2
(1)
Vor vielen Jahren lebten Kuwi in einem Walddorf, das oft von wilden Tigern heimgesucht wurde. Um sich vor dieser Tigerplage zu befreien, erbauten die Leute eine mächtige Falle. Es dauerte auch gar nicht lange, als sich ein gewaltiger Tiger in dieser Falle fing. Der schwere Stein war auf ihn gefallen und presste ihn stark zusammen, so dass er sich nicht zu bewegen vermochte, ja, kaum Atem schöpfen konnte. So lag er schon einen ganzen Monat in der Falle eingeklemmt, und sein Stöhnen konnte man in der ganzen Umgebung hören, allein das Leben wollte immer noch nicht entweichen.
Da kam eines Tages ein alter Brahmane von seinem Bettelgang des Weges daher. Der Tiger hatte ihn schon von weitem erblickt und bat ihn flehentlich, ihn doch von seinen Qualen zu befreien. Der Brahmane fuhr aus seinen Gedanken ganz erschrocken auf, als er die Stimme des gefürchteten Tieres vernahm. Er kam jedoch näher, als er erkannte, dass keinerlei Gefahr für ihn bestünde und sagte:
„Oh Tiger, Er kam, seit langer Zeit hast du nun gehungert, wenn ich dich jetzt befreie wirst du mich sicher sofort auffressen, darum kann ich dich nicht aus der Falle befreien.“
Darauf erwiderte der Tiger: „Wie könnte ich also handeln? Wäre es nicht eine ungeheure Undankbarkeit von mir gegen dich, der du mich so freundlich aus der größten Gefahr meines Lebens befreit hättest? Könnte ich je meinen Wohltäter und Retter verschlingen? Nein, das könnte ich ganz sicher nicht!“
Der törichte Brahmane glaubte den Worten des Tigers und antwortete: „Ja, ich will dich befreien, doch schwör mir zuvor, dass du mir kein Leid antun wirst; berühre mit deinem Kopf und mit deiner Pfote die Erde und schwöre mir das!“
Ohne sich zu bedenken, leistete der Tiger den gewünschten Eid, und der Brahmane befreite ihn sogleich aus der schrecklichen Falle.
Kaum fühlte sich der Tiger in Freiheit, da stürzte er sich sofort auf den armen Brahmanen, um ihn zu verschlingen. Erschrocken schrie der geängstigte Priester:
„O weh, was soll das ? Hast du mir nicht unter deinem Eid versprochen, dass du mir kein Leid antun wirst? Willst du deinen Eid brechen ? Nein, das könntest du nicht! Wenn dir mein Wort nicht genug ist, dann lass uns unsere Angelegenheit drei Richtern vorlegen, wie diese entscheiden werden, wollen wir dann tun.“
Der Tiger stimmte diesem Vorschlag zu und ließ ab von dem Priester. So gingen sie zusammen und kamen zuerst an einen Mangobaum, dem sie ihre Sache zur Entscheidung vorlegen wollten. Nachdem der Baum ihre Geschichte vernommen hatte, sagte er:
„Ich sehe durchaus kein Unrecht darin, Tiger, wenn du den Mann auffrisst. Du erweisest ihm nur dieselbe Vergeltung, die er verdient, da er ja selbst nicht anders gegen andere handelt. Sieh zum Beispiel mich an! Menschen wohnen unter meinem Schatten, erfreuen sich an meinen köstlichen süßen Früchten, die ich ihnen spende; meine Blätter und trockenen Zweige nehmen sie als Feuerholz und wärmen sich daran, und dennoch hauen sie mich ab mit Stumpf und Stiel und zeigen nicht die geringste Spur von Mitleid und Erbarmen. Und darum, meine ich, bist du völlig im Recht, wenn du in gleicher Weise mit ihm verfährst.“
Als der Tiger dieses Urteil des Mangobaumes angehört hatte, stürzte er sich wiederum auf den Brahmanen, um ihn zu verzehren. Noch hatte dieser Zeit, ihn an sein Versprechen zu erinnern, dass sie noch zwei andere Richter anhören wollten, worauf der Tiger wieder von ihm abließ und sich einverstanden erklärte. So begegneten sie auf ihrem Weg einer Kuh, die sie als zweiten Richter anriefen. Als die Kuh ihre Geschichte angehört hatte, zeigte auch sie sich dem Tiger geneigt, da sie an all das Herzeleid dachte, das ihr die Menschen im Lauf ihres Daseins zugefügt hatten, und sprach:
„Was tat der Mensch mir nicht schon alles an! Er trinkt meine Milch, die er meinen Kälbchen raubt, er spannt mich vor seinen Pflug, an dem ich den ganzen Tag in Hitze und Staub mich abplagen muss wie ein armer Sklave, dabei haut er auf mich ein, zerbricht mir meinen Schwanz, dass ich vor Schmerzen zu sterben vermeine, und habe ich dann mein Leben in Mühe und Qual für ihn vergeudet, dann schlachtet er mich zum Schluss und verzehrt mein Fleisch. Der Mensch ist das undankbarste Geschöpf, darum friss ihn auf, Tiger, wie er mich auffrisst. Du handelst ganz im Recht, wenn du ihn vertilgst. „
Am ganzen Körper vor Schrecken zitternd, hatte der arme Brahmane das harte Urteil der Kuh mitangehört. Schon versuchte abermals der Tiger, seinen Hunger an ihm zu stillen, doch gelang es dem Brahmanen noch, ihn an das gegebene Versprechen zu erinnern, dass sie noch den dritten Richter anhören müssten.
Ohne jede Hoffnung auf Rettung wanderte der arme Brahmane traurig neben dem Tiger her, bis sie schließlich in einiger Entfernung einen Fuchs erblickten, der sich auf dem Feld sonnte.
„Oh, mein Freund“, rief ihn der unglückliche Brahmane an, „komm doch zu uns, oder warte! Mir steht ein großes Unglück bevor. Ich habe diesen Tiger hier aus der Falle befreit, er hat mir versprochen, dass er mir kein Leid antun will, er hat es mir sogar geschworen, doch nun will er mich verschlingen, ist das recht?“
Der Fuchs, dem sie sich unterdessen genähert hatten, blieb ruhig liegen, kratzte sich mit seiner Pfote hinter den Ohren und knurrte:
„Was ist los ? Ich kann nichts hören, sprich lauter! Ich habe heftige Ohrenschmerzen heute. Erzähl noch einmal – aber ganz langsam ich liebe keine Aufregung !“
Der Tiger und der Brahmane begannen abermals ihre Geschichte zu erzählen, doch der Fuchs sprach: „Ich kann nicht so schnell folgen – langsamer! Kann immer noch nicht recht verstehen! – Wo? Wie war es ?“
So redend näherten sie sich immer mehr dem Ort, wo die Falle lag. Wieder erklärten beide, so gut sie es vermochten, die ganze Sachlage, allein, der Fuchs meinte, dass es ihm unmöglich sei, eine so schwierige Sache zu entscheiden.
„Wir sind nahe der Falle“, begann er, „zeigt mir nun ganz genau, wie sich alles abgespielt hat, dann will ich jedem ein gerechtes Urteil sprechen.“
So erreichten sie die Tigerfalle.
„Hier ist der Ort“ , sprach der immer noch zitternde Brahmane, „hier habe ich ihn aus seiner höchsten Gefahr errettet, und hier hat er mir geschworen.“
„Nicht so“, erwiderte der Fuchs, „um gerecht zu richten, muss ich zuerst recht gesehen haben. Wie war es ? Wo lag der Tiger? Wo standst du ? Stell dich an den alten Platz, und du, Tiger, leg dich, wie du gelegen hast, und zeig auch, wie der Stein lag.“
Darauf hob der Brahmane den Stein wieder hoch, während der Tiger seine Lage erklärte.
„Kann nicht verstehen“, knurrte der Fuchs, „zeige mir, wie du gelegen hast, krauch wieder hinunter und lass sehen, wie du das Gewicht trugst.“
Der Tiger gehorchte und kroch unter den Stein und legte sich genauso, wie er zuvor gelegen. In diesem Augenblick ließ der Brahmane den Stein fallen, und der Tiger war wieder gefangen. Dann befahl der Fuchs dem Brahmanen, noch mehr schwere Steine herbeizuholen, um das Gewicht zu verstärken, und dieser tat, wie ihm befohlen. Dann dankte er mit herzlichen Worten seinem Retter und fragte ihn, womit er ihm eine Freude bereiten könnte. Der Fuchs bat ihn darauf um ein fettes Huhn, welches der Brahmane gern für ihn herbeischaffte. Dann schieden beide in Fröhlichkeit voneinander.
Wir aber sind arme Kuwi und Bettler.
Da kam eines Tages ein alter Brahmane von seinem Bettelgang des Weges daher. Der Tiger hatte ihn schon von weitem erblickt und bat ihn flehentlich, ihn doch von seinen Qualen zu befreien. Der Brahmane fuhr aus seinen Gedanken ganz erschrocken auf, als er die Stimme des gefürchteten Tieres vernahm. Er kam jedoch näher, als er erkannte, dass keinerlei Gefahr für ihn bestünde und sagte:
„Oh Tiger, Er kam, seit langer Zeit hast du nun gehungert, wenn ich dich jetzt befreie wirst du mich sicher sofort auffressen, darum kann ich dich nicht aus der Falle befreien.“
Darauf erwiderte der Tiger: „Wie könnte ich also handeln? Wäre es nicht eine ungeheure Undankbarkeit von mir gegen dich, der du mich so freundlich aus der größten Gefahr meines Lebens befreit hättest? Könnte ich je meinen Wohltäter und Retter verschlingen? Nein, das könnte ich ganz sicher nicht!“
Der törichte Brahmane glaubte den Worten des Tigers und antwortete: „Ja, ich will dich befreien, doch schwör mir zuvor, dass du mir kein Leid antun wirst; berühre mit deinem Kopf und mit deiner Pfote die Erde und schwöre mir das!“
Ohne sich zu bedenken, leistete der Tiger den gewünschten Eid, und der Brahmane befreite ihn sogleich aus der schrecklichen Falle.
Kaum fühlte sich der Tiger in Freiheit, da stürzte er sich sofort auf den armen Brahmanen, um ihn zu verschlingen. Erschrocken schrie der geängstigte Priester:
„O weh, was soll das ? Hast du mir nicht unter deinem Eid versprochen, dass du mir kein Leid antun wirst? Willst du deinen Eid brechen ? Nein, das könntest du nicht! Wenn dir mein Wort nicht genug ist, dann lass uns unsere Angelegenheit drei Richtern vorlegen, wie diese entscheiden werden, wollen wir dann tun.“
Der Tiger stimmte diesem Vorschlag zu und ließ ab von dem Priester. So gingen sie zusammen und kamen zuerst an einen Mangobaum, dem sie ihre Sache zur Entscheidung vorlegen wollten. Nachdem der Baum ihre Geschichte vernommen hatte, sagte er:
„Ich sehe durchaus kein Unrecht darin, Tiger, wenn du den Mann auffrisst. Du erweisest ihm nur dieselbe Vergeltung, die er verdient, da er ja selbst nicht anders gegen andere handelt. Sieh zum Beispiel mich an! Menschen wohnen unter meinem Schatten, erfreuen sich an meinen köstlichen süßen Früchten, die ich ihnen spende; meine Blätter und trockenen Zweige nehmen sie als Feuerholz und wärmen sich daran, und dennoch hauen sie mich ab mit Stumpf und Stiel und zeigen nicht die geringste Spur von Mitleid und Erbarmen. Und darum, meine ich, bist du völlig im Recht, wenn du in gleicher Weise mit ihm verfährst.“
Als der Tiger dieses Urteil des Mangobaumes angehört hatte, stürzte er sich wiederum auf den Brahmanen, um ihn zu verzehren. Noch hatte dieser Zeit, ihn an sein Versprechen zu erinnern, dass sie noch zwei andere Richter anhören wollten, worauf der Tiger wieder von ihm abließ und sich einverstanden erklärte. So begegneten sie auf ihrem Weg einer Kuh, die sie als zweiten Richter anriefen. Als die Kuh ihre Geschichte angehört hatte, zeigte auch sie sich dem Tiger geneigt, da sie an all das Herzeleid dachte, das ihr die Menschen im Lauf ihres Daseins zugefügt hatten, und sprach:
„Was tat der Mensch mir nicht schon alles an! Er trinkt meine Milch, die er meinen Kälbchen raubt, er spannt mich vor seinen Pflug, an dem ich den ganzen Tag in Hitze und Staub mich abplagen muss wie ein armer Sklave, dabei haut er auf mich ein, zerbricht mir meinen Schwanz, dass ich vor Schmerzen zu sterben vermeine, und habe ich dann mein Leben in Mühe und Qual für ihn vergeudet, dann schlachtet er mich zum Schluss und verzehrt mein Fleisch. Der Mensch ist das undankbarste Geschöpf, darum friss ihn auf, Tiger, wie er mich auffrisst. Du handelst ganz im Recht, wenn du ihn vertilgst. „
Am ganzen Körper vor Schrecken zitternd, hatte der arme Brahmane das harte Urteil der Kuh mitangehört. Schon versuchte abermals der Tiger, seinen Hunger an ihm zu stillen, doch gelang es dem Brahmanen noch, ihn an das gegebene Versprechen zu erinnern, dass sie noch den dritten Richter anhören müssten.
