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Es war einmal ein alter König, der hatte drei schöne grosse Töchter und ein kleines Söhnchen.
Na also, der König war ein bischen trunksüchtig. Er vertrank also all sein Geld in der Schenke, und er hatte auch nicht einen Heller mehr, obgleich er König war. Er ging heim und grämte sich, weil er als König kein Geld hatte. Was sollte er jetzt machen? Er ging hinaus auf die Jagd. Er dachte: ich werde in den Wald gehen und etwas schiessen.
Wie er zum schiessen auszieht und wünscht, dass er schon etwas erwische, siehe, da fliegt ein schwarzer Rabe auf einen Baum, am Ende des Dorfes. Na, er denkt bei sich: Traun, mein Gewehr ist gut, ich werde den schwarzen Raben schiessen! – Als er den Raben aufs Korn nahm, sprach der Rabe:
»Hoho, schiesst mich nicht, gebt mir Eure älteste Tochter zur Gemahlin!«
»Wie könnte das sein, wenn du der Rabe bist und ich bin der König?«
»Ich gebe einen Scheffel Gold für deine Tochter!«
»Also gut«, sagt der König.
»Also morgen wirst du hier sein mit deiner Tochter, und ich werde mit dem Gold hier sein.«
Der König geht heim, sagt zu seiner ältesten Tochter:
»Na, Tochter, mach dich bereit, denn morgen früh gebe ich dich einem Gatten.«
»Wem, lieber Vater?«
»Einem Raben.«
Da wurde das Mädchen traurig; doch weil er König war, musste das Mädchen gehorchen.
»Morgen früh lege dein schönes Gewand an, und ich nehme dich mit.«
Morgen in der Frühe machte sich das Mädchen zurecht. Da grämte sich das Mädchen sehr.
»Mein Gott, mich, eine Königstochter, gibt mein leiblicher Vater einem Raben!«
Und er führte sie auch an jenen Ort, wo er gestern mit dem Raben gesprochen hatte. Nun, und jetzt war der Rabe dort mit dem Scheffel Gold; der Rabe übergab dem König den Scheffel Gold, der König übergab dem Raben seine Tochter. Dann nahmen sie von einander Abschied.
Lassen wir jetzt den Raben – er führte das Mädchen fort – und wenden wir uns jetzt zum König mit dem Scheffel Gold. Was wird aus ihm?
Nun, er packt jetzt das Säckchen; aber er kann es nicht von der Stelle bewegen. Er zerrt es hierhin, er zerrt es dahin, doch er kann es nicht regieren. Doch schliesslich schleppt er es irgendwie bis zur Schenke. Nun gibt er den Scheffel Gold dem Wirt als Pfand, damit er ihm gebe, was er braucht.
Jener, der Wirt, hatte nun wohl gesehen, dass Geld da war. Er gibt heute, er gibt morgen, gibt auch die kommende Woche, gibt immerzu, weil Geld aus dem Scheffel Gold da war. Und so verstrich die Zeit, der Wirt sackte ein, und der König vertrank’s. Plötzlich sagte er nur:
»Es gibt nichts mehr zu trinken, denn es ist kein Geld mehr da. Auf Kredit gibt’s nichts!«
Nun grämte sich der König, dass er einen Scheffel Gold eingesetzt und der in einem Monat alle geworden war. Kein Geld, kein Kredit. Was sollte er nun anfangen? Er schämte sich als König.
Er ging sehr bekümmert heim, schläft, schläft auch nicht bis zum Morgen. In der Frühe stand er auf, nahm sein Gewehr, dachte bei sich, vielleicht würde er was zu schiessen finden, worauf er Kredit bekommen könnte.
Als er aus der Stadt gegangen ist bis zum Rande der Wildnis, begegnet er einem riesengrossen, furchtbaren Bären. Er denkt bei sich, er wird den Bären schiessen, die Haut da ist etwas wert. Da hebt der Bär zu sprechen an:
»Halt, König!« sagt er. »Schiesse nicht, gib mir lieber deine zweite Tochter zur Gemahlin!«
»Wie könnte das geschehen, bist du doch ein Bär?«
»Wohlan,« sagt der Bär, »jüngst hast du deine älteste Tochter einem Raben gegeben, und der hat für sie einen Scheffel Gold gegeben. Nun, wenn du mir deine zweite Tochter gibst, gebe ich auch einen Scheffel Gold für sie.«
»Na, wie sollte das also geschehen?«
»Morgen früh sei du mit dem Mädchen hier, und ich werde mit dem Scheffel Gold hier sein, an diesem Platz, wo wir uns jetzt getroffen haben.«
Damit verabschiedeten sie sich. Der Bär ging fort, und er machte sich auch schon auf den Heimweg, der König. Er sagte dem Mädchen nichts, bis es richtig Morgen war. Morgens sagte er:
»Meine liebe Tochter, mach dich fertig, denn heute gebe ich dich auch einem Gatten.«
»Wem, mein Vater, erlauchter König?«
»Einem Bären, liebe Tochter.«
Erschrak das Mädchen, erschrak sehr und fragte:
»Wie kann das sein, lieber Vater? Meine älteste Schwester gabst du einem Raben, mich jetzt einem Bären.«
»Schon gut, liebe Tochter. Mach dich fertig!«
Das Mädchen musste gehorchen; sie rüstete sich, und sie machten sich auf den Weg.
Sie trafen den Bären just an jenem Ort, wo sie gestern mit einander geredet hatten. Der Bär mit dem Scheffel Gold erwartete dort den König.
»Guten Tag!«
»Willkommen, erlauchter König!«
»Also hier ist das Mädchen.«
»Bitte, hier,« sagte der Bär, »hier ist der Scheffel Gold, in einem Säckchen.«
Er übergab sehr traurig das Mädchen, doch das Mädchen durfte nichts sagen. Lassen wir sie jetzt, der Bär ergriff das Mädchen und zog mit ihr von dannen; wenden wir uns zum König.
Er packte den Sack, zog ihn hin und her; er konnte ihn nicht regieren; denn ein Scheffel Gold ist schwer. Er zerrte ihn hierhin und dorthin, schleppte ihn irgendwie bis zur Schenke. Er gibt ihn wieder dem Wirt als Pfand, und der König fragt:
»Herr Wirt, habe ich jetzt Kredit?«
»Kredit ist da, denn Geld ist da.«
Trinkt Seine Majestät, zecht, geht nicht heim, lebt wieder von jenem Geld, wieder einen Monat. Und nach einem Monat sagt der Wirt:
»Kredit ist alle, denn das Geld ist auch alle.«
Was sollte er jetzt nun machen? Er ging wieder traurig heim in sein Haus. Morgens, als er aufsteht, sagt er zu seiner jüngsten Tochter:
»Nun, meine liebe Tochter, mach dich fertig, denn heute gebe ich dich auch einem Gatten.«
»Wem, lieber Vater?«
»Einem Fisch.«
»Wie könnte das geschehen! Meine älteste Schwester gabst du einem Raben, die zweite gabst du einem Bären, lieber Vater. Ich weiss, dass der Rabe auf der Erde lebt und der Bär auch auf der Erde, doch der Fisch im Wasser. Wie könnt Ihr mich dorthin ins Wasser führen, dass ich dort lebe?«
»Schon gut, liebe Tochter, was sein muss, muss sein.«
Weint das Mädchen; doch sie musste gehorchen, durfte nichts dawider sagen.
Sie macht sich schön zurecht, wie es Brauch, und macht sich auf mit ihrem lieben Vater, dem König. Und als sie jenseit der Stadt anlangen, da erwartet sie der Fisch vor dem Bach mit der versprochenen Gabe, nämlich mit dem Scheffel Gold wie die andern Schwäger. Er übergibt dem Fisch das Mädchen, die jüngste Tochter in bittern Tränen; doch es half alles nichts, denn ihr Vater kümmerte sich nicht viel um der Tochter Weinen, freute sich über den Scheffel Gold. Lassen wir sie, der Fisch führte das Mädchen fort; der König blieb mit dem Sack zurück.
Er zieht ihn, zerrt ihn, kann ihn wieder nicht regieren; aber jetzt war er näher bei der Stadt. Er schleppt ihn, schleppt, bis er ihn wieder in die Schenke geschleppt hat. Er gibt ihn wieder aufs Neue dem Wirt als Pfand.
»Na, Herr Wirt, jetzt gibt’s Geld, gibt’s Kredit?«
»Kredit gibt’s, weil’s Geld gibt.«
Wiederum zechte er aufs Beste.
