0
(0)
Es war einmal ein Padischah, der das Unglück hatte, dass man ihm alle seine Kinder in ihrem siebenten Lebensjahre wegstahl. Darob verlor er vor Kummer fast seinen Verstand und klagte: »Bis jetzt sind mir vierzig Kinder geboren worden, eines schöner als das andere, so dass ich nicht müde wurde, ihre Schönheit zu bewundern; wenn mir doch wenigstens ein Einziges am Leben geblieben wäre. Von nun an aber will ich überhaupt keine Kinder mehr, und ich ziehe es vor kein einziges zu besitzen, als dass mir jedes einzelne so viel Leid bereiten solle.« So sprach er und grämte sich fortwährend über den Verlust seiner Kinder. Da er seinen grossen Schmerz nicht mehr ertragen konnte, entschloss er sich, auszuwandern.
In der Nacht, als alles im Schlafe versunken war, verliess er, manches zur Reise Notwendige mit sich nehmend, das Königsschloss und machte sich mitten in der Nacht auf den Weg. Als er schon weit von der Stadt entfernt war, trat die Morgendämmerung ein. Jetzt näherte er sich einer Quelle und kaum wollte er, um das Namaz-gebet zu sagen, ein Abdest nehmen, als er am Himmel plötzlich eine Finsternis bemerkte. Wie sich dieses Dunkelartige ihm näherte, sah er, dass vierzig Tauben sich auf den Quellentrog niederliessen, worauf sich der Padischah vor Schrecken versteckte. Die Tauben tranken von der Quelle und sprachen: »Ach, Muttermilch war niemals unser Kismet; wir konnten uns an der Mutterbrust nicht satt trinken und uns bloss mit Gebirgswasser nähren. Weder Vater, noch Mutter kümmerten sich um uns« Einige sprachen darauf wieder: »Wenn sie an uns auch denken, so können sie doch nicht wissen, wo wir uns aufhalten.« Nach diesen Worten flogen sie girrend wieder fort. Kaum hörte der Padischah diese Worte, so sprach er zu sich: »Schade um die Armen; selbst solche kleine Geschöpfe schmerzt die Abwesenheit der Eltern.«
Als er dann sein Abdest genommen und das Gebet verrichtet hatte, graute schon der Morgen und die Nachtigallen liessen ihre Lieder erschallen. In seine Gedanken vertieft schlummerte er nun ein. So vergingen einige Stunden und als er vor Müdigkeit nicht erwachen konnte, da erblickte er im Halbschlummer, immer noch an seine Kinder denkend, einen sich ihm immer nähernden Derwisch, welchem er einen Platz anbot, und da er immer nur an seine Kinder dachte, so erzählte er dem Derwisch sein Leid. Der Derwisch wusste jedoch, was mit den Kindern des Padischah geschehen war und sprach also: »Oh mein Schah! kränke dich nicht, du siehst zwar deine Kinder nicht, diese aber sehen dich. Als du in der bewussten Quelle den Abdest nahmst, da waren die zum Wasser kommenden Tauben deine Kinder. Sie sind von den Peris geraubt worden und halten sich in einer von hier nur in einem Jahre zu erreichenden Entfernung auf; sie können aber, wenn sie wollen, nicht nur hieher, sondern auch in deinen Palast fliegen, sind aber aus Furcht vor den Peris nicht imstande, ihre Anwesenheit zu verraten. Wenn du dich von hier entfernst, so trink auch du, wie die Tauben, von jener Quelle und setze deinen Weg fort; der Schöpfer wird dich mit deinen Kindern schon zusammenbringen.« Nach diesen Worten entfernte sich der Derwisch.
Bald darauf erwachte der Schah aus seinem Schlafe und als er ein wenig nachdachte, da fielen ihm die Worte des in seinem Traume ihm erschienenen Derwisch ein. Er wusste nun nicht, ob das Geschehene Wirklichkeit oder bloss Einbildung sei; da er aber dachte, dass er ohnehin in’s Gebirg geraten war, so lenkte er seine Schritte zur Quelle hin. Was sah er nun dort? Da sah er, dass aus der Quelle Blut fliesse. Er erschrak, denn er wusste wieder nicht, ob er wache oder träume und als er zurückwich, sah er noch immer, dass aus der Quelle Blut hervorströmt. Inzwischen war die Sonne aufgegangen und er überzeugte sich nun, dass dies kein Traumbild sei. Darauf drückte er die Augen zu, und ohne Gefühl des Ekels trank er das hervorquellende Blut, als ob es Wasser gewesen wäre. Dann bog er in einen rechts liegenden Weg ein und schritt so eiligst weiter.
Auf einmal erblickte er in Schussweite eine nach Kriegsart in Reih‘ und Glied aufgestellte Heeresmasse und nachdem er darüber nachdachte, ob er diese als Freunde oder Feinde betrachten und ob er überhaupt hingehen soll oder nicht, entschloss er sich endlich und ging geraden Weges auf die Menge los. Je weiter er nun ging, desto deutlicher sah er, wie sich dort grosse und kleine Drachen versammelten, der kleinste unter ihnen war aber wenigstens so gross wie ein Kameel. »Oh weh,« rief er aus, »wer weiss ob das, was ich eben jetzt für ein Traumbild gehalten, nicht Hexerei war. Was soll ich nun machen? Wenn ich mich ihnen nähere, so werden sie mich bestimmt zerstückeln, ich kann aber nicht einmal entfliehen.« Er fing an zu Allah zu beten und flehte ihn um Rettung an. Diese Drachen waren jedoch neugeborne, kaum einige Tage alt, die, weil sie ihr Augenlicht noch nicht erlangten, sich verirrten und ihr Lager nicht auffinden konnten. Als der Schah sah, dass sie irrend herumstreifen, hin und her springen und sich dann entfernen, da freute er sich, sie los geworden zu sein und seinen Weg fortsetzen zu können.