Ohne jede Hoffnung auf Rettung wanderte der arme Brahmane traurig neben dem Tiger her, bis sie schließlich in einiger Entfernung einen Fuchs erblickten, der sich auf dem Feld sonnte.
„Oh, mein Freund“, rief ihn der unglückliche Brahmane an, „komm doch zu uns, oder warte! Mir steht ein großes Unglück bevor. Ich habe diesen Tiger hier aus der Falle befreit, er hat mir versprochen, dass er mir kein Leid antun will, er hat es mir sogar geschworen, doch nun will er mich verschlingen, ist das recht?“
Der Fuchs, dem sie sich unterdessen genähert hatten, blieb ruhig liegen, kratzte sich mit seiner Pfote hinter den Ohren und knurrte:
„Was ist los ? Ich kann nichts hören, sprich lauter! Ich habe heftige Ohrenschmerzen heute. Erzähl noch einmal – aber ganz langsam ich liebe keine Aufregung !“
Der Tiger und der Brahmane begannen abermals ihre Geschichte zu erzählen, doch der Fuchs sprach: „Ich kann nicht so schnell folgen – langsamer! Kann immer noch nicht recht verstehen! – Wo? Wie war es ?“
So redend näherten sie sich immer mehr dem Ort, wo die Falle lag. Wieder erklärten beide, so gut sie es vermochten, die ganze Sachlage, allein, der Fuchs meinte, dass es ihm unmöglich sei, eine so schwierige Sache zu entscheiden.
„Wir sind nahe der Falle“, begann er, „zeigt mir nun ganz genau, wie sich alles abgespielt hat, dann will ich jedem ein gerechtes Urteil sprechen.“
So erreichten sie die Tigerfalle.
„Hier ist der Ort“ , sprach der immer noch zitternde Brahmane, „hier habe ich ihn aus seiner höchsten Gefahr errettet, und hier hat er mir geschworen.“
„Nicht so“, erwiderte der Fuchs, „um gerecht zu richten, muss ich zuerst recht gesehen haben. Wie war es ? Wo lag der Tiger? Wo standst du ? Stell dich an den alten Platz, und du, Tiger, leg dich, wie du gelegen hast, und zeig auch, wie der Stein lag.“
Darauf hob der Brahmane den Stein wieder hoch, während der Tiger seine Lage erklärte.
„Kann nicht verstehen“, knurrte der Fuchs, „zeige mir, wie du gelegen hast, krauch wieder hinunter und lass sehen, wie du das Gewicht trugst.“
Der Tiger gehorchte und kroch unter den Stein und legte sich genauso, wie er zuvor gelegen. In diesem Augenblick ließ der Brahmane den Stein fallen, und der Tiger war wieder gefangen. Dann befahl der Fuchs dem Brahmanen, noch mehr schwere Steine herbeizuholen, um das Gewicht zu verstärken, und dieser tat, wie ihm befohlen. Dann dankte er mit herzlichen Worten seinem Retter und fragte ihn, womit er ihm eine Freude bereiten könnte. Der Fuchs bat ihn darauf um ein fettes Huhn, welches der Brahmane gern für ihn herbeischaffte. Dann schieden beide in Fröhlichkeit voneinander.
Wir aber sind arme Kuwi und Bettler.
Quelle:
(Märchen aus Indien)