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Das schwarze Ei

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Es war einmal ein altes Weibchen, das von Almosen lebte, und alles, was es bekam, teilte es genau in zwei Hälften, eine für sich, die andere für ihre Henne.
Jeden Tag in der Frühe fing die Henne an zu gackern; da hatte sie ein Ei gelegt. Die Alte verkaufte es für einen Kreuzer und kaufte dafür um einen Kreuzer Brot. Die Kruste zerkrümelte sie und gab sie der Henne, die Molle aß sie selbst. Dann ging sie herum und bettelte.
Da kam aber ein schlechtes Jahr. Eines Tages kam das Weibchen nach Hause und brachte nichts.
»Ach, liebe Henne, heute wird unser Kropf leer bleiben.«
»Nur Geduld. Morgen werden wir wieder essen.«
Am nächsten Tag, da es eben hell wurde, fing die Henne an zu gackern. Statt eines Eies hatte sie zwei gelegt, ein weißes und ein schwarzes.
Die Alte ging fort, um sie zu verkaufen. Das weiße verkaufte sie gleich. Von dem schwarzen wollte niemand glauben, daß es ein Hühnerei sei. Die Alte kaufte wie gewöhnlich für den Kreuzer Brot und ging wieder nach Hause.
»Ach, liebe Henne, das schwarze Ei will niemand.«
»Bring es dem Könige!«
Die Alte brachte es dem Könige.
»Was für ein Ei ist das?«
»Majestät, ein Hühnerei.«
»Was soll es kosten?«
»Majestät, was Eure Güte Euch eingibt.«
»Gebt ihr hundert Lire.«
Mit den hundert Lire hielt sich das alte Weibchen für reicher als der König.
Grade in diesen Tagen hatte die Königin eine Henne zum Brüten hingesetzt und zu den anderen Eiern tat sie nun auch dieses. Aber die Gluckhenne brütete es nicht aus.
Der König ließ die Alte rufen.
»Das Ei war faul.«
»Majestät, das kann nicht sein. Die Henne hatte es an demselben Tage gelegt.«
»Und doch ist’s nicht ausgekrochen.«
»Die Königin hätt‘ es selbst ausbrüten sollen.«
Die Sache schien sonderbar. Aber die Königin war neugierig und sagte:
»Ich will es ausbrüten.«
Und sie steckte sich’s in den Busen. Nach zweiundzwanzig Tagen fühlte sie, wie die Schale zerbrach. Herauskam ein reizendes weißes Küchlein.
»Majestät, Majestät, laßt mir ein Weinsüppchen kochen!«
Und es piepte.
»Bist Du ein Hähnchen oder ein Hühnchen?«
»Ein Hähnchen, Majestät.«
»Krähe!«
»Kikiriki!«
Es war wirklich ein Hähnchen und belustigte den ganzen Hof. Aber, je mehr es wuchs, je unartiger wurde es. Bei Tische pickte es von den Tellern des Königs und der Königin; es kratzte, wie wenn’s gar nichts wäre, auf den Tellern der Minister, die vor lauter Respekt nicht wagten Husch! zu sagen; es flog herum, hierhin und dorthin durch alle Zimmer des königlichen Palastes, setzte sich überall hin und beschmutzte alles. Und dann den ganzen Tag: Kikiriki! Kikiriki! daß allen die Ohren dröhnten. Die Hofleute wußten nicht mehr, wohin.
Eines Tages hatte sich die Königin ein neues Kleid machen lassen, das eine wahre Pracht war und einen großen Sack Geld gekostet hatte. Ehe sie’s anzog, flog das Hähnchen herzu und beschmutzte es.
Die Königin wurde wütend.
»Garstiges Hähnchen! Diesmal mag’s hingehen. Aber ein zweites Mal wirst du was erleben!«
Und sie bestellte bei der Schneiderin ein anderes Kleid, noch reicher als das erste. Die Schneiderin tat ihr Bestes. Man kann denken, was für ein Kleid das wurde. Aber eh‘ die Königin es anzog, fliegt das Hähnchen hin und besudelt es.
»Garstiges Hähnchen! Jetzt sollst du mir büßen. Man rufe mir den Koch!«
Der Koch erschien.
»Man mache mir von diesem Hähnchen eine gute Tasse Brühe.«
In der Küche drehen sie ihm den Hals um und fangen an es zu kochen. Kaum fängt das Wasser im Kessel an zu sieden:
»Kikiriki!«
Das Hähnchen war entwischt, als hätte man ihm nie den Hals umgedreht, es gerupft und die Federn abgesengt.
Der Koch lief zur Königin.
»Majestät, das Hähnchen ist wieder aufgelebt.«
Die Sache war doch gar zu sonderbar, und das Hähnchen wurde sehr kostbar. Alle betrachteten es mit Respekt, einige auch mit ein bischen Furcht. Und das mißbrauchte es. Bei Tisch pickte es schlimmer als früher von den Tellern des Königs und der Königin, scharrte, als wenn’s gar nichts wäre, auf den Tellern der Minister, die nicht Husch! zu sagen pflegten aus Respekt vor dem König, setzte sich überall hin und beschmutzte sogar den königlichen Thron. Und dann, Tag und Nacht: Kikiriki! Kikiriki! Das Volk aber verwünschte es mit verbissenem Grimm:
»Zum Teufel das Hähnchen und die es aufziehen!«
Eines Tages mußte Se. Majestät an einen anderen König schreiben, nahm Papier, Feder und Tintenfaß, schrieb den Brief und ließ ihn auf dem Tisch liegen, zum Trocknen. Mein Hähnchen fliegt hin und besudelt ihn, gerade wo die Unterschrift war.
»Garstiges Hähnchen! Diesmal geh‘ dir’s hin, ein zweites Mal sollst du was erleben!«
Der König schrieb den Brief noch einmal und ließ ihn auf dem Tisch liegen, zum Trocknen. Das Hähnchen fliegt hin und besudelt ihn, gerade wo die Unterschrift war.
Der König geriet außer sich.
»Garstiges Hähnchen! Jetzt sollst Du mir büßen. Man rufe mir den Koch.«
Der Koch erschien.
»Man soll mir’s braten, zu Mittag.«
In der Küche drehten sie ihm den Hals um und steckten es an den Spieß.
Als die Essensstunde kam, trug der Koch es auf. Seine Majestät fing an, es zu tranchieren und auszuteilen, diesem einen Flügel, dem einen Schenkel, jenem ein Stück von der Brust, wieder einem den Bürzel. Für sich selbst behielt er den Hals und den Kopf mit dem Kamm und dem Halsgehänge.
Kaum hatte er sie aufgegessen, so bracht’s aus der Tiefe seines Magens los:
»Kikiriki!«
Ein allgemeines Entsetzen. Man rief sogleich die Hofärzte.
»Man müßte dem König den Bauch aufschneiden. Aber wer will sich daran machen?«
Und das Hähnchen, immer von Zeit zu Zeit ließ sich’s aus dem Magen Sr. Majestät vernehmen:
»Kikiriki!«
»Ruft mir die Alte,« sagte der König.
Zufällig kam sie gerade jetzt um zu betteln nach dem königlichen Schlosse, und man holte sie herauf.
»Teufelshexe! Was für einen Zauber hast du in das Ei gelegt? Ich habe den Kopf des Hähnchens gegessen, und jetzt kräht mir’s im Magen. Wenn du mich nicht davon befreien kannst, bist du ein Kind des Todes.«
»Majestät, gebt mir einen Tag Zeit. Ich laufe geschwind nach Hause.«
»Ach, liebe Henne, ich bin zum König gerufen worden. ‚Ich habe den Kopf des Hähnchens gegessen, und nun kräht es mir im Magen.‘ Wenn ich ihn nicht davon befreien kann, muß ich sterben.«
