„Großmutter, so geht das nicht mehr weiter. Pack mir etwas zu essen ein und such ein paar bunte Flicken hervor, sicher hast du genug davon. Ich werde mich als Vogelscheuche anziehen, wir wollen doch mal sehen, ob ich den Vögeln nicht Angst einjage!“ sagte der Großvater nach einer der vielen durchwachten Nächte.
Die Großmutter kochte Hirseklöße, suchte aus allen Ecken alte Flicken zusammen, und der Großvater putzte sich an. Oje, war das eine Vogelscheuche! Eine grüne Mütze mit Quasten, Jacke und Rock aus den verschiedensten Stoffresten zusammengesetzt, roten, blauen und geblümten, und als Gürtel eine rote Schärpe. So angetan, stellte sich der Großvater mitten aufs Feld und winkte mit den Armen, daß die Fetzen an ihm nur so flogen. Dazu sprang er von einem Bein aufs andere, hüpfte herum – und wirklich, kein einziger Vogel getraute sich auch nur aufs Feld zu fliegen, geschweige denn ein Körnchen zu stibitzen.
„Ich werde es euch schon zeigen, unersättliches Gesindel! Jetzt sollt ihr euch meine Körner nicht mehr schmecken lassen!“ Der Großvater freute sich über seinen guten Einfall…
Die Sonne stieg höher, der Alte schwang die Arme immer langsamer und trat immer schwerer von einem Bein aufs andere.
„Ach was, ich habe schon so viele Vögel verjagt, daß es sicher nichts schadet, wenn ich mich eine Weile auf dem Feldrain ausruhe und mich ein bißchen stärke“, sagte er schließlich.
Er setzte sich mit gekreuzten Beinen hin, nahm einen Kloß aus dem Bündel, doch er hatte den ersten noch nicht aufgegessen, da fielen ihm die Hände in den Schoß, und der Kopf sank auf die Brust. Der Großvater war eingeschlafen.
Es war ein heißer Sommertag, die Sonne schien warm, alles war verstummt, auch die Singvögel hatten sich im Schatten versteckt. Und der Großvater schlief tief und fest.
Plötzlich kam unter lautem Gekreisch eine Horde Affen aus dem Wald gelaufen. Sie schauten sich neugierig um, und einer überschrie den anderen. Da entdeckte einer der Affen den schlafenden Großvater, der in seinen bunten Fetzen auf dem Feldrain saß. Schnell rief er die anderen herbei, und alle umringten neugierig den seltsamen Alten. Sie kamen immer näher, bereit, die Flucht zu ergreifen, sobald sich das bunte Etwas rühren würde. Aber der Großvater schlief fest und merkte nicht, was um ihn herum vor sich ging. Und da er so ruhig blieb, wurden die Affen immer mutiger, und einer griff sogar nach dem Bündel und zog die Klößchen hervor. Im Nu waren sie aufgegessen. Ein älterer Affe wagte sich ganz dicht an den Großvater heran und betrachtete ihn aufmerksam.
„Wißt ihr, was das ist ?“ sagte er zu den übrigen. „Das ist sicher eine neue Buddhafigur, und die Klöße, das waren Opfergaben.“
„Du hast recht, ganz gewiß ist das eine neue Buddhafigur. Und wie schön sie ist. So einen Buddha habe ich noch nie gesehen“, behauptete ein zweiter Affe und strich bewundernd über die bunten Fetzen. Nun hatten die Affen keine Angst mehr, sie kreischten und johlten und zupften an den bunten Flicken und Quasten.
Schließlich schlug der älteste Affe vor: „Wir wollen den Buddha mitnehmen und in unserem Tempel aufstellen. Wie werden die anderen Tiere staunen und uns beneiden, wenn sie erfahren, was für einen ungewöhnlichen Buddha wir haben!“
Die Affen waren von dem Vorschlag begeistert. Einige von ihnen reichten einander die Hände und bildeten so eine Trage, und die übrigen setzten den Buddha vorsichtig darauf. Der Großvater war zwar von dem Lärm erwacht, doch als er hörte, wie sich die Affen über ihn unterhielten und was sie beschlossen, wurde er neugierig. Er hätte gern gewußt, wohin sie ihn tragen wollten, und so sagte er sich im stillen: Ich werde mir nichts anmerken lassen und tun, als sei ich wirklich aus Holz. Die Großmutter wird sich wundern, wenn ich ihr von diesem Erlebnis berichte! Als die Affen zum Fluß kamen, suchten sie lange eine Furt; denn ihr schöner Buddha durfte doch nicht naß werden. Endlich hatten sie eine gefunden und stiegen vorsichtig ins Wasser. Vor Freude über ihren Fund begannen sie zu singen; das heißt, so manchem wäre ihr Geschrei wohl kaum wie Gesang erschienen, jeder kreischte in einer anderen Tonart. Den Affen jedoch gefiel ihr Lied ungemein:
„Vorsicht, Vorsicht, aufgepaßt,
sonst wird unser Buddha naß.
Hej, hej, aufgepaßt l“
In den Gesang hinein rief einer der Affen: „Hebt die Figur recht hoch, wenn auch eure Schwänze naß werden. Hauptsache, der Buddha bekommt keinen nassen Schwanz !“ Dabei hielt er selbst seinen Schwanz hoch über das Wasser.
Der Großvater mußte sich zusammennehmen, um nicht laut herauszuplatzen. Es war doch zu lustig, wie besorgt die Affen um ihn waren.
Endlich hatten sie den Fluß überquert, stiegen unter fürchterlichem Geschrei ans Ufer und trugen den Großvater in ihren Tempel hoch oben in den Bergen. Eigentlich war es gar kein Tempel, sondern nur eine Höhle, in der anstelle eines Altars ein alter hölzerner Sockel stand, den die Affen aus einem verlassenen Tempel geholt hatten.
Sie setzten den Großvater auf den Sockel und konnten sich an ihrem herrlichen Buddha nicht satt sehen. Sie betrachteten ihn aus der Nähe, dann wieder vom Eingang der Höhle aus, und einer rief lauter als der andere: „Haben wir einen prachtvollen Buddha! So einen Buddha gibt es auf der ganzen Welt nicht noch einmal !“
Schließlich fiel ihnen ein, daß sie dem Buddha ja auch etwas opfern müßten, damit es ihm bei ihnen gefiel. Sie liefen nach allen Seiten auseinander, um ein passendes Geschenk zu suchen. Und in den nächsten Stunden kam ein Affe nach dem anderen in die Höhle und legte das Beste, was er hatte finden können, auf den Sockel. Dabei verbeugten sie sich und sangen mit zittriger Stimme: „O ehrwürdiger Buddha, erweise mir die Gnade und nimm dieses unscheinbare Geschenk von einem armen Affen entgegen.“
Der eine legte eine Handvoll schmackhafter Nüsse auf den Sockel, ein zweiter eine saftige Wurzel, einer brachte sogar ein Goldstück, das er wohl einem Händler oder Pilger stibitzt hatte, andere einen zerbrochenen Fächer oder eine bunte Glasscherbe; kurz, jeder opferte dem Buddha das, was ihm selbst am wertvollsten erschien. Es war ein langer Zug, und die Gaben häuften sich zu einem Berg. Der arme Großvater war schon ganz steif vom dem langen Stillsitzen, aber verraten wollte er sich nicht; denn wer weiß, was dann geschehen wäre. So wartete er geduldig. Endlich war auch der letzte Affe mit seinem Geschenk erschienen. Die Affen standen noch eine Weile in der Höhle herum, doch dann verloren sie das Interesse an dem neuen Buddha und liefen in den Wald, neuen Vergnügungen nach. Kaum war ihr Geschrei verklungen, stieg der Großvater ganz zerschlagen von dem Sockel herab.
„Noch eine Weile, und ich wäre wirklich zu einer Holzstatue geworden.“
Er packte alle Geschenke, die er gebrauchen konnte, ein, vor allem das Goldstück, hatte er doch noch nie in seinem Leben eine solche Münze besessen. Dann eilte er, so schnell er konnte, von der Höhle fort; er hatte keine Lust, den Affen noch einmal zu begegnen. In der Stadt wechselte er das Goldstück und kaufte für die Großmutter und für sich einen Sommer- und einen Winterkimono und eine Schachtel seltener Leckerbissen.
Das war ein Schmaus! Und als der Großvater erzählte, wie ihn die Affen über den Fluß getragen hatten und wie besorgt sie gewesen waren, daß er nicht naß wurde, lachte die Großmutter, bis sie nicht mehr konnte. Immer wieder mußte der Großvater das Affenlied singen und vorführen, wie sich die Affen vor dem „ehrwürdigen Buddha“ verneigt hatten. Das laute Lachen lockte eine neidische Nachbarin an. Sie trat ans Tor und rief: „Seid Ihr allein?“
„Kommt nur herein!“
Der Großvater und die Großmutter luden die Nachbarin ein und setzten ihr etwas von den Leckerbissen vor, die der Alte aus der Stadt mitgebracht hatte.
„Was feiert Ihr denn, wenn ich fragen darf?“ sagte die Nachbarin, vor Neid ganz blaß, mit falschem Lächeln.
Der Großvater berichtete sein Erlebnis und zeigte ihr auch die neuen Kimonos.
Als sie alles erfahren hatte, verabschiedete sich die Nachbarin und eilte nach Hause. Sie konnte es kaum erwarten, bis ihr Mann nach Hause kam. Er hatte die Sandalen noch nicht ausgezogen, da redete sie schon auf ihn ein: „Hör zu, gleich morgen mußt du dich als Vogelscheuche verkleiden und aufs Feld gehen. Stell dir nur vor, was für ein Glück unserem Nachbarn in den Schoß gefallen ist, und dabei ist er so ein Taugenichts. Du wirst bestimmt viel mehr nach Hause bringen.“ Und sie hörte nicht eher auf, als bis ihr Mann die Geschichte von Anfang bis Ende kannte. Dann zerriß sie neuen Stoff, der für einen Kimono bestimmt war, und putzte den Mann am nächsten Morgen mit den Fetzen zu einer Vogelscheuche heraus.
„Geh schnell aufs Feld und warte, bis die Affen kommen!“
Der Nachbar machte sich auf den Weg, doch er stellte sich nicht wie der Großvater am Tag zuvor auf das Feld und winkte mit den Armen, um die Vögel zu verscheuchen. Mit gekreuzten Beinen setzte er sich sogleich auf den Rain, legte die Hände in den Schoß und senkte den Kopf, als sei er tief in Gedanken. So wartete er auf die Affen. Er mußte lange warten, und die Augen fielen ihm beinahe zu, da vernahm er endlich Lärm und Geschrei: Die Affen stürzten aus dem Wald heraus.
„Hier ist er! Hier ist er!“ riefen sie begeistert. „Unser Buddha ist auf seinen Platz zurück- gekehrt. Er ist heute zwar nicht so schön angezogen wie gestern, aber das macht nichts, wir bringen ihn trotzdem in unseren Tempel zurück !“
Und wieder bildeten sie eine Trage, setzten den Nachbarn darauf und trugen ihn vorsichtig fort. Der Mann saß zwar nicht gerade bequem, und das Gekreisch der Affen wollte ihm auch nicht gefallen, aber für den Reichtum, der ihn erwartete, mußte er schon einiges in Kauf nehmen.
Als sie zum Fluß kamen, suchten die Affen wieder eine Furt und sangen ihr Liedchen;
„Vorsicht, Vorsicht, aufgepaßt,
sonst wird unser Buddha naß.
Hej, hej, aufgepaßt l“
Dieses Gebrüll nennen sie Gesang! Der Nachbar mußte sich sehr zusammennehmen, um nicht laut herauszuplatzen. Aber als die Affen mitten im Fluß riefen: „Wenn auch eure Schwänze naß werden, das ist nicht so schlimm, Hauptsache, der Buddha bekommt keinen nassen Schwanz!“ – da hielt es der Alte nicht mehr aus. Er mußte laut lachen und konnte gar nicht wieder aufhören.
„Das ist kein Buddha! Das ist ein Mensch, ein Betrüger!“ schrien die Affen. Wütend warfen sie den Nachbarn ins Wasser und verschwanden unter lautem Kreischen im Wald.
Die Strömung riß den Nachbarn mit sich, und er glaubte schon, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Aber schließlich gelang es ihm, sich an den über das Wasser hängenden Zweigen einer Trauerweide festzuhalten und ans Ufer zu gelangen. Er war naß bis auf die Haut; Stoffstreifen hingen an ihm herab und wickelten sich beim Laufen um seine Beine. In diesem Aufzug wäre er zum Gespött der Menschen geworden, deshalb versteckte er sich in einem Gebüsch und wartete die Dunkelheit ab.
Spät am Abend machte er sich auf den Heimweg. Wenn ich nur dem Nachbarn nicht begegne, das wäre eine Schande ! sagte er zu sich, als das Dorf in Sicht kam, und er begann zu rennen, um schneller zu Hause zu sein.
Seine Frau stand schon lange am Zaun und hielt nach ihm Ausschau. Als sie sah, wie schnell er lief, freute sie sich: Sicher hat er sehr viel bekommen und kann es nicht erwarten, es mir zu zeigen. Jetzt werden wir uns neue Sachen kaufen!
Und bevor der Mann noch eingetroffen war, riß sie sich die Kleider vom Leibe und warf sie zusammen mit den alten Sachen des Mannes ins Feuer.
„Das Zeug will ich nicht mehr sehen! Was werden wir uns jetzt für herrliche Gewänder kaufen!“
Von wegen herrliche Gewänder! Wenn ihnen die mitleidigen Nachbarn nicht ihre alten Kimonos überlassen hätten, sie hätten nackt herumlaufen müssen.
Quelle:
(Japanisches Märchen)