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Der Kuhhirt und die Weberin

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Der Kuhhirt war von Hause aus arm. Mit zwölf Jahren trat er bei einem Bauern in Dienst, seine Kuh zu weiden. Nach einigen Jahren ward die Kuh fett und groß, und ihre Haare glänzten wie gelbes Gold. Es war wohl eine Götterkuh.
Eines Tages, als er im Gebirge weidete, begann sie plötzlich mit Menschenstimme zu dem Kuhhirten also zu sprechen: „Heute ist der Siebenabend. Der Nephritherr hat neun Töchter, die baden heute im Himmelsee. Die siebente ist über alle Maßen schön und klug. Sie spinnt für den Himmelskönig und die Himmelskönigin die Wolkenseide und waltet über die Näharbeiten der Mädchen auf Erden. Darum heißt sie die Weberin. Wenn du hingehst, ihr die Kleider nimmst, kannst du ihr Mann werden und erlangst die Unsterblichkeit.“
„Das ist ja im Himmel“, sagte der Kuhhirt, „wie kann man da hinkommen?“ „Ich will dich hintragen“, antwortete die gelbe Kuh.
Da stieg der Kuhhirt auf den Rücken der Kuh. Im Nu strömten aus ihren Füßen Wolken hervor, und sie erhob sich in die Lüfte. Es schwirrte ihm um die Ohren wie der Ton des Windes, und sie fuhren dahin, schnell wie der Blitz. Plötzlich hielt die Kuh an. „Nun sind wir da“, sagte sie.
Da sah er rings umher Wälder von Chrysopras und Bäume von Nephrit. Das Gras war aus Jaspis und die Blumen aus Korallen. Inmitten dieser Pracht lag ein hundert Morgen großer See. Grüne Wasser wallten wogend, und goldschuppige Fische schwammen darin umher. Dazu gab es unzählige Zaubervögel, die singend auf und nieder flogen. Schon von ferne sah er die neun Mädchen im Wasser. Ihre Kleider hatten sie alle am Ufer abgelegt.
„Nimm rasch die roten Kleider“, sagte die Kuh, „und verstecke dich damit im Walde, und wenn sie dich noch so zärtlich darum bittet, so gib sie ihr nicht eher zurück, als bis sie dir versprochen hat, deine Frau zu werden.“
Da stieg der Kuhhirt eilends vom Rücken der Kuh herunter, nahm die roten Kleider und lief hinweg. In diesem Augenblick wurden die neun Mädchen seiner gewahr. Sie erschraken sehr.
„Woher kommst du, Jüngling, dass du es wagst, unsere Kleider zu nehmen“, sagten sie. „Lege sie schnell wieder hin!“
Aber der Kuhhirt ließ sich’s nicht anfechten, sondern duckte sich hinter eine der nephritnen Blumen. Da kamen acht der Jungfrauen eilends ans Ufer gestiegen und zogen ihre Kleider an.
„Siebente Schwester“, sprachen sie, „der dir vom Himmel bestimmt, ist dir gekommen. Wir Schwestern wollen dich mit ihm alleine lassen.“
So blieb die Weberin geduckt im Wasser sitzen. Sie schämte sich gar sehr und redete zu ihm: „Kuhhirt, gib mir schnell meine Kleider wieder!“ Aber der Kuhhirt stand lachend da.“ Wenn du mir versprichst, meine Frau zu werden“, sagte er, „dann gebe ich dir deine Kleider.“ Die Jungfrau aber war nicht einverstanden.
„Ich bin eine Tochter des Herrn der Götter“, sagte sie. „Ohne seinen Befehl darf ich nicht heiraten. Gib mir schnell meine Kleider wieder, sonst wird dich mein Vater bestrafen!“
Da sagte die gelbe Kuh: „Ihr seid füreinander vom Schicksal bestimmt. Ich will gern die Heirat vermitteln, und der Herr, Euer Vater, wird sicher nichts dagegen haben.“ Da sprach die Jungfrau: „Du bist ein unvernünftiges Tier. Wie könntest du den Ehevermittler machen?“
Die Kuh sprach: „Am Ufer da, der alte Weidenbaum, versuch es einmal, ihn zu fragen! Kann er sprechen, so ist eure Vereinigung vom Himmel gewollt.“
Und die Jungfrau fragte die Weide. Die Weide antwortete mit menschlicher Stimme:
Siebenabend ist heut,
Der Kuhhirt die Weberin freit.
Da war die Jungfrau einverstanden. Der Kuhhirt legte die Kleider nieder und ging voran. Das Mädchen zog die Kleider an und folgte ihm nach. So wurden sie Mann und Frau. Nach sieben Tagen aber nahm sie Abschied von ihm.
„Der Himmelsherr hat mir befohlen, ich solle nach dem Spinnen sehen“, sagte sie. „Wenn ich allzu lange säume, fürchte ich, wird er mich bestrafen. Aber wenn wir jetzt auch scheiden müssen, so werde ich doch wieder mit dir zusammenkommen.“
Als sie diese Worte gesprochen, da ging sie wirklich weg. Der Kuhhirt lief ihr nach. Aber als er schon ganz nahe war, da zog sie einen ihrer Haarpfeile heraus und machte einen Strich quer über den Himmel. Dieser Strich verwandelte sich in den Silberfluss (Milchstraße). So stehen sie nun durch den Fluss getrennt und schauen nach einander aus.
Seitdem kommen sie jedes Jahr am Siebenabend einmal zusammen. Wenn die Zeit gekommen ist, so fliegen die Krähen aus der Menschenwelt alle herbei und bilden eine Brücke, auf der die Weberin den Fluss überschreitet. An diesem Tag sieht man morgens und abends in den Bäumen keine einzige Krähe. Das hat wohl eben darin seinen Grund. Und außerdem fällt am Siebenabend häufig ein feiner Regen. Dann sagen die Frauen und alten Weiber zueinander: „Das sind die Tränen, die der Kuhhirt und die Weberin beim Abschied vergießen.“ Darum ist der Siebenabend ein Regenfest.
Westlich vom Himmelsfluss ist das Sternbild der Weberin, bestehend aus drei Sternen. Unmittelbar davor sind drei andere Sterne in Form eines Dreiecks. Es heißt, der Kuhhirt sei einmal böse geworden, als die Weberin nicht habe herüberkommen wollen, und habe mit dem Joch nach ihr geworfen. Das sei gerade vor den Füßen der Weberin niedergefallen.
Östlich vom Himmelsfluss ist das Sternbild des Kuhhirten, bestehend aus sechs Sternen. Abseits davon sind zahllose kleine Sterne, die ein Sternbild formen, das an beiden Enden spitz und in der Mitte etwas breiter ist. Es heißt, die Weberin habe mit ihrer Spindel nach dem Kuhhirten wieder geworfen, aber sie habe ihn nicht getroffen. Die Spindel sei abseits von ihm niedergefallen.

Quelle:
[Asien – China]

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