Suche

Beutel, Mäntelchen und Wunderhorn

0
(0)
Es war einmal ein Mann, der hatte drei Söhne, außer den drei Söhnen besaß er nichts als ein Haus, und auch dieses mußte er eines Tages, da Noth an den Mann kam, verkaufen, bis auf drei Steine, die vor der Thür standen. Wie er sterben wollte, bat er die Nachbarn, ihm einen Notarius zu rufen, das Testament aufzusetzen. Die Nachbarn lachten und sprachen: »Das Testament? Du hast ja nichts deinen Söhnen zu hinterlassen.« Die Söhne, die das hörten, meinten auch, es sei nicht von nöthen. Der Vater bat aber so lange, bis einer kam und ihn fragte, was er schreiben sollte. »Ich hatte«, sagte der Sterbende, »ein Häuslein, dies verkaufte ich und behielt mir und meinen Söhnen nur die drei Steine vor, die vor der Thür stehen. Von diesen drei Steinen vermache ich meinem Erstgeborenen den ersten, meinem zweiten den andern, und der jüngste soll den dritten haben.« So starb er.
Die Söhne wußten nicht, was anfangen, und da sie der Hunger plagte, sprach der älteste: »Was soll ich ferner in diesem Lande? Wer weiß, wo mir mein Glück blüht! Jetzt grabe ich mir den Stein heraus, den mir der Vater hinterlassen, und ziehe fort von hier.« Die Herrin des Hauses wollte ihm den Stein abkaufen, er aber bestand auf seinem Rechte und grub ihn aus. Auf dem Grunde fand er ein kleines ledernes Beutelchen, das steckte er zu sich, lud den Stein auf und ging in ein anderes Land. Dort angekommen, setzte er sich nieder, um auszuruhen. Er zog das Beutelchen hervor, es war leer, und er sprach traurig vor sich hin: »O, Beutelchen, wäre ein Hellerlein in dir, daß ich mir Brot kaufen könnte.« Kaum hatte er dies gesagt, so lag ein Heller im Beutel. Nun faßte er Muth und sprach: »Beutelchen, gib mir hundert Dukaten!« Und auch die gab ihm der Beutel, und so oft und so viel er sagte, alles bekam er, bis er unermeßlich reich wurde, so reich, um sich einen Palast zu bauen gegenüber dem Schlosse des Königs. Dort schaute er jeden Morgen heraus, und weil auch die Königstochter herausschaute, so machte er ihr bald süße Augen, und sie fing an seinem Herzen über die maßen theuer zu werden. Ihr näher zu kommen, machte er dem Könige einen Besuch als Nachbar, und die Prinzessin merkte gar bald, daß er ein reicher Mann sein müsse, reicher selbst als ihr Vater. Wie er darauf mit ihr sprach, sagte sie: »Gern nehme ich Euch zu meinem Gemahl, aber sagt mir zuvor, woher Euch solcher Reichthum kommt.« Der Thor zeigte ihr das Beutelchen und erklärte ihr, wie es zu benutzen wäre. Da wurde die Prinzessin froh, gab ihm beim Essen einen Schlaftrunk unterm Wein, nähte ein Beutelchen, genau wie das seine, das sie zu sich steckte, und kümmerte sich nicht weiter um den Betrogenen. Der merkte nur zu bald, wie die Dinge standen, das Beutelchen gab nichts mehr her, und als er alles Vorhandene aufgezehrt, auch den Palast verkauft hatte, mußte er als ein armes Landläuferlein weiter wandern und wußte nicht, wohin er sein Haupt legen sollte.
