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Der Prinz und der Bettler

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Es war einmal eine kleine, aber reiche Stadt am Fuß der hohen Berge in Afghanistan. Sie lag am Schnittpunkt der Karawanenstraßen aus Indien und aus China, und der Handel hatte ihr Wohlstand gebracht. Das schönste Haus der Stadt gehörte einem Kaufmann, der mit Gewürzhandel ein Vermögen verdient hatte. Die Fassade war mit Mosaiken in bunten Farben verziert, die Türen aus Ebenholz waren kunstvoll eingelegt, Säulen und Gesimse aus kostbarem Marmor. Alle, die an dem Haus vorbeigingen, blieben stehen und bewunderten seine Pracht. Doch gleich neben dem Hausportal saß ein zerlumpter Bettler, dem niemand je Almosen gab. Wenn er so vor dem Abbild des Reichtums saß, unterstrich der Kontrast noch den Prunk des Gebäudes. Eines Tages kam ein reicher Prinz mit seinem Gefolge in die Stadt. Angezogen von der Pracht des Hauses blieb er stehen, um es zu bewundern. Als er den Bettler sah, fragte er ihn: „Armer Mann, warum sitzt du vor so einem herrlichen Gebäude?“ „Edler Herr, um deine Frage zu beantworten, muß ich dir eine sehr traurige Geschichte erzählen, und ich glaube, daß du weder Zeit noch Lust hast, sie dir anzuhören!“ „Komm näher!“ befahl der Prinz, in dem die Neugier erwachte. „Erzähl nur!“

Da begann der Bettler mit Tränen in den Augen zu erzählen. „Diesen herrlichen Palast erbte ich vor langer Zeit von meinem Vater, der der größte Kaufmann im ganzen Land war. Nach seinem Tod wollte ich sein Geschäft nicht weiterführen und zog es vor, mir die Zeit mit Festen und Gelagen zu vertreiben. Mit meinen Freunden lebte ich in Saus und Braus, und alle schmeichelten mir, was für ein großzügiger Mensch ich doch sei. Eines Tages mußte ich jedoch erkennen, daß ich nicht nur all mein Geld verpraßt, sondern auch Schulden gemacht hatte, deren Bezahlung mich auch noch dieses Haus kostete.“ Mit gesenktem Blick fuhr der Bettler fort: „Nun war ich arm, und merkte bald, daß ich auch alle meine ehemaligen Freunde verloren hatte. Heute sitze ich auf den Stufen des Palastes, der einmal mein eigen war, und nur selten bleibt einer stehen, um mir ein Almosen zu geben.“ „Das ist wirklich eine sehr traurige Geschichte“, sagte der Prinz. „Wenn ich noch einmal jung sein könnte, würde ich viel klüger handeln!“ erwiderte der Bettler. „Wenn ich nur einen kleinen Teil meines Vermögens bewahrt hätte wäre ich heute ein glücklicher Mensch!“

„Du hast weise gesprochen!“ sagte darauf der Prinz, „und für soviel Weisheit will ich dich belohnen!“ Er nahm eine Handvoll Goldmünzen aus einem kleinen Kästchen und warf sie dem Bettler zu. Der stürzte sich darauf, sammelte sie ein und rief dabei: „Danke! Danke!“ Dann hielt er dem Prinzen seine Leinentasche entgegen und bat: „Noch mehr, edler Herr, ich flehe dich an!“ „Das Leinen ist stark genug, o Herr“, versicherte ihm der Bettler mit gierigem Blick. „Wirf noch mehr Münzen her, bitte!“ Der Prinz der sah, daß viele Menschen stehengeblieben waren, warnte ihn: „Die Tasche wird reißen…“ Da war es auch schon passiert. Der Stoff riß unter dem Gewicht der Münzen, die nach allen Seiten davonrollten. Die Menschenmenge stürzte sich drauf, und im Nu waren alle verschwunden. Der Bettler brach in Tränen aus. Sein Habgier hatte ihn ein zweites Mal um alles gebracht. Der Prinz gab seinem Pferd die Sporen und rief seinem Gefolge über die Schulter zu: „Fort von hier! Und lernt daraus! So geht es einem Mann, der aus seinem Leben nichts gelernt hat!“ Als er über den Platz davonritt, wurde die Menge immer dichter. Alle klatschten Beifall und schrien nach noch mehr Goldmünzen.

Ein Märchen aus Afghanistan

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