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Das schöne Helwa-Mädchen

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Es war einmal ein armer Kamm-macher. Dieser sagte eines Tages zu seiner Frau: »Liebes Weib, gib mir einige Paras, damit ich die während eines Monates verfertigten Kämme in’s Kaffeehaus trage, vielleicht gelingt es mir fünf bis zehn Stücke davon zu verkaufen, so dass ich etwas Geld nach Hause bringe.« Die Frau gab ihm einige Paras und schickte ihn damit in’s Kaffeehaus.
Der Kamm-macher setzte sich im Kaffeehaus nieder, trank seinen Kaffee und während er so vor sich hingrübelte und über mancherlei nachdachte, sah er, wie acht-zehn Kaufleute in’s Kaffeehaus kommen und sich eben nach einem Kamm-macher erkundigen. Er erhob sich und zeigte seine Kämme den Kaufleuten, welche, da sie ihnen gefielen, noch tausend Stück bestellten. Der Mann ging dann hocherfreut nach Hause, verfertigte im Laufe von ein-zwei Monaten die tausend Kämme und übergab sie den Kaufleuten. Diese übernahmen sie und zahlten ihm dafür den Betrag aus, sie gaben ihm sogar noch Bakschisch dazu.
Der Kamm-macher wurde nun infolge dieses Geschäftes reich und wollte mit seiner Frau nach Hedschaz, zum Grabe des Profeten pilgern. »Gehen wir,« sagte die Frau, »jedoch unsere Tochter können wir nicht mitnehmen.« »Die werden wir beim Hodscha lassen,« sagte der Kamm-macher, »er ist ihr ja auch sonst gut geneigt.« Darauf bereiteten sie sich zur Reise vor, liessen ihre Tochter beim Hodscha und nahmen bloss ihren kleinen Sohn mit.
Während nun diese auf dem Wege nach Mekka waren und das Mädchen im Hause des Hodscha war, geschah es, dass dieser auf das schöne Mädchen ein Auge warf. Er zerbrach sich den Kopf, auf welche Weise er sich ihrer bemächtigen könnte. »Ich hab’s,« sagte er; ging in’s Bad und liess die Badefrau rufen. Er drückte ihr ein Paar Goldstücke in die Hand und gab ihr den Antrag, sie möge dem in seinem Hause wohnenden Mädchen zureden und sie veranlassen, sich in’s Bad zu begeben. Die Badefrau geht darauf ein und begab sich eines Tages in’s Haus des Hodscha und sprach das Mädchen folgendermassen an: »Warum gehst du nicht einmal in’s Bad?« »Ich habe niemanden, mit dem ich gehen könnte,« sagte das Mädchen. »Komme nur einmal mit mir, ich werde dich schon waschen lassen.« Sie führte nun nach diesen Worten das Mädchen in’s Bad. Dort entkleidete sie sie, führte sie in’s Schwitzbad und liess gleichzeitig den Hodscha rufen.
Als das Mädchen später zu ihrem grossen Schrecken den Hodscha erblickte, fing sie an, die Sache zu begreifen und damit sie ihre Verlegenheit nicht verrate, empfing sie den Hodscha mit folgenden Worten: »Gut, dass du gekommen bist, bade dich nur, ich werde dir beim Einseifen schon behilflich sein.« Das kam dem Hodscha grade recht. Sofort bereitete er sich zum Bade vor, liess sich vom Mädchen gut einreiben, worauf das Mädchen, nachdem der Seifenschaum fertig war, ihn derartig einseifte, dass sein Kopf vor Schaum garnicht mehr sichtbar war. Darauf zog das Mädchen ihre schweren Holzschuhe plötzlich aus, wickelte sie in ein Handtuch ein und prügelte damit den eingeseiften Hodscha so unbarmherzig durch, dass er sich kaum vom Platze rühren konnte. Dann flüchtete sich das Mädchen eiligst nach Hause.
Es dauerte eine geraume Weile, bis der Hodscha nach und nach zu sich kam, die Seife vom Kopfe abwischen und nach Hause gehen konnte. Es dauerte fünf bis zehn Tage, bis er sich von den erhaltenen Schlägen erholen konnte. Dann richtete er einen Brief an die Eltern des Mädchens, worin er schrieb, dass ihre Tochter ihm durchgegangen wäre und sich einem unsittlichen Lebenswandel ergeben habe.
Als die Eltern diesen Brief lasen, entbrannten sie in Zorn und schickten ihren Sohn mit dem Auftrage nach Hause, das ehrlose Mädchen auf einen Berg zu führen, es dort umzubringen, ihr Hemd in’s Blut zu tauchen und das blutige Hemd den Eltern wieder zurückzubringen. Der Jüngling nahm, zu Hause angekommen, das Mädchen und führte es an dem Berge hinauf. Er wollte jedoch, von Mitleid erfasst, seine Schwester nicht töten und sagte ihr, sie möge auswandern. Dann schnitt er sich in den Fuss, tauchte ihr Hemd in das aus dem Fusse fliessende Blut und kehrte dann zu seinen Eltern zurück. Wir aber wollen sehen, was mit dem Mädchen geschah.
Als das Mädchen ihre Wanderung antrat, ging sie schnellen und langsamen Schrittes über Berge, Ebenen und Täler, bis es endlich zu einer Quelle kam. Während sich das Mädchen dort ausruhte, zog der Padischah jener Gegend mit seinem Wezir auf die Jagd. Als das Mädchen diese zwei Männer erblickte, kletterte sie vor Furcht auf einen Baum und verbarg sich dort.
Inzwischen kam der Padischah mit dem Wezir hin und sprach zu ihm: »Wezir, ich werde hier ein Abdest vornehmen und mein Gebet verrichten.« Und als er nach dem Abdest zu beten anfing, erhob er sein Haupt und bemerkte auf dem Baume ein Mädchen, so schön, wie die Sonne. Nachdem er das Gebet verrichtet hatte, sprach er zum Wezir: »Wezir, ich habe schon mein Wild gefunden.« Damit wendete er sich zum Mädchen und fragte es: »Bist du ein In oder ein Dschin?« Das Mädchen antwortete: »Ich bin weder eine In, noch eine Dschin, sondern eine eben solche Staubgeborene, wie du.« Der Padischah bat sie vom Baume herunterzusteigen, was sie auch tat, worauf beide zusammen in’s Seraj gingen und sich dann nach drei Tage und drei Nächte lang dauernden Hochzeitsfeierlichkeiten vermählten.
Eines Tages erzählte das Mädchen dem Padischah, wessen Eltern Kind, woher sie sei und was alles mit ihr geschehen; und erwähnte ihm auch gleichzeitig, wie sehr sie sich sehne, ihre Eltern und ihren Bruder wiederzusehen. Der Padischah wollte ihren Wunsch erfüllen und liess die Vorbereitungen zur Reise veranstalten; seine Frau jedoch überliess er dem Wezir und gab ihm den Auftrag, die Sultana in ihre Heimat zu ihren Eltern zu bringen, und wenn diese wieder hieher kommen wollen, so möge er sie mit sich bringen. Wir müssen noch erwähnen, dass die Sultana zwei Kinder hatte, einen Sohn und eine Tochter; auch diese nahm man mit auf die Reise und eines Tages trat der Wezir in Begleitung vieler Soldaten die Reise an.
Sie gingen über Berge, Täler und Ebenen und damit wir nicht weit ausholen, sie kamen nach langem Wandern zum Fusse eines Berges. Dort ruhten sie aus und schlugen ihre Zelte auf, damit sie dort übernachten können. Um Mitternacht ging der Wezir zum Zelte der Sultanin und sprach zu ihr: »Du gehörst nicht nur dem Padischah, sondern auch mir, denn wir beide haben dich gemeinschaftlich aufgefunden.« Die Frau war über diese Worte empört und wies die abscheuliche Absicht des Wezirs zurück. »Entweder du erhörst mich, oder ich töte deine Kinder,« schrie ihr der Wezir zu. Da die Frau widerstand, schlachtete er die Kinder ab. »Entweder du erhörst mich, oder ich werde dich töten,« rief wieder der Wezir aus. Die Frau antwortete darauf folgendes: »Bevor du mich tötest, erlaube mir, mich zurückzuziehen und nach dem Abdest zu beten.« Der Wezir geht darauf ein, band ihr aber, damit sie nicht entfliehe, einen Strick um die Hüfte und liess sie so zum Abdest. Die Frau entfernte sich nun, band aber, als sie allein blieb, den Strick um einen Stein und entfloh.
Unterdessen wartete der Wezir ungeduldig auf die Frau und als er des langen Wartens müde, die Frau suchen ging, sah er, dass der Strick an einem Steine umbunden und von einer Frau gar keine Spur vorhanden war. Er weckte die Soldaten aus dem Schlafe und sagte ihnen, dass die Sultana, während sie schliefen, ihre Kinder getötet hätte und dann entlaufen wäre. Sie brachen dann die Zelte ab und kehrten in ihre Heimat zurück.
Als inzwischen die Frau ihrer Heimat zuschritt, begegnete sie unterwegs einem Hirten, den sie folgendermassen ansprach: »Nimm, oh Hirt, diese meine Kleider und gib mir dafür was immer abgetragenes Männergewand.« Der Hirt, der gleich bemerkte, dass die Kleider der Frau wertvoll seien, übernahm sofort die Kleider, gab ihr dafür allerlei alte Männerkleidungsstücke und ging fort. Die Frau hinwieder verkleidete sich als Mann und trat in einen Helwa-Laden als Lehrjunge ein. Bald verbreitete sich das Gerücht, dass beim Helwa-Verfertiger ein schöner Helwa-Lehrbursche ist, der in der Bereitung von Helwa eine bewunderungswürdige Geschicklichkeit besitzt.
Der Vater der Frau hatte unterdessen sein Handwerk aufgegeben und ein Kaffeehaus errichtet. Dieser kam eines Tages auch in das Geschäft des Helwa- Bereiters, damit er den berühmten Helwa-Jungen sehe. Dieser erkannte sofort seinen Vater, der Vater aber erkannte seine Tochter nicht. Sehen wir nun, wie es dem Schehzade erging.
Seitdem ihm der Wezir die falsche Nachricht von seiner Frau brachte, hatte der Prinz keine Ruhe. Eines Tages, als ihm seine Frau und seine Kinder in den Sinn kamen und er über sein Unglück nachdenkend seufzte und klagte, geschah es, dass er anstatt Tränen Blut weinte. Er liess den Wezir rufen. »Wezir, ich will meine Frau haben, ich gehe sie aufsuchen, oder ich bringe mich um.« Vergebens sagte ihm der Wezir, dass die Sultanin die Treue gebrochen und in’s Gebirge entlaufen sei; es nützte nicht. Der Schehzade verliess eines Tages mit dem Wezir den Königspalast und ging, um seine Frau aufzusuchen, in die Welt. Nach langem Wandern erreichten sie den Ort, wo sich die Frau aufhielt und erkundigten sich dort, Hunger verspürend, nach einem Gasthaus. »Ein Gasthaus ist hier nicht zu finden«, antwortete man ihm, »dagegen ist unweit von hier ein Laden, wo ein junger Mann solch ausgezeichnete Helwa bereitet, dass man sich daran kaum satt essen kann.«
Der Schehzade ging nun infolge dieses Lobes mit dem Wezir in den Laden, Dort erkannte das Mädchen sofort ihren Mann und den Wezir, sie aber wurde von ihnen nicht erkannt. Indessen sagte der Schehzade zu ihr: »Du, Helwa-Junge, gib mir um einige Paras von dieser Helwa-Speise.« Das Mädchen erwiderte: »Mein Efendi, wenn ihr heute hier über Nacht bleiben wolltet, so möchte ich für euch eine besondere Helwa- Speise bereiten und euch ausserdem mit der Erzählung einer eigentümlichen Geschichte unterhalten. Der Schehzade wurde durch die freundlichen Worte des schönen Helwa-Jünglings ausserordentlich erheitert und nahm infolgedessen die Einladung gerne an, während er sich des schönen Jünglings nicht satt sehen konnte«.
Am selben Tage beabsichtigte man in einem Stadtviertel einen Helwa-Abend (Helwa-Sohbeti) zu geben, und da der Ruf des schönen Helwa-Bereiters auch dahin drang, entschloss man sich, die Helwa durch diesen bereiten zu lassen. Sie gingen daher in seinen Geschäftsladen und ersuchten ihn, zu ihnen hinaufzukommen und dort die Helwa-Speise zu verfertigen. Der Helwa-Junge sprach: »Sehr gerne käme ich eurem Wunsche nach, allein ich habe Gäste.« Da antwortete man ihm: »Du kannst getrost auch deine Gäste mitbringen, wir werden sie mit Freuden empfangen und ihnen den ersten Platz anweisen.«
Der Helwa-Junge verständigte seine Gäste von der Einladung und alle drei begaben sich dann zum Helwa-Feste. Dort nahmen sie Platz, das Mädchen jedoch ging, um die Helwa-Speise zu bereiten, in die Küche. Nachdem sie damit fertig war, nahm sie Teller und Mangal in die Hand und ging damit zu den Gästen, wo sie ihren Vater, ihren Bruder, den Hodscha, den Schehzade und den Wezir beisammen fand.
Das schöne Helwa-Mädchen stellte den Mangal in die Mitte des Zimmers und fing an, die Helwa zu bereiten. Unterdessen sprach sie zu ihren Gästen folgendes: »Da ihr hier erschienen seid, um euch zu unterhalten, so erzähle wenigstens jeder je eine Geschichte aus seinem Leben.« Worauf das Gespräch begann und jeder etwas Interessantes aus seinem Leben zu erzählen wusste. Dann kam die Reihe an das Mädchen. Bevor diese ihre Erzählung begann, machte sie die Gäste aufmerksam, dass sich während der Erzählung ihrer Geschichte niemand vom Zimmer entfernen möge. Wenn jemand hinausgehen muss, so solle er es lieber jetzt besorgen. »Fange nur gleich an«, beruhigte man sie, »niemand wird seinen Platz verlassen.«
Darauf setzte sich das Mädchen vor die Tür und fing ihre Geschichte an. Zuerst erwähnte sie das Bad, und als sie die Taten des Hodscha erzählte, da begann sich dieser unruhig hin und her zu bewegen und sagte: »Ich fühle mich nicht wohl, ich muss ein bisschen hinausgeben.« »Bleib ruhig sitzen,« rief ihm das Mädchen zu. Dann setzte sie ihre Erzählung fort und schilderte die Schauertat des Wezirs, wie er die zwei Kinder unterwegs ermordete.
Als der Schehzade diese Geschichten hörte, da füllten sich seine Augen mit Tränen und sowohl er, als auch der Vater, der Bruder und der Wezir, alle fingen an, die Geschichte zu verstehen. Das Helwa- Mädchen beendigte nun ihre Erzählung folgendermassen: »O meine Zuhörer, wisset nun, dass dieser Wezir und dieser Hodscha meine Feinde waren; hier ist mein Vater und mein Bruder, sowie auch mein Mann, der Schehzade«.
Nach diesen Worten flüchtete sie sich hinter die Kleider des Prinzen, der damit das Gesicht des Mädchens bedeckte. Am anderen Tag fragte der Schehzade den Wezir und den Hodscha, ob sie vierzig Maultiere oder vierzig Messer wollen. Da antworteten sie: »Vierzig Messer wünschen wir unserem Feinde, wir wollen lieber vierzig Maultiere.« Darauf band man sie an vierzig Maultiere und ihre zerrissenen Körperteile flogen weit in’s Gebirge. Die Sultanin jedoch machte sich, nachdem sie sich von Vater, Mutter und Bruder verabschiedet hatte, mit dem Schehzade auf die Reise, um mit ihm auf’s Neue ein glückliches Leben zu beginnen.

[Asien: Türkei. Märchen der Welt]

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