, sagte er zu dem Mädchen, »geh wohin du willst, ich thue nicht mehr mit.« Und er ging heim, eine Hand rechts, eine links, gerade wie er ausgegangen war.
Die Base wanderte ganz allein weiter und kam an das königliche Schloß. Sie trat vor die Wächter und bat: »Um der Barmherzigkeit willen, laßt mich hinein.« Sie war als Pilger gekleidet, und einer der Wächter, der das beste Herz hatte, sagte zu dem andern: »Laßt sie hinein! Jeder Arme ist Gottes und will leben.« So ließ man sie hinein. Ohne alle Furcht ging sie zu dem König und sprach: »Gnade, Herr König, ich bin ein armes Pilgerlein, gebt mir zu arbeiten.« – »Wohl, wohl, mein Sohn«, antwortete der König, »doch welches Handwerk verstehst du? Willst du Stallbub werden oder Hühnerwächter?« – »Stallbub will ich werden.« So wurde sie Stallbub beim Sohne des Königs.
Je länger sie aber diesen Dienst versah, je schöner ward sie, und der Königssohn wollte dem Stallbuben so wohl, daß er ihn mit sich an seiner Tafel essen ließ. Auch wollte es ihm gar nicht in den Sinn, daß sein Stallbub wirklich ein Bub und kein Mädchen war. Eines Tages ging er zu seiner Mutter, der Königin, und sagte ihr: »Liebe Mutter, der Stallbub ist so schön, daß ich sterben möchte, und ich kann’s und kann’s nicht glauben, daß er ein Bub ist, ganz gewiß ist es ein Mädchen. Das aber würde ich heirathen, ich liebe es zum Sterben, liebe Mutter.«
Wie die Königin ihren Sohn so betrübt sah, fing sie zu weinen an und ließ sogleich den Stallbuben auf ihr Zimmer rufen. Er kommt, die Königin liebkost ihn und sagt: »Mein Sohn, du bist so schön und kannst unmöglich ein Bub sein. Sage mir’s, bist du ein Mädchen? Mein Sohn liebt dich über die maßen, und bist du ein Mädchen, so wird er dich zur Frau nehmen.« Sie aber gestand nichts, leugnete und sprach: »Ich bin ein Bub.«
Bald darauf kommt der Prinz, zu erfahren, was seine Mutter ausgerichtet. »Was hat er gesagt?« – »Er hat gesagt, daß er ein Bub sei; doch höre, was du thun mußt. Führe ihn in den Garten: siehst du, daß er sich eine Nelke pflückt, so ist’s ein Bub, pflückt er sich eine Rose, ist’s ein Mädchen.« Schnell führt er ihn in den Garten, und jene pflückt sich alsbald eine Nelke. Weinend kommt der Prinz zur Mutter zurück, und diese mochte sagen was sie wollte, er mochte sich nicht überzeugen, daß es ein Bube sei.
Da sagte die Mutter: »Mein Sohn, jetzt gibt’s nur noch Ein Mittel. Du gehst mit ihm zum Meere ins Bad, und so im Guten oder Vösen wirst du das Geheimniß endlich entdecken.« Schnell rief der Jüngling seinen Stallbuben: »Meerblume, Meerblume« – denn so nannte sich jener – »sattle zwei Pferde, eins für mich, eins für dich, denn morgen früh wollen wir ans Meer reisen, um Bäder zu nehmen.« Die Arme verstand gar wohl, was das zu bedeuten habe, aber am andern Morgen standen die Pferde gesattelt vor der Thür, und sie reisten ab.
Am ersten Abend übernachteten sie in einer Locanda, und der Prinz rief: »Meerblume, wohin hast du die Schlüssel zum Gepäck gelegt?« – »Potz tausend«, antwortete jene, »was habe ich gethan? Ich habe die Schlüssel daheim im Palast liegen lassen!« Wohl aber hatte sie dieselben bei sich. »Ja, was fang‘ ich nun an?« sagte der Prinz. »Meerblume, du wirst schleunigst nach Hause reiten und die Schlüssel holen müssen. Geh, ich erwarte dich hier.«
Das ließ sich Meerblume nicht zweimal sagen, sie ritt auf und davon und kommt zum Palast. »Frau Königin«, sagt sie zu dieser, »Euer Sohn hat eingesehen, daß er zu wenig Geld mitgenommen, Ihr sollt ihm noch eine größere Summe schicken.« Die Königin packte ein Kästchen voll Geld, und jene ging damit in ihre Heimat zu ihrer Mutter. Ehe sie aber fortging, schrieb sie an das Thor des Palastes die Worte:
Meerblume nannt‘ ich mich hier am Ort,
Als Jungfrau kam ich und geh‘ ich fort.
Der Prinz wartete lange; als er aber endlich merkte, daß Meerblume nicht wiederkam, kehrte auch er um, zu sehen, was geschehen sei. Er kommt an das Thor des Palastes, liest was da geschrieben stand, und schlägt sich vor die Stirn. Ganz betrübt geht er zu seiner Mutter: »Siehst du, Meerblume war also doch ein Mädchen und kein Bub. Jetzt, wohin soll ich mich wenden, sie zu finden?« Er dachte hin und her, endlich kam ihm ein Gedanke, und er sagte zu seiner Mutter: »Laß mir doch goldene Spinnrocken und silberne Spindeln machen, mit denen will ich von Land zu Land hausiren gehen. Wer weiß, ob jener, wenn sie mich rufen hört, nicht die Lust kommt, das eine oder das andere zu kaufen.«
Wie die Waare fertig war, kleidete er sich in arme Kleider und ging als Händler durch die Länder, immer rufend: »Wer kauft goldene Spinnrocken, wer kauft Spindeln von Silber?« So kam er auch in einen Ort, wo ein schöner Palast stand, und da rief er unter den Fenstern sein »Wer kauft goldene Spinnrocken, wer kauft Spindeln von Silber?« Da schaute aus einem Fenster ein wunderschönes Mädchen heraus, das rief: »Rockenhändler, komm herauf! komm herauf!« Bei dieser Stimme gab’s dem Prinzen einen Stich durchs Herz. Es war Meerblume, welche heimgekommen, sich einen großen Palast gebaut hatte und nun gleich einer großen Dame Frauenkleider trug, und mit ihr waren die Schwestern und ihre Mutter. Der Prinz stieg hinauf zu ihr. »Was kosten diese Rocken und diese Spindeln hier?« Und er antwortete: »Mein Fräulein, um Geld sind sie mir nicht feil, aber um einen Kuß geb‘ ich sie gern her.« – »Unverschämter! Ich ließ mich nicht einmal vom Sohn des Königs küssen, der doch in Liebe zu mir verging, und jetzt sollte mich deinesgleichen küssen?« Da ging der Prinz hinter den Palast, kleidete sich als Königssohn, zog aber die schlechten Kleider darüber, und ging von neuem als Rockenhändler an dem Palaste vorüber. »Wer kauft goldene Spinnrocken? Wer kauft Spindeln von Silber?« Wieder erschien Meerblume am Fenster und rief: »Was kosten diese Rocken? Was kosten diese Spindeln?« Und jener antwortete wie das erste mal: »Mein Fräulein, um Geld sind sie mir nicht feil, wohl aber um einen Kuß!« – »Unverschämter! Nicht einmal der Königssohn, der aus Liebe zu mir verging, durfte mich küssen, wie dürfte es einer deinesgleichen?« Da antwortete jener: »Willst du mich nicht küssen, so küsse den Königssohn!« Schnell warf er die schlechten Kleider ab, und wie sie ihn nun so schön und königlich gekleidet sah, erkannte sie ihn alsobald, warf sich ihm zu Füßen und bat ihn mit thränenden Augen um Gnade, denn sie meinte, er wäre gekommen, sie umzubringen.
Er aber sprach: »Fürchte dich nicht, ich kam nicht, dir Böses zuzufügen, sondern Gutes zu thun.« Und sie umarmten sich so voll Liebe, daß ihnen die Augen übergingen. Dann heirathete sie der Prinz und führte sie mit Freude und großen Festlichkeiten auf sein Schloß. Sie gab den andern Schwestern eine reiche Mitgift und nahm die Mutter mit sich, daß sie bei ihr lebe. Alle miteinander lebten von da an voller Glück und Freude.
Der Oheim aber mitsammt seinen sieben Söhnen, welche rechte Faulpelze waren, verdarben in Schlamm und Elend.
[Italien: Waldemar Kaden: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen]