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Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten keine Kinder, und hätten doch so gerne einen Sohn oder eine Tochter gehabt. Eines Tages, als sie am Balkon standen, ging eben ein Wahrsager vorbei. Da rief ihn der König herauf, daß er der Königin wahrsage, ob ihr Wunsch sich erfüllen werde. Der Wahrsager schaute die Königin lange an, und dabei machte er ein so trauriges Gesicht, daß ihn der König erschrocken fragte: »Nun? Was seht ihr?« »Königliche Majestät!« antwortete der Wahrsager, »lasset mich ziehen, denn ich kann es euch nicht sagen, was geschehen wird.« Der König aber befahl ihm, sogleich zu sprechen, sonst werde er ihm den Kopf abhauen lassen, und so mußte denn der Wahrsager endlich antworten: »Die Königin wird einen Sohn bekommen, wenn er aber achtzehn Jahre alt ist, muß der Jüngling sterben.« Als der König und die Königin das hörten, wurden sie tief betrübt, und sprachen: »Was hilft es uns, einen Sohn zu haben, wenn wir ihn bloß aufziehen müssen, um ihn nach achtzehn Jahren zu verlieren!« »Wenn ihr meinen Rath annehmen wollt,« sagte der Wahrsager, »so laßt einen festen Thurm bauen, und schließt euer Kind mit der Amme darin ein, bis es achtzehn Jahre alt ist, denn sobald die Stunde vergangen ist, in der es achtzehn Jahre alt wird, so hat das Schicksal keine Macht mehr über dasselbe.« Nach diesen Worten verließ der Wahrsager den Palast.
Nach einigen Monaten aber wurde die Königin guter Hoffnung. Da ließ der König sogleich einen festen Thurm bauen, und bestellte eine Hofdame, die sollte an dem Königssohn Mutterstelle vertreten. Als nun ihre Stunde kam, gebar die Königin einen wunderschönen Sohn, den nannte sie Feledico. Der König aber schickte das Kind mit der Hofdame und der Amme in den Thurm, und sperrte sie dort ein. Jeden Morgen mußte die Hofdame ins Schloß kommen, und berichten, wie es dem Kinde gehe, und jeden Abend spät, wenn der Königssohn schlief, kamen der König und die Königin in den Thurm, und besuchten ihr liebes Kind.
So vergingen viele Jahre, und der Knabe wuchs an einem Tage für zwei, und wurde täglich schöner und stärker. Er meinte aber, die Hofdame wäre seine Mutter, und kannte Niemanden als sie und die Amme.
Nun begab es sich eines Morgens, als er noch fest schlief, daß die Hofdame wieder wie gewöhnlich zur Königin ging. Auf einmal rief eine Stimme: »Feledico! Feledico!« Und als der Knabe erwachte, fuhr die Stimme fort: »Feledico, was bleibst du immer hier im Thurm eingesperrt? Die Frau, die du Mutter nennst, ist gar nicht deine Mutter, sondern deine Eltern sind ein mächtiger König und eine schöne Königin, die wohnen in einem herrlichen Schloß und genießen ihr Leben; du aber bist immer hier so ganz allein eingesperrt.« Es war aber das Schicksal des Knaben, das so sprach. Als nun Feledico diese Worte hörte, fing er an zu weinen, und die Hofdame, die eben nach Hause kam, hörte es, und lief voll Schrecken zu ihm und sprach: »Mein Sohn, mein lieber Sohn, was weinst du so? Deine Mutter ist ja wieder bei dir.« Feledico aber antwortete: »Warum nennt ihr mich euren Sohn? Ihr seid ja gar nicht meine Mutter, denn meine Mutter ist eine schöne Königin, und mein Vater ist ein mächtiger König, und sie wohnen in einem herrlichen Schloß.« »Ach nein, Feledico,« rief die Hofdame, »was hast du für Gedanken? Ich bin ja deine Mutter, und du bist mein lieber Sohn.« So beruhigte sie ihn endlich mit vielen guten Worten, nachher aber ging sie mit großer Herzensangst zur Königin, und erzählte ihr Alles. »Ach, mein armes Kind,« sprach die Königin, »nun wird ihn dennoch sein Schicksal ereilen.«
Nun vergingen wieder einige Tage, aber eines Morgens, als Feledico noch schlief, und die Hofdame zur Königin gegangen war, ertönte dieselbe Stimme und rief: »Feledico! Feledico!« Der Königssohn erwachte und die Stimme fuhr fort: »Feledico, willst du meinen Worten nicht glauben? Sieh, wie bist du hier so allein, und bei deinen Eltern könntest du dein Leben genießen. Sage doch der Frau, die du Mutter nennst, sie solle dich zu deiner wahren Mutter führen.« Feledico fing wieder an zu weinen, und als die Hofdame herbeilief, rief er: »Warum nennt ihr mich euren Sohn? Ihr seid ja meine Mutter nicht, und ich will zu meinen Eltern ins Schloß, und mit ihnen mein Leben genießen.« Die Hofdame gab ihm wieder viele gute Worte, und endlich gelang es ihr, ihn zu beruhigen.
Als aber wieder einige Tage verstrichen waren, ertönte die Stimme des Schicksals zum drittenmal, und sprach dieselben Worte, und diesmal ließ er sich nicht beruhigen, sondern antwortete auf alles Zureden: »Ich will nicht länger hier bleiben, und will zu meiner Mutter.« Da ging die Hofdame voll Trauer zur Königin, und klagte ihr Alles, und die Königin erwiderte: »Das Schicksal verfolgt meinen armen Sohn. Was hilft es, daß wir ihn davor bewahren wollen? Bringt ihn also ins Schloß?« Da wurde Feledico ins Schloß gebracht, und blieb bei seinen Eltern, und wuchs heran, und wurde mit jedem Tage schöner. Seine Eltern aber ließen ihn auf Schritt und Tritt bewachen, und ließen ihn niemals auf die Jagd gehen, damit er nicht zu Schaden käme.
Eines Tages aber, als Feledico schon siebzehn Jahre alt war, sprach er zum Könige: »Lieber Vater, ach laßt mich doch heute auf die Jagd gehen, ich möchte so gern einige Vögel schießen.« Der Vater wollte es ihm ausreden, aber Feledico bat immer wieder, und weil er sein einziger Sohn war, so konnte der König ihm nichts abschlagen, und ließ ihn mit zwei Ministern auf die Jagd gehen. Vorher aber rief er die beiden Minister zu sich, und sprach zu ihnen: »Ihr müßt mir versprechen, daß ihr dem Königssohn stets zur Seite bleiben wollt, und ihn keinen Augenblick verlassen.« Das versprachen sie, und gingen mit dem Königssohn auf die Jagd. Als sie nun im Walde waren, sprach Feledico: »Was wollen wir Alle zusammen gehen? Jeder gehe auf eine Seite hinaus, und nachher wollen wir sehen, wer die meisten Vögel getroffen hat.« »Ach nein, königliche Hoheit, das kann nicht sein, denn wir haben dem König versprochen, euch keinen Augenblick aus den Augen zu lassen.« »Ach was, ich entferne mich ja nicht weit, und wenn mir etwas zustoßen sollte, werde ich sogleich in mein Jagdhorn blasen, daß ihr mir zu Hülfe eilen könnt.« Da willigten die Minister ein, und gingen auf die eine Seite hinaus, und Feledico ging auf die andre Seite. Als er ein Weilchen gegangen war, sah er einen Vogel auf einem Zweige sitzen. »Ei!« dachte er, »der hübsche Vogel! Den will ich schießen.« Da legte er die Büchse an, zielte und schoß. Kaum aber hatte er geschossen, so ward er aus dem Walde entrückt, und befand sich in einem schönen großen Schlosse. Die Minister warteten eine Zeitlang, als aber Feledico nicht wiederkam, ward ihnen bange, sie suchten und riefen ihn, Feledico war aber nirgends zu finden. Da kehrten sie endlich ins Schloß zurück, fielen dem Könige zu Füßen, und erzählten ihm Alles, und der König und die Königin legten Trauerkleider an um ihren verlorenen Sohn, und sprachen: »Sein Schicksal hat ihn dennoch ereilt.« – Doch lassen wir nun den König und die Königin, und sehen wir, was aus Feledico geworden ist.
Das Schloß, in dem er sich befand, gehörte einer mächtigen Zauberin; ihr Mann aber war ein König der Heiden2, und litt seit vielen Jahren an einem schrecklichen Aussatz. Es war ihm aber prophezeit worden, er könne genesen, wenn er seine Wunden bestreiche mit dem Blute eines Königssohnes, der in derselben Stunde hingerichtet werde, in welcher er achtzehn Jahre alt werde. Darum hatte die Zauberin den armen Feledico durch ihre Macht entführt, und wollte ihn an dem Tage, da er achtzehn Jahr alt sein würde, hinrichten lassen.
Die Zauberin aber hatte eine wunderschöne Tochter, die hieß Epomata. Da sie nun den unglücklichen Feledico erblickte, entbrannte sie in heftiger Liebe zu ihm, und es that ihr Leid um den schönen Jüngling, der so elendiglich hingerichtet werden sollte. Weil sie sich aber vor ihrer Mutter fürchtete, so wagte sie es nicht, bei Tage mit ihm zu sprechen, sondern kam nur des Nachts leise in sein Zimmer, und rieth ihm, was er thun solle.
So blieb denn Feledico fast ein ganzes Jahr im Schloß bei der Zauberin, und hatte Alles, was er wollte, nur aus dem Schlosse durfte er nicht hinaus.
Eines Abends aber kam Epomata zu ihm und sprach: »In drei Tagen wirst du achtzehn Jahre alt sein, dann will dich meine grausame Mutter hinrichten lassen. Aber fürchte dich nicht, denn ich will dich erretten, wenn du genau thust, was ich dir sage. Stehe morgen früh nicht auf, und wenn der erste Minister kommt, dir dein Frühstück zu bringen, so sage ihm, du habest starke Kopfschmerzen, und wollest zu Bette liegen bleiben. Uebermorgen stelle dich noch kränker, und bleibe abermals im Bette liegen. In der Nacht aber werde ich kommen, und dann wollen wir fliehen.«
Feledico that Alles, wie Epomata ihm befohlen hatte; als der Minister am Morgen kam, um ihm sein Frühstück zu bringen, lag Feledico noch im Bett und klagte, er sei krank, und wollte nicht aufstehen. Da der Minister dies der Zauberin hinterbrachte, antwortete sie: »Lasset ihn gewähren, wenn er nur noch die zwei Tage lebt, daß wir ihn lebendig zum Richtplatz bringen.« Am andern Morgen, als der Minister wieder zu Feledico kam, frug er ihn: »Nun, königliche Hoheit, wie fühlt ihr euch heute?« »Ach, schlecht,« antwortete Feledico, »ich will auch heute zu Bette liegen bleiben.« Da ließen sie ihn ruhig liegen, und dachten: »Bis morgen wird er schon noch am Leben bleiben.« Epomata aber rief eine vertraute Hofdame, und ließ sich durch sie einen großen Korb mit Kuchen und Süßigkeiten verschaffen, und mehre Flaschen mit feinem Wein, den vermischte sie mit einem starken Schlaftrunk.
Nun hatte die Zauberin zwei Zauberbücher, aus denen sie ihre Macht entnahm, das eine war schwarz, das andre weiß; das weiße war aber mächtiger als das schwarze. Diese Bücher hatte sie immer unter ihrem Kopfkissen versteckt; das wußte Epomata, und da es dunkel war, schlich sie hinzu, und nahm das weiße Zauberbuch hervor.
Als nun Alle schliefen, schlich sie in das Zimmer des Feledico und brachte ihm ärmliche Kleidung, die mußte er anlegen. Auf den Kopf mußte er den Korb mit Süßigkeiten und die Flaschen mit dem Schlaftrunk nehmen, und nun hinter Epomata drein gehen. Das Schloß aber wurde von sieben Wachen bewacht, an denen mußten sie vorbei, um zu entfliehen. Als sie nun an die erste Wache kamen, sprach Epomata: »Morgen ist ein Freudentag, weil da der Königssohn hingerichtet werden soll, und durch sein Blut der König von seinem Aussatz geheilt werden wird. Deßhalb schicket euch die Königin hier etwas süßen Kuchen und guten Wein, auf daß auch ihr vergnügt seiet.« Als aber die Soldaten von dem Schlaftrunk genommen hatten, fielen sie alsbald in einen tiefen Schlaf. So machte es Epomata bei allen Wachen, und als sie alle eingeschlafen waren, gingen die Beiden in den Stall, sattelten die zwei schnellsten Pferde und entflohen.
Am andern Morgen früh schickte die Zauberin ihre Soldaten, um den armen Feledico zum Richtplatz abzuholen. Als sie aber in seine Kammer drangen, war Feledico verschwunden. Da liefen sie hin, und sagten es der Königin, die rief: »Ist Feledico entflohen, so kann nur meine Tochter ihm geholfen haben.« Also lief sie in das Zimmer ihrer Tochter, aber das Zimmer war leer, und so viel sie auch Epomata suchen mochte, sie fand sie nirgends. »Diese ungerathene Tochter!« rief sie in ihrem Zorn, »aber ich will mich an ihr rächen. Und ist auch meine Gewalt über den Königssohn nun zu Ende, so soll Epomata mir doch nicht entwischen.« Da wollte sie ihre Zauberbücher mit sich nehmen, aber sie fand nur das schwarze, denn das weiße hatte Epomata mitgenommen. Die Zauberin wurde nur noch viel zorniger, ließ sogleich die Pferde satteln, und ritt mit ihren Ministern den Flüchtlingen nach. Unterdessen ritten Feledico und Epomata so schnell als ihre Pferde zu laufen vermochten, und Epomata sprach: »Feledico, siehe dich um, und sage mir, was du siehst.« Da er sich nun umsah, erblickte er die Zauberin, die ihnen nahe gekommen war, und rief voll Schrecken: »Epomata! Epomata! Deine Mutter ist dicht hinter uns.« Sogleich schlug Epomata das Zauberbuch auf, und sprach: »Ich werde zum Garten und du zum Gärtner darin!« Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, so ward sie in einen Garten verwandelt, und Feledico war der Gärtner darin. Als nun die Zauberin herzu kam, frug sie ihn: »Saget mir, schöner Bursche, habt ihr nicht einen Mann und eine Frau gesehen, die hier vorbeiritten?« »Was wollt ihr? Fenchel?« antwortete Feledico, »der ist noch nicht an der Zeit.« »Ach nein! Darnach frage ich nicht; ich frage euch, ob ihr einen Mann und eine Frau gesehen habt, die hier vorbeigeritten sind?« »Was, was? Spargeln? Die werden wir nächstens in Bündelchen binden.« »Seht ihr, königliche Majestät,« sprach der eine Minister, »dieser Mann versteht euch nicht, und die Flüchtlinge können wir doch nicht mehr einholen, die sind schon über alle Berge.« Da kehrten sie um; Epomata und Feledico aber nahmen ihre menschliche Gestalt wieder an, und flohen weiter.
Während nun die Zauberin zurückritt, schlug sie ihr schwarzes Zauberbuch auf, und als sie darin las, der Garten und der Gärtner seien Epomata und Feledico gewesen, gerieth sie in einen großen Zorn und sprach: »Ich muß mich doch an meiner ungerathenen Tochter rächen; wir wollen ihnen wieder nachreiten.« Feledico aber schaute immer hinter sich, und als er die Zauberin in der Ferne erblickte, rief er: »Epomata! Epomata! Deine Mutter ist dicht hinter uns.« Da schlug Epomata ihr Buch auf, und sprach: »Ich werde zur Kirche und du zum Sakristan darin!« und sogleich verwandelte sie sich in eine Kirche, und Feledico war der Sakristan. Als die Zauberin an die Kirche kam, frug sie: »Guter Mann habt ihr vielleicht einen Mann und eine Frau gesehen, die hier vorbeigeritten sind?« »Der Pater ist noch nicht gekommen, deßhalb hat die Messe noch nicht angefangen,« antwortete Feledico. »Ach was! von der Messe spreche ich nicht, ich frage euch, ob ihr einen Mann und eine Frau habt vorbeireiten sehen?« »Wenn der Pater kommt, könnet ihr zur Beichte gehen,« antwortete Feledico. So trieb er es so lange, bis die Zauberin endlich die Geduld verlor, und umkehrte. Die Beiden nahmen nun ihre menschliche Gestalt wieder an und ritten weiter.
Die Zauberin aber las in ihrem Buche, daß die Kirche und der Sakristan die beiden Flüchtlinge gewesen waren. Da ward sie sehr zornig und sprach: »Wir wollen noch einmal umkehren, und diesmal sollen sie mir nicht entwischen.«
Also ritten sie ihnen nach, Feledico aber hatte sich schon lange nicht umgesehen. Da er nun einmal hinter sich sah, war die Zauberin schon ganz dicht bei ihnen. »Epomata! Epomata!« rief er, »wir sind verloren!« »So werde du zum Teich und ich zum Aal darin!« sprach Epomata schnell, und sogleich wurde Feledico zum Teich, Epomata aber ward zum Aal, der lustig im Wasser umherschwamm. Die Zauberin aber hatte es wohl gemerkt, neigte sich über den Teich und wollte den Aal fangen. So oft sie ihn aber gefaßt hatte, entschlüpfte der Aal ihrer Hand, und sie mühte sich vergebens ab. Da verlor sie endlich die Geduld und rief: »So möge Feledico deiner vergessen bei dem ersten Kusse, den er im Hause seines Vaters erhält.« Als sie diesen Fluch ausgesprochen hatte, bestieg sie ihr Pferd und ritt zurück.
