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Die einäugige Not

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Es lebten einst drei Brüder: einer war Kürschner, einer Schneider, einer Schmied. Im Dorfe herrschte Not, man hatte nichts zu essen. Doch die drei Brüder hatten immer genug zu essen und sich zu kleiden. – „Eil die Leute reden, daß hier Not herrscht. Hm ! Wie sieht die Not eigentlich aus ? Wir wissen nicht, was das ist – Not.“ – So sprachen die drei Brüder und machten sich auf, die Not zu suchen. Sie gingen, gingen und kamen in einen Wald. Dort sahen sie eine kleine Hütte. Sie treten ein, eine alte Frau mit einem Auge sitzt am Ofen und brät Kartoffeln. Das Zimmer und die Werkstatt ist voll von Widdern. – „Wozu seid ihr hiehergekommen ?“ – „O, wir gehen die Not suchen l“ – „Dann habt ihr sie schon gefunden, denn ich bin die Not.“ – Die Brüder erschraken. Der Kürschner sagt zu der Frau:

„Liebe, liebe Not,
Bring mir nicht den Tod,
Ich mach dir einen Pelz.“

„Was soll ich mit einem Pelz ?“ entgegnet die Frau, packt ihn an der Kehle und erwürgt ihn. Der Schneider fleht sie ebenfalls um Schonung und verspricht ihr einen Leinenkittel. Aber auch ihn erwürgt die Not. Der Schmied bleibt allein übrig. Er singt sich ein Liedchen:

„Liebe, liebe Not,
Bring mir nicht den Tod,
Bestatten mußt mich dann,
Wenn mich der Tod gewann.“

Die Not lachte nur dazu und sagte: .,Nun, singe noch etwas.“ – Aber dem Schmied war die Lust zum Singen vergangen. Obwohl er sehr stark war, fürchtete er sich dennoch, da er sah, wie sie seine beiden Brüder erwürgte. Darum versuchte er es mit Versprechungen. „Ei, liebe Not! ich würde dir gern ein zweites Auge machen, denn wenn du so mit einem Auge auf der Stirn herumläufst, siehst du gar nicht hübsch aus. Du wirst dann zwei Augen haben so wie ich.“ – „Willst du es wirklich machen ?“- „O, warum denn nicht?“ – „Nun, so mach es!“ -Der Schmied nahm den Schürhaken, mit dem sie die Kartoffeln aus dem Feuer holte, machte ihn glühend und brannte Frau Not das Auge aus. Nun sieht sie gar nichts mehr. Daher kommt es auch, daß heute auch solche Leute Not leiden müssen, die wie die Pferde arbeiten, während es Faulenzern oft gut geht. Die Not weiß nämlich rächt, zu wem sie sich begeben soll, denn sie ist blind. – Die Not geriet in Wut, sie will sich auf den Schmied stürzen, dieser entkommt, läuft in die Werkstatt, die Not seufzt, wandelt zwischen den Widdern und sucht, aber der Schmied entwischt ihr immer. Jetzt setzt sie sich auf die Türschwelle, ruft die Widder zu sich, betastet jeden und läßt sie nacheinander hinaus. Der Schmied sieht das, ergreift schnell ein Widderfell, das er liegen sieht, wirft es sich um und zieht seinen Leinenkittel einem Widder an. Dann kriecht er auf allen vieren heran, blökt, die Not befühlt ihn und läßt ihn hinaus. Als Letzter kommt der Widder in dem Leinenkittel. Die Not betastet ihn: „Oho, das ist der Schmied!“ – schlägt ihn gegen die Erde, daß er sofort tot ist – und der Schmied lacht auf dem Hofe: ,,Cha! cha! cha!“ – Frau Not ist fast toll vor Wut, aber was soll sie tun? „Schmied!“ – ruft sie. „Nun?“ – „Weißt du was ? ich kann dir nichts mehr anhaben. Aber es hängt ein goldener Schlüssel im Walde, gehe diesen Weg, so findest du ihn; nimm dir ihn, denn er wird dir nützen, weil du ein Schmied bist; gern gebe ich ihn dir, denn du bist furchtlos!“ – Der Schmied geht und geht, schaut hinauf und sieht den Schlüssel hängen. „Aha!“ – er klettert auf den Baum, will den Schlüssel nehmen, – oho! die Hand wächst ihm an. Er blickt hinunter, – Frau Not kommt gelaufen. Was soll er nun tun ? Er hat ein starkes Messer bei sich, zieht es heraus und schneidet sich mit einem Hieb den Arm bis zum Ellenbogen ab. Die Not kommt herbei und nimmt den Schlüssel, an welchem der Arm hängt. – „Siehst du nun, Schmied ? Du suchtest die Not, jetzt hast du sie, denn ohne den Arm kannst du dir nichts verdienen.“ – So fanden alle drei die Not.

Quelle:
(Polnisches Volksmärchen)

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