Na, nun hatte der König da zu Hause ein kleines Söhnchen. Und das überlegte jetzt bei sich wie so ein Junge: Mein Gott, mein Vater vertrinkt da den Kaufpreis für die dritte Tochter, obgleich er König ist; der ist auch schon fast hin. Ach, wem wird er mich später einmal verkaufen? Es wird besser sein, wenn ich meine Zelte abbreche und mich auf die Wanderschaft begebe. Wer weiss, wem mein Vater mich auch verkaufen kann! Ich denke, ich werde meine Schwester aufsuchen. Als meine älteste Schwester einen Raben zum Manne nahm, gab sie mir ein Taschentuch zum Andenken. Wenn ich dieses Tuch vornehme, sollte ich daran gedenken, dass meine älteste Schwester einen Raben zum Manne genommen. Meine zweite Schwester gab mir ebenfalls ein Taschentuch, als sie zu einem Bären als Gattin ging. Wenn ich es vornehme, sollte mir ins Gedächtnis kommen, dass sie als Gattin bei einem Bären ist. Meine jüngste Schwester gab mir auch zum Andenken ein Taschentuch, weinend und bebend, dass sie zu einem Fisch ins Wasser als Gattin ginge und dort sterben müsste. Da wäre ihr wohl, weiter kann ich nichts sagen. –
Nun, er machte sich auf die Reise; er wanderte über Berg und Tal, durch Wald und Feld, zu Wasser und zu Lande, gerade wie sich’s traf. Er gelangt in einen wilden Wald, weiss nicht ein noch aus in dem Wald, desgleichen er nimmer beschritten. Wie er im Wald geht, hört er von weitem ein lautes Geschrei, Gewimmer. Er geht näher heran, was dieses Geweine, Gewimmer dort sein mag. Als er näher kam, gelangte er zu einer Höhle. In der Höhle waren drei junge Teufel. Knaben alle drei; Vater und Mutter waren ihnen gestorben; geblieben war ihnen die Höhle, eine Peitsche, ein Bundschuh und ein Mantel. Jene Peitsche, der Bundschuh und der Mantel waren aber so beschaffen, dass eins ohne das andere nichts ausrichten konnte. Sie konnten sie nicht teilen; sie kämpften zu dritt, wessen sie sein sollten. Als dieser Königssohn hinkam, da hielten sie ihn für irgend einen grossen Helden. Er wünschte den jungen Teufeln guten Morgen; doch sie hatten ihn nicht gesehen, erst als er »Guten Morgen« sagte. Alle drei erschraken vor dem Guten Morgen-Laut und hielten auch sogleich im Raufen inne.
»Nun, Held«, sagten die Teufelssöhne, »da Gott dich hergeschickt hat zu uns, so sprich ein Urteil in unserer Sache, denn sonst geht’s dir an den Kragen.«
Er konnte vor Schreck fast nicht antworten. Er fragt sie:
»Was habt ihr, was streitet ihr so heftig und warum?«
Da traten alle drei vor und antworteten ihm:
»Vater und Mutter sind uns gestorben, diese Höhle, eine Peitsche, einen Bundschuh, einen Mantel haben sie hinterlassen; die haben aber solche Kraft: wer jenen Bundschuh anschnürt und jenen Mantel anlegt und die Peitsche in die Hand nimmt, einmal damit schwippt und nur sagt: hipp hopp, dort sei ich, wo ich sein will, – flugs wird er aufgerafft, wo immer er sei, dorthingeführt, wohin er dachte. Nun jetzt, du Held, fäll einen Spruch, wer die Höhle und diese drei Stücke haben soll.«
Er überlegte nun hin und her. Er fragte sie, wer der älteste unter ihnen sei. Trat einer vor und sprach:
»Ich bin’s.«
Nun, da wies er in weiter Ferne einen Schneeberg.
»Na,« sagte er, »du gehst jetzt auf diesen Schneeberg; doch erst gebe ich auch noch den andern Rat.«
Er wies einem jeden einen Schneeberg, da und dort.
»So, und jetzt gebt mir diesen Bundschuh, Mantel und Peitsche, und wer zuerst hier sein wird, dessen sind alle drei.«
Nun, da gaben sie ihm auch die drei Stücke. Sie gingen nun auch dahin, ganz schrecklich weit. Doch er war nicht faul. Wie die Burschen fort waren, band er sich den Bundschuh an und legte den Mantel um, dann schwippte er eins mit der Peitsche: »hipp hopp, ich sei bei meiner ältesten Schwester!« Da fassten ihn die Peitsche und der Mantel wie ein wild brausender Wind. Sie trugen ihn von dannen, wie wenn er niemals dort gewesen wäre.
Als die Teufelssöhne zurückkamen, war der älteste der vorderste. Doch was sollten sie jetzt anfangen? denn der Held, der sie beschieden, war nicht da, kein Bundschuh, noch Mantel, noch Peitsche. Da merkten sie, dass sie umsonst stritten; sie blieben dort alle drei in der Höhle wohnen. Lassen wir jetzt die drei Teufelssöhne in der Höhle; wenden wir uns zum Königssohn.
Die Peitsche und der Mantel warfen ihn unter einem grossen Schneeberg ab. Er schaute nun hierhin, dahin, wusste nicht, wohin sich wenden. Er macht sich an den grossen Schneeberg und geht auf ihn los. In dem Schneeberg, in den Klippen sieht er so etwas, wie wenn da eine Wegspur wäre. Er geht hin und schaut hinein; da sieht er, dass drinnen der Platz noch breiter ist. Er geht hinein, und siehe, weiter hinein wird es immer breiter. Er geht tiefer hinein, da leuchtet etwas, wie wenn es eine Lampe oder eine Kerze wäre. Er geht tiefer hinein, siehe, da erblickt er ein schönes Haus. Und er sieht das Licht durch die Fenster schimmern. Er geht hin; wie er beim Fenster anlangt, da blickt er durchs Fenster hinein und sieht, dass seine älteste Schwester, die zum Raben gekommen, am Tisch an der Stickerei näht, an der sie daheim auch oft genäht. Gleich erkennt er sie, ruft hinein:
»Gott grüss dich, liebe Schwester!«
»Ich bin nicht deine Schwester,« gab sein Geschwister zurück. »Geh von hinnen, wer immer du seist; hierher darf kein Christenmensch kommen. Mein Mann ist ein Rabe, und wenn er heimkommt und dich erwischt, so wehe dir und mir!«
»Ich bin dein kleiner Bruder. Als du zum Raben als Gattin gingst, gabst du mir ein Taschentuch zum Andenken. Bitte, schau nur, ob ich nicht dein kleiner Bruder bin.«
Da sah die Schwester von innen durchs Fenster, erblickte das Taschentuch und erkannte ihn auch auf der Stelle.
»Wehe, mein kleines Brüderchen, wie bist du hergekommen? Mein Mann ist ein Rabe, und wenn er heimkommt, zerreisst er dich gleich.«
»Gräm dich nicht, liebe Schwester! Ich bin ja sein Schwägerchen; ich werde schon mit ihm reden.«
Sie umarmte ihr kleines Geschwister, nämlich den jungen Bruder, und führte ihn ins Gemach.
»Doch wo soll ich dich verstecken? Mein Mann, der Rabe, wird dich so wie so erwischen.«
Sie verbarg ihn auch, so gut sie nur konnte. Und siehe da, plötzlich kommt der Rabe heim, ein riesengrosser Rabe, just zur Essenszeit, zur Mittagszeit. Er fragt zu allererst:
»Liebe Frau, wo ist mein kleines Schwägerchen? Er ist hergekommen, gib ihn heraus!«
Entgegnet seine Frau dem Raben:
»Ich sah ihn nicht, er war nicht hier.«
»Gib ihn heraus, sonst wehe dir und ihm; denn er ist hier.«
Da blieb nichts anderes übrig, sie musste ihn herausgeben. Als sie ihn herausgegeben hatte, reichte ihm der Rabe den Fuss anstatt der Hand.
»Servus, Schwägerchen! Wie geht’s? Gut? Also,« sagte der Rabe, »siehst du, Schwägerchen, wer ich bin?«
»Ich sehe, dass du ein prächtiger Rabe bist.«
»Na also, wir wollen Mittag essen,« sagte der Rabe, »nach dem Essen werde ich zeigen, wer ich bin.«
Sie setzten sich schön zu dritt nieder und speisten; dann sprach der Rabe:
»Na, Schwägerchen, wer bin ich?«
»Ich sehe, du bist ein prächtiger Rabe,« sagte er wieder.
Da breitete der Rabe nur seine Flügel aus, schlug sie tüchtig zusammen, da wurde aus ihm ein schmucker, schöner Königssohn.
»Na siehst du, Schwager, wer ich bin?« sagte er zu seinem kleinen Schwager.
»Ich sehe, jetzt bist du ein schmucker Königssohn.«
Da sprach sein Rabeschwager:
»Ich werde dir jetzt eine schöne, neue Schachtel geben. Zieh dann eine Feder aus meinem Flügel, lege sie in die neue Schachtel, und wenn du einmal, wenn du lange lebst, auf der Welt in Not sein wirst, blas diese Feder an, und wenn du schon nicht mehr Zeit hast, sie anzublasen, denk nur an mich; dann werde ich dort sein, dir zur Hilfe.«
In der Minute wurde sein Schwager wiederum ein Rabe.
Na, jetzt freute sich der Knabe, nun er wusste, was für einen Mann seine älteste Schwester an dem Raben hatte. Er nahm schön Abschied von ihnen und schritt hinaus aus dem Felsen.
Jetzt machte er sich wieder auf den Weg, wanderte durch Wälder, über Berg und Tal, zu Wasser und zu Lande. Jetzt kam’s ihm in den Sinn, dass er seine mittelste Schwester gern sehen möchte. Er legt wieder den Bundschuh und den Mantel an, schwippt eins mit der Peitsche: »hipp hopp, ich sei bei meiner mittelsten Schwester!« Die Peitsche, der Bundschuh und der Mantel fassten ihn wie ein wild brausender Wind. Sie trugen ihn von dannen, wie wenn er nimmer dort an jenem Ort gewesen wäre. Sieben Königreiche weit davon, vor einem grossen Felsen warfen sie ihn wieder ab.