Inzwischen brach der Abend heran. Als er so zwischen den Bergen wanderte und die Sonne schon beinahe untergegangen war, da hörte er plötzlich ein Geheul. Es war der Ruf der Drachenmutter, die ihre in Verlust geratenen Jungen suchte. Der Schah erschrak abermals und als ihn der Drache sah, da rief er ihm zu: »Nun habe ich dich; meine Jungen sind in Menschenhände geraten, wir wollen sehen, wie du dich von mir befreien wirst.« Nach diesen Worten stand er schon dem Schah gegenüber, der vor Angst zu zittern begann. »Warum fürchtest du dich?« schrie ihn der Drache an. »Du hast tausend meiner Sprösslinge getötet und ich bin dir gar nicht in den Sinn gekommen.« Da antwortete der Schah: »Oh! als ich deine Sprösslinge erblickte, da hatte ich noch mehr Angst; ich bin doch kein Jäger und es fällt mir gar nicht ein, jemanden zu töten.« Darauf sprach der Drache: »Wenn du die Wahrheit sagst, so sage mir doch, ob du nicht gesehen, wohin meine Jungen gegangen sind.« Der Schah schilderte ihm, wo er die jungen Drachen hingehen sah. Der Drache packte darauf den Schah und steckte ihn wie einen Tabakbeutel in den Gürtel, dann ging er mit ihm fort und erreichte nach einer Weile seine Jungen. Jetzt erst bemerkte der Schah, dass die jungen Drachen nichts sahen.
Kurzum, damit wir die Geschichte nicht in die Länge ziehen, die Drachenmutter trieb ihre Jungen wieder zusammen und so gingen sie, während der Schah noch immer im Gürtel des Drachen steckte, zurück. Nach einiger Zeit befanden sie sich in der Mitte einer Wüste, wo vier Mauern wie eine Festung standen. Der Drache nahm aus einem Gürtel eine Peitsche, liess einen Peitschenhieb an eine Ecke der Mauer niedersausen, worauf ein noch grösserer Drache hervorkam. Sie gingen hinein, da war ein grosses Seraj, wo jeder in sein eigenes Gemach hineinging. Der Drache trug den Schah in sein Zimmer und sprach zu ihm: »Nun Menschensohn, sage mir jetzt, warum kamst du eigentlich hieher? ich sehe, dass du keine schlechten Absichten hast.« Der Schah erzählte seine Geschichte, worauf der Drache also sprach: »Dir kann leicht geholfen werden, alle deine Kinder befinden sich im Hyacinthen-Kiosk (Zümbül Köschkü), ein Peri ist derjenige, der die Kinder wegstiehlt; ich weiss es wohl nicht bestimmt, jedoch glaube ich, dass sie dort sein müssen. Dieser Ort ist von uns wohl etwas weit entfernt. Und wenn du allein hingehen willst, so wirst du schwerlich dorthin gelangen. Wenn du aber den uns gegenüber liegenden Berg überschritten haben wirst, da wirst du in eine grosse Wüste gelangen; dort wohnt mein Bruder, dessen Kinder schon viel grösser sind und jeden Ort kennen. Begib dich dorthin und überbringe ihm meine Grüsse mit der Bitte dich in den Hyacinthen-Kiosk führen zu lassen.« Damit verabschiedete sich der Schah vom Drachen und machte sich auf den Weg.
Nach langem Wandern stieg er über den Berg und erblickte die Wüste. Dann ging er wieder ein Stück Weges und sah ein Seraj, das viel grösser war, als das andere. Vor dessen Tore stand ein Drache, zweimal so gross als der andere, seine Augen schienen in einer Entfernung von tausend Schritten zu schlummern, das Feuer dieser Augen aber drang durch eine kleine Spalte und versendete Strahlen, die den Menschen fast versengten. Als der Schah dies sah, da rief er aus: »Jetzt hat meine letzte Stunde geschlagen.« Er schrie ihm schon von der Ferne die Grüsse seines Bruders zu und als der Drache darauf seine Augen öffnete, so schien es ihm, wie wenn die ganze Welt in Flammen stünde. Der Schah konnte dies nicht ertragen und lief zurück. Er erschien dem Drachen so klein wie eine Gelse, weshalb dieser sich gar nicht vom Platze rührte. Der Schah ging zum ersten Drachen zurück und erzählte ihm das Vorgefallene. Da sprach der Drache: »Ach, ich vergass dir zu sagen, dass ich der schwarze Drache (Kara Eschderha) heisse, der andere hingegen der rote Drache (Kyzyl Eschderha); gehe noch einmal hin und sage, dass ihm Kara Eschderha seinen Gruss entbietet. Meinen Namen kennt niemand; sobald er diesen Namen hört, wird er daraus ersehen, dass ich dich geschickt habe. Er wird dir dann wohl den Rücken zukehren, du brauchst dich aber deshalb nicht zu fürchten und kannst getrost zu ihm hingehen; du musst aber behutsam sein und darfst dich keineswegs ihm gegenüber stellen, sonst bist du das Opfer seiner roten glühenden und feuersprühenden Augen.«
Darauf machte sich der Schah wieder auf den Weg. Als er den vorigen Platz wieder erreicht hatte, rief er: »Dein Bruder, Kara Eschderha entbietet dir seinen Gruss« worauf der Drache ihm seinen Rücken kehrte. Dann ging der Schah auf ihn zu und sagte ihm, dass er in den Hyacinthen-Kiosk gehen möchte. Darauf entnahm der Drache aus seinem Gürtel eine Peitsche und indem er damit einen Hieb auf die Erde machte, da schien es als ob er einen Berg entzwei gespalten hätte. Nach einiger Zeit erblickte er wieder einen ziemlich grossen Drachen, und als er sich diesem näherte, da fing der Schah von der Gluthitze des Feuers zu brennen an. Darauf wandte ihm der Drache den Rücken und sprach also: »Mein Sohn, wenn du zum Hyacinthen-Kiosk gelangst, so rufe, bevor du eintrittst: ›Mich hat der rote Drache geschickt.‹ Dann wird bald darauf ein Araber zu dir kommen und das ist derjenige Peri, der die Kinder, geraubt hatte. Wenn er dich nun fragen wird, was du willst, so sage ihm, dass der grosse Drache das grösste der bisher geraubten Kinder besitzen will; wenn er nun dieses nicht hergeben sollte, so sage ihm, dass er das kleinste haben will. Wenn er dir aber auch diesen Wunsch nicht erfüllen sollte, so sage ihm: ›der rote Drache will dich selbst.‹ Mehr brauchst du ihm nicht zu sagen, dann gehe wieder ruhig zurück.«
Nach diesen Worten stieg der Schah auf den herbeigerufenen Drachen und sie machten sich auf den Weg. Als sie von der Ferne den Hyacinthen-Kiosk erblickten, da rief er: »Ich überbringe vom roten Drachen Grüsse;« dies schrie er aber so laut, das dar ob Himmel und Erde erzitterten. Darauf trat ein schwarzer Araber mit fächerartigen Lippen hervor, der hielt einen Knüttel in der Grosse der Kuppel eines Badehauses in der Hand. Er trat aus dem Kiosk in’s Freie und fragte, was es gebe. Darauf sagte der Schah, dass der rote Drache um das grösste aller bisher geraubten Kinder bitte. »Das grösste ist krank,« sagte der Peri. »Dann schicke das kleinste,« sagte der Schah. »Dieses ist aber um Wasser gegangen,« sagte der Araber. »Wenn es so ist,« sagte der Schah, »dann will er dich.« Darauf ging der Araber mit den Worten »ich komme in den Kiosk;« der Schah hingegen kehrte auf dem Rücken des Drachen zum roten Drachen zurück und erzählte ihm, wie er seine Sache ausgeführt hatte.
Inzwischen erschien auch der Araber, in jeder Hand einen Knüttel haltend, seine Füsse steckten in drei Ellen langen hölzernen Pantoffeln, auf dem Kopfe trug er eine Mütze von der Grosse eines Minarets. Der rote Drache sprach ihn folgendermassen an: »Ei, mein lieber Hyacinther! die Kinder des Schah sind bei dir, gib sie wieder zurück.« Darauf erwiderte der Araber: »Ich habe bloss einen Wunsch, wenn der Schah mir diesen erfüllt, so gebe ich ihm alle seine Kinder, die ich übrigens alle schön erzogen habe, wieder zurück.« Ich habe vor zehn Jahren einem Padischah seinen Sohn geraubt; als er zwölf Jahre alt war, entlockte mir ihn die Mutter eines Dew namens Porsuk, durch ihre Zauberkünste. Sie lässt täglich vom Knaben Wasser aus der Quelle holen und gibt ihm täglich einen Aschenkuchen zu essen und zwingt ihn ein Glas voll Menschenblut zu trinken. Wenn ich diesen Jüngling von dort befreien kann, so will ich nichts anderes mehr, denn ich habe auf der ganzen Welt noch keinen solch‘ schönen Jüngling gesehen. Dieser Porsuk Dew hat einen Sohn, der mich liebt, und man hat mir deshalb dieses Böse zugefügt, weil ich diesen Knaben nicht mochte. Ich weiss, dass die Kinder dieses Schahs sehr tapfer sind, und habe sie deshalb gestohlen, damit ich dadurch meine Schmerzen lindere. Wenn ihr mir diesen Wunsch erfüllen werdet, so werde auch ich euren erfüllen.
Nach diesen Worten kehrte er sich um und ging fort. Der rote Drache dachte ein wenig nach und sprach dann also: »Mein Sohn, fürchte nicht, dieser Dew ist nicht besonders tapfer, aber in der Hexerei ist er bewandert. Durch Zauberkraft kann man ihm nicht beikommen. Er hat die Gewohnheit einen Tag im Jahre nicht zu zaubern und nur an diesem einen Tage könnte man ihm beikommen. Du wirst jetzt noch einen Monat warten, bis dahin werde ich den bestimmten Tag schon erfahren und dann ihn dir mitteilen.« Der Schah war damit einverstanden, und da die Märchenzeit schnell vergeht, wartete er einen Monat, während welcher Zeit der rote Drache seine Söhne mit dem Auftrage wegschickte, diesen Tag des Dew zu erfahren. Kaum hatten sie diesen Tag in Erfahrung gebracht, liess auch schon der Drache den Schah rufen und gab ihm den Tag an, an welchem der Dew keine Zaubereien ausübt und an welchem Tag er nicht einmal aufsteht, sondern fortwährend schläft. »Wenn du hingehst«, so unterrichtete ihn der Drache, »wird der neben ihm stehende Jüngling eben Wasser aus der Quelle schöpfen; auf dem Kopfe trägt er eine Mütze und wenn du ihm diese Kappe vom Kopfe herunternimmst und sie dir aufsetzt, so kann sich der Jüngling nicht vom Platze rühren und du kannst dann mit ihm machen, was du willst.«
Nach diesen Worten liess er einen seiner Söhne rufen und beauftragte ihn, den Schah zur Quelle des Porsuk-Dews zu führen und dort zu warten, bis der Schah seine Sache mit dem Jüngling erledigt haben wird, worauf er beide wieder zu ihm zurückbringen solle. Der Drachensohn führte den Schah zur Quelle und als sie sich seitwärts versteckten, kam der Knabe den Krug in der Hand und begab sich zur Quelle. Während er nun den Krug mit Wasser füllte, hob sich der Schah von seinem Platze, trat plötzlich zum Knaben hin, riss ihm die Mütze vom Kopfe und setzte sie auf sein eigenes Haupt. Der Knabe blickte rings um sich her und da er niemanden sah, so wusste er nicht, was mit ihm vorgehe. Der Drache jedoch ergriff beide und führte sie zu seiner Mutter. Diese rief, mit einem Peitschenhiebe auf die Erde losschlagend, den Hyacinthen-Araber herbei, der sofort erschien und als er den Knaben erblickte, stürzte er auf ihn los, umarmte ihn und dankte freudig, dass man seinen Wunsch erfüllte.
Nun klatschte er in die Hände und stampfte mit dem Fuss auf die Erde, da erschienen alle vierzig Kinder des Schah und flogen girrend herbei. Darauf nahm der Araber eine Flasche hervor und als er sie bespritzte, verwandelten sich die vierzig Vögel teils in Mädchen, teils in Knaben, im Alter von zehn, fünfzehn und zwanzig Jahren, eines schöner als das andere und stellten sich vor ihnen in Reih‘ und Glied auf. »Nun mein Schah,« sagte der Araber, »hier hast du deine Kinder, nimm sie hin und sei glücklich mit ihnen; mir aber verzeihe, dass du durch mich so viel gelitten hattest«. Hätte jetzt jemand vom Schah das Kostbarste verlangt, mit Freuden hätte er es hingegeben, so freute er sich, seine Kinder wiedergefunden zu haben; er verzieh dem Hyacinthen-Araber vom ganzen Herzen.
Dann verabschiedete er sich vom roten Drachen und als er die Kinder zu sich rief um mit ihnen abzureisen, riss der rote Drache ein Haar hinter seinem Ohre heraus und übergab es dem Schah mit folgenden Worten: »Nimm dies an und wenn dich irgend ein Leid treffen sollte, reisse dieses Haar entzwei, dann werde ich dir zu Hilfe eilen«. Hierauf machte sich der Schah mit seinen Kindern auf den Weg und langte bald beim schwarzen Drachen an. Während nun der Schah mit dem Drachen sprach, riss auch dieser ein Haar hinter seinem Ohre heraus und übergab es ihm mit folgenden Worten: »Verheirate deine Kinder auf einmal und wenn du sie in der Brautnacht mit diesem Haare anräucherst, dann bist du für immerdar von Porsuk-Dew befreit.« Nachdem sich der Schah beim Drachen bedankte und sich von ihm verabschiedet hatte, trat er seine Rückreise an.
Als er nun seine Reise fortsetzend von den Aufregungen erschöpft teils ruhte, teils sich mit den Kindern unterhaltend über mancherlei Dinge sprach, erhob sich plötzlich ein fürchterlicher Sturm und ein Gewitter. Weder der Schah, noch seine Kinder wussten, was mit ihnen geschehen wird. Endlich liess sich eine seiner Töchter folgendermassen vernehmen: »Liebes Väterchen, mein Schah! Ich habe vom Hyacinther gehört, dass so oft der Prosuk-Dew irgendwo hingeht, ein solches Unwetter ausbricht, wie beim jüngsten Gericht. Ich glaube, dass kein anderer als er kommt.« Der Schah nahm sich zusammen und riss das ihm vom roten Drachen übergebene Haar entzwei. Unterdessen stürzte der Porsuk-Dew wie ein Weiher vom Himmel herab und gerade im selben Augenblicke, als er den Schah bei den Haaren erfasst, da stand auch schon die Peitsche schwingend der Drache da, und wie dieser nun den Dew mit seinen Armen umfasste und seine Nase berührte, da wurde der Dew machtlos. Der Schah erschrak ausserordentlich, aus Furcht seine erst vor kurzem wiedergefundenen Kinder etwa wieder zu verlieren. Allein der Drache sprach zu ihm: »Fürchte dich nicht, mein Schah, sondern pack diese Peitsche an.« Damit umklammerten sie dieselbe, hieben damit einmal in die Luft und hatten dann das Gefühl, als ob sie fliegen würden. Als sie sich dann wieder zur Erde herunterliessen, sahen sie die Stadt des Schahs vor sich. Nun sagte der Drache zu ihnen: »Jetzt fürchtet euch nicht mehr,« und ging dann fort.
Der Schah ging, bevor er mit seinen Kindern langsam fortschreitend das Tor der Stadt erreichte, einige Schritte voran. Als die vor dem Tore stehenden ihn erblickten, warfen sie sich ihm zu Füssen und weinten vor Freude. Denn seitdem der Padischah das Seraj verlassen hatte, jammerten sie fortwährend um ihn. Sämtliche Bejs und Paschahs der Stadt kamen ihm samt ihren Kindern entgegen. Sämtliche Bewohner des Seraj, sowie auch die Sultanin, als sie den Schah mit seinen Kindern erblickten, fielen vor Freude von einer Ohnmacht in die andere. Die Mutter umarmte und küsste der Reihe nach ihre Kinder. Der Schah liess in seiner grenzenlosen Freude über seine wiedergefundenen Kinder, für jedes einzelne je sieben Tage und sieben Nächte dauernde Festlichkeiten und Unterhaltungen veranstalten und nachdem er für seine Söhne je ein Mädchen, für seine Töchter je einen Mann gefunden hatte, wurde wieder vierzig Tage und vierzig Nächte Hochzeit gefeiert.
Er vergass jedoch als die Brautnacht heranrückte, sie mit dem Drachenhaar zu beräuchern. Als sich nun jeder in sein Zimmer zurückgezogen hatte und der Schah unterdessen beim Fenster seines Kiosk sitzend vor sich hinsah, da fiel plötzlich ein solcher Regen nieder, dass sich alles in Finsternis hüllte und gleichzeitig erhob sich ein so furchtbarer Sturm, dass Staub und Sand durch einander wirbelten. Der Schah war anfangs der Meinung, dass es sich bloss um einen grossen Regen handle, später aber fiel ihm der Porsuk-Dew ein, worauf er infolgedessen fürchterlich zu schreien begann. In dem nun entstandenen Lärm kamen die Bewohner des Seraj, sowie auch seine Kinder herbei. Der Padischah übergab dem Wezir das Haar des Drachen und rief ihm zu, er möge dasselbe sofort verbrennen. Man wusste nicht, was eigentlich geschah und glaubte daher, dass der Schah seinen Verstand verloren hätte, nichtsdestoweniger erfüllte man seinen Wunsch und verbrannte das Drachenhaar.
Darauf ertönte im Garten ein fürchterliches Geheul, denn der Porsuk-Dew rief schreiend aus: »Padischah, du hast mich verbrennen lassen, es möge daher in deinem Garten niemals wieder ein Grashalm grünen.« Sprachs und entfernte sich darauf. Als man nun im Königspalaste des Morgens erwachte und aufstand, waren sämtliche im Garten stehende Bäume und Blumen versengt, wie wenn sie durch eine Feuersbrunst vernichtet worden wären.