Da hörte er einst, wie sein mittlerer Bruder reich geworden wäre, zu dem machte er sich also auf den Weg, ihm sein Misgeschick zu erzählen. Der Bruder kam ihm voll Liebe entgegen, und als ihn jener um den Grund seines Reichthums fragte, erzählte er, wie auch ihn der Hunger geplagt und er, da er nicht mehr wußte, was thun, den Stein ausgegraben und ein Mäntelchen gefunden habe. Das Mäntelchen aber hatte eine geheime Kraft besessen, denn als er es zum Scherz um seine Schultern warf, bemerkte er, daß ihn die Leute nicht mehr sehen konnten. So oft er den Versuch machte, immer geschah es, daß ihn niemand von den Umstehenden weiter sehen konnte. »Als mich jetzt der Hunger plagte«, fuhr er fort, »ging ich in eine Schenke, nahm mir ungesehen Brot und Wein und ging weg, ohne daß mich jemand angehalten hätte. Mein Werk setzte ich bei Goldschmieden und Kaufherren fort, raubte auch die Geldpost des Königs aus und wurde schließlich so reich, daß ich nicht mehr wußte, was alles mit meinem Gelde anfangen.« – »Wenn das so ist«, sagte verwundert der andere, »so bitte ich dich, lieber Bruder, leihe mir das Mäntelchen ein wenig, bis ich wieder auf einen grünen Zweig gekommen, dann geb‘ ich’s dir zurück.« Der Bruder gab ihm das Mäntelchen und sprach: »Geh‘ hin und brauche seiner zu deinem Glücke.« Der Aelteste nahm darauf Abschied und wanderte ins Land hinein. Das Mäntelchen that seine Pflicht, und sein jetziger Besitzer trieb es ärger, denn zuvor sein Bruder; wo irgend Gold und Silber lag in Schränken und in Kisten, das wurde von ihm mitgenommen. Aber die Königstochter kam ihm nicht aus dem Sinn, und als er genug zusammengebracht, ging er schnurstracks wieder zu ihr. Wie die ihn reicher erfand denn zuvor, neigte sie sich ihm voll Holdseligkeit und fragte ihn schmeichelnd: »Gern will ich deine Gemahlin sein, aber sage mir, woher kommt dir solcher Reichthum, daß du selbst reicher bist als mein Vater?« Er vertraute ihr sein Geheimniß, zeigte ihr auch das Mäntelchen, und es geschah, was geschehen mußte: die Königstochter führte ihn zur Tafel und sprach: »Jetzt essen und trinken wir, ein Vergnügen findet sich dann schon.« Seelenvergnügt aß er und trank den rothen Wein und merkte es nicht, der Thor, wie jene wieder falsches Spiel spielte und ihm einen Schlaftrunk in den Wein mischte. Er schlief fest ein, die Prinzessin nahm ihm sein Mäntelchen, fertigte ein ganz gleiches, das sie an Stelle des ersten steckte, und er merkte den Betrug nicht eher, als bis er in ein Haus trat, wo sechs starke Brüder wohnten, an deren Tisch er sich ungesehen zu setzen meinte. Sie sahen ihn aber gar wohl, und wie er ungeladen über ihre Speisen herfuhr, so prügelten sie ihn windelweich und warfen ihn zur Thür hinaus.
Nachdem sein Rücken heil geworden, merkte er, daß er hier nichts mehr zu schaffen habe, die Reichthümer waren zu Ende, und er wollte nach Hause, um sich als Knechtlein zu verdingen. Hier hörte er jedoch, daß sein jüngster Bruder indessen steinreich geworden sei, er habe einen Palast und große Dienerschaft. Da kamen ihm andere Gedanken, er beschloß zu diesem Bruder zu gehen, der werde ihn nicht in der Noth sitzen lassen. So ging er hin. Der Bruder freute sich gar sehr und rief: »O, mein Bruder, du? Wo bist du gewesen? Schon lange betrauerte ich dich als todt.« Darauf umarmte er ihn und küßte ihn von Herzen. Wie jener merkte, daß ihm der jüngste Bruder gar freundlich gesinnt sei, fragte er ihn: »Aber sag‘ mir, Brüderlein, woher kam dir dieser Reichthum?« Da hub der Jüngste an und erzählte: »Da unser Vater gestorben war, ging’s mir gar schlecht, und da uns dieser statt Brotes einen Stein hinterlassen hatte, plagte auch mich der Hunger gar gewaltig. In der Verzweiflung reiße ich meinen Stein aus der Erde und finde darunter ein Hörnlein. Zum Spaß nur blase ich hinein, doch siehe, es erschien mit einem mal eine große Menge Kriegsknechte, diese fragten mich: ‚Was ist Euer Befehl?‘ Da zog ich den Athem ins Horn zurück und sie verschwanden. Jetzt wußte ich, was ich zu thun hatte. Ich streifte mit meinen Scharen durch Städte und Länder, bekriegte und eroberte, sammelte unermeßliche Beute, und als ich genug beisammen hatte, kehrte ich heim, baute mir diesen Palast und lebe als ein reicher Mann herrlich und in Freuden.« Der ältere Bruder hatte alles stillschweigend mit angehört, am Schlusse bat er ihn, ihm sein Wunderhörnlein so lange zu leihen, bis er sich wieder auf die Beine gebracht, dann wolle er es ihm schon zurückgeben.
