1
(2)
Es war einmal ein armer Holzfäller und dessen Sohn. Der arme Mann wurde eines Tages krank und sprach also zu seinem Sohne: »Wenn ich sterbe, so setze mein Handwerk fort und gehe jeden Tag hinaus in den Wald. Du kannst jeden Baum fällen, welchen du eben willst; nur den einen Baum, der sich am Waldesrande befindet, den schone.« Nach einigen Tagen starb er und ward beerdigt.
Der Jüngling ging jeden Tag in den Wald, fällte Bäume, verkaufte sie und nur den einen Baum schonte er. Er kam eines Tages in die Nähe dieses Baumes und dachte sich, was für eine Bewandtnis es doch mit diesem Baume haben könne, dass er ihn nicht anrühren dürfe. Er besah sich ihn lange, bis er sein Beil ergriff und den Baum zu fällen begann. Aber als ob der Baum Füsse gehabt hätte, so entfernte er sich vom Jünglinge. Der Holzfäller bestieg seinen Esel und trabte dem Baume nach, aber er konnte ihn nicht erreichen, während es inzwischen Abend ward. Er band seinen Esel an einen Baum, er selbst stieg hinauf und waltete dort den Morgen.
Am nächsten Tag stieg er vom Baume herab und sah, dass von seinem Esel nur noch die Knochen übrig waren. »Tut nichts, wenn ich auch zu Fuss gehen muss,« sagte der Holzfäller und lief dem Cypressenbaume nach. Den ganzen Tag verfolgt er ihn, kann ihn aber nicht erreichen. Auch am dritten Tage nahm er sein Beil zur Hand und als er dem Baume nachlaufen wollte, standen plötzlich vor ihm eine Schlange und ein Elefant, die mit einander kämpfen. Um die Wahrheit zu sagen, es ist ja ohnehin nicht wahr, kurz, den Elefanten verschlang die Schlange. Sie schlang ihn hinab, das ist wahr, aber seine grossen Zähne blieben ihr im Rachen stecken und als der Jüngling die beiden Tiere erblickte, baten sie ihn, er möchte ihnen helfen. Der Elefant versprach ihm alles mögliche, wenn er die Schlange töte. »Nur den Zahn brich ihm ab,« sagte die Schlange, »die Arbeit ist leichter, der Lohn dafür grösser.« Der Jüngling liess sich überreden und hieb mit dem Beile den Zahn des Elefanten ab. Die Schlange bedankte sich bei ihm, er solle mit ihr kommen, damit sie ihm den versprochenen Lohn gebe.
Auf dem Wege blieb die Schlange bei einer Quelle stehen und sprach also zum Jüngling: »Warte hier, bis ich mich bade und was immer geschieht, so erschrick du nicht.« Kaum dass die Schlange in das Wasser schlüpfte, entstand ein so arger Sturm, ein so furchtbarer Orkan, dass Blitz auf Blitz, Donner auf Donner folgte, als ob das letzte Gericht bevorstehen würde. Bald wurde alles wieder ruhig und aus der Schlange wurde ein Mensch, mit dem er weiterzog.
Sie zogen lange herum, tranken Kaffee, rauchten, säeten Veilchen und als sie sich ihrer Heimat näherten, sprach der Schlangen-Peri zum Jüngling: »Bald erreichen wir das Haus meiner Mutter. Wenn sich die Pforte öffnet, so nenne ich dich Bruder und rufe dich in das Haus. Man wird dir Kaffee geben, aber nimm ihn nicht an; man wird dir Speisen geben, aber rühr‘ sie nicht an; ein kleines Spiegelstück befindet sich neben dem Tore, das verlange von meiner Mutter.«
Sie erreichten das Haus und als der Peri an der Türe klopfte, öffnete dieselbe seine Mutter. »Komm Bruder,« rief er dem Jüngling zu. »Wer ist dein Bruder?« fragte ihn seine Mutter. »Der, welcher mir das Leben gerettet hat,« sagte der Jüngling und erzählte seiner Mutter das Ereignis. Sie traten nun in’s Haus hinein, die Frau brachte dem Jüngling den Kaffee und den Tschibuk, aber er nahm es nicht an. »Ich habe Eile,« sagte der Jüngling, »ich kann nicht lange hier verweilen.« »Raste wenigstens,« meinte die Frau, »einen Gast können wir nicht ohne etwas entlassen.« »Ich brauche nichts; neben dem Tore ist ein Spiegelstückchen, wenn du mir es gibst, so nehme ich es an!« sagte der Jüngling. Die Frau hätte es ihm nicht gegeben, aber ihr Sohn zeigte Zorn darüber, dass sie seinem Lebensretter nicht einmal ein Spiegelstückchen geben wolle. Sie gab es ihm nicht gerne, aber sie gab es ihm doch.