Auf diesem Felsen geht er jetzt herum, weiss nicht, was er auf so fremdem Boden machen soll. Da erblickt er im Felsen so etwas wie eine riesige Höhle; er geht trotz seiner Furcht hinein, tiefer, tiefer, immer tiefer, erblickt dort auch einen schönen, matten Lichtschimmer. Gleich freut er sich, »hier muss meine mittelste Schwester sein.«
Da stand auch ein Haus, von da schimmerte auch das Licht durchs Fenster, und da sieht er seine Schwester; sie singt und näht, wie sie’s zu Hause pflegte.
»Gott grüss dich, liebe Schwester!«
Doch seine Schwester blickte nicht hinaus, gab nur zurück:
»Ich bin nicht deine Schwester. Wer immer du seist, eile von hinnen, denn mein Mann ist ein grosser Bär. Gleich kommt er heim zum Mittagessen; er wird dich zerreissen, eile von hinnen!«
»Aber ich bin dein kleiner Bruder. Als du zu deinem Gatten zogst, gabst du mir ein Taschentuch zum Andenken. Hier ist’s, liebe Schwester, bitte, schau zum Fenster hinaus, und du wirst’s erkennen.«
Da lehnte er sich ans Fenster, seine Schwester schaute auf und erkannte ihn auch. Sie rief ihn hinein, umarmte ihn, küsste ihn, doch zugleich hub sie auch zu weinen an.
»Wie konntest du hierher kommen, wenn mein Mann ein Bär ist? Wenn er dich sieht, zerreisst er dich auf der Stelle.«
»Gräm dich nicht, Schwester, denn ich bin ja sein Schwägerchen, mir wird er nichts tun.«
Doch seine Schwester weinte gleichwohl, versteckte ihren jungen Bruder, wie sie nur konnte.
Kam Mittag heran, kehrte der Bär heim. Noch war er nicht in die Tür getreten, da brummummummte er schon:
»Wo ist dein Brüderchen, mein kleines Schwägerchen?«
Die Frau leugnete, sie habe ihn nicht mit Augen gesehen noch Kunde von ihm vernommen, seit sie von Hause gegangen. Doch was konnte sie tun, sie musste ihn herausgeben, denn ihr Mann befahl es. Als er den Knaben erblickte, stellte er sich auf die Hinterbeine und reichte ihm die vordere rechte Tatze anstatt der Hand. Doch seine Finger waren so krallig, dass der Königssohn am ganzen Leibe zusammenschreckte.
»Servus, Schwägerchen! Gut, dass du zu uns gekommen bist. Weisst du aber, wer ich bin?«
»Ich sehe, dass du ein Bär bist, ein grosser, starker Bär.«
»Na, du wirst gleich sehen, wer ich bin!«
Da machte er drei Purzelbäume, und aus ihm wurde ein schmucker, schöner König, ach so schmuck, dass das Haus erstrahlte von seinem glänzenden Gewände. Nun setzten sie sich zu Tisch, assen, tranken, trieben Kurzweil, waren fröhlich bis zum Abend. Da sagte der Knabe, er ginge jetzt fort, auch seine dritte Schwester zu suchen.
Sie erhoben sich; doch der Bär oder vielmehr der strahlende König übersprang sich wieder, und aus ihm wurde wiederum der Bär, der er gewesen war. Er sagte aber zu seinem Schwager:
»Nun Schwager, mein kleines Schwägerchen, greif in meinen Pelz, zieh drei Haare heraus, verwahre sie wohl, und wenn du in Not bist, zupfe sie nur ein paar mal, so werde ich dort sein!«
Na, er bedankte sich, sie nahmen Abschied, er nahm den Mantel um die Schultern, den Bundschuh an den Fuss, knallte eins: »hipp hopp, dort sei ich, wo meine Schwester ist!« Und flugs war er dort beim Bach.
Doch wie sollte er ins Wasser hineinkommen? Im Schneeberg, im Walde konnte er gehen, in der Höhle konnte er es auch, doch wie konnte er jetzt ins Wasser gehen? Er sann, sann, da kam ihm sein Schwager Rabe in den Sinn, ob der ihm aus der Not helfen könnte.
Er zog die Schachtel hervor, blies die Feder an, und siehe da, von der Schneebergseite kam eine grosse Wolke, in der Wolke war ein grosser, schwarzer Rabe. Er liess sich im Nu vor ihm auf die Erde nieder. Er sprach:
»Was fehlt dir, liebes Schwägerchen?
»Nichts anderes als: wie könnte ich zu meiner dritten Schwester kommen, wenn sie doch hier im Wasser ist?«
»Wenn’s weiter nichts ist, das werde ich gleich aus dem Wege schaffen.«
Und er geht ins Wasser, schlägt mit den Flügeln, um sich zu baden. Er badet drin und trocknet das Wasser so aus, dass du drei Tagereisen aufwärts und niederwärts keinen Tropfen Wasser gefunden hättest.
Er bedankt sich und sieht, dass dicht vor ihm unter dem Ufer eine Höhlenöffnung ist. Er macht sich auf, denn dort musste seine Schwester sein, die sich dem Fisch vermählt hatte. Er geht und geht, geht immerzu in der grossen Finsternis, und plötzlich erblickt er ein bischen Licht. Weiter geht er, weiter geht er, immer heller wird’s. Er geht noch weiter, siehe, da gelangt er auf eine schöne Wiese, mitten darauf stand ein grosses Schloss; doch das ganze Haus war ganz aus Glas, und dort am Tisch sitzt seine jüngste Schwester, näht an der Stickerei.
Doch wie er anlangt, sieht ihn seine Schwester gleich, weil die Wände aus Glas waren. Sie eilt hinaus zu ihm.
»Wie konntest du herkommen, mein kleiner Bruder, wenn mein Mann doch ein Fisch ist? Wenn er dich erblickt, schnappt er dich gleich hinunter, wenn er sein Maul aufsperrt.«
»Lass nur, liebe Schwester, er wird mir nichts tun; haben die beiden andern Schwäger mir ja nichts getan.«
Sie gingen ins Haus; dort zappelte der Fisch auf einer Bank. Wie er seinen Schwager erblickte, sprang er im Nu von der Bank herunter, wurde aus ihm auch ein Königssohn, aber hundertmal schöner als seine beiden andern Schwäger. Sie umarmten ihn, küssten ihn, bewirteten ihn gut; doch der Königssohn wollte nicht bleiben, weil er dort stecken bleiben konnte, wenn das Wasser wieder kam.
Sie nahmen Abschied von einander, und sein Schwager gab ihm drei Schuppen aus seiner Seite.
»Wenn sich’s so trifft, dass du in Not bist, wenn du am Wasser bist, wirf sie ins Wasser, so werde ich dort sein!«
Nun, sie nahmen Abschied; der Königssohn geht und geht, gelangt hinaus aufs Ufer; doch von Wasser war noch keine Spur da, so hatte der Rabe es ausgetrocknet.
Nun ging der Knabe wieder heim zu seinem Vater.
Einstmals sagte der Knabe zu seinem Vater und seiner Mutter, er wollte gehen ein Handwerk lernen, schustern. Sein Vater und seine Mutter sagten wieder und wieder:
»Geh nicht, mein Sohn, dir fällt ja doch das Königreich zu, wozu brauchst du ein Handwerk?«
Aber er hörte nicht auf seinen Vater und seine Mutter, sondern trat als Schusterlehrling ein. In einem Jahr hatte er so ausgelernt, dass aus ihm ein Schuster geworden war, wie man von einem solchen noch niemals gehört hatte. Er ging heim und machte seinem Vater und seiner Mutter solche Schuhe, wie sie noch niemals an ihren Fassen getragen. Jetzt sagten sein Vater und seine Mutter:
»Nun, lieber Sohn, du hast solch ein Handwerk, dass du zu leben haben wirst, auch wenn dir das Königreich nicht bleibt.«
Doch der Knabe sagte:
»Das ist mir noch nicht genug. Ich trete bei den Maurern ein und lerne das Maurerhandwerk.«
Denn er dachte, sein Vater würde sein ganzes Reich vertrinken, denn der Alte trank immerfort. Er ging auch und hatte in einem Jahr so ausgelernt, dass er der berühmteste Polier geworden war. Er ging heim, riss das königliche Schloss nieder und baute an seiner statt ein solches auf, desgleichen man nicht hätte sehen können.
»Na,« sagte er, »mein Sohn, jetzt kannst du wirklich dein Fortkommen finden, du hast zwei rechtschaffene Handwerke gelernt.«
Doch er sprach:
»Das ist mir noch nicht genug, mein Vater, ich trete noch wo anders in die Lehre. Ich habe gehört, dass in dem und dem Walde hundert Diebe hausen, und ich werde bei ihnen eintreten.«
Doch wie er dieses Wort ausgesprochen hatte, weinte sein Vater, weinte seine Mutter, dass sie in ihrem Kummer schier sterben wollten. Sie redeten genug auf ihren Sohn ein, er sollte nicht gehen; aber er wandte sich dennoch dorthin.
Pünktlich zur Mitttagszeit meldete er sich bei dem Diebshauptmann, was er vorhabe und dass er bei ihnen eintreten wollte. Doch der Hauptmann der Diebe sprach:
»Mein Sohn, ich sehe wohl, dass du ein tüchtiger Bursch bist, doch unserer sind schon hundert, und hunderteins bringt kein Glück. Aber wenn du eine Probe bestehst, die ich sagen werde, dann nehme ich dich auf, und du sollst gleich nach mir kommen.« Und er sagte:
»Ein reicher Kaufmann kommt hergeritten; wenn du dessen Pferd fortschaffst, ein mit Gold gefüllter Rucksack ist auf dem Pferd, und wenn du ihn mitsamt dem Gold und dem Pferd herbringst, dann nehmen wir dich auf.«
Der Königssohn ging auch dorthin, wohin er gewiesen, dass der Kaufmann vorbeikommen würde, und hängte sich dort an einem Baum auf. Und als der Kaufmann kommt, blickt er auf den Baum und macht so (nämlich hebt beide Hände zum Himmel):
»Mein Gott, jetzt beginnen die Diebe schon die Leute an den Bäumen aufzuhängen!«
Damit liess er ihn dort und ritt weiter. Und jener stieg wieder vom Baum herunter und kam ihm auf einem andern Weg zuvor. Er wechselte seine Kleider und hängte sich wieder an einem Baum auf. Er baumelte mit den Fassen oben und mit dem Kopfe unten.
Nahe dort beim Baum war ein Brunnen, und der Kaufmann band sein Pferd an, um auszuruhen. Er dachte bei sich, er wollte zurückgehen und nachsehen, ob jener Mensch noch dort sei, den er vorhin hatte hängen sehen. Nun stieg der Königssohn vom Baum, bestieg das Pferd, führte es mitsamt dem vielen Gold hin zum Hauptmann.
Nun, jetzt lobte ihn der Hauptmann der Diebe und nahm ihn auf.
Na, und jetzt hatten sie schon so viel gestohlen und Gold geraubt, dass sich das Geld schon tüchtig angesammelt hatte. Sie beratschlagten, sie wollten in die Stadt gehen, Kalk und Ziegel kaufen und für das Gold eine Mauer machen. Sie gingen auch in die Stadt, erhandelten Kalk, Ziegel, trugen sie hinaus in den Wald. Der Königssohn verstand sich gut aufs Mauern. Sie machten die Mauer, verbargen darin das viele Gold. Doch das wusste niemand anderes, nur der Hauptmann der Diebe und wiederum dieser Königssohn.
Nun, und jetzt riet der Königssohn, sie wollten in jene Stadt gehen, wo der König (aber nicht sein Vater) wohnte, und dort in den grossen Kaufläden einbrechen. Der Hauptmann der Diebe sagte genug dagegen, sie sollten nicht gehen, denn dort seien viele Soldaten und würden sie greifen, und so geschah’s auch.
Sie gingen in die Stadt; als sie im ersten Laden einbrachen, wurden sie alle von den Soldaten festgenommen. Aber der Königssohn entfloh. Er ging ans Ende der Stadt und trat dort bei einem alten Schuster als Lehrling ein.
Der alte Mann hatte eine alte Magd, die hielt er so, wie wenn sie seine Frau gewesen wäre, dass sie für ihn koche. Doch diesen Königssohn hatte er noch lieber als das alte Weib, weil er ein geschickter Mensch war. Doch lassen wir sie arbeiten, wenden wir uns zum Hauptmann der Diebe und zum König.
Der Hauptmann der Diebe wurde jetzt vor den König geführt, wieso sie so frech gewesen wären, in jene Läden einzubrechen. Da sprach der Diebeshauptmann:
»Bei mir ist ein noch viel stärkerer Mann gewesen; doch er ist entflohen; er ist nicht hier.«
Da sprach der König:
»Wie könnte ich ihn handfest machen?«
Da sagte der Diebeshauptmann, dass sie im Walde viel Gold eingemauert hätten. Der König sollte dort ein Eisen aufstellen lassen, er wird dorthin kommen müssen, und wenn er dort hinkommt, wird ihn das Eisen festnehmen.
Na, der Königssohn erfuhr das, wie er dort beim Schuster arbeitete, denn die Leute kamen hin und schwatzten alles aus. Einstmals sagt er dem alten Schuster, er wüsste, wo im Walde viel Gold sei, und sie wollten hingehen und sich holen, soviel sie brauchten. Der alte Schuster war sehr erpicht auf die Gelegenheit, sie gingen selbander hin. Er schickt den Alten hin an den Eingang des Loches, und das Eisen fängt des Alten Kopf und reisst ihn ab. Er schob den Kopf des Alten beiseite und ging hinein und holte einen Scheffel Gold; doch der Frau befahl er, von diesem Gold nicht einen Kreuzer auszugeben.
Und der König ging jeden Tag mit dem Hauptmann der Diebe hin, nachzuschauen, ob jemand dort gewesen war. Sie fanden den Leichnam, trugen ihn sorgsam nach Hause, legten ihn in einen Sarg und trugen ihn von Haus zu Haus, ob ihn jemand erkenne. Denn dann hätten sie sicher gewusst, ob es ihr Spiessgeselle gewesen war.
Sie trugen ihn von Haus zu Haus; doch niemand beweinte ihn. Doch als sie beim Dorfende anlangten, spaltete jene Frau gerade Holz und erkannte, dass es ihr Herr war, der sie ernährt hatte. Sie hub an zu wehklagen. Das hört der Königssohn drinnen im Hause bei der Arbeit und schneidet sich den Finger ab. Er holt einen Prügel, heraus! und schlägt die Frau.
»Na,« sagt er, »zum Teufel auch! Wenn ich mir den Finger abschneide, was hast du zu weinen! Darum kann ich dich noch immer erhalten.«
Und so musste der König mit dem Diebeshauptmann und dem Leichnam abziehen. Der König trug den Leichnam hin zu sich und musste ihn beerdigen.
Und sie setzten fest, dass in jedem Laden der Mann, der das und das Gold hinbringen würde, auf der Stelle eingesperrt werden sollte.
Und nun hatte just eben des Schusters Frau ein Goldstück genommen und war zum Schlächter gegangen, Fleisch dafür zu kaufen. Dem Schuster kam’s zu Ohren; er nimmt wieder den Prügel, und ihr nach, der Frau nach, beginnt sie tüchtig zu klopfen, dass er über einen Monat für dieses Gold gearbeitet habe und sie wolle es dann vergeuden! So dass die Fleischer Mund und Augen aufrissen, ihm das Goldstück wiedergeben mussten, und ihr Herr klopfte die Frau bis nach Hause.
Nun sagte aber der Hauptmann der Diebe zum König, der König hätte eine sehr schöne Tochter, und er sollte ausrufen lassen, dass alle Menschen zum Besuch hingehen dürften; denn er wusste, dass er auch hingehen würde.
Nun, so geschah es auch. Der König liess ausrufen, dass es jedem erlaubt sei, zu seiner Tochter auf Besuch zu gehen. Der Schuster legte auch ein sehr schönes Gewand an, kleidete sich an und ging hin. Die Königstochter aber hatte einen Schlauch, wen sie damit fächelte, der schlief auf der Stelle ein.
Nun, als alle bei dem Mädchen sich versammelt hatten, erschien auch der Schuster. Doch er nahm den Schlauch; so viele ihrer er fächelte, so viele schliefen; doch er unterhielt sich gut mit dem Mädchen, und dann machte er sich aus dem Staube.
Als der König mit dem Diebeshauptmann hinkam, schliefen alle. Na, jetzt wussten sie es aber gleich genau, dass er auch dort gewesen war.
Auch am andern Abend wurde die Nachricht ausgegeben, dass man zu dem Mädchen gehen konnte. Am andern Abend ging der Schuster auch wieder hin; aber er hatte das königliche Gewand angelegt, darüber noch ein anderes Gewand. Und er erschien am anderen Abend auch bei der Königstochter, denn er liebte sie sehr. Jetzt erlaubte er, dass die Königstochter ihn auch mit dem Schlauch fächelte, und er schlief auch ein.
Morgens, als der König mit dem Diebeshauptmann kam, da erkannten sie ihn. Na, da wurden Soldaten gerufen, und der König befahl, sie sollten ihn zum Galgen führen. Der Königssohn aber war traurig, denn er liebte das Fräulein so sehr; das Fräulein weinte auch, denn er war ein schöner Bursche; doch weil er ein grosser Dieb war, führten sie ihn zum Galgen.
Sie führten ihn zum Galgen, und da waren auch schon der König und die Herzöge und die Barone und die vielen Soldaten, um den grossen Dieb zu sehen; doch da greift er plötzlich in seine Tasche, zieht die drei Haare heraus, die er von seinem Bärenschwager bekommen.
»Was wünschst du, Schwägerchen?«
Und schon stand dort der schreckliche, grosse Bär, knirschte mit den Zähnen, riss das Maul weit auf.
»Nichts weiter als dieser König will mich als Dieb aufhängen lassen und weiss nicht, dass ich ein Prinz bin; er sollte mir lieber seine Tochter geben.«
Ach, erschrak der König; er fiel vor dem Bären und dem Königssohn auf die Kniee und versprach, beschwor hoch und heilig, dass er ihm seine Tochter geben würde, nur sollte ihm der grosse Bär nichts zu leide tun.
»Es ist auch besser, du gibst sie, als dass ich dich mitsamt all deinen Soldaten zerreisse!«
Nun gingen sie heim; der König nahm ihn gleich als Schwiegersohn auf und liess auch dem andern König, seinem Vater, Nachricht zukommen, und der kam auch zum Fest. Zwei Königreiche bekam der Jüngling, und sie hielten ein so grosses Fest, wie man es noch niemals gehört noch gesehen. Schüsseln, Teller gab’s genug; ein glücklicher Mensch war, wer einen Tropfen Suppe erwischt hat. Wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.
Na also, der König war ein bischen trunksüchtig. Er vertrank also all sein Geld in der Schenke, und er hatte auch nicht einen Heller mehr, obgleich er König war. Er ging heim und grämte sich, weil er als König kein Geld hatte. Was sollte er jetzt machen? Er ging hinaus auf die Jagd. Er dachte: ich werde in den Wald gehen und etwas schiessen.
Wie er zum schiessen auszieht und wünscht, dass er schon etwas erwische, siehe, da fliegt ein schwarzer Rabe auf einen Baum, am Ende des Dorfes. Na, er denkt bei sich: Traun, mein Gewehr ist gut, ich werde den schwarzen Raben schiessen! – Als er den Raben aufs Korn nahm, sprach der Rabe:
»Hoho, schiesst mich nicht, gebt mir Eure älteste Tochter zur Gemahlin!«
»Wie könnte das sein, wenn du der Rabe bist und ich bin der König?«
»Ich gebe einen Scheffel Gold für deine Tochter!«
»Also gut«, sagt der König.
»Also morgen wirst du hier sein mit deiner Tochter, und ich werde mit dem Gold hier sein.«
Der König geht heim, sagt zu seiner ältesten Tochter:
»Na, Tochter, mach dich bereit, denn morgen früh gebe ich dich einem Gatten.«
»Wem, lieber Vater?«
»Einem Raben.«
Da wurde das Mädchen traurig; doch weil er König war, musste das Mädchen gehorchen.
»Morgen früh lege dein schönes Gewand an, und ich nehme dich mit.«
Morgen in der Frühe machte sich das Mädchen zurecht. Da grämte sich das Mädchen sehr.
»Mein Gott, mich, eine Königstochter, gibt mein leiblicher Vater einem Raben!«
Und er führte sie auch an jenen Ort, wo er gestern mit dem Raben gesprochen hatte. Nun, und jetzt war der Rabe dort mit dem Scheffel Gold; der Rabe übergab dem König den Scheffel Gold, der König übergab dem Raben seine Tochter. Dann nahmen sie von einander Abschied.
Lassen wir jetzt den Raben – er führte das Mädchen fort – und wenden wir uns jetzt zum König mit dem Scheffel Gold. Was wird aus ihm?
Nun, er packt jetzt das Säckchen; aber er kann es nicht von der Stelle bewegen. Er zerrt es hierhin, er zerrt es dahin, doch er kann es nicht regieren. Doch schliesslich schleppt er es irgendwie bis zur Schenke. Nun gibt er den Scheffel Gold dem Wirt als Pfand, damit er ihm gebe, was er braucht.
Jener, der Wirt, hatte nun wohl gesehen, dass Geld da war. Er gibt heute, er gibt morgen, gibt auch die kommende Woche, gibt immerzu, weil Geld aus dem Scheffel Gold da war. Und so verstrich die Zeit, der Wirt sackte ein, und der König vertrank’s. Plötzlich sagte er nur:
»Es gibt nichts mehr zu trinken, denn es ist kein Geld mehr da. Auf Kredit gibt’s nichts!«
Nun grämte sich der König, dass er einen Scheffel Gold eingesetzt und der in einem Monat alle geworden war. Kein Geld, kein Kredit. Was sollte er nun anfangen? Er schämte sich als König.
Er ging sehr bekümmert heim, schläft, schläft auch nicht bis zum Morgen. In der Frühe stand er auf, nahm sein Gewehr, dachte bei sich, vielleicht würde er was zu schiessen finden, worauf er Kredit bekommen könnte.
Als er aus der Stadt gegangen ist bis zum Rande der Wildnis, begegnet er einem riesengrossen, furchtbaren Bären. Er denkt bei sich, er wird den Bären schiessen, die Haut da ist etwas wert. Da hebt der Bär zu sprechen an:
»Halt, König!« sagt er. »Schiesse nicht, gib mir lieber deine zweite Tochter zur Gemahlin!«
»Wie könnte das geschehen, bist du doch ein Bär?«
»Wohlan,« sagt der Bär, »jüngst hast du deine älteste Tochter einem Raben gegeben, und der hat für sie einen Scheffel Gold gegeben. Nun, wenn du mir deine zweite Tochter gibst, gebe ich auch einen Scheffel Gold für sie.«
»Na, wie sollte das also geschehen?«
»Morgen früh sei du mit dem Mädchen hier, und ich werde mit dem Scheffel Gold hier sein, an diesem Platz, wo wir uns jetzt getroffen haben.«
Damit verabschiedeten sie sich. Der Bär ging fort, und er machte sich auch schon auf den Heimweg, der König. Er sagte dem Mädchen nichts, bis es richtig Morgen war. Morgens sagte er:
»Meine liebe Tochter, mach dich fertig, denn heute gebe ich dich auch einem Gatten.«
»Wem, mein Vater, erlauchter König?«
»Einem Bären, liebe Tochter.«
Erschrak das Mädchen, erschrak sehr und fragte:
»Wie kann das sein, lieber Vater? Meine älteste Schwester gabst du einem Raben, mich jetzt einem Bären.«
»Schon gut, liebe Tochter. Mach dich fertig!«
Das Mädchen musste gehorchen; sie rüstete sich, und sie machten sich auf den Weg.
Sie trafen den Bären just an jenem Ort, wo sie gestern mit einander geredet hatten. Der Bär mit dem Scheffel Gold erwartete dort den König.
»Guten Tag!«
»Willkommen, erlauchter König!«
»Also hier ist das Mädchen.«
»Bitte, hier,« sagte der Bär, »hier ist der Scheffel Gold, in einem Säckchen.«
Er übergab sehr traurig das Mädchen, doch das Mädchen durfte nichts sagen. Lassen wir sie jetzt, der Bär ergriff das Mädchen und zog mit ihr von dannen; wenden wir uns zum König.
Er packte den Sack, zog ihn hin und her; er konnte ihn nicht regieren; denn ein Scheffel Gold ist schwer. Er zerrte ihn hierhin und dorthin, schleppte ihn irgendwie bis zur Schenke. Er gibt ihn wieder dem Wirt als Pfand, und der König fragt:
»Herr Wirt, habe ich jetzt Kredit?«
»Kredit ist da, denn Geld ist da.«
Trinkt Seine Majestät, zecht, geht nicht heim, lebt wieder von jenem Geld, wieder einen Monat. Und nach einem Monat sagt der Wirt:
»Kredit ist alle, denn das Geld ist auch alle.«
Was sollte er jetzt nun machen? Er ging wieder traurig heim in sein Haus. Morgens, als er aufsteht, sagt er zu seiner jüngsten Tochter:
»Nun, meine liebe Tochter, mach dich fertig, denn heute gebe ich dich auch einem Gatten.«
»Wem, lieber Vater?«
»Einem Fisch.«
»Wie könnte das geschehen! Meine älteste Schwester gabst du einem Raben, die zweite gabst du einem Bären, lieber Vater. Ich weiss, dass der Rabe auf der Erde lebt und der Bär auch auf der Erde, doch der Fisch im Wasser. Wie könnt Ihr mich dorthin ins Wasser führen, dass ich dort lebe?«
»Schon gut, liebe Tochter, was sein muss, muss sein.«
Weint das Mädchen; doch sie musste gehorchen, durfte nichts dawider sagen.
Sie macht sich schön zurecht, wie es Brauch, und macht sich auf mit ihrem lieben Vater, dem König. Und als sie jenseit der Stadt anlangen, da erwartet sie der Fisch vor dem Bach mit der versprochenen Gabe, nämlich mit dem Scheffel Gold wie die andern Schwäger. Er übergibt dem Fisch das Mädchen, die jüngste Tochter in bittern Tränen; doch es half alles nichts, denn ihr Vater kümmerte sich nicht viel um der Tochter Weinen, freute sich über den Scheffel Gold. Lassen wir sie, der Fisch führte das Mädchen fort; der König blieb mit dem Sack zurück.
Er zieht ihn, zerrt ihn, kann ihn wieder nicht regieren; aber jetzt war er näher bei der Stadt. Er schleppt ihn, schleppt, bis er ihn wieder in die Schenke geschleppt hat. Er gibt ihn wieder aufs Neue dem Wirt als Pfand.
»Na, Herr Wirt, jetzt gibt’s Geld, gibt’s Kredit?«
»Kredit gibt’s, weil’s Geld gibt.«
Wiederum zechte er aufs Beste.