Der Schah jedoch kümmerte sich wenig um diesen Verlust, ihn entschädigten dafür die Freuden über seine Kinder, die er nun wiedersehen konnte. Darauf erklärte er seinen Führern alles Geschehene, die sich vor Überraschung kaum fassen konnten. Der Schah verbrachte indessen samt seinen Kindern bis an’s Lebensende glückliche Jahre.
In der Nacht, als alles im Schlafe versunken war, verliess er, manches zur Reise Notwendige mit sich nehmend, das Königsschloss und machte sich mitten in der Nacht auf den Weg. Als er schon weit von der Stadt entfernt war, trat die Morgendämmerung ein. Jetzt näherte er sich einer Quelle und kaum wollte er, um das Namaz-gebet zu sagen, ein Abdest nehmen, als er am Himmel plötzlich eine Finsternis bemerkte. Wie sich dieses Dunkelartige ihm näherte, sah er, dass vierzig Tauben sich auf den Quellentrog niederliessen, worauf sich der Padischah vor Schrecken versteckte. Die Tauben tranken von der Quelle und sprachen: »Ach, Muttermilch war niemals unser Kismet; wir konnten uns an der Mutterbrust nicht satt trinken und uns bloss mit Gebirgswasser nähren. Weder Vater, noch Mutter kümmerten sich um uns« Einige sprachen darauf wieder: »Wenn sie an uns auch denken, so können sie doch nicht wissen, wo wir uns aufhalten.« Nach diesen Worten flogen sie girrend wieder fort. Kaum hörte der Padischah diese Worte, so sprach er zu sich: »Schade um die Armen; selbst solche kleine Geschöpfe schmerzt die Abwesenheit der Eltern.«
Als er dann sein Abdest genommen und das Gebet verrichtet hatte, graute schon der Morgen und die Nachtigallen liessen ihre Lieder erschallen. In seine Gedanken vertieft schlummerte er nun ein. So vergingen einige Stunden und als er vor Müdigkeit nicht erwachen konnte, da erblickte er im Halbschlummer, immer noch an seine Kinder denkend, einen sich ihm immer nähernden Derwisch, welchem er einen Platz anbot, und da er immer nur an seine Kinder dachte, so erzählte er dem Derwisch sein Leid. Der Derwisch wusste jedoch, was mit den Kindern des Padischah geschehen war und sprach also: »Oh mein Schah! kränke dich nicht, du siehst zwar deine Kinder nicht, diese aber sehen dich. Als du in der bewussten Quelle den Abdest nahmst, da waren die zum Wasser kommenden Tauben deine Kinder. Sie sind von den Peris geraubt worden und halten sich in einer von hier nur in einem Jahre zu erreichenden Entfernung auf; sie können aber, wenn sie wollen, nicht nur hieher, sondern auch in deinen Palast fliegen, sind aber aus Furcht vor den Peris nicht imstande, ihre Anwesenheit zu verraten. Wenn du dich von hier entfernst, so trink auch du, wie die Tauben, von jener Quelle und setze deinen Weg fort; der Schöpfer wird dich mit deinen Kindern schon zusammenbringen.« Nach diesen Worten entfernte sich der Derwisch.
Bald darauf erwachte der Schah aus seinem Schlafe und als er ein wenig nachdachte, da fielen ihm die Worte des in seinem Traume ihm erschienenen Derwisch ein. Er wusste nun nicht, ob das Geschehene Wirklichkeit oder bloss Einbildung sei; da er aber dachte, dass er ohnehin in’s Gebirg geraten war, so lenkte er seine Schritte zur Quelle hin. Was sah er nun dort? Da sah er, dass aus der Quelle Blut fliesse. Er erschrak, denn er wusste wieder nicht, ob er wache oder träume und als er zurückwich, sah er noch immer, dass aus der Quelle Blut hervorströmt. Inzwischen war die Sonne aufgegangen und er überzeugte sich nun, dass dies kein Traumbild sei. Darauf drückte er die Augen zu, und ohne Gefühl des Ekels trank er das hervorquellende Blut, als ob es Wasser gewesen wäre. Dann bog er in einen rechts liegenden Weg ein und schritt so eiligst weiter.
Auf einmal erblickte er in Schussweite eine nach Kriegsart in Reih‘ und Glied aufgestellte Heeresmasse und nachdem er darüber nachdachte, ob er diese als Freunde oder Feinde betrachten und ob er überhaupt hingehen soll oder nicht, entschloss er sich endlich und ging geraden Weges auf die Menge los. Je weiter er nun ging, desto deutlicher sah er, wie sich dort grosse und kleine Drachen versammelten, der kleinste unter ihnen war aber wenigstens so gross wie ein Kameel. »Oh weh,« rief er aus, »wer weiss ob das, was ich eben jetzt für ein Traumbild gehalten, nicht Hexerei war. Was soll ich nun machen? Wenn ich mich ihnen nähere, so werden sie mich bestimmt zerstückeln, ich kann aber nicht einmal entfliehen.« Er fing an zu Allah zu beten und flehte ihn um Rettung an. Diese Drachen waren jedoch neugeborne, kaum einige Tage alt, die, weil sie ihr Augenlicht noch nicht erlangten, sich verirrten und ihr Lager nicht auffinden konnten. Als der Schah sah, dass sie irrend herumstreifen, hin und her springen und sich dann entfernen, da freute er sich, sie los geworden zu sein und seinen Weg fortsetzen zu können.
Inzwischen brach der Abend heran. Als er so zwischen den Bergen wanderte und die Sonne schon beinahe untergegangen war, da hörte er plötzlich ein Geheul. Es war der Ruf der Drachenmutter, die ihre in Verlust geratenen Jungen suchte. Der Schah erschrak abermals und als ihn der Drache sah, da rief er ihm zu: »Nun habe ich dich; meine Jungen sind in Menschenhände geraten, wir wollen sehen, wie du dich von mir befreien wirst.« Nach diesen Worten stand er schon dem Schah gegenüber, der vor Angst zu zittern begann. »Warum fürchtest du dich?« schrie ihn der Drache an. »Du hast tausend meiner Sprösslinge getötet und ich bin dir gar nicht in den Sinn gekommen.« Da antwortete der Schah: »Oh! als ich deine Sprösslinge erblickte, da hatte ich noch mehr Angst; ich bin doch kein Jäger und es fällt mir gar nicht ein, jemanden zu töten.« Darauf sprach der Drache: »Wenn du die Wahrheit sagst, so sage mir doch, ob du nicht gesehen, wohin meine Jungen gegangen sind.« Der Schah schilderte ihm, wo er die jungen Drachen hingehen sah. Der Drache packte darauf den Schah und steckte ihn wie einen Tabakbeutel in den Gürtel, dann ging er mit ihm fort und erreichte nach einer Weile seine Jungen. Jetzt erst bemerkte der Schah, dass die jungen Drachen nichts sahen.
Kurzum, damit wir die Geschichte nicht in die Länge ziehen, die Drachenmutter trieb ihre Jungen wieder zusammen und so gingen sie, während der Schah noch immer im Gürtel des Drachen steckte, zurück. Nach einiger Zeit befanden sie sich in der Mitte einer Wüste, wo vier Mauern wie eine Festung standen. Der Drache nahm aus einem Gürtel eine Peitsche, liess einen Peitschenhieb an eine Ecke der Mauer niedersausen, worauf ein noch grösserer Drache hervorkam. Sie gingen hinein, da war ein grosses Seraj, wo jeder in sein eigenes Gemach hineinging. Der Drache trug den Schah in sein Zimmer und sprach zu ihm: »Nun Menschensohn, sage mir jetzt, warum kamst du eigentlich hieher? ich sehe, dass du keine schlechten Absichten hast.« Der Schah erzählte seine Geschichte, worauf der Drache also sprach: »Dir kann leicht geholfen werden, alle deine Kinder befinden sich im Hyacinthen-Kiosk (Zümbül Köschkü), ein Peri ist derjenige, der die Kinder wegstiehlt; ich weiss es wohl nicht bestimmt, jedoch glaube ich, dass sie dort sein müssen. Dieser Ort ist von uns wohl etwas weit entfernt. Und wenn du allein hingehen willst, so wirst du schwerlich dorthin gelangen. Wenn du aber den uns gegenüber liegenden Berg überschritten haben wirst, da wirst du in eine grosse Wüste gelangen; dort wohnt mein Bruder, dessen Kinder schon viel grösser sind und jeden Ort kennen. Begib dich dorthin und überbringe ihm meine Grüsse mit der Bitte dich in den Hyacinthen-Kiosk führen zu lassen.« Damit verabschiedete sich der Schah vom Drachen und machte sich auf den Weg.
Nach langem Wandern stieg er über den Berg und erblickte die Wüste. Dann ging er wieder ein Stück Weges und sah ein Seraj, das viel grösser war, als das andere. Vor dessen Tore stand ein Drache, zweimal so gross als der andere, seine Augen schienen in einer Entfernung von tausend Schritten zu schlummern, das Feuer dieser Augen aber drang durch eine kleine Spalte und versendete Strahlen, die den Menschen fast versengten. Als der Schah dies sah, da rief er aus: »Jetzt hat meine letzte Stunde geschlagen.« Er schrie ihm schon von der Ferne die Grüsse seines Bruders zu und als der Drache darauf seine Augen öffnete, so schien es ihm, wie wenn die ganze Welt in Flammen stünde. Der Schah konnte dies nicht ertragen und lief zurück. Er erschien dem Drachen so klein wie eine Gelse, weshalb dieser sich gar nicht vom Platze rührte. Der Schah ging zum ersten Drachen zurück und erzählte ihm das Vorgefallene. Da sprach der Drache: »Ach, ich vergass dir zu sagen, dass ich der schwarze Drache (Kara Eschderha) heisse, der andere hingegen der rote Drache (Kyzyl Eschderha); gehe noch einmal hin und sage, dass ihm Kara Eschderha seinen Gruss entbietet. Meinen Namen kennt niemand; sobald er diesen Namen hört, wird er daraus ersehen, dass ich dich geschickt habe. Er wird dir dann wohl den Rücken zukehren, du brauchst dich aber deshalb nicht zu fürchten und kannst getrost zu ihm hingehen; du musst aber behutsam sein und darfst dich keineswegs ihm gegenüber stellen, sonst bist du das Opfer seiner roten glühenden und feuersprühenden Augen.«
Darauf machte sich der Schah wieder auf den Weg. Als er den vorigen Platz wieder erreicht hatte, rief er: »Dein Bruder, Kara Eschderha entbietet dir seinen Gruss« worauf der Drache ihm seinen Rücken kehrte. Dann ging der Schah auf ihn zu und sagte ihm, dass er in den Hyacinthen-Kiosk gehen möchte. Darauf entnahm der Drache aus seinem Gürtel eine Peitsche und indem er damit einen Hieb auf die Erde machte, da schien es als ob er einen Berg entzwei gespalten hätte. Nach einiger Zeit erblickte er wieder einen ziemlich grossen Drachen, und als er sich diesem näherte, da fing der Schah von der Gluthitze des Feuers zu brennen an. Darauf wandte ihm der Drache den Rücken und sprach also: »Mein Sohn, wenn du zum Hyacinthen-Kiosk gelangst, so rufe, bevor du eintrittst: ›Mich hat der rote Drache geschickt.‹ Dann wird bald darauf ein Araber zu dir kommen und das ist derjenige Peri, der die Kinder, geraubt hatte. Wenn er dich nun fragen wird, was du willst, so sage ihm, dass der grosse Drache das grösste der bisher geraubten Kinder besitzen will; wenn er nun dieses nicht hergeben sollte, so sage ihm, dass er das kleinste haben will. Wenn er dir aber auch diesen Wunsch nicht erfüllen sollte, so sage ihm: ›der rote Drache will dich selbst.‹ Mehr brauchst du ihm nicht zu sagen, dann gehe wieder ruhig zurück.«
Nach diesen Worten stieg der Schah auf den herbeigerufenen Drachen und sie machten sich auf den Weg. Als sie von der Ferne den Hyacinthen-Kiosk erblickten, da rief er: »Ich überbringe vom roten Drachen Grüsse;« dies schrie er aber so laut, das dar ob Himmel und Erde erzitterten. Darauf trat ein schwarzer Araber mit fächerartigen Lippen hervor, der hielt einen Knüttel in der Grosse der Kuppel eines Badehauses in der Hand. Er trat aus dem Kiosk in’s Freie und fragte, was es gebe. Darauf sagte der Schah, dass der rote Drache um das grösste aller bisher geraubten Kinder bitte. »Das grösste ist krank,« sagte der Peri. »Dann schicke das kleinste,« sagte der Schah. »Dieses ist aber um Wasser gegangen,« sagte der Araber. »Wenn es so ist,« sagte der Schah, »dann will er dich.« Darauf ging der Araber mit den Worten »ich komme in den Kiosk;« der Schah hingegen kehrte auf dem Rücken des Drachen zum roten Drachen zurück und erzählte ihm, wie er seine Sache ausgeführt hatte.
Inzwischen erschien auch der Araber, in jeder Hand einen Knüttel haltend, seine Füsse steckten in drei Ellen langen hölzernen Pantoffeln, auf dem Kopfe trug er eine Mütze von der Grosse eines Minarets. Der rote Drache sprach ihn folgendermassen an: »Ei, mein lieber Hyacinther! die Kinder des Schah sind bei dir, gib sie wieder zurück.« Darauf erwiderte der Araber: »Ich habe bloss einen Wunsch, wenn der Schah mir diesen erfüllt, so gebe ich ihm alle seine Kinder, die ich übrigens alle schön erzogen habe, wieder zurück.« Ich habe vor zehn Jahren einem Padischah seinen Sohn geraubt; als er zwölf Jahre alt war, entlockte mir ihn die Mutter eines Dew namens Porsuk, durch ihre Zauberkünste. Sie lässt täglich vom Knaben Wasser aus der Quelle holen und gibt ihm täglich einen Aschenkuchen zu essen und zwingt ihn ein Glas voll Menschenblut zu trinken. Wenn ich diesen Jüngling von dort befreien kann, so will ich nichts anderes mehr, denn ich habe auf der ganzen Welt noch keinen solch‘ schönen Jüngling gesehen. Dieser Porsuk Dew hat einen Sohn, der mich liebt, und man hat mir deshalb dieses Böse zugefügt, weil ich diesen Knaben nicht mochte. Ich weiss, dass die Kinder dieses Schahs sehr tapfer sind, und habe sie deshalb gestohlen, damit ich dadurch meine Schmerzen lindere. Wenn ihr mir diesen Wunsch erfüllen werdet, so werde auch ich euren erfüllen.
Nach diesen Worten kehrte er sich um und ging fort. Der rote Drache dachte ein wenig nach und sprach dann also: »Mein Sohn, fürchte nicht, dieser Dew ist nicht besonders tapfer, aber in der Hexerei ist er bewandert. Durch Zauberkraft kann man ihm nicht beikommen. Er hat die Gewohnheit einen Tag im Jahre nicht zu zaubern und nur an diesem einen Tage könnte man ihm beikommen. Du wirst jetzt noch einen Monat warten, bis dahin werde ich den bestimmten Tag schon erfahren und dann ihn dir mitteilen.« Der Schah war damit einverstanden, und da die Märchenzeit schnell vergeht, wartete er einen Monat, während welcher Zeit der rote Drache seine Söhne mit dem Auftrage wegschickte, diesen Tag des Dew zu erfahren. Kaum hatten sie diesen Tag in Erfahrung gebracht, liess auch schon der Drache den Schah rufen und gab ihm den Tag an, an welchem der Dew keine Zaubereien ausübt und an welchem Tag er nicht einmal aufsteht, sondern fortwährend schläft. »Wenn du hingehst«, so unterrichtete ihn der Drache, »wird der neben ihm stehende Jüngling eben Wasser aus der Quelle schöpfen; auf dem Kopfe trägt er eine Mütze und wenn du ihm diese Kappe vom Kopfe herunternimmst und sie dir aufsetzt, so kann sich der Jüngling nicht vom Platze rühren und du kannst dann mit ihm machen, was du willst.«
Nach diesen Worten liess er einen seiner Söhne rufen und beauftragte ihn, den Schah zur Quelle des Porsuk-Dews zu führen und dort zu warten, bis der Schah seine Sache mit dem Jüngling erledigt haben wird, worauf er beide wieder zu ihm zurückbringen solle. Der Drachensohn führte den Schah zur Quelle und als sie sich seitwärts versteckten, kam der Knabe den Krug in der Hand und begab sich zur Quelle. Während er nun den Krug mit Wasser füllte, hob sich der Schah von seinem Platze, trat plötzlich zum Knaben hin, riss ihm die Mütze vom Kopfe und setzte sie auf sein eigenes Haupt. Der Knabe blickte rings um sich her und da er niemanden sah, so wusste er nicht, was mit ihm vorgehe. Der Drache jedoch ergriff beide und führte sie zu seiner Mutter. Diese rief, mit einem Peitschenhiebe auf die Erde losschlagend, den Hyacinthen-Araber herbei, der sofort erschien und als er den Knaben erblickte, stürzte er auf ihn los, umarmte ihn und dankte freudig, dass man seinen Wunsch erfüllte.
Nun klatschte er in die Hände und stampfte mit dem Fuss auf die Erde, da erschienen alle vierzig Kinder des Schah und flogen girrend herbei. Darauf nahm der Araber eine Flasche hervor und als er sie bespritzte, verwandelten sich die vierzig Vögel teils in Mädchen, teils in Knaben, im Alter von zehn, fünfzehn und zwanzig Jahren, eines schöner als das andere und stellten sich vor ihnen in Reih‘ und Glied auf. »Nun mein Schah,« sagte der Araber, »hier hast du deine Kinder, nimm sie hin und sei glücklich mit ihnen; mir aber verzeihe, dass du durch mich so viel gelitten hattest«. Hätte jetzt jemand vom Schah das Kostbarste verlangt, mit Freuden hätte er es hingegeben, so freute er sich, seine Kinder wiedergefunden zu haben; er verzieh dem Hyacinthen-Araber vom ganzen Herzen.
Dann verabschiedete er sich vom roten Drachen und als er die Kinder zu sich rief um mit ihnen abzureisen, riss der rote Drache ein Haar hinter seinem Ohre heraus und übergab es dem Schah mit folgenden Worten: »Nimm dies an und wenn dich irgend ein Leid treffen sollte, reisse dieses Haar entzwei, dann werde ich dir zu Hilfe eilen«. Hierauf machte sich der Schah mit seinen Kindern auf den Weg und langte bald beim schwarzen Drachen an. Während nun der Schah mit dem Drachen sprach, riss auch dieser ein Haar hinter seinem Ohre heraus und übergab es ihm mit folgenden Worten: »Verheirate deine Kinder auf einmal und wenn du sie in der Brautnacht mit diesem Haare anräucherst, dann bist du für immerdar von Porsuk-Dew befreit.« Nachdem sich der Schah beim Drachen bedankte und sich von ihm verabschiedet hatte, trat er seine Rückreise an.
Als er nun seine Reise fortsetzend von den Aufregungen erschöpft teils ruhte, teils sich mit den Kindern unterhaltend über mancherlei Dinge sprach, erhob sich plötzlich ein fürchterlicher Sturm und ein Gewitter. Weder der Schah, noch seine Kinder wussten, was mit ihnen geschehen wird. Endlich liess sich eine seiner Töchter folgendermassen vernehmen: »Liebes Väterchen, mein Schah! Ich habe vom Hyacinther gehört, dass so oft der Prosuk-Dew irgendwo hingeht, ein solches Unwetter ausbricht, wie beim jüngsten Gericht. Ich glaube, dass kein anderer als er kommt.« Der Schah nahm sich zusammen und riss das ihm vom roten Drachen übergebene Haar entzwei. Unterdessen stürzte der Porsuk-Dew wie ein Weiher vom Himmel herab und gerade im selben Augenblicke, als er den Schah bei den Haaren erfasst, da stand auch schon die Peitsche schwingend der Drache da, und wie dieser nun den Dew mit seinen Armen umfasste und seine Nase berührte, da wurde der Dew machtlos. Der Schah erschrak ausserordentlich, aus Furcht seine erst vor kurzem wiedergefundenen Kinder etwa wieder zu verlieren. Allein der Drache sprach zu ihm: »Fürchte dich nicht, mein Schah, sondern pack diese Peitsche an.« Damit umklammerten sie dieselbe, hieben damit einmal in die Luft und hatten dann das Gefühl, als ob sie fliegen würden. Als sie sich dann wieder zur Erde herunterliessen, sahen sie die Stadt des Schahs vor sich. Nun sagte der Drache zu ihnen: »Jetzt fürchtet euch nicht mehr,« und ging dann fort.
Der Schah ging, bevor er mit seinen Kindern langsam fortschreitend das Tor der Stadt erreichte, einige Schritte voran. Als die vor dem Tore stehenden ihn erblickten, warfen sie sich ihm zu Füssen und weinten vor Freude. Denn seitdem der Padischah das Seraj verlassen hatte, jammerten sie fortwährend um ihn. Sämtliche Bejs und Paschahs der Stadt kamen ihm samt ihren Kindern entgegen. Sämtliche Bewohner des Seraj, sowie auch die Sultanin, als sie den Schah mit seinen Kindern erblickten, fielen vor Freude von einer Ohnmacht in die andere. Die Mutter umarmte und küsste der Reihe nach ihre Kinder. Der Schah liess in seiner grenzenlosen Freude über seine wiedergefundenen Kinder, für jedes einzelne je sieben Tage und sieben Nächte dauernde Festlichkeiten und Unterhaltungen veranstalten und nachdem er für seine Söhne je ein Mädchen, für seine Töchter je einen Mann gefunden hatte, wurde wieder vierzig Tage und vierzig Nächte Hochzeit gefeiert.
Er vergass jedoch als die Brautnacht heranrückte, sie mit dem Drachenhaar zu beräuchern. Als sich nun jeder in sein Zimmer zurückgezogen hatte und der Schah unterdessen beim Fenster seines Kiosk sitzend vor sich hinsah, da fiel plötzlich ein solcher Regen nieder, dass sich alles in Finsternis hüllte und gleichzeitig erhob sich ein so furchtbarer Sturm, dass Staub und Sand durch einander wirbelten. Der Schah war anfangs der Meinung, dass es sich bloss um einen grossen Regen handle, später aber fiel ihm der Porsuk-Dew ein, worauf er infolgedessen fürchterlich zu schreien begann. In dem nun entstandenen Lärm kamen die Bewohner des Seraj, sowie auch seine Kinder herbei. Der Padischah übergab dem Wezir das Haar des Drachen und rief ihm zu, er möge dasselbe sofort verbrennen. Man wusste nicht, was eigentlich geschah und glaubte daher, dass der Schah seinen Verstand verloren hätte, nichtsdestoweniger erfüllte man seinen Wunsch und verbrannte das Drachenhaar.
Darauf ertönte im Garten ein fürchterliches Geheul, denn der Porsuk-Dew rief schreiend aus: »Padischah, du hast mich verbrennen lassen, es möge daher in deinem Garten niemals wieder ein Grashalm grünen.« Sprachs und entfernte sich darauf. Als man nun im Königspalaste des Morgens erwachte und aufstand, waren sämtliche im Garten stehende Bäume und Blumen versengt, wie wenn sie durch eine Feuersbrunst vernichtet worden wären.
Der Schah jedoch kümmerte sich wenig um diesen Verlust, ihn entschädigten dafür die Freuden über seine Kinder, die er nun wiedersehen konnte. Darauf erklärte er seinen Führern alles Geschehene, die sich vor Überraschung kaum fassen konnten. Der Schah verbrachte indessen samt seinen Kindern bis an’s Lebensende glückliche Jahre.
[Asien: Türkei. Märchen der Welt]