Der Jüngling zog nun mit dem Spiegelstückchen von dannen und besah dasselbe unterwegs von allen Seiten, welchen Nutzen es ihm wohl brächte. Wie er es nun herumdreht und hineinschaute, stand plötzlich ein arabischer Geist vor ihm, dessen eine Lippe am Himmel, die andere auf der Erde war. Der arme Jüngling erschrak so gewaltig, dass wenn der Araber nicht gesprochen hätte: »Was befiehlst du, mein Sultan?« er vielleicht davon gelaufen wäre. Er wagte kaum zu sagen, dass er Speisen wünsche. Im Nu befanden sich vor ihm herrliche Speisen, wie er solche bei seinem Holzfäller-Vater nie gesehen hatte.
Der Jüngling ward nun auf den Spiegel neugierig und als er wieder hineinblickte, stand wieder der Araber vor ihm. »Was befiehlst du, mein Sultan?« fragte er. In der Eile stotterte der Jüngling etwas von einem Palaste. Ein so schöner Palast erhob sich nun vor ihm, dass selbst der des Padischah nicht schöner sein konnte. »Trag ihn weg!« befahl der Jüngling, worauf der Palast verschwand. Der Jüngling freute sich nun über seinen Spiegel und dachte an nichts anderes, als was er sich wünschen solle. Es fiel ihm die schöne Sultanstochter, des Padischahs Töchterlein ein, und im nächsten Augenblick blickte er schon in den Spiegel hinein. Er wünschte sich jetzt vom grosslippigen Araber einen schönen Palast, worin die weltschöne Tochter des Padischahs und er selbst neben ihr sei. Er blickte kaum auf, so sass er schon in einem schönen Palaste, an der Seite der Sultanstochter. Sie herzten und küssten sich und lebten glückselig in die Welt hinein.
Inzwischen erfuhr der Padischahs dass seine Tochter aus dem Palaste verschwunden sei. Er liess das ganze Land durchsuchen, schickte überall Boten aus, aber vergeblich war die Mühe, die Maid wurde nicht gefunden. Da kam eine alte Frau zum Padischah und sagte ihm, er möge eine Kiste machen lassen, dieselbe inwendig verzinnen, sie hineinsetzen und dann in’s Meer werfen. Sie würde dann die Sultanstochter finden, wenn nicht hier, so jenseits des Meeres. Die grosse Kiste wurde verfertigt, die alte Frau hineingesetzt, ihr auf einige Tage Esswaaren mitgegeben und dann in’s Meer geworfen. Von Woge zu Woge trieb sich die Kiste hin, bis sie endlich zu der Stadt gelangte, wo die Sultanstochter mit dem Jüngling lebte.
Die Fischer standen dort am Meeresufer und erblickten die Kiste draussen auf dem Meere. Mit Angeln und Seilen zogen sie dieselbe an’s Ufer und als sie geöffnet wurde, kroch eine alte Frau heraus. Man frug sie, wie sie dahin gelangt sei. »O, dass das Auge meines Feindes erblinde!« begann die Alte ihre Klagen. »Das habe ich von ihm nicht verdient!« Und sie begann zu weinen, so dass alle Leute ihren Worten Glauben schenkten. »Wo ist der Bej eurer Stadt; vielleicht erbarmt er sich meiner und nimmt mich in sein Haus auf?« fragte sie die Leute. Man zeigte ihr den Palast und ermutigte sie hineinzugehen, vielleicht dass man sich ihrer dort erbarme.