Gern ließ es ihm der Bruder, küßte ihn, umarmte ihn und ließ ihn ziehen, sein Glück zu versuchen. Das erste, was dieser that, war, eine Stadt zu erobern, die wegen ihrer Reichthümer in aller Welt bekannt war. Vor den Thoren angelangt, stieß er ins Horn, und die Kriegsleute kamen, und so lange blies er, bis sich die ganze weite Ebene vor der Stadt mit Soldaten gefüllt hatte. Denen befahl er, die Stadt anzugreifen und zu plündern. So geschah es. Die Mannen stürmten die Mauern, überstiegen sie und in Bälde kehrten sie zurück, reich beladen mit Gold und Silber und allen erdenklichen Kostbarkeiten. Mit diesen Reichthümern ging er nach der Stadt, wo die Königstochter wohnte, stieg in einem vornehmen Hause ab, verwahrte seine Schätze, steckte das Wunderhorn bei und suchte die Prinzessin auf. Diese war freundlich zu ihm, und auch der König und die Königin machten ihm ein zufriedenes Gesicht und luden ihn zur Tafel ein.
Die Prinzessin aber meinte es nicht gut, sie brannte der Gedanke, zu erfahren, wodurch er neuerdings reich geworden. So ließ sie denn nicht nach mit Bitten und Schmeicheln und erreichte, daß er ihr das Wunderhorn zeigte und sich rühmte, damit tausend Millionen Kriegsknechte aus dem Boden rufen zu können. Die Prinzessin ließ sich nichts merken, aber bei Tisch mischte sie ihm einen so starken Schlaftrunk, daß er vierundzwanzig Stunden lang schlafen mußte. Während dieser Zeit nahm sie ihm das Hörnlein weg und legte ein anderes an seine Stelle.
Andern Tages, als er erwachte und sich die Augen rieb, kamen der König und die Königin, verspotteten ihn wegen seines Betrunkenseins und schickten ihn schnöde hinweg. Beschämt raffte er seine Reichthümer zusammen und reiste in ein anderes Land. Unterwegs fiel er unter die Räuber, die ihn ausplündern wollten. Er aber, nicht faul, wischte mit dem Horn hervor und stieß hinein. Diesmal kamen jedoch keine Soldaten, er mochte blasen, daß er blau wurde: es kam niemand, ihm zu helfen. So mußte er seine Habe den Buschkleppern lassen und bekam außerdem noch so jämmerliche Prügel, daß er, über und über voller Striemen, halbtodt am Wege liegen blieb. Mit dem Horn am Munde erwachte er, und nun wußte er ganz genau, daß ihm auch dieses vertauscht worden und daß er auch den jüngsten Bruder ins Unglück gestürzt hatte. Er wollte jetzt nicht länger leben und beschloß, sich von einem Felsen zu stürzen.
Er steigt hinauf, und auf der Spitze angekommen, springt er hinab in die Tiefe. Die Sinne schwanden ihm bereits, als er fühlte, wie er in den Aesten eines Baumes hängen blieb. Er macht die Augen auf und sieht einen schwarzen Feigenbaum, über und über mit Früchten bedeckt. Noch einmal erwacht in ihm die Lust zum Leben, und er denkt, es könne zum wenigsten nichts schaden, wenn er sich erst noch einmal satt an Feigen esse, sterben könne er ja dann immer noch. So fing er an zu essen und merkte es anfangs gar nicht, wie ihm bei jeder Feige, die er verschluckt hatte, ein Horn aus dem Kopfe gewachsen war: Stirn, Wangen und Schläfe waren mit wunderlichsten Hörnern bedeckt. Wie er sich dessen bewußt ward, dachte er: jetzt ist’s erst recht Zeit zu sterben, und ließ die Aeste des Baumes los und fiel weiter hinab in die Tiefe, fiel und wurde von einem weißen Feigenbaum aufgefangen, der wie der erste mit Früchten übersäet war. Er kam zu sich, sah die Menge der köstlichen Früchte und dachte: Mehr Hörner, als ich jetzt habe, kann ich unmöglich bekommen, sterben muß ich einmal, also … Und er begann die Früchte zu essen. Aber wie er aß, merkte er, daß sich bei jeder Feige ein Horn zurückzog und verschwand, er fühlt noch immer mehr schwinden, bis sie alle miteinander verschwunden waren. Jetzt kam ihm ein Gedanke. Vorsichtig kletterte er zu den schwarzen Feigen empor, pflückte sich alle Taschen voll und ging zurück in die Stadt.
Hier legte er die Feigen in ein nettes Körblein, kleidete sich als Bauer an und rief sie, weil sie außergewöhnlich zeitig waren, vor dem Königspalaste aus. Der König hörte den Ruf, ließ ihn hereinrufen und kaufte ihm alle Feigen ab. Mittags erschienen die schönen Feigen auf der königlichen Tafel, und alle aßen davon, am meisten jedoch die Königstochter, da sie ihr besonders gut schmeckten. Kaum waren sie fertig, so bemerkten sie mit Schrecken, daß sie die Gesichter voll Hörner hatten, am meisten wieder die Prinzessin. Da war guter Rath theuer! Sie riefen die Aerzte der Stadt herbei, die schüttelten den Kopf und sagten: »Hier können wir nichts thun.« Der König schickte darauf einen Herold durchs ganze Land, der mußte verkünden: »Wer den König und seine Familie von der Plage der Hörner befreit, darf sich von ihm eine Gnade erbitten, was es auch sei, er wird es ihm gewähren.«
Dies kam auch vor die Ohren des Feigenhändlers, und nun ging er zu dem weißen Feigenbaume, pflückte sich genügend davon, verkleidete sich als Arzt und ging zum Könige. Der ließ ihn gern vor, und der Arzt begann: »Herr König, ich bin der Mann, der Euch und die Euern von den Hörnern befreien kann, aber …« Die Königstochter fiel ihm ins Wort und rief: »O Vater, die meinen muß er zuerst wegschaffen.« Da ging der Arzt mit ihr in eine Kammer, schloß sie ab und fragte die Gehörnte: »Erkennst du mich? Ja oder Nein. So höre, was ich dir in zwei Worten sage: entweder gibst du mir meine Sachen: das Beutelchen, das Mäntelchen und das Wunderhorn, zurück und ich befreie dich von den Hörnern, oder ich lasse dir noch einmal so viele wachsen. Wähle!« Die Königstochter, die so viel Kummer um den bösen Schmuck gelitten hatte und ihm eine Rache gar wohl zutraute, sprach: »Schaff‘ mir die Hörner weg, und du bekommst alles zurück, doch mußt du mich zu deiner Frau machen.« Das war er zufrieden, die Prinzessin gab ihm die Sachen zurück, und wie er sie hatte, ließ er sie so viel weiße Feigen essen, als sie Hörner hatte, und sie verschwanden sämmtlich. So geschah es auch mit dem König und der Königin und allen, so von den schwarzen Feigen gegessen hatten, und darauf erinnerte er den König an die versprochene Gnade und bat ihn um die Hand seiner Tochter. So wurde gar bald Hochzeit gemacht. Mäntelchen und Horn gab er jetzt seinen Brüdern zurück, denn er brauchte sie nicht mehr, da er sein Beutelchen Gib-Geld wieder hatte. Als nach Jahr und Tag der alte König starb, wurde er König und seine Frau Königin, und sie lebten glücklich und zufrieden.

Sie thäten des Glücks in Fülle genießen;
Wir aber sind ein Bündel Radiesen.

[Italien: Waldemar Kaden: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen]

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content