Na, nun hatte der König da zu Hause ein kleines Söhnchen. Und das überlegte jetzt bei sich wie so ein Junge: Mein Gott, mein Vater vertrinkt da den Kaufpreis für die dritte Tochter, obgleich er König ist; der ist auch schon fast hin. Ach, wem wird er mich später einmal verkaufen? Es wird besser sein, wenn ich meine Zelte abbreche und mich auf die Wanderschaft begebe. Wer weiss, wem mein Vater mich auch verkaufen kann! Ich denke, ich werde meine Schwester aufsuchen. Als meine älteste Schwester einen Raben zum Manne nahm, gab sie mir ein Taschentuch zum Andenken. Wenn ich dieses Tuch vornehme, sollte ich daran gedenken, dass meine älteste Schwester einen Raben zum Manne genommen. Meine zweite Schwester gab mir ebenfalls ein Taschentuch, als sie zu einem Bären als Gattin ging. Wenn ich es vornehme, sollte mir ins Gedächtnis kommen, dass sie als Gattin bei einem Bären ist. Meine jüngste Schwester gab mir auch zum Andenken ein Taschentuch, weinend und bebend, dass sie zu einem Fisch ins Wasser als Gattin ginge und dort sterben müsste. Da wäre ihr wohl, weiter kann ich nichts sagen. –
Nun, er machte sich auf die Reise; er wanderte über Berg und Tal, durch Wald und Feld, zu Wasser und zu Lande, gerade wie sich’s traf. Er gelangt in einen wilden Wald, weiss nicht ein noch aus in dem Wald, desgleichen er nimmer beschritten. Wie er im Wald geht, hört er von weitem ein lautes Geschrei, Gewimmer. Er geht näher heran, was dieses Geweine, Gewimmer dort sein mag. Als er näher kam, gelangte er zu einer Höhle. In der Höhle waren drei junge Teufel. Knaben alle drei; Vater und Mutter waren ihnen gestorben; geblieben war ihnen die Höhle, eine Peitsche, ein Bundschuh und ein Mantel. Jene Peitsche, der Bundschuh und der Mantel waren aber so beschaffen, dass eins ohne das andere nichts ausrichten konnte. Sie konnten sie nicht teilen; sie kämpften zu dritt, wessen sie sein sollten. Als dieser Königssohn hinkam, da hielten sie ihn für irgend einen grossen Helden. Er wünschte den jungen Teufeln guten Morgen; doch sie hatten ihn nicht gesehen, erst als er »Guten Morgen« sagte. Alle drei erschraken vor dem Guten Morgen-Laut und hielten auch sogleich im Raufen inne.
»Nun, Held«, sagten die Teufelssöhne, »da Gott dich hergeschickt hat zu uns, so sprich ein Urteil in unserer Sache, denn sonst geht’s dir an den Kragen.«
Er konnte vor Schreck fast nicht antworten. Er fragt sie:
»Was habt ihr, was streitet ihr so heftig und warum?«
Da traten alle drei vor und antworteten ihm:
»Vater und Mutter sind uns gestorben, diese Höhle, eine Peitsche, einen Bundschuh, einen Mantel haben sie hinterlassen; die haben aber solche Kraft: wer jenen Bundschuh anschnürt und jenen Mantel anlegt und die Peitsche in die Hand nimmt, einmal damit schwippt und nur sagt: hipp hopp, dort sei ich, wo ich sein will, – flugs wird er aufgerafft, wo immer er sei, dorthingeführt, wohin er dachte. Nun jetzt, du Held, fäll einen Spruch, wer die Höhle und diese drei Stücke haben soll.«
Er überlegte nun hin und her. Er fragte sie, wer der älteste unter ihnen sei. Trat einer vor und sprach:
»Ich bin’s.«
Nun, da wies er in weiter Ferne einen Schneeberg.
»Na,« sagte er, »du gehst jetzt auf diesen Schneeberg; doch erst gebe ich auch noch den andern Rat.«
Er wies einem jeden einen Schneeberg, da und dort.
»So, und jetzt gebt mir diesen Bundschuh, Mantel und Peitsche, und wer zuerst hier sein wird, dessen sind alle drei.«
Nun, da gaben sie ihm auch die drei Stücke. Sie gingen nun auch dahin, ganz schrecklich weit. Doch er war nicht faul. Wie die Burschen fort waren, band er sich den Bundschuh an und legte den Mantel um, dann schwippte er eins mit der Peitsche: »hipp hopp, ich sei bei meiner ältesten Schwester!« Da fassten ihn die Peitsche und der Mantel wie ein wild brausender Wind. Sie trugen ihn von dannen, wie wenn er niemals dort gewesen wäre.
Als die Teufelssöhne zurückkamen, war der älteste der vorderste. Doch was sollten sie jetzt anfangen? denn der Held, der sie beschieden, war nicht da, kein Bundschuh, noch Mantel, noch Peitsche. Da merkten sie, dass sie umsonst stritten; sie blieben dort alle drei in der Höhle wohnen. Lassen wir jetzt die drei Teufelssöhne in der Höhle; wenden wir uns zum Königssohn.
Die Peitsche und der Mantel warfen ihn unter einem grossen Schneeberg ab. Er schaute nun hierhin, dahin, wusste nicht, wohin sich wenden. Er macht sich an den grossen Schneeberg und geht auf ihn los. In dem Schneeberg, in den Klippen sieht er so etwas, wie wenn da eine Wegspur wäre. Er geht hin und schaut hinein; da sieht er, dass drinnen der Platz noch breiter ist. Er geht hinein, und siehe, weiter hinein wird es immer breiter. Er geht tiefer hinein, da leuchtet etwas, wie wenn es eine Lampe oder eine Kerze wäre. Er geht tiefer hinein, siehe, da erblickt er ein schönes Haus. Und er sieht das Licht durch die Fenster schimmern. Er geht hin; wie er beim Fenster anlangt, da blickt er durchs Fenster hinein und sieht, dass seine älteste Schwester, die zum Raben gekommen, am Tisch an der Stickerei näht, an der sie daheim auch oft genäht. Gleich erkennt er sie, ruft hinein:
»Gott grüss dich, liebe Schwester!«
»Ich bin nicht deine Schwester,« gab sein Geschwister zurück. »Geh von hinnen, wer immer du seist; hierher darf kein Christenmensch kommen. Mein Mann ist ein Rabe, und wenn er heimkommt und dich erwischt, so wehe dir und mir!«
»Ich bin dein kleiner Bruder. Als du zum Raben als Gattin gingst, gabst du mir ein Taschentuch zum Andenken. Bitte, schau nur, ob ich nicht dein kleiner Bruder bin.«
Da sah die Schwester von innen durchs Fenster, erblickte das Taschentuch und erkannte ihn auch auf der Stelle.
»Wehe, mein kleines Brüderchen, wie bist du hergekommen? Mein Mann ist ein Rabe, und wenn er heimkommt, zerreisst er dich gleich.«
»Gräm dich nicht, liebe Schwester! Ich bin ja sein Schwägerchen; ich werde schon mit ihm reden.«
Sie umarmte ihr kleines Geschwister, nämlich den jungen Bruder, und führte ihn ins Gemach.
»Doch wo soll ich dich verstecken? Mein Mann, der Rabe, wird dich so wie so erwischen.«
Sie verbarg ihn auch, so gut sie nur konnte. Und siehe da, plötzlich kommt der Rabe heim, ein riesengrosser Rabe, just zur Essenszeit, zur Mittagszeit. Er fragt zu allererst:
»Liebe Frau, wo ist mein kleines Schwägerchen? Er ist hergekommen, gib ihn heraus!«
Entgegnet seine Frau dem Raben:
»Ich sah ihn nicht, er war nicht hier.«
»Gib ihn heraus, sonst wehe dir und ihm; denn er ist hier.«
Da blieb nichts anderes übrig, sie musste ihn herausgeben. Als sie ihn herausgegeben hatte, reichte ihm der Rabe den Fuss anstatt der Hand.
»Servus, Schwägerchen! Wie geht’s? Gut? Also,« sagte der Rabe, »siehst du, Schwägerchen, wer ich bin?«
»Ich sehe, dass du ein prächtiger Rabe bist.«
»Na also, wir wollen Mittag essen,« sagte der Rabe, »nach dem Essen werde ich zeigen, wer ich bin.«
Sie setzten sich schön zu dritt nieder und speisten; dann sprach der Rabe:
»Na, Schwägerchen, wer bin ich?«
»Ich sehe, du bist ein prächtiger Rabe,« sagte er wieder.
Da breitete der Rabe nur seine Flügel aus, schlug sie tüchtig zusammen, da wurde aus ihm ein schmucker, schöner Königssohn.
»Na siehst du, Schwager, wer ich bin?« sagte er zu seinem kleinen Schwager.
»Ich sehe, jetzt bist du ein schmucker Königssohn.«
Da sprach sein Rabeschwager:
»Ich werde dir jetzt eine schöne, neue Schachtel geben. Zieh dann eine Feder aus meinem Flügel, lege sie in die neue Schachtel, und wenn du einmal, wenn du lange lebst, auf der Welt in Not sein wirst, blas diese Feder an, und wenn du schon nicht mehr Zeit hast, sie anzublasen, denk nur an mich; dann werde ich dort sein, dir zur Hilfe.«
In der Minute wurde sein Schwager wiederum ein Rabe.
Na, jetzt freute sich der Knabe, nun er wusste, was für einen Mann seine älteste Schwester an dem Raben hatte. Er nahm schön Abschied von ihnen und schritt hinaus aus dem Felsen.
Jetzt machte er sich wieder auf den Weg, wanderte durch Wälder, über Berg und Tal, zu Wasser und zu Lande. Jetzt kam’s ihm in den Sinn, dass er seine mittelste Schwester gern sehen möchte. Er legt wieder den Bundschuh und den Mantel an, schwippt eins mit der Peitsche: »hipp hopp, ich sei bei meiner mittelsten Schwester!« Die Peitsche, der Bundschuh und der Mantel fassten ihn wie ein wild brausender Wind. Sie trugen ihn von dannen, wie wenn er nimmer dort an jenem Ort gewesen wäre. Sieben Königreiche weit davon, vor einem grossen Felsen warfen sie ihn wieder ab.
Auf diesem Felsen geht er jetzt herum, weiss nicht, was er auf so fremdem Boden machen soll. Da erblickt er im Felsen so etwas wie eine riesige Höhle; er geht trotz seiner Furcht hinein, tiefer, tiefer, immer tiefer, erblickt dort auch einen schönen, matten Lichtschimmer. Gleich freut er sich, »hier muss meine mittelste Schwester sein.«
Da stand auch ein Haus, von da schimmerte auch das Licht durchs Fenster, und da sieht er seine Schwester; sie singt und näht, wie sie’s zu Hause pflegte.
»Gott grüss dich, liebe Schwester!«
Doch seine Schwester blickte nicht hinaus, gab nur zurück:
»Ich bin nicht deine Schwester. Wer immer du seist, eile von hinnen, denn mein Mann ist ein grosser Bär. Gleich kommt er heim zum Mittagessen; er wird dich zerreissen, eile von hinnen!«
»Aber ich bin dein kleiner Bruder. Als du zu deinem Gatten zogst, gabst du mir ein Taschentuch zum Andenken. Hier ist’s, liebe Schwester, bitte, schau zum Fenster hinaus, und du wirst’s erkennen.«
Da lehnte er sich ans Fenster, seine Schwester schaute auf und erkannte ihn auch. Sie rief ihn hinein, umarmte ihn, küsste ihn, doch zugleich hub sie auch zu weinen an.
»Wie konntest du hierher kommen, wenn mein Mann ein Bär ist? Wenn er dich sieht, zerreisst er dich auf der Stelle.«
»Gräm dich nicht, Schwester, denn ich bin ja sein Schwägerchen, mir wird er nichts tun.«
Doch seine Schwester weinte gleichwohl, versteckte ihren jungen Bruder, wie sie nur konnte.
Kam Mittag heran, kehrte der Bär heim. Noch war er nicht in die Tür getreten, da brummummummte er schon:
»Wo ist dein Brüderchen, mein kleines Schwägerchen?«
Die Frau leugnete, sie habe ihn nicht mit Augen gesehen noch Kunde von ihm vernommen, seit sie von Hause gegangen. Doch was konnte sie tun, sie musste ihn herausgeben, denn ihr Mann befahl es. Als er den Knaben erblickte, stellte er sich auf die Hinterbeine und reichte ihm die vordere rechte Tatze anstatt der Hand. Doch seine Finger waren so krallig, dass der Königssohn am ganzen Leibe zusammenschreckte.
»Servus, Schwägerchen! Gut, dass du zu uns gekommen bist. Weisst du aber, wer ich bin?«
»Ich sehe, dass du ein Bär bist, ein grosser, starker Bär.«
»Na, du wirst gleich sehen, wer ich bin!«
Da machte er drei Purzelbäume, und aus ihm wurde ein schmucker, schöner König, ach so schmuck, dass das Haus erstrahlte von seinem glänzenden Gewände. Nun setzten sie sich zu Tisch, assen, tranken, trieben Kurzweil, waren fröhlich bis zum Abend. Da sagte der Knabe, er ginge jetzt fort, auch seine dritte Schwester zu suchen.
Sie erhoben sich; doch der Bär oder vielmehr der strahlende König übersprang sich wieder, und aus ihm wurde wiederum der Bär, der er gewesen war. Er sagte aber zu seinem Schwager:
»Nun Schwager, mein kleines Schwägerchen, greif in meinen Pelz, zieh drei Haare heraus, verwahre sie wohl, und wenn du in Not bist, zupfe sie nur ein paar mal, so werde ich dort sein!«
Na, er bedankte sich, sie nahmen Abschied, er nahm den Mantel um die Schultern, den Bundschuh an den Fuss, knallte eins: »hipp hopp, dort sei ich, wo meine Schwester ist!« Und flugs war er dort beim Bach.
Doch wie sollte er ins Wasser hineinkommen? Im Schneeberg, im Walde konnte er gehen, in der Höhle konnte er es auch, doch wie konnte er jetzt ins Wasser gehen? Er sann, sann, da kam ihm sein Schwager Rabe in den Sinn, ob der ihm aus der Not helfen könnte.
Er zog die Schachtel hervor, blies die Feder an, und siehe da, von der Schneebergseite kam eine grosse Wolke, in der Wolke war ein grosser, schwarzer Rabe. Er liess sich im Nu vor ihm auf die Erde nieder. Er sprach:
»Was fehlt dir, liebes Schwägerchen?
»Nichts anderes als: wie könnte ich zu meiner dritten Schwester kommen, wenn sie doch hier im Wasser ist?«
»Wenn’s weiter nichts ist, das werde ich gleich aus dem Wege schaffen.«
Und er geht ins Wasser, schlägt mit den Flügeln, um sich zu baden. Er badet drin und trocknet das Wasser so aus, dass du drei Tagereisen aufwärts und niederwärts keinen Tropfen Wasser gefunden hättest.
Er bedankt sich und sieht, dass dicht vor ihm unter dem Ufer eine Höhlenöffnung ist. Er macht sich auf, denn dort musste seine Schwester sein, die sich dem Fisch vermählt hatte. Er geht und geht, geht immerzu in der grossen Finsternis, und plötzlich erblickt er ein bischen Licht. Weiter geht er, weiter geht er, immer heller wird’s. Er geht noch weiter, siehe, da gelangt er auf eine schöne Wiese, mitten darauf stand ein grosses Schloss; doch das ganze Haus war ganz aus Glas, und dort am Tisch sitzt seine jüngste Schwester, näht an der Stickerei.
Doch wie er anlangt, sieht ihn seine Schwester gleich, weil die Wände aus Glas waren. Sie eilt hinaus zu ihm.
»Wie konntest du herkommen, mein kleiner Bruder, wenn mein Mann doch ein Fisch ist? Wenn er dich erblickt, schnappt er dich gleich hinunter, wenn er sein Maul aufsperrt.«
»Lass nur, liebe Schwester, er wird mir nichts tun; haben die beiden andern Schwäger mir ja nichts getan.«
Sie gingen ins Haus; dort zappelte der Fisch auf einer Bank. Wie er seinen Schwager erblickte, sprang er im Nu von der Bank herunter, wurde aus ihm auch ein Königssohn, aber hundertmal schöner als seine beiden andern Schwäger. Sie umarmten ihn, küssten ihn, bewirteten ihn gut; doch der Königssohn wollte nicht bleiben, weil er dort stecken bleiben konnte, wenn das Wasser wieder kam.
Sie nahmen Abschied von einander, und sein Schwager gab ihm drei Schuppen aus seiner Seite.
»Wenn sich’s so trifft, dass du in Not bist, wenn du am Wasser bist, wirf sie ins Wasser, so werde ich dort sein!«
Nun, sie nahmen Abschied; der Königssohn geht und geht, gelangt hinaus aufs Ufer; doch von Wasser war noch keine Spur da, so hatte der Rabe es ausgetrocknet.
Nun ging der Knabe wieder heim zu seinem Vater.
Einstmals sagte der Knabe zu seinem Vater und seiner Mutter, er wollte gehen ein Handwerk lernen, schustern. Sein Vater und seine Mutter sagten wieder und wieder:
»Geh nicht, mein Sohn, dir fällt ja doch das Königreich zu, wozu brauchst du ein Handwerk?«
Aber er hörte nicht auf seinen Vater und seine Mutter, sondern trat als Schusterlehrling ein. In einem Jahr hatte er so ausgelernt, dass aus ihm ein Schuster geworden war, wie man von einem solchen noch niemals gehört hatte. Er ging heim und machte seinem Vater und seiner Mutter solche Schuhe, wie sie noch niemals an ihren Fassen getragen. Jetzt sagten sein Vater und seine Mutter:
»Nun, lieber Sohn, du hast solch ein Handwerk, dass du zu leben haben wirst, auch wenn dir das Königreich nicht bleibt.«
Doch der Knabe sagte:
»Das ist mir noch nicht genug. Ich trete bei den Maurern ein und lerne das Maurerhandwerk.«
Denn er dachte, sein Vater würde sein ganzes Reich vertrinken, denn der Alte trank immerfort. Er ging auch und hatte in einem Jahr so ausgelernt, dass er der berühmteste Polier geworden war. Er ging heim, riss das königliche Schloss nieder und baute an seiner statt ein solches auf, desgleichen man nicht hätte sehen können.
»Na,« sagte er, »mein Sohn, jetzt kannst du wirklich dein Fortkommen finden, du hast zwei rechtschaffene Handwerke gelernt.«
Doch er sprach:
»Das ist mir noch nicht genug, mein Vater, ich trete noch wo anders in die Lehre. Ich habe gehört, dass in dem und dem Walde hundert Diebe hausen, und ich werde bei ihnen eintreten.«
Doch wie er dieses Wort ausgesprochen hatte, weinte sein Vater, weinte seine Mutter, dass sie in ihrem Kummer schier sterben wollten. Sie redeten genug auf ihren Sohn ein, er sollte nicht gehen; aber er wandte sich dennoch dorthin.