Die Alte ging zum Palast hin und als sie am Tore klopfte, rief ihr die Sultanstochter von oben zu, was sie wolle? Die Alte erkannte sofort die Maid und als ob sie sie nicht kennen würde, flehte sie, man möge ihr einen Dienst geben. »Abends kommt mein Gatte heim,« sagte die Maid, »bis dann zieh‘ dich in einen Winkel zurück.« Der Gatte erlaubte es ihr, die Alte in’s Haus aufzunehmen und am nächsten Tage wartete sie schon als Dienerin auf.
Die Frau befand sich schon einen Tag, zwei Tage, eine Woche, zwei Wochen im Palaste, ohne dass sie einen Koch, oder einen Diener gesehen hätte, obwohl Speisen in Fülle vorhanden waren und überall die grösste Reinlichkeit herrschte. Einmal ging die Alte hinauf zur Maid und fragte sie, ob sie sich denn den ganzen Tag allein nicht langweile? »Wenn du es erlaubst, so würde ich die Zeit bei dir zubringen, vielleicht wäre es so besser!« sagte die Alte. »Ich werde meinen Gatten fragen!« sagte die Maid. Der Jüngling hatte nichts dagegen und so gelangte die Alte hinauf in’s Gemach der Maid, um ihr die Zeit zu vertreiben. Eines Tages fragte sie die Maid, woher sie die Speisen nehmen und wer im Hause bediene. Die Maid wusste nichts vom Spiegelstückchen und konnte daher der Alten auch nichts sagen. »Frage es von deinem Gatten,« sagte die Alte und kaum kehrte der Jüngling heim, so schmeichelte sie ihm so lange, bis er ihr den Spiegel zeigte.
Nur dies wollte die alte Frau. Ein, zwei Tage vergingen, am dritten aber und am vierten Tage sagte sie der Maid, sie solle von ihrem Gatten das Spiegelstückchen verlangen, sie würde sich damit die Zeit gar gut vertreiben. Sie verlangte also von ihrem Gatten den Spiegel und erhielt ihn auch. Die alte Frau hatte unterdessen nicht geruht. Sie erfuhr den Ort, wo die Maid den Spiegel aufbewahrte, sie stahl ihn weg und als sie in denselben hineinblickte, erschien vor ihr der Araber. »Was ist dein Befehl?« fragte er die Alte. »Führ‘ mich und die Maid in den Palast ihres Vaters,« so lautete ihr erster Befehl. Dann liess sie ihn den Palast des Jünglings einäschern und als nun des Holzfällers Sohn heimkehrte, so wärmte sich nur seine Katze an der Asche des Palastes. Einige Speisen hatte sie noch bei sich, die ihr die Sultanstochter hingeworfen hatte. Der Jüngling steckte die Speisenüberreste in seinen Sack und machte sich auf den Weg um seine Gattin aufzusuchen, selbst wenn sie sich am Ende der Welt befände. Er schweifte so lange herum, bis er endlich in seine Heimat, in die Stadt seiner Gattin gelangte. Er ging zum Palaste hin und flehte so inständig zum Koch, dass er ihn neben sich in die Küche aufnehme, dass dieser ihn aus blossem Mitleid aufnahm. Nach einigen Tagen erfuhr er von den Palastleuten, dass die Sultanstochter heimgekehrt sei.
Eines Tages fühlte sich der Koch unwohl, das Kochen war ihm beschwerlich. Dies bemerkte der Jüngling und sagte ihm, er möge sich ausruhen und ihn kochen lassen. Der Koch willigte ein und sagte ihm, was und wie et kochen solle. Der Jüngling machte sich also an’s Kochen und als man die Speisen auftrug, legte er jene Speisenüberreste, die er einst bei der Asche seines Palastes gefunden hatte, auf den Teller der Maid. Kaum dass diese sie erblickte, so ahnte sie sogleich, dass ihr Gemahl sich in der Nähe befinde. Sie liess den Koch herbeirufen und fragte ihn, wer neben ihm in der Küche sei. Anfangs leugnete dieser, schliesslich aber gestand er, dass ein armer Jüngling sich bei ihm befinde. Die Maid eilte nun zu ihrem Vater und teilte ihm mit, dass ein armer Junge sich in der Küche befinde, der den Kaffee so gut bereite, dass sie ihn gerne zu ihrem Kaffeesieder haben möchte. Der Jüngling musste ihr, von diesem Tage an, den Kaffee kochen und ihn zu ihr hinauftragen. Sie kamen also wieder zusammen und sie erzählte nun dem Gatten, wer die Hand im Spiele gehabt habe. Sie berieten sich, auf welche Weise sie das Spiegelstückchen wieder erlangen könnten.
Der Jüngling besuchte so lange die Maid, bis es der alten Frau auffiel Damit wir die Sache nicht in die Länge ziehen, kurz, die Alte erkannte den Jüngling, blickte in den Spiegel hinein und liess ihn zur Asche seines alten Palastes zurücktragen. Seine Katze kauerte noch immer in der Asche. Wenn sie hungrig war, fing sie sich Mäuse und richtete eine solche Verheerung unter ihnen an, dass dem Mäuse-Padischah kaum noch Soldaten übrig blieben. Der Padischah kümmerte sich darüber gar sehr, aber seine Leute wagten es nicht gegen die Katze aufzutreten.
Eines Tages erblickte er den Jüngling, lief zu ihm hin und bat ihn, er möge ihm helfen, denn in kurzer Zeit gehe sein Reich zu Grunde. »Ich möchte dir ja helfen« sagte der Jüngling, »aber ich selbst habe Elend genug am Halse.« »Was quält dich?« fragte ihn der Padischah der Mäuse. Der Jüngling erzählte ihm nun die Geschichte vom Spiegelstückchen, dass man es ihm gestohlen habe und teilte ihm mit, wer es besitze. »Da lässt sich noch helfen,« sagte der Mäuse- Padischah und rief sogleich alle Mäuse der Welt zusammen. Er fragte sie, wer von ihnen in jenem Palaste hause, wer die alte Frau und das Spiegelstückchen kenne. Eine lahme Maus hinkte heran, küsste die Erde vor dem Padischah und sagte, dass sie aus dem betreffenden Schranke sich Speisen hole. Sie habe auch das Spiegelstückchen gesehen, das die Alte jeden Abend unter ihren Polster verstecke.
Der Padischah befahl ihr sogleich das Spiegelstöckchen zu stehlen. Zwei Gefährten verlangte sie sich zur Begleitung, sie setzte sich dann auf den Rücken des einen und so eilten sie zur alten Frau hin. Es war bereits Abend, als sie dort anlangten; die Alte nachtmahlte eben gemütlich. »Wir kommen gerade zur rechten Zeit,« sagte die lahme Maus, »auch uns wird etwas von den Speisen abfallen!« Sie schlichen sich in die Stube hinein, sättigten sich und warteten auf die Nacht. Sie besprachen ihren Plan und als sich die alte Frau niederlegte, warteten die drei Mäuse, bis sie eingeschlafen war. Kaum dass sie in Schlaf sank, so kroch die lahme Maus hinauf in’s Bett zur Alten und wedelte mit ihrem Schweife an der Nase herum. »Hepssi, hepssi!« nieste die Frau so gewaltig, dass ihr Kopf beinahe vom Rumpfe sprang. »Hepssi, hepssi!« dort lauerten die beiden anderen Mäuse, zogen das Spiegelstückchen unter dem Polster hervor, hoben die Lahme auf ihren Rücken und eilten von dannen.