Feledico und Epomata aber nahmen ihre menschliche Gestalt wieder an, und nachdem sie noch eine lange Zeit geritten waren, kamen sie endlich in das Reich des Königssohnes. Da sprach Feledico: »Ich bin ein Herrscher, und du sollst meine Frau sein, darum geziemt es dir auch nicht, in diesen schlechten Kleidern vor meinen Eltern zu erscheinen. Deßhalb will ich dich in ein Wirthshaus führen, da sollst du bleiben, derweil ich zu meinen Eltern gehe, und dort Alles hole, was nöthig ist, damit du im Triumph einziehen könnest.« »Ach, Feledico,« antwortete Epomata, »erinnerst du dich aber auch an den Fluch, den meine Mutter gegen mich ausgesprochen hat? Ich bitte dich, gedenke daran, daß du dich nicht küssen lassest, denn bei dem ersten Kuß, den du empfängst, wirst du meiner vergessen.« »Sei nur ruhig,« antwortete Feledico, »ich will daran denken.« Da führte er sie in ein Wirthshaus, und empfahl sie der Wirthin. Dann eilte er in das königliche Schloß zu seinen Eltern. Als ihn nun der König und die Königin erblickten, und in ihm ihren lieben Sohn erkannten, den sie für todt beweint hatten, stürzten sie ihm entgegen, und wollten ihn in ihrer Herzensfreude küssen. Er aber rief: »Liebe Eltern, küßt mich nicht, denn sonst vergesse ich meine liebe Braut.« Darüber waren nun seine Eltern sehr betrübt, und sprachen: »So lange haben wir dich als todt beweint, und nun wir dich wieder haben, sollen wir dich nicht einmal küssen?« Er aber wehrte es ihnen und sprach: »Bereitet mir einen schönen goldnen Wagen mit sechs Pferden bespannt, und rufet mein ganzes Gefolge zusammen, daß ich gehe, und meine liebe Braut abhole. Unterdessen will ich aber ein wenig schlafen, denn ich bin müde.« Da legte er sich hin und schlief bald ein. Nun war aber die Hofdame, die Mutterstelle bei ihm vertreten hatte, die dachte: »Wie? so viele Jahre habe ich für seine Mutter gegolten, und ihn in meinen Armen getragen, und habe ihn aufgezogen, und sollte ihn nicht einmal küssen dürfen?« Und weil sie es nicht länger aushalten konnte, schlich sie in sein Zimmer, neigte sich über ihn, und küßte ihn, während er schlief. In demselben Augenblick erwachte er, aber Epomata war aus seinem Gedächtniß verschwunden. »Lieber Sohn,« sprach die Königin, »der Wagen ist bereit; willst du nun gehen, deine Braut abzuholen?« »Meine Braut? Ich habe ja keine Braut,« antwortete Feledico, und wollte nun nichts mehr von ihr wissen.
Unterdessen wartete die arme Epomata auf ihn, und da er nicht kam, dachte sie endlich: »Ach, gewiß hat er sich küssen lassen, und hat nun meiner vergessen.« Da rief sie die Wirthin, und sprach zu ihr: »Frau Wirthin, ich muß nun einige Zeit bei euch bleiben. Verschaffet mir eine ältliche, ordentliche Frau, die mir diene, und mich begleite.« »Ja,« antwortete die Wirthin, »ich kenne eine solche Frau, die eben einen Dienst sucht, und die euch gewiß gefallen wird.« Da brachte sie eine ältliche Frau, die hieß Donna Maria. Diese blieb bei Epomata, und diente ihr.
Nun lag dem Wirthshaus gegenüber ein Kaffeehaus, in welchem sich immer viele junge, vornehme Leute versammelten; unter ihnen auch ein junger Fürst. Als dieser die schöne Epomata erblickte, und erfuhr, sie sei so allein, entbrannte er in heftiger Liebe zu ihr, und sprach eines Tages zu Donna Maria: »Donna Maria, wollet ihr mir einen Gefallen thun, so bringet eurer Herrin eine Botschaft von mir.« »Ich bringe gar keine Botschaften,« erwiderte Donna Maria kurz, und ging ins Haus. Epomata aber frug sie: »Mit wem sprachet ihr, Donna Maria?« Die Frau wollte es erst nicht sagen, denn sie dachte: »Meine Herrin ist schön und noch sehr jung.« Epomata aber drängte sie, bis sie endlich antwortete: »Edle Frau, es war ein junger Fürst, der wollte mir eine Botschaft an euch auftragen, ich habe sie aber gar nicht anhören wollen.« »Ei! warum nicht?« antwortete Epomata, »überbringet mir nur so viele Botschaften, als er euch gibt.« Als nun Donna Maria wieder ausging, stand auch schon der junge Fürst vor der Thür, und redete sie an: »Ach, Donna Maria, seid doch so gut, und höret an, was ich eurer Herrin zu sagen wünsche.« »Nun denn, so saget mir, was ich meiner Herrin für eine Botschaft überbringen soll.« »Saget eurer Herrin, ich würde ihr hundert Unzen verehren, und euch zwanzig, wenn sie mir erlaubt, heute Abend bei ihr zu essen, und die Nacht bei ihr zuzubringen.« Diese Botschaft überbrachte Donna Maria der schönen Epomata, die antwortete: »Ohne Zweifel; sage ihm nur, ich erwarte ihn.«
Als es Abend wurde, kam der Fürst, und brachte gleich einen großen Beutel voll Goldstücke mit für Epomata, und zwanzig Unzen für die Magd. Das Abendessen war bereit, und nachdem sie gegessen und getrunken hatten, sprach Epomata: »Ich werde zuerst in meine Kammer gehen; über ein Weilchen könnet ihr auch kommen.« Als sie aber in der Kammer war, stellte sie ein Becken mit Wasser in die Mitte der Stube, schlug ihr Zauberbuch auf, und sprach einen Zauber über das Becken aus: »Einer soll herein und Einer heraus!« Dann stellte sie einen Stuhl neben das Becken, und sprach auch darüber einen Zauber aus, daß er Jeden festhielt, der sich darauf setzte, und legte sich zu Bette. Um das Bette aber hielten Zauberinnen mit entblößten Schwertern Wache.
Nach einer Weile kam der junge Fürst auch herein, und Epomata sprach zu ihm: »Edler Fürst, in meinem Vaterlande ist es Sitte, sich die Füße zu waschen, ehe man sich niederlegt; darum wollet euch dieser Sitte fügen, und euch in dem Becken die Füße waschen.« Der Fürst setzte sich auf den Stuhl, den Epomata verzaubert hatte, und steckte den einen Fuß ins Wasser, das war aber so kochend heiß, daß er den Fuß mit einem leisen Schrei herauszog, und den andern hineinsteckte. Aber er verbrannte sich wieder, und als er aufstehen wollte, hielt ihn der Stuhl fest. Er mochte wollen oder nicht, er mußte die ganze Nacht bald den einen, bald den andern Fuß ins heiße Wasser stecken, bis sie beide dick geschwollen waren. Unterdessen schlief Epomata ruhig die ganze Nacht, und am Morgen, als sie aufwachte, sprach sie: »Was! Ihr seid noch da? Schnell, verlasset mein Zimmer, daß man euch nicht in diesem Zustande sehe, und es mir zur Unehre gereiche.« Da schalt der Fürst, und schimpfte über sie, und verließ das Zimmer voll Zorn.
Als aber seine Freunde ihn frugen, wie es ihm ergangen, dachte er: »Habe ich gelitten, so könnet ihr es auch probiren,« und antwortete: »O, recht gut; sie ist ein herrliches Weib.«
Das hörte ein andrer junger Mann, ein Edelmann, der kam zu Donna Maria und sprach: »Saget eurer Herrin, ich wolle ihr achtzig Unzen schenken, und euch zwanzig, wenn sie mir erlaubt, heute Abend bei ihr zu essen, und die Nacht bei ihr zuzubringen.« Als Donna Maria der schönen Epomata diese Botschaft überbrachte, antwortete sie: »Sage ihm, er könne kommen, wenn er wolle.« Am Abend kam der Edelmann und brachte das Geld mit. Da aßen sie, und Epomata sprach gar freundlich und höflich mit ihm. Nach dem Essen aber sprach sie: »Ich werde zuerst in mein Zimmer gehen, über ein Weilchen könnt ihr kommen.« Da ging sie in ihre Kammer, stellte zwei angezündete Lichter auf den Tisch, schlug das Zauberbuch auf, und sprach einen Zauber über die Lichter: »Eines verlöscht, Eines wird angezündet!« Dann sprach sie auch einen Zauber über den Boden, daß sich Keiner von seiner Stelle fortbewegen konnte. Nun ging sie zu Bette, und die Zauberinnen hielten unsichtbare Wache um ihr Lager.
Nach einem Weilchen kam auch der Edelmann in die Kammer, und Epomata sprach: »Edler Herr, die Lichter thun mir an den Augen weh, wollet sie auslöschen, ehe ihr euch niederleget.« Da löschte der Edelmann das eine Licht aus, und dann das andre, unterdessen aber entzündete sich das erste wieder, und so brachte er die ganze Nacht zu, denn so oft er ein Licht ausblies, entzündete sich das andre sogleich wieder von selbst. Und als er im Zorne fortgehen wollte, konnte er sich nicht von seinem Platze bewegen, und mußte blasen, bis er einen ganz dicken Mund bekommen hatte. Am Morgen erwachte Epomata und rief: »Wie? Ihr steht noch immer da? Schnell, verlasset mein Zimmer, denn wenn euch Jemand sieht, gereicht es mir zur Unehre.« Da verließ er das Zimmer mit vielen Schmähungen gegen Epomata, die ihm so übel mitgespielt hatte.
Als er aber ins Kaffeehaus kam, und ihn seine Gefährten frugen, wie es ihm ergangen sei, antwortete er eben so wie der Fürst: »O, recht gut.«
Nun war auch der Sohn eines Kaufmanns, der kam auch zu Donna Maria, und sprach: »Saget eurer Herrin, ich werde ihr funfzig Unzen geben, und euch zehn, wenn sie mir erlaubt, heute Abend bei ihr zu essen, und die Nacht bei ihr zuzubringen.« Donna Maria überbrachte diese Botschaft der schönen Epomata, die antwortete: »Sage ihm nur, er könne kommen, wann er wolle.« Am Abend kam der Kaufmannssohn, und Epomata empfing ihn freundlich, und sie aßen mit einander. Nach dem Essen sagte sie: »Ich werde zuerst in meine Kammer gehen; über ein Weilchen könnet ihr kommen.« In der Kammer aber schlug sie ihr Zauberbuch auf, und sprach einen Zauber über das Fenster aus: »Einer soll auf, und Einer zu!« Dann sprach sie auch über den Boden einen Zauber aus, daß sich Keiner von seinem Platze bewegen konnte. Darauf ging sie ruhig zu Bett, denn sie wußte, daß die Zauberinnen Wache um sie hielten.
Nach einem Weilchen kam der Kaufmannssohn herein, und Epomata sprach zu ihm: »Edler Herr, das Fenster steht noch offen; wollet es schließen, ehe ihr euch niederleget.« So oft er nun den einen Fensterflügel schloß, fuhr der andre auf, und versetzte ihm einen starken Schlag gegen die Brust; und das ging die ganze Nacht so fort, denn er konnte sich nicht von seinem Platze bewegen, bis ihm die Brust ganz aufgeschwollen war. Am Morgen erwachte Epomata, und rief ihm zu: »Was? Ihr steht noch da? Verlasset sogleich meine Kammer, daß man euch nicht bei mir sehe, und es mir zur Unehre gereiche.« Da verließ er die Kammer mit vielen Schmähungen gegen Epomata, und schlich mühsam die Treppe hinunter, denn er konnte nicht einmal grade gehen. Als ihn seine Freunde in diesem Zustande sahen, gestanden auch sie, was ihnen begegnet war, und alle drei schimpften und schmähten die arme Epomata.
Nun war eine geraume Zeit verflossen, seit Feledico die arme Epomata verlassen hatte; da hörte sie eines Tages, er werde nun eine reiche Königstochter heirathen, und nächstens solle die Hochzeit sein. Da schlug sie ihr Zauberbuch auf, und wünschte sich zwei Puppen, einen Knaben, der auf der Geige spielte, und ein Mädchen, das sang, und sogleich standen die beiden Puppen vor ihr, und waren gar fein und zierlich anzusehen. Da rief sie Donna Maria und sprach zu ihr: »Nimm diese beiden Puppen, und trage sie vor des Königs Schloß. Dort rufe laut aus: ‚Wer kauft schöne Puppen! Ei was habe ich für schöne Puppen! Einen Knaben der spielt und ein Mädchen das singt!‘ und thue das so lange, bis der König oder sein Sohn dich anrufen. Dann verkaufe ihnen die beiden Puppen.«
Donna Maria that, wie Epomata ihr befohlen hatte, trug die Puppen vor das königliche Schloß, und rief mit lauter Stimme: »Ei was habe ich für schöne Puppen! Einen Knaben, der geigt, und ein Mädchen, das singt!«
Nun standen der König und sein Sohn gerade am Fenster, und Feledico sprach: »Lieber Vater, sehet doch die schönen Puppen, die die Frau zum Verkauf ausbietet; ich möchte sie wohl gerne kaufen.« Da riefen sie die Frau herauf, wurden mit ihr Handels einig und kauften ihr die beiden Puppen ab. As sie nun bei Tische saßen, sprach der König: »Feledico, du hast heute zwei hübsche Puppen gekauft, bringe sie einmal her, daß sie vor der ganzen Gesellschaft ihre Künste zeigen.« Feledico holte die Puppen, und stellte sie auf den Tisch, und sogleich fing der Knabe an zu geigen, und nachher sang das Mädchen und sprach: »Weißt du noch, wie du in einem Thurm eingesperrt warst, und in der Nacht dein Schicksal dich rief, und dir sagte, du wärest eines reichen Königs Sohn, und dasselbe so oft wiederholte, bis deine Eltern dich zu sich nehmen mußten? Weißt du das noch?« »Nein!« antwortete der Knabe, und »paff!« bekam er von dem Mädchen eine tüchtige Ohrfeige. Diese Ohrfeige aber mußte Feledico fühlen, als ob er sie bekommen hätte, also daß er einen lauten Schrei ausstieß. Das Mädchen fuhr fort: »Weißt du noch, wie du auf die Jagd gingest, und einen Vogel schießen wolltest, und plötzlich aus dem Walde in das Schloß der Zauberin versetzt wurdest? Wie du dort die schöne Epomata sahest, und sie dich vom Tode errettete, als ihre Mutter dich hinrichten lassen wollte, und wie sie endlich mit dir entfloh? Weißt du das noch?« »Nein!« antwortete der Knabe, und »paff!« bekam er wieder eine schallende Ohrfeige, Feledico aber fühlte sie, so daß er laut aufschrie. »Weißt du noch, wie du mit Epomata flohest, und ihre Mutter euch verfolgte, und Epomata in einen Garten verwandelt wurde, und du in einen Gärtner? Wie sie dich frug, ob du einen Mann und eine Frau habest vorbeireiten sehen, und du antwortetest von Fenchel und Spargel? Weißt du das noch?« »Nein!« Und wieder fühlte Feledico eine tüchtige Ohrfeige, daß er schrie. »Weißt du noch, wie die Zauberin uns wieder verfolgte, und ich in eine Kirche verwandelt wurde, und du in den Sakristan? Wie sie dich wieder nach uns frug, und du von der Beichte und vom Pater sprachest?« »Nein!« »Paff!« fühlte Feledico wieder eine Ohrfeige. »Weißt du noch, wie die Zauberin uns wieder einholte, und du zum Teich wurdest, und ich zum Aal darin? Weißt du noch, wie meine Mutter mich fangen wollte, und ich ihr immer wieder entschlüpfte, bis sie im Zorn einen Fluch wider mich aussprach: ‚So möge er denn deiner vergessen, sobald er zu Hause den ersten Kuß bekommt!‘ Wie du mir schwurest, du wollest dich von Niemand küssen lassen, und meiner nicht vergessen? Weißt du das noch?« Als aber Feledico diese Worte hörte, erinnerte er sich auf einmal der armen Epomata, und fuhr auf von seinem Stuhl, und stürzte aus dem Haus, und lief eilend zum Wirtshaus, wo Epomata noch immer auf ihn wartete. Da er sie nun sah, fiel er ihr zu Füßen, und bat sie um Verzeihung und sprach: »Ja, du hast Recht, mir Vorwürfe zu machen, weil du so lange hast leiden müssen; doch nun bin ich gekommen, und will dich zu meinen Eltern bringen, und du allein sollst meine Gemahlin sein.«
Während sie noch so sprachen, kam ein schöner goldner Wagen, den schickte die Königin, um ihre Schwiegertochter abzuholen, und Epomata legte königliche Kleider an, und fuhr mit Feledico aufs Schloß, und da der König und die Königin sie sahen, waren sie hocherfreut über ihre Schönheit, und sprachen: »Nun soll auch Alles zur Hochzeit hergerichtet werden.« Der andern Braut aber ließen sie sagen, Feledico könne sie nun nicht mehr heirathen, denn er habe schon eine Braut. Epomata war aber noch eine Heidin, darum mußte sie erst getauft werden, und erhielt einen christlichen Namen.
Als nun die Hochzeit sein sollte, schickte Epomata einen Boten zu ihrer Mutter und ließ ihr sagen: »Liebe Mutter, verzeihet mir das Unrecht, das ich euch gethan habe, denn ich habe viel gelitten darum. Wollet mir verzeihen, und zu meiner Hochzeit kommen.« Da nun so lange Zeit verflossen war, war auch der Zorn der Zauberin verraucht und sie erfüllte den Wunsch ihrer Tochter, und kam zur Hochzeit, die mit großer Pracht gefeiert wurde.
Nach einigen Tagen sprach die Zauberin zu Feledico: »Lieber Schwiegersohn, ich werde euch nun verlassen, erfüllet meinen Befehl, so wird es euch zu Gute kommen. Heute Abend, wenn ich von meiner Tochter Abschied genommen habe, werde ich in diese Kammer kommen; da müßt ihr mir den Kopf abschneiden, und ihn oben an die Decke hängen. Meine Glieder müßt ihr auch abschneiden, und in die vier Ecken legen; meinen Rumpf aber zerhauet in kleine Stücke, und streut sie im Zimmer umher.« Da ging Feledico zu Epomata und sprach: »Das und das hat deine Mutter mir befohlen zu thun, ich werde es aber nicht thun, denn wie könnte ich Hand an deine Mutter legen?« »Ach was!« antwortete sie, »du kannst es nur getrost thun, wenn meine Mutter es dich geheißen hat, denn sie ist eine so mächtige Zauberin, daß ihr nichts zu schaden vermag.«
Am Abend nahm die Zauberin Abschied von ihrer Tochter, und ging dann in ihre Kammer, Feledico folgte ihr, und zerschnitt sie ganz so, wie sie ihm befohlen hatte. Als er aber am andern Morgen wieder in die Kammer trat, sah er eine solche Pracht, daß er verwundert stehen blieb. Wo der Kopf gehangen hatte, hing nun eine prächtige goldne Krone; die Glieder aber und der Rumpf waren zu großen Haufen lauteren Goldes und edler Steine geworden. Das Alles war das Hochzeitsgeschenk der Zauberin an ihre Tochter.
Feledico aber lebte glücklich und zufrieden mit seiner jungen Frau, und wir haben das Nachsehen.
Nach einigen Monaten aber wurde die Königin guter Hoffnung. Da ließ der König sogleich einen festen Thurm bauen, und bestellte eine Hofdame, die sollte an dem Königssohn Mutterstelle vertreten. Als nun ihre Stunde kam, gebar die Königin einen wunderschönen Sohn, den nannte sie Feledico. Der König aber schickte das Kind mit der Hofdame und der Amme in den Thurm, und sperrte sie dort ein. Jeden Morgen mußte die Hofdame ins Schloß kommen, und berichten, wie es dem Kinde gehe, und jeden Abend spät, wenn der Königssohn schlief, kamen der König und die Königin in den Thurm, und besuchten ihr liebes Kind.
So vergingen viele Jahre, und der Knabe wuchs an einem Tage für zwei, und wurde täglich schöner und stärker. Er meinte aber, die Hofdame wäre seine Mutter, und kannte Niemanden als sie und die Amme.
Nun begab es sich eines Morgens, als er noch fest schlief, daß die Hofdame wieder wie gewöhnlich zur Königin ging. Auf einmal rief eine Stimme: »Feledico! Feledico!« Und als der Knabe erwachte, fuhr die Stimme fort: »Feledico, was bleibst du immer hier im Thurm eingesperrt? Die Frau, die du Mutter nennst, ist gar nicht deine Mutter, sondern deine Eltern sind ein mächtiger König und eine schöne Königin, die wohnen in einem herrlichen Schloß und genießen ihr Leben; du aber bist immer hier so ganz allein eingesperrt.« Es war aber das Schicksal des Knaben, das so sprach. Als nun Feledico diese Worte hörte, fing er an zu weinen, und die Hofdame, die eben nach Hause kam, hörte es, und lief voll Schrecken zu ihm und sprach: »Mein Sohn, mein lieber Sohn, was weinst du so? Deine Mutter ist ja wieder bei dir.« Feledico aber antwortete: »Warum nennt ihr mich euren Sohn? Ihr seid ja gar nicht meine Mutter, denn meine Mutter ist eine schöne Königin, und mein Vater ist ein mächtiger König, und sie wohnen in einem herrlichen Schloß.« »Ach nein, Feledico,« rief die Hofdame, »was hast du für Gedanken? Ich bin ja deine Mutter, und du bist mein lieber Sohn.« So beruhigte sie ihn endlich mit vielen guten Worten, nachher aber ging sie mit großer Herzensangst zur Königin, und erzählte ihr Alles. »Ach, mein armes Kind,« sprach die Königin, »nun wird ihn dennoch sein Schicksal ereilen.«
Nun vergingen wieder einige Tage, aber eines Morgens, als Feledico noch schlief, und die Hofdame zur Königin gegangen war, ertönte dieselbe Stimme und rief: »Feledico! Feledico!« Der Königssohn erwachte und die Stimme fuhr fort: »Feledico, willst du meinen Worten nicht glauben? Sieh, wie bist du hier so allein, und bei deinen Eltern könntest du dein Leben genießen. Sage doch der Frau, die du Mutter nennst, sie solle dich zu deiner wahren Mutter führen.« Feledico fing wieder an zu weinen, und als die Hofdame herbeilief, rief er: »Warum nennt ihr mich euren Sohn? Ihr seid ja meine Mutter nicht, und ich will zu meinen Eltern ins Schloß, und mit ihnen mein Leben genießen.« Die Hofdame gab ihm wieder viele gute Worte, und endlich gelang es ihr, ihn zu beruhigen.
Als aber wieder einige Tage verstrichen waren, ertönte die Stimme des Schicksals zum drittenmal, und sprach dieselben Worte, und diesmal ließ er sich nicht beruhigen, sondern antwortete auf alles Zureden: »Ich will nicht länger hier bleiben, und will zu meiner Mutter.« Da ging die Hofdame voll Trauer zur Königin, und klagte ihr Alles, und die Königin erwiderte: »Das Schicksal verfolgt meinen armen Sohn. Was hilft es, daß wir ihn davor bewahren wollen? Bringt ihn also ins Schloß?« Da wurde Feledico ins Schloß gebracht, und blieb bei seinen Eltern, und wuchs heran, und wurde mit jedem Tage schöner. Seine Eltern aber ließen ihn auf Schritt und Tritt bewachen, und ließen ihn niemals auf die Jagd gehen, damit er nicht zu Schaden käme.
Eines Tages aber, als Feledico schon siebzehn Jahre alt war, sprach er zum Könige: »Lieber Vater, ach laßt mich doch heute auf die Jagd gehen, ich möchte so gern einige Vögel schießen.« Der Vater wollte es ihm ausreden, aber Feledico bat immer wieder, und weil er sein einziger Sohn war, so konnte der König ihm nichts abschlagen, und ließ ihn mit zwei Ministern auf die Jagd gehen. Vorher aber rief er die beiden Minister zu sich, und sprach zu ihnen: »Ihr müßt mir versprechen, daß ihr dem Königssohn stets zur Seite bleiben wollt, und ihn keinen Augenblick verlassen.« Das versprachen sie, und gingen mit dem Königssohn auf die Jagd. Als sie nun im Walde waren, sprach Feledico: »Was wollen wir Alle zusammen gehen? Jeder gehe auf eine Seite hinaus, und nachher wollen wir sehen, wer die meisten Vögel getroffen hat.« »Ach nein, königliche Hoheit, das kann nicht sein, denn wir haben dem König versprochen, euch keinen Augenblick aus den Augen zu lassen.« »Ach was, ich entferne mich ja nicht weit, und wenn mir etwas zustoßen sollte, werde ich sogleich in mein Jagdhorn blasen, daß ihr mir zu Hülfe eilen könnt.« Da willigten die Minister ein, und gingen auf die eine Seite hinaus, und Feledico ging auf die andre Seite. Als er ein Weilchen gegangen war, sah er einen Vogel auf einem Zweige sitzen. »Ei!« dachte er, »der hübsche Vogel! Den will ich schießen.« Da legte er die Büchse an, zielte und schoß. Kaum aber hatte er geschossen, so ward er aus dem Walde entrückt, und befand sich in einem schönen großen Schlosse. Die Minister warteten eine Zeitlang, als aber Feledico nicht wiederkam, ward ihnen bange, sie suchten und riefen ihn, Feledico war aber nirgends zu finden. Da kehrten sie endlich ins Schloß zurück, fielen dem Könige zu Füßen, und erzählten ihm Alles, und der König und die Königin legten Trauerkleider an um ihren verlorenen Sohn, und sprachen: »Sein Schicksal hat ihn dennoch ereilt.« – Doch lassen wir nun den König und die Königin, und sehen wir, was aus Feledico geworden ist.
Das Schloß, in dem er sich befand, gehörte einer mächtigen Zauberin; ihr Mann aber war ein König der Heiden2, und litt seit vielen Jahren an einem schrecklichen Aussatz. Es war ihm aber prophezeit worden, er könne genesen, wenn er seine Wunden bestreiche mit dem Blute eines Königssohnes, der in derselben Stunde hingerichtet werde, in welcher er achtzehn Jahre alt werde. Darum hatte die Zauberin den armen Feledico durch ihre Macht entführt, und wollte ihn an dem Tage, da er achtzehn Jahr alt sein würde, hinrichten lassen.
Die Zauberin aber hatte eine wunderschöne Tochter, die hieß Epomata. Da sie nun den unglücklichen Feledico erblickte, entbrannte sie in heftiger Liebe zu ihm, und es that ihr Leid um den schönen Jüngling, der so elendiglich hingerichtet werden sollte. Weil sie sich aber vor ihrer Mutter fürchtete, so wagte sie es nicht, bei Tage mit ihm zu sprechen, sondern kam nur des Nachts leise in sein Zimmer, und rieth ihm, was er thun solle.
So blieb denn Feledico fast ein ganzes Jahr im Schloß bei der Zauberin, und hatte Alles, was er wollte, nur aus dem Schlosse durfte er nicht hinaus.
Eines Abends aber kam Epomata zu ihm und sprach: »In drei Tagen wirst du achtzehn Jahre alt sein, dann will dich meine grausame Mutter hinrichten lassen. Aber fürchte dich nicht, denn ich will dich erretten, wenn du genau thust, was ich dir sage. Stehe morgen früh nicht auf, und wenn der erste Minister kommt, dir dein Frühstück zu bringen, so sage ihm, du habest starke Kopfschmerzen, und wollest zu Bette liegen bleiben. Uebermorgen stelle dich noch kränker, und bleibe abermals im Bette liegen. In der Nacht aber werde ich kommen, und dann wollen wir fliehen.«
Feledico that Alles, wie Epomata ihm befohlen hatte; als der Minister am Morgen kam, um ihm sein Frühstück zu bringen, lag Feledico noch im Bett und klagte, er sei krank, und wollte nicht aufstehen. Da der Minister dies der Zauberin hinterbrachte, antwortete sie: »Lasset ihn gewähren, wenn er nur noch die zwei Tage lebt, daß wir ihn lebendig zum Richtplatz bringen.« Am andern Morgen, als der Minister wieder zu Feledico kam, frug er ihn: »Nun, königliche Hoheit, wie fühlt ihr euch heute?« »Ach, schlecht,« antwortete Feledico, »ich will auch heute zu Bette liegen bleiben.« Da ließen sie ihn ruhig liegen, und dachten: »Bis morgen wird er schon noch am Leben bleiben.« Epomata aber rief eine vertraute Hofdame, und ließ sich durch sie einen großen Korb mit Kuchen und Süßigkeiten verschaffen, und mehre Flaschen mit feinem Wein, den vermischte sie mit einem starken Schlaftrunk.
Nun hatte die Zauberin zwei Zauberbücher, aus denen sie ihre Macht entnahm, das eine war schwarz, das andre weiß; das weiße war aber mächtiger als das schwarze. Diese Bücher hatte sie immer unter ihrem Kopfkissen versteckt; das wußte Epomata, und da es dunkel war, schlich sie hinzu, und nahm das weiße Zauberbuch hervor.
Als nun Alle schliefen, schlich sie in das Zimmer des Feledico und brachte ihm ärmliche Kleidung, die mußte er anlegen. Auf den Kopf mußte er den Korb mit Süßigkeiten und die Flaschen mit dem Schlaftrunk nehmen, und nun hinter Epomata drein gehen. Das Schloß aber wurde von sieben Wachen bewacht, an denen mußten sie vorbei, um zu entfliehen. Als sie nun an die erste Wache kamen, sprach Epomata: »Morgen ist ein Freudentag, weil da der Königssohn hingerichtet werden soll, und durch sein Blut der König von seinem Aussatz geheilt werden wird. Deßhalb schicket euch die Königin hier etwas süßen Kuchen und guten Wein, auf daß auch ihr vergnügt seiet.« Als aber die Soldaten von dem Schlaftrunk genommen hatten, fielen sie alsbald in einen tiefen Schlaf. So machte es Epomata bei allen Wachen, und als sie alle eingeschlafen waren, gingen die Beiden in den Stall, sattelten die zwei schnellsten Pferde und entflohen.
Am andern Morgen früh schickte die Zauberin ihre Soldaten, um den armen Feledico zum Richtplatz abzuholen. Als sie aber in seine Kammer drangen, war Feledico verschwunden. Da liefen sie hin, und sagten es der Königin, die rief: »Ist Feledico entflohen, so kann nur meine Tochter ihm geholfen haben.« Also lief sie in das Zimmer ihrer Tochter, aber das Zimmer war leer, und so viel sie auch Epomata suchen mochte, sie fand sie nirgends. »Diese ungerathene Tochter!« rief sie in ihrem Zorn, »aber ich will mich an ihr rächen. Und ist auch meine Gewalt über den Königssohn nun zu Ende, so soll Epomata mir doch nicht entwischen.« Da wollte sie ihre Zauberbücher mit sich nehmen, aber sie fand nur das schwarze, denn das weiße hatte Epomata mitgenommen. Die Zauberin wurde nur noch viel zorniger, ließ sogleich die Pferde satteln, und ritt mit ihren Ministern den Flüchtlingen nach. Unterdessen ritten Feledico und Epomata so schnell als ihre Pferde zu laufen vermochten, und Epomata sprach: »Feledico, siehe dich um, und sage mir, was du siehst.« Da er sich nun umsah, erblickte er die Zauberin, die ihnen nahe gekommen war, und rief voll Schrecken: »Epomata! Epomata! Deine Mutter ist dicht hinter uns.« Sogleich schlug Epomata das Zauberbuch auf, und sprach: »Ich werde zum Garten und du zum Gärtner darin!« Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, so ward sie in einen Garten verwandelt, und Feledico war der Gärtner darin. Als nun die Zauberin herzu kam, frug sie ihn: »Saget mir, schöner Bursche, habt ihr nicht einen Mann und eine Frau gesehen, die hier vorbeiritten?« »Was wollt ihr? Fenchel?« antwortete Feledico, »der ist noch nicht an der Zeit.« »Ach nein! Darnach frage ich nicht; ich frage euch, ob ihr einen Mann und eine Frau gesehen habt, die hier vorbeigeritten sind?« »Was, was? Spargeln? Die werden wir nächstens in Bündelchen binden.« »Seht ihr, königliche Majestät,« sprach der eine Minister, »dieser Mann versteht euch nicht, und die Flüchtlinge können wir doch nicht mehr einholen, die sind schon über alle Berge.« Da kehrten sie um; Epomata und Feledico aber nahmen ihre menschliche Gestalt wieder an, und flohen weiter.
Während nun die Zauberin zurückritt, schlug sie ihr schwarzes Zauberbuch auf, und als sie darin las, der Garten und der Gärtner seien Epomata und Feledico gewesen, gerieth sie in einen großen Zorn und sprach: »Ich muß mich doch an meiner ungerathenen Tochter rächen; wir wollen ihnen wieder nachreiten.« Feledico aber schaute immer hinter sich, und als er die Zauberin in der Ferne erblickte, rief er: »Epomata! Epomata! Deine Mutter ist dicht hinter uns.« Da schlug Epomata ihr Buch auf, und sprach: »Ich werde zur Kirche und du zum Sakristan darin!« und sogleich verwandelte sie sich in eine Kirche, und Feledico war der Sakristan. Als die Zauberin an die Kirche kam, frug sie: »Guter Mann habt ihr vielleicht einen Mann und eine Frau gesehen, die hier vorbeigeritten sind?« »Der Pater ist noch nicht gekommen, deßhalb hat die Messe noch nicht angefangen,« antwortete Feledico. »Ach was! von der Messe spreche ich nicht, ich frage euch, ob ihr einen Mann und eine Frau habt vorbeireiten sehen?« »Wenn der Pater kommt, könnet ihr zur Beichte gehen,« antwortete Feledico. So trieb er es so lange, bis die Zauberin endlich die Geduld verlor, und umkehrte. Die Beiden nahmen nun ihre menschliche Gestalt wieder an und ritten weiter.
Die Zauberin aber las in ihrem Buche, daß die Kirche und der Sakristan die beiden Flüchtlinge gewesen waren. Da ward sie sehr zornig und sprach: »Wir wollen noch einmal umkehren, und diesmal sollen sie mir nicht entwischen.«
Also ritten sie ihnen nach, Feledico aber hatte sich schon lange nicht umgesehen. Da er nun einmal hinter sich sah, war die Zauberin schon ganz dicht bei ihnen. »Epomata! Epomata!« rief er, »wir sind verloren!« »So werde du zum Teich und ich zum Aal darin!« sprach Epomata schnell, und sogleich wurde Feledico zum Teich, Epomata aber ward zum Aal, der lustig im Wasser umherschwamm. Die Zauberin aber hatte es wohl gemerkt, neigte sich über den Teich und wollte den Aal fangen. So oft sie ihn aber gefaßt hatte, entschlüpfte der Aal ihrer Hand, und sie mühte sich vergebens ab. Da verlor sie endlich die Geduld und rief: »So möge Feledico deiner vergessen bei dem ersten Kusse, den er im Hause seines Vaters erhält.« Als sie diesen Fluch ausgesprochen hatte, bestieg sie ihr Pferd und ritt zurück.