Pünktlich zur Mitttagszeit meldete er sich bei dem Diebshauptmann, was er vorhabe und dass er bei ihnen eintreten wollte. Doch der Hauptmann der Diebe sprach:
»Mein Sohn, ich sehe wohl, dass du ein tüchtiger Bursch bist, doch unserer sind schon hundert, und hunderteins bringt kein Glück. Aber wenn du eine Probe bestehst, die ich sagen werde, dann nehme ich dich auf, und du sollst gleich nach mir kommen.« Und er sagte:
»Ein reicher Kaufmann kommt hergeritten; wenn du dessen Pferd fortschaffst, ein mit Gold gefüllter Rucksack ist auf dem Pferd, und wenn du ihn mitsamt dem Gold und dem Pferd herbringst, dann nehmen wir dich auf.«
Der Königssohn ging auch dorthin, wohin er gewiesen, dass der Kaufmann vorbeikommen würde, und hängte sich dort an einem Baum auf. Und als der Kaufmann kommt, blickt er auf den Baum und macht so (nämlich hebt beide Hände zum Himmel):
»Mein Gott, jetzt beginnen die Diebe schon die Leute an den Bäumen aufzuhängen!«
Damit liess er ihn dort und ritt weiter. Und jener stieg wieder vom Baum herunter und kam ihm auf einem andern Weg zuvor. Er wechselte seine Kleider und hängte sich wieder an einem Baum auf. Er baumelte mit den Fassen oben und mit dem Kopfe unten.
Nahe dort beim Baum war ein Brunnen, und der Kaufmann band sein Pferd an, um auszuruhen. Er dachte bei sich, er wollte zurückgehen und nachsehen, ob jener Mensch noch dort sei, den er vorhin hatte hängen sehen. Nun stieg der Königssohn vom Baum, bestieg das Pferd, führte es mitsamt dem vielen Gold hin zum Hauptmann.
Nun, jetzt lobte ihn der Hauptmann der Diebe und nahm ihn auf.
Na, und jetzt hatten sie schon so viel gestohlen und Gold geraubt, dass sich das Geld schon tüchtig angesammelt hatte. Sie beratschlagten, sie wollten in die Stadt gehen, Kalk und Ziegel kaufen und für das Gold eine Mauer machen. Sie gingen auch in die Stadt, erhandelten Kalk, Ziegel, trugen sie hinaus in den Wald. Der Königssohn verstand sich gut aufs Mauern. Sie machten die Mauer, verbargen darin das viele Gold. Doch das wusste niemand anderes, nur der Hauptmann der Diebe und wiederum dieser Königssohn.
Nun, und jetzt riet der Königssohn, sie wollten in jene Stadt gehen, wo der König (aber nicht sein Vater) wohnte, und dort in den grossen Kaufläden einbrechen. Der Hauptmann der Diebe sagte genug dagegen, sie sollten nicht gehen, denn dort seien viele Soldaten und würden sie greifen, und so geschah’s auch.
Sie gingen in die Stadt; als sie im ersten Laden einbrachen, wurden sie alle von den Soldaten festgenommen. Aber der Königssohn entfloh. Er ging ans Ende der Stadt und trat dort bei einem alten Schuster als Lehrling ein.
Der alte Mann hatte eine alte Magd, die hielt er so, wie wenn sie seine Frau gewesen wäre, dass sie für ihn koche. Doch diesen Königssohn hatte er noch lieber als das alte Weib, weil er ein geschickter Mensch war. Doch lassen wir sie arbeiten, wenden wir uns zum Hauptmann der Diebe und zum König.
Der Hauptmann der Diebe wurde jetzt vor den König geführt, wieso sie so frech gewesen wären, in jene Läden einzubrechen. Da sprach der Diebeshauptmann:
»Bei mir ist ein noch viel stärkerer Mann gewesen; doch er ist entflohen; er ist nicht hier.«
Da sprach der König:
»Wie könnte ich ihn handfest machen?«
Da sagte der Diebeshauptmann, dass sie im Walde viel Gold eingemauert hätten. Der König sollte dort ein Eisen aufstellen lassen, er wird dorthin kommen müssen, und wenn er dort hinkommt, wird ihn das Eisen festnehmen.
Na, der Königssohn erfuhr das, wie er dort beim Schuster arbeitete, denn die Leute kamen hin und schwatzten alles aus. Einstmals sagt er dem alten Schuster, er wüsste, wo im Walde viel Gold sei, und sie wollten hingehen und sich holen, soviel sie brauchten. Der alte Schuster war sehr erpicht auf die Gelegenheit, sie gingen selbander hin. Er schickt den Alten hin an den Eingang des Loches, und das Eisen fängt des Alten Kopf und reisst ihn ab. Er schob den Kopf des Alten beiseite und ging hinein und holte einen Scheffel Gold; doch der Frau befahl er, von diesem Gold nicht einen Kreuzer auszugeben.
Und der König ging jeden Tag mit dem Hauptmann der Diebe hin, nachzuschauen, ob jemand dort gewesen war. Sie fanden den Leichnam, trugen ihn sorgsam nach Hause, legten ihn in einen Sarg und trugen ihn von Haus zu Haus, ob ihn jemand erkenne. Denn dann hätten sie sicher gewusst, ob es ihr Spiessgeselle gewesen war.
Sie trugen ihn von Haus zu Haus; doch niemand beweinte ihn. Doch als sie beim Dorfende anlangten, spaltete jene Frau gerade Holz und erkannte, dass es ihr Herr war, der sie ernährt hatte. Sie hub an zu wehklagen. Das hört der Königssohn drinnen im Hause bei der Arbeit und schneidet sich den Finger ab. Er holt einen Prügel, heraus! und schlägt die Frau.
»Na,« sagt er, »zum Teufel auch! Wenn ich mir den Finger abschneide, was hast du zu weinen! Darum kann ich dich noch immer erhalten.«
Und so musste der König mit dem Diebeshauptmann und dem Leichnam abziehen. Der König trug den Leichnam hin zu sich und musste ihn beerdigen.
Und sie setzten fest, dass in jedem Laden der Mann, der das und das Gold hinbringen würde, auf der Stelle eingesperrt werden sollte.
Und nun hatte just eben des Schusters Frau ein Goldstück genommen und war zum Schlächter gegangen, Fleisch dafür zu kaufen. Dem Schuster kam’s zu Ohren; er nimmt wieder den Prügel, und ihr nach, der Frau nach, beginnt sie tüchtig zu klopfen, dass er über einen Monat für dieses Gold gearbeitet habe und sie wolle es dann vergeuden! So dass die Fleischer Mund und Augen aufrissen, ihm das Goldstück wiedergeben mussten, und ihr Herr klopfte die Frau bis nach Hause.
Nun sagte aber der Hauptmann der Diebe zum König, der König hätte eine sehr schöne Tochter, und er sollte ausrufen lassen, dass alle Menschen zum Besuch hingehen dürften; denn er wusste, dass er auch hingehen würde.
Nun, so geschah es auch. Der König liess ausrufen, dass es jedem erlaubt sei, zu seiner Tochter auf Besuch zu gehen. Der Schuster legte auch ein sehr schönes Gewand an, kleidete sich an und ging hin. Die Königstochter aber hatte einen Schlauch, wen sie damit fächelte, der schlief auf der Stelle ein.
Nun, als alle bei dem Mädchen sich versammelt hatten, erschien auch der Schuster. Doch er nahm den Schlauch; so viele ihrer er fächelte, so viele schliefen; doch er unterhielt sich gut mit dem Mädchen, und dann machte er sich aus dem Staube.
Als der König mit dem Diebeshauptmann hinkam, schliefen alle. Na, jetzt wussten sie es aber gleich genau, dass er auch dort gewesen war.
Auch am andern Abend wurde die Nachricht ausgegeben, dass man zu dem Mädchen gehen konnte. Am andern Abend ging der Schuster auch wieder hin; aber er hatte das königliche Gewand angelegt, darüber noch ein anderes Gewand. Und er erschien am anderen Abend auch bei der Königstochter, denn er liebte sie sehr. Jetzt erlaubte er, dass die Königstochter ihn auch mit dem Schlauch fächelte, und er schlief auch ein.
Morgens, als der König mit dem Diebeshauptmann kam, da erkannten sie ihn. Na, da wurden Soldaten gerufen, und der König befahl, sie sollten ihn zum Galgen führen. Der Königssohn aber war traurig, denn er liebte das Fräulein so sehr; das Fräulein weinte auch, denn er war ein schöner Bursche; doch weil er ein grosser Dieb war, führten sie ihn zum Galgen.
Sie führten ihn zum Galgen, und da waren auch schon der König und die Herzöge und die Barone und die vielen Soldaten, um den grossen Dieb zu sehen; doch da greift er plötzlich in seine Tasche, zieht die drei Haare heraus, die er von seinem Bärenschwager bekommen.
»Was wünschst du, Schwägerchen?«
Und schon stand dort der schreckliche, grosse Bär, knirschte mit den Zähnen, riss das Maul weit auf.
»Nichts weiter als dieser König will mich als Dieb aufhängen lassen und weiss nicht, dass ich ein Prinz bin; er sollte mir lieber seine Tochter geben.«
Ach, erschrak der König; er fiel vor dem Bären und dem Königssohn auf die Kniee und versprach, beschwor hoch und heilig, dass er ihm seine Tochter geben würde, nur sollte ihm der grosse Bär nichts zu leide tun.
»Es ist auch besser, du gibst sie, als dass ich dich mitsamt all deinen Soldaten zerreisse!«
Nun gingen sie heim; der König nahm ihn gleich als Schwiegersohn auf und liess auch dem andern König, seinem Vater, Nachricht zukommen, und der kam auch zum Fest. Zwei Königreiche bekam der Jüngling, und sie hielten ein so grosses Fest, wie man es noch niemals gehört noch gesehen. Schüsseln, Teller gab’s genug; ein glücklicher Mensch war, wer einen Tropfen Suppe erwischt hat. Wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.
[Ungarn: Elisabet Róna-Sklarek: Ungarische Volksmärchen]