Der Jüngling freute sich gar sehr über den Spiegel, nahm die Katze mit sich, damit sie unter den Mäusen keinen Schaden anrichte, und zog dann davon. Bald nahm er das Spiegelstückchen hervor, blickte hinein und: »Was befiehlst du, mein Sultan?« der Araber stand vor ihm. Der Jüngling verlangte goldene Kleider und ein grosses Soldatenheer. Er blickte um sich, vor ihm lagen die schönen Kleider, er zog sie an; vor ihm stand ein schönes Ross, er bestieg es; ihm folgte ein grosses Heer nach und also zog er in seine Stadt. Als er daselbst anlangte, blieb er vor dem Palaste stehen, den er von seinen Soldaten umringen liess. Ei, wie erschrak beim Anblick des grossen Heeres der Padischah.
Der Jüngling trat zu ihm ein und verlangte von ihm die Maid zur Frau. In seiner Angst und Freude gab er ihm nicht nur die Maid, sondern auch sein ganzes Reich. Die alte Frau liessen sie vom grosslippigen Araber forttragen, sie selbst aber leben in Glückseligkeit im herrlichen Königreiche. Bei ihnen ist der Zauberspiegel, der Helfer in jeder Not.
Der Jüngling ging jeden Tag in den Wald, fällte Bäume, verkaufte sie und nur den einen Baum schonte er. Er kam eines Tages in die Nähe dieses Baumes und dachte sich, was für eine Bewandtnis es doch mit diesem Baume haben könne, dass er ihn nicht anrühren dürfe. Er besah sich ihn lange, bis er sein Beil ergriff und den Baum zu fällen begann. Aber als ob der Baum Füsse gehabt hätte, so entfernte er sich vom Jünglinge. Der Holzfäller bestieg seinen Esel und trabte dem Baume nach, aber er konnte ihn nicht erreichen, während es inzwischen Abend ward. Er band seinen Esel an einen Baum, er selbst stieg hinauf und waltete dort den Morgen.
Am nächsten Tag stieg er vom Baume herab und sah, dass von seinem Esel nur noch die Knochen übrig waren. »Tut nichts, wenn ich auch zu Fuss gehen muss,« sagte der Holzfäller und lief dem Cypressenbaume nach. Den ganzen Tag verfolgt er ihn, kann ihn aber nicht erreichen. Auch am dritten Tage nahm er sein Beil zur Hand und als er dem Baume nachlaufen wollte, standen plötzlich vor ihm eine Schlange und ein Elefant, die mit einander kämpfen. Um die Wahrheit zu sagen, es ist ja ohnehin nicht wahr, kurz, den Elefanten verschlang die Schlange. Sie schlang ihn hinab, das ist wahr, aber seine grossen Zähne blieben ihr im Rachen stecken und als der Jüngling die beiden Tiere erblickte, baten sie ihn, er möchte ihnen helfen. Der Elefant versprach ihm alles mögliche, wenn er die Schlange töte. »Nur den Zahn brich ihm ab,« sagte die Schlange, »die Arbeit ist leichter, der Lohn dafür grösser.« Der Jüngling liess sich überreden und hieb mit dem Beile den Zahn des Elefanten ab. Die Schlange bedankte sich bei ihm, er solle mit ihr kommen, damit sie ihm den versprochenen Lohn gebe.
Auf dem Wege blieb die Schlange bei einer Quelle stehen und sprach also zum Jüngling: »Warte hier, bis ich mich bade und was immer geschieht, so erschrick du nicht.« Kaum dass die Schlange in das Wasser schlüpfte, entstand ein so arger Sturm, ein so furchtbarer Orkan, dass Blitz auf Blitz, Donner auf Donner folgte, als ob das letzte Gericht bevorstehen würde. Bald wurde alles wieder ruhig und aus der Schlange wurde ein Mensch, mit dem er weiterzog.