Feledico und Epomata aber nahmen ihre menschliche Gestalt wieder an, und nachdem sie noch eine lange Zeit geritten waren, kamen sie endlich in das Reich des Königssohnes. Da sprach Feledico: »Ich bin ein Herrscher, und du sollst meine Frau sein, darum geziemt es dir auch nicht, in diesen schlechten Kleidern vor meinen Eltern zu erscheinen. Deßhalb will ich dich in ein Wirthshaus führen, da sollst du bleiben, derweil ich zu meinen Eltern gehe, und dort Alles hole, was nöthig ist, damit du im Triumph einziehen könnest.« »Ach, Feledico,« antwortete Epomata, »erinnerst du dich aber auch an den Fluch, den meine Mutter gegen mich ausgesprochen hat? Ich bitte dich, gedenke daran, daß du dich nicht küssen lassest, denn bei dem ersten Kuß, den du empfängst, wirst du meiner vergessen.« »Sei nur ruhig,« antwortete Feledico, »ich will daran denken.« Da führte er sie in ein Wirthshaus, und empfahl sie der Wirthin. Dann eilte er in das königliche Schloß zu seinen Eltern. Als ihn nun der König und die Königin erblickten, und in ihm ihren lieben Sohn erkannten, den sie für todt beweint hatten, stürzten sie ihm entgegen, und wollten ihn in ihrer Herzensfreude küssen. Er aber rief: »Liebe Eltern, küßt mich nicht, denn sonst vergesse ich meine liebe Braut.« Darüber waren nun seine Eltern sehr betrübt, und sprachen: »So lange haben wir dich als todt beweint, und nun wir dich wieder haben, sollen wir dich nicht einmal küssen?« Er aber wehrte es ihnen und sprach: »Bereitet mir einen schönen goldnen Wagen mit sechs Pferden bespannt, und rufet mein ganzes Gefolge zusammen, daß ich gehe, und meine liebe Braut abhole. Unterdessen will ich aber ein wenig schlafen, denn ich bin müde.« Da legte er sich hin und schlief bald ein. Nun war aber die Hofdame, die Mutterstelle bei ihm vertreten hatte, die dachte: »Wie? so viele Jahre habe ich für seine Mutter gegolten, und ihn in meinen Armen getragen, und habe ihn aufgezogen, und sollte ihn nicht einmal küssen dürfen?« Und weil sie es nicht länger aushalten konnte, schlich sie in sein Zimmer, neigte sich über ihn, und küßte ihn, während er schlief. In demselben Augenblick erwachte er, aber Epomata war aus seinem Gedächtniß verschwunden. »Lieber Sohn,« sprach die Königin, »der Wagen ist bereit; willst du nun gehen, deine Braut abzuholen?« »Meine Braut? Ich habe ja keine Braut,« antwortete Feledico, und wollte nun nichts mehr von ihr wissen.
Unterdessen wartete die arme Epomata auf ihn, und da er nicht kam, dachte sie endlich: »Ach, gewiß hat er sich küssen lassen, und hat nun meiner vergessen.« Da rief sie die Wirthin, und sprach zu ihr: »Frau Wirthin, ich muß nun einige Zeit bei euch bleiben. Verschaffet mir eine ältliche, ordentliche Frau, die mir diene, und mich begleite.« »Ja,« antwortete die Wirthin, »ich kenne eine solche Frau, die eben einen Dienst sucht, und die euch gewiß gefallen wird.« Da brachte sie eine ältliche Frau, die hieß Donna Maria. Diese blieb bei Epomata, und diente ihr.
Nun lag dem Wirthshaus gegenüber ein Kaffeehaus, in welchem sich immer viele junge, vornehme Leute versammelten; unter ihnen auch ein junger Fürst. Als dieser die schöne Epomata erblickte, und erfuhr, sie sei so allein, entbrannte er in heftiger Liebe zu ihr, und sprach eines Tages zu Donna Maria: »Donna Maria, wollet ihr mir einen Gefallen thun, so bringet eurer Herrin eine Botschaft von mir.« »Ich bringe gar keine Botschaften,« erwiderte Donna Maria kurz, und ging ins Haus. Epomata aber frug sie: »Mit wem sprachet ihr, Donna Maria?« Die Frau wollte es erst nicht sagen, denn sie dachte: »Meine Herrin ist schön und noch sehr jung.« Epomata aber drängte sie, bis sie endlich antwortete: »Edle Frau, es war ein junger Fürst, der wollte mir eine Botschaft an euch auftragen, ich habe sie aber gar nicht anhören wollen.« »Ei! warum nicht?« antwortete Epomata, »überbringet mir nur so viele Botschaften, als er euch gibt.« Als nun Donna Maria wieder ausging, stand auch schon der junge Fürst vor der Thür, und redete sie an: »Ach, Donna Maria, seid doch so gut, und höret an, was ich eurer Herrin zu sagen wünsche.« »Nun denn, so saget mir, was ich meiner Herrin für eine Botschaft überbringen soll.« »Saget eurer Herrin, ich würde ihr hundert Unzen verehren, und euch zwanzig, wenn sie mir erlaubt, heute Abend bei ihr zu essen, und die Nacht bei ihr zuzubringen.« Diese Botschaft überbrachte Donna Maria der schönen Epomata, die antwortete: »Ohne Zweifel; sage ihm nur, ich erwarte ihn.«
Als es Abend wurde, kam der Fürst, und brachte gleich einen großen Beutel voll Goldstücke mit für Epomata, und zwanzig Unzen für die Magd. Das Abendessen war bereit, und nachdem sie gegessen und getrunken hatten, sprach Epomata: »Ich werde zuerst in meine Kammer gehen; über ein Weilchen könnet ihr auch kommen.« Als sie aber in der Kammer war, stellte sie ein Becken mit Wasser in die Mitte der Stube, schlug ihr Zauberbuch auf, und sprach einen Zauber über das Becken aus: »Einer soll herein und Einer heraus!« Dann stellte sie einen Stuhl neben das Becken, und sprach auch darüber einen Zauber aus, daß er Jeden festhielt, der sich darauf setzte, und legte sich zu Bette. Um das Bette aber hielten Zauberinnen mit entblößten Schwertern Wache.
Nach einer Weile kam der junge Fürst auch herein, und Epomata sprach zu ihm: »Edler Fürst, in meinem Vaterlande ist es Sitte, sich die Füße zu waschen, ehe man sich niederlegt; darum wollet euch dieser Sitte fügen, und euch in dem Becken die Füße waschen.« Der Fürst setzte sich auf den Stuhl, den Epomata verzaubert hatte, und steckte den einen Fuß ins Wasser, das war aber so kochend heiß, daß er den Fuß mit einem leisen Schrei herauszog, und den andern hineinsteckte. Aber er verbrannte sich wieder, und als er aufstehen wollte, hielt ihn der Stuhl fest. Er mochte wollen oder nicht, er mußte die ganze Nacht bald den einen, bald den andern Fuß ins heiße Wasser stecken, bis sie beide dick geschwollen waren. Unterdessen schlief Epomata ruhig die ganze Nacht, und am Morgen, als sie aufwachte, sprach sie: »Was! Ihr seid noch da? Schnell, verlasset mein Zimmer, daß man euch nicht in diesem Zustande sehe, und es mir zur Unehre gereiche.« Da schalt der Fürst, und schimpfte über sie, und verließ das Zimmer voll Zorn.
Als aber seine Freunde ihn frugen, wie es ihm ergangen, dachte er: »Habe ich gelitten, so könnet ihr es auch probiren,« und antwortete: »O, recht gut; sie ist ein herrliches Weib.«
Das hörte ein andrer junger Mann, ein Edelmann, der kam zu Donna Maria und sprach: »Saget eurer Herrin, ich wolle ihr achtzig Unzen schenken, und euch zwanzig, wenn sie mir erlaubt, heute Abend bei ihr zu essen, und die Nacht bei ihr zuzubringen.« Als Donna Maria der schönen Epomata diese Botschaft überbrachte, antwortete sie: »Sage ihm, er könne kommen, wenn er wolle.« Am Abend kam der Edelmann und brachte das Geld mit. Da aßen sie, und Epomata sprach gar freundlich und höflich mit ihm. Nach dem Essen aber sprach sie: »Ich werde zuerst in mein Zimmer gehen, über ein Weilchen könnt ihr kommen.« Da ging sie in ihre Kammer, stellte zwei angezündete Lichter auf den Tisch, schlug das Zauberbuch auf, und sprach einen Zauber über die Lichter: »Eines verlöscht, Eines wird angezündet!« Dann sprach sie auch einen Zauber über den Boden, daß sich Keiner von seiner Stelle fortbewegen konnte. Nun ging sie zu Bette, und die Zauberinnen hielten unsichtbare Wache um ihr Lager.
Nach einem Weilchen kam auch der Edelmann in die Kammer, und Epomata sprach: »Edler Herr, die Lichter thun mir an den Augen weh, wollet sie auslöschen, ehe ihr euch niederleget.« Da löschte der Edelmann das eine Licht aus, und dann das andre, unterdessen aber entzündete sich das erste wieder, und so brachte er die ganze Nacht zu, denn so oft er ein Licht ausblies, entzündete sich das andre sogleich wieder von selbst. Und als er im Zorne fortgehen wollte, konnte er sich nicht von seinem Platze bewegen, und mußte blasen, bis er einen ganz dicken Mund bekommen hatte. Am Morgen erwachte Epomata und rief: »Wie? Ihr steht noch immer da? Schnell, verlasset mein Zimmer, denn wenn euch Jemand sieht, gereicht es mir zur Unehre.« Da verließ er das Zimmer mit vielen Schmähungen gegen Epomata, die ihm so übel mitgespielt hatte.
Als er aber ins Kaffeehaus kam, und ihn seine Gefährten frugen, wie es ihm ergangen sei, antwortete er eben so wie der Fürst: »O, recht gut.«
Nun war auch der Sohn eines Kaufmanns, der kam auch zu Donna Maria, und sprach: »Saget eurer Herrin, ich werde ihr funfzig Unzen geben, und euch zehn, wenn sie mir erlaubt, heute Abend bei ihr zu essen, und die Nacht bei ihr zuzubringen.« Donna Maria überbrachte diese Botschaft der schönen Epomata, die antwortete: »Sage ihm nur, er könne kommen, wann er wolle.« Am Abend kam der Kaufmannssohn, und Epomata empfing ihn freundlich, und sie aßen mit einander. Nach dem Essen sagte sie: »Ich werde zuerst in meine Kammer gehen; über ein Weilchen könnet ihr kommen.« In der Kammer aber schlug sie ihr Zauberbuch auf, und sprach einen Zauber über das Fenster aus: »Einer soll auf, und Einer zu!« Dann sprach sie auch über den Boden einen Zauber aus, daß sich Keiner von seinem Platze bewegen konnte. Darauf ging sie ruhig zu Bett, denn sie wußte, daß die Zauberinnen Wache um sie hielten.
Nach einem Weilchen kam der Kaufmannssohn herein, und Epomata sprach zu ihm: »Edler Herr, das Fenster steht noch offen; wollet es schließen, ehe ihr euch niederleget.« So oft er nun den einen Fensterflügel schloß, fuhr der andre auf, und versetzte ihm einen starken Schlag gegen die Brust; und das ging die ganze Nacht so fort, denn er konnte sich nicht von seinem Platze bewegen, bis ihm die Brust ganz aufgeschwollen war. Am Morgen erwachte Epomata, und rief ihm zu: »Was? Ihr steht noch da? Verlasset sogleich meine Kammer, daß man euch nicht bei mir sehe, und es mir zur Unehre gereiche.« Da verließ er die Kammer mit vielen Schmähungen gegen Epomata, und schlich mühsam die Treppe hinunter, denn er konnte nicht einmal grade gehen. Als ihn seine Freunde in diesem Zustande sahen, gestanden auch sie, was ihnen begegnet war, und alle drei schimpften und schmähten die arme Epomata.
Nun war eine geraume Zeit verflossen, seit Feledico die arme Epomata verlassen hatte; da hörte sie eines Tages, er werde nun eine reiche Königstochter heirathen, und nächstens solle die Hochzeit sein. Da schlug sie ihr Zauberbuch auf, und wünschte sich zwei Puppen, einen Knaben, der auf der Geige spielte, und ein Mädchen, das sang, und sogleich standen die beiden Puppen vor ihr, und waren gar fein und zierlich anzusehen. Da rief sie Donna Maria und sprach zu ihr: »Nimm diese beiden Puppen, und trage sie vor des Königs Schloß. Dort rufe laut aus: ‚Wer kauft schöne Puppen! Ei was habe ich für schöne Puppen! Einen Knaben der spielt und ein Mädchen das singt!‘ und thue das so lange, bis der König oder sein Sohn dich anrufen. Dann verkaufe ihnen die beiden Puppen.«
Donna Maria that, wie Epomata ihr befohlen hatte, trug die Puppen vor das königliche Schloß, und rief mit lauter Stimme: »Ei was habe ich für schöne Puppen! Einen Knaben, der geigt, und ein Mädchen, das singt!«
Nun standen der König und sein Sohn gerade am Fenster, und Feledico sprach: »Lieber Vater, sehet doch die schönen Puppen, die die Frau zum Verkauf ausbietet; ich möchte sie wohl gerne kaufen.« Da riefen sie die Frau herauf, wurden mit ihr Handels einig und kauften ihr die beiden Puppen ab. As sie nun bei Tische saßen, sprach der König: »Feledico, du hast heute zwei hübsche Puppen gekauft, bringe sie einmal her, daß sie vor der ganzen Gesellschaft ihre Künste zeigen.« Feledico holte die Puppen, und stellte sie auf den Tisch, und sogleich fing der Knabe an zu geigen, und nachher sang das Mädchen und sprach: »Weißt du noch, wie du in einem Thurm eingesperrt warst, und in der Nacht dein Schicksal dich rief, und dir sagte, du wärest eines reichen Königs Sohn, und dasselbe so oft wiederholte, bis deine Eltern dich zu sich nehmen mußten? Weißt du das noch?« »Nein!« antwortete der Knabe, und »paff!« bekam er von dem Mädchen eine tüchtige Ohrfeige. Diese Ohrfeige aber mußte Feledico fühlen, als ob er sie bekommen hätte, also daß er einen lauten Schrei ausstieß. Das Mädchen fuhr fort: »Weißt du noch, wie du auf die Jagd gingest, und einen Vogel schießen wolltest, und plötzlich aus dem Walde in das Schloß der Zauberin versetzt wurdest? Wie du dort die schöne Epomata sahest, und sie dich vom Tode errettete, als ihre Mutter dich hinrichten lassen wollte, und wie sie endlich mit dir entfloh? Weißt du das noch?« »Nein!« antwortete der Knabe, und »paff!« bekam er wieder eine schallende Ohrfeige, Feledico aber fühlte sie, so daß er laut aufschrie. »Weißt du noch, wie du mit Epomata flohest, und ihre Mutter euch verfolgte, und Epomata in einen Garten verwandelt wurde, und du in einen Gärtner? Wie sie dich frug, ob du einen Mann und eine Frau habest vorbeireiten sehen, und du antwortetest von Fenchel und Spargel? Weißt du das noch?« »Nein!« Und wieder fühlte Feledico eine tüchtige Ohrfeige, daß er schrie. »Weißt du noch, wie die Zauberin uns wieder verfolgte, und ich in eine Kirche verwandelt wurde, und du in den Sakristan? Wie sie dich wieder nach uns frug, und du von der Beichte und vom Pater sprachest?« »Nein!« »Paff!« fühlte Feledico wieder eine Ohrfeige. »Weißt du noch, wie die Zauberin uns wieder einholte, und du zum Teich wurdest, und ich zum Aal darin? Weißt du noch, wie meine Mutter mich fangen wollte, und ich ihr immer wieder entschlüpfte, bis sie im Zorn einen Fluch wider mich aussprach: ‚So möge er denn deiner vergessen, sobald er zu Hause den ersten Kuß bekommt!‘ Wie du mir schwurest, du wollest dich von Niemand küssen lassen, und meiner nicht vergessen? Weißt du das noch?« Als aber Feledico diese Worte hörte, erinnerte er sich auf einmal der armen Epomata, und fuhr auf von seinem Stuhl, und stürzte aus dem Haus, und lief eilend zum Wirtshaus, wo Epomata noch immer auf ihn wartete. Da er sie nun sah, fiel er ihr zu Füßen, und bat sie um Verzeihung und sprach: »Ja, du hast Recht, mir Vorwürfe zu machen, weil du so lange hast leiden müssen; doch nun bin ich gekommen, und will dich zu meinen Eltern bringen, und du allein sollst meine Gemahlin sein.«
Während sie noch so sprachen, kam ein schöner goldner Wagen, den schickte die Königin, um ihre Schwiegertochter abzuholen, und Epomata legte königliche Kleider an, und fuhr mit Feledico aufs Schloß, und da der König und die Königin sie sahen, waren sie hocherfreut über ihre Schönheit, und sprachen: »Nun soll auch Alles zur Hochzeit hergerichtet werden.« Der andern Braut aber ließen sie sagen, Feledico könne sie nun nicht mehr heirathen, denn er habe schon eine Braut. Epomata war aber noch eine Heidin, darum mußte sie erst getauft werden, und erhielt einen christlichen Namen.
Als nun die Hochzeit sein sollte, schickte Epomata einen Boten zu ihrer Mutter und ließ ihr sagen: »Liebe Mutter, verzeihet mir das Unrecht, das ich euch gethan habe, denn ich habe viel gelitten darum. Wollet mir verzeihen, und zu meiner Hochzeit kommen.« Da nun so lange Zeit verflossen war, war auch der Zorn der Zauberin verraucht und sie erfüllte den Wunsch ihrer Tochter, und kam zur Hochzeit, die mit großer Pracht gefeiert wurde.
Nach einigen Tagen sprach die Zauberin zu Feledico: »Lieber Schwiegersohn, ich werde euch nun verlassen, erfüllet meinen Befehl, so wird es euch zu Gute kommen. Heute Abend, wenn ich von meiner Tochter Abschied genommen habe, werde ich in diese Kammer kommen; da müßt ihr mir den Kopf abschneiden, und ihn oben an die Decke hängen. Meine Glieder müßt ihr auch abschneiden, und in die vier Ecken legen; meinen Rumpf aber zerhauet in kleine Stücke, und streut sie im Zimmer umher.« Da ging Feledico zu Epomata und sprach: »Das und das hat deine Mutter mir befohlen zu thun, ich werde es aber nicht thun, denn wie könnte ich Hand an deine Mutter legen?« »Ach was!« antwortete sie, »du kannst es nur getrost thun, wenn meine Mutter es dich geheißen hat, denn sie ist eine so mächtige Zauberin, daß ihr nichts zu schaden vermag.«
Am Abend nahm die Zauberin Abschied von ihrer Tochter, und ging dann in ihre Kammer, Feledico folgte ihr, und zerschnitt sie ganz so, wie sie ihm befohlen hatte. Als er aber am andern Morgen wieder in die Kammer trat, sah er eine solche Pracht, daß er verwundert stehen blieb. Wo der Kopf gehangen hatte, hing nun eine prächtige goldne Krone; die Glieder aber und der Rumpf waren zu großen Haufen lauteren Goldes und edler Steine geworden. Das Alles war das Hochzeitsgeschenk der Zauberin an ihre Tochter.
Feledico aber lebte glücklich und zufrieden mit seiner jungen Frau, und wir haben das Nachsehen.
[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]