»Liebe Alte, das ist nicht schwer. Nimm morgen ein bischen Hühnerfutter, geh wieder zum König und mache Put! Put! Wenn das Hähnchen deine Stimme hört, wird es herauskommen.«
Und so war’s auch.
Die Sache war gar zu seltsam. Das Hähnchen wurde berühmt und trieb’s ärger als vorher.
Eines Morgens, eh‘ die Sonne aufging:
»Kikiriki! Majestät, ich will ein Huhn haben.«
»Nun, so geben wir ihm ein Huhn!«
Am nächsten Tag in aller Frühe:
»Kikiriki! Majestät, ich will noch ein Huhn.«
»Geben wir ihm noch ein Huhn.«
Kurz, er wollte nach und nach zwei Dutzend Hühner.
Eines anderen Morgens in aller Frühe:
»Kikiriki! Majestät, ich will goldene Sporen haben.«
»Meinetwegen goldene Sporen!«
Das Hähnchen, das ein schöner Hahn geworden war, brüstete sich mit seinen goldnen Sporen ringsherum und pickte bald hier, bald dort.
Ein andermal am frühen Morgen:
»Kikiriki! Majestät, ich will einen doppelten Kamm von Gold haben.«
»Meinetwegen einen doppelten Kamm von Gold!«
Der König wurde es endlich müde, der Hahn aber mit seinen goldnen Sporen und dem goldnen Doppelkamm ging sich brüstend hin und her und pickte bald hier, bald dort.
Endlich an einem anderen Morgen in der Frühe:
»Kikiriki! Majestät, ich will Euer halbes Königreich; ich habe eine Krone wie Ihr.«
Dem König riß die Geduld.
»Schafft mir diesen unverschämten Hahn aus den Augen!«
Aber wie sollte man das anfangen? Ihn töten half zu nichts; er lebte immer wieder auf. Ihn weit forttragen, machte es nicht besser; er wäre wiedergekommen. Wenn man ihm gütlich zuredete, war’s noch schlimmer; er antwortete höhnisch: Kikiriki! Der König in seiner Verzweiflung schickte nach der Alten.
»Wenn du mich nicht von diesem Hahn befreist, laß‘ ich dir den Kopf abschlagen.«
Die Alte ging gleich wieder nach Hause.
»Ach, meine liebe Henne, ich bin zum König gerufen worden. – ‚Wenn du mich nicht von diesem Hahn befreist, laß‘ ich dir den Kopf abschlagen.‘ – Was soll ich antworten?«
»Sage nur: Majestät, Ihr habt keine Kinder. Nehmt ihn an Sohnesstatt an. Da wird er sich beruhigen.«
Der König, wie er sich an die Wand gedrängt sah, entschloß sich, ihn zu adoptieren. Aber es half wenig.
Mit all diesen Hühnern war der königliche Palast der reine Hühnerhof geworden. Der König, die Königin, die Minister, die Hofdamen, die Dienerschaft, alle wurden mit Hühnermist bedeckt, vom Kopf bis zu den Füßen und wußten sich nicht zu lassen. Und dann, Gegacker hier, Kikiriki dort, allen dröhnte der Kopf.
Das Volk fluchte mit verbissenen Zähnen.
»Hol der Henker den Hahn, die Hühner und den, der sie aufzieht!«
»Höre, Hexe,« sagte der König, »wenn du mir bis morgen Hahn und Hühner nicht vom Halse schaffst, wirst du’s mit deinem Kopf bezahlen.«
»Majestät, hier kann nur die Fee Morgane helfen. Schickt nach ihr und laßt sie rufen.«
Der König schickte nach der Fee Morgane. Die Fee antwortete:
»Wer will, mag gehen, wer nicht will, mag schicken.«
Und der König mußte selbst hingehen.
»Majestät, ehe der Hahn nicht ein Mensch geworden ist, wie Ihr, werdet Ihr keine Ruhe haben.«
»Aber was muß geschehen, damit er ein Mensch wird, wie ich?«
»Dazu braucht’s drei Sorten Hühnerfutter. Macht mit Euren Händen drei Furchen und sät diese drei Samenkörner hinein. Schneidet, drescht das Korn ohne es umzurühren und sprecht dazu:

Putt, putt, putt
Wem’s gefällt, dem schmeck‘ es gut!

Und das wiederholt dreimal!«
Der König beeilte sich, alles genau nach Vorschrift zu tun. Als es so weit war:

Putt, putt, putt!
Wem’s gefällt, dem schmeck‘ es gut!

Und von den Hühnern starb die Hälfte.

Putt, putt, putt!

Und die übrigen starben.

Putt, putt putt!

Und der Hahn fing an, die Körner allein aufzupicken, und als er das letzte Korn im Schnabel hatte, reckte er sich, dehnte sich, Kikiriki! schüttelte sich die Flügel vom Rücken und wurde ein großer, schöner junger Mann. Vom Hahn war ihm nur der Kamm und die Krone geblieben. Aber das machte nichts.
Der König sagte zum Volk:
»Ich habe keine Kinder und dieser hier soll Kronprinz werden. Seht ihn dafür an.«
»Hoch der Kronprinz! Hoch der Kronprinz!«
Aber heimlich sagten sie:
»Wir wollen’s abwarten. Wer als Hahn zur Welt kommt, muß krähen.«
Nach einigen Monaten wurde der Kronprinz schwermütig. Er wollte allein bleiben und sprach mit niemand.
»Was habt Ihr, lieber Sohn?«
»Nichts, Majestät.«
Er wollt‘ es nicht sagen, er schämte sich, aber er hatte die größte Lust, Kikiriki zu machen.
Die Hofärzte wurden gerufen, auch andere von auswärts, die allergeschicktesten. Keiner begriff die Sache.
»Vielleicht wollte der Kronprinz eine Frau?«
»Nein, er wollte keine Frau.«
Aber was wollte er denn? Was er auch gewünscht hätte, man würde es ihm geben.
»Ich möchte Kikiriki machen.«
Man mußte es ihm erlauben, und er tat sich damit den ganzen Tag gütlich.
Da schnitt man ihm den Kamm ab, und nun wollte er nicht mehr krähen. Das Volk aber sagte:
»Wir wollen sehen. Wer von einer Henne stammt, der muß scharren.«
Nach einigen Monaten wurde der Kronprinz wieder schwermütig. Er wollte allein sein, er sprach mit niemand.
»Was habt Ihr, lieber Sohn?«
»Nichts, Majestät.«
Er wollt‘ es nicht sagen, er schämte sich, aber er fühlte die größte Lust, auf die Straße hinauszugehen und zu scharren.
Die Ärzte wurden wieder gerufen, aber sie wurden nicht klug daraus.
»Vielleicht wollte der Kronprinz eine Frau?«
»Nein, er wollte keine Frau.«
Aber was wollte er denn? Was er auch gewünscht hätte, man hätte es ihm gegeben.
»Ich möchte auf die Straße gehen und scharren.«
Man mußt‘ es ihm erlauben.
Da rissen sie ihm die Sporen ab, und nun wollte er nicht mehr scharren.
Nun kam die Zeit, ihn zu verheiraten.
»Würde Euch die Prinzessin von Spanien gefallen, lieber Sohn?«
»Majestät, wenn ich heiraten muß, möchte ich ein Huhn heiraten.«
»Also fängt es immer von neuem an?«
Der König hatte gerade seinen bösen Tag. Er zog den Säbel und hieb ihm den Kopf ab.
Aber statt Menschenblut sprang Hühnerblut heraus.
Da erschien die Alte.
»Majestät, damit ist’s zu Ende.«
Sie klebte ihm den Kopf wieder an mit Speichel, und der Kronprinz wurde wieder lebendig.
Jetzt war er wirklich ein Mensch, verhielt sich ruhig, und bald darauf heiratete er die Prinzessin von Spanien. Später wurden sie König und Königin und taten allerlei Gutes.
Und nun ist das Märchen aus.

[Italien: Paul Heyse: Italienische Volksmärchen – von Luigi Capuana]

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