Sie zogen lange herum, tranken Kaffee, rauchten, säeten Veilchen und als sie sich ihrer Heimat näherten, sprach der Schlangen-Peri zum Jüngling: »Bald erreichen wir das Haus meiner Mutter. Wenn sich die Pforte öffnet, so nenne ich dich Bruder und rufe dich in das Haus. Man wird dir Kaffee geben, aber nimm ihn nicht an; man wird dir Speisen geben, aber rühr‘ sie nicht an; ein kleines Spiegelstück befindet sich neben dem Tore, das verlange von meiner Mutter.«
Sie erreichten das Haus und als der Peri an der Türe klopfte, öffnete dieselbe seine Mutter. »Komm Bruder,« rief er dem Jüngling zu. »Wer ist dein Bruder?« fragte ihn seine Mutter. »Der, welcher mir das Leben gerettet hat,« sagte der Jüngling und erzählte seiner Mutter das Ereignis. Sie traten nun in’s Haus hinein, die Frau brachte dem Jüngling den Kaffee und den Tschibuk, aber er nahm es nicht an. »Ich habe Eile,« sagte der Jüngling, »ich kann nicht lange hier verweilen.« »Raste wenigstens,« meinte die Frau, »einen Gast können wir nicht ohne etwas entlassen.« »Ich brauche nichts; neben dem Tore ist ein Spiegelstückchen, wenn du mir es gibst, so nehme ich es an!« sagte der Jüngling. Die Frau hätte es ihm nicht gegeben, aber ihr Sohn zeigte Zorn darüber, dass sie seinem Lebensretter nicht einmal ein Spiegelstückchen geben wolle. Sie gab es ihm nicht gerne, aber sie gab es ihm doch.
Der Jüngling zog nun mit dem Spiegelstückchen von dannen und besah dasselbe unterwegs von allen Seiten, welchen Nutzen es ihm wohl brächte. Wie er es nun herumdreht und hineinschaute, stand plötzlich ein arabischer Geist vor ihm, dessen eine Lippe am Himmel, die andere auf der Erde war. Der arme Jüngling erschrak so gewaltig, dass wenn der Araber nicht gesprochen hätte: »Was befiehlst du, mein Sultan?« er vielleicht davon gelaufen wäre. Er wagte kaum zu sagen, dass er Speisen wünsche. Im Nu befanden sich vor ihm herrliche Speisen, wie er solche bei seinem Holzfäller-Vater nie gesehen hatte.
Der Jüngling ward nun auf den Spiegel neugierig und als er wieder hineinblickte, stand wieder der Araber vor ihm. »Was befiehlst du, mein Sultan?« fragte er. In der Eile stotterte der Jüngling etwas von einem Palaste. Ein so schöner Palast erhob sich nun vor ihm, dass selbst der des Padischah nicht schöner sein konnte. »Trag ihn weg!« befahl der Jüngling, worauf der Palast verschwand. Der Jüngling freute sich nun über seinen Spiegel und dachte an nichts anderes, als was er sich wünschen solle. Es fiel ihm die schöne Sultanstochter, des Padischahs Töchterlein ein, und im nächsten Augenblick blickte er schon in den Spiegel hinein. Er wünschte sich jetzt vom grosslippigen Araber einen schönen Palast, worin die weltschöne Tochter des Padischahs und er selbst neben ihr sei. Er blickte kaum auf, so sass er schon in einem schönen Palaste, an der Seite der Sultanstochter. Sie herzten und küssten sich und lebten glückselig in die Welt hinein.
Inzwischen erfuhr der Padischahs dass seine Tochter aus dem Palaste verschwunden sei. Er liess das ganze Land durchsuchen, schickte überall Boten aus, aber vergeblich war die Mühe, die Maid wurde nicht gefunden. Da kam eine alte Frau zum Padischah und sagte ihm, er möge eine Kiste machen lassen, dieselbe inwendig verzinnen, sie hineinsetzen und dann in’s Meer werfen. Sie würde dann die Sultanstochter finden, wenn nicht hier, so jenseits des Meeres. Die grosse Kiste wurde verfertigt, die alte Frau hineingesetzt, ihr auf einige Tage Esswaaren mitgegeben und dann in’s Meer geworfen. Von Woge zu Woge trieb sich die Kiste hin, bis sie endlich zu der Stadt gelangte, wo die Sultanstochter mit dem Jüngling lebte.
Die Fischer standen dort am Meeresufer und erblickten die Kiste draussen auf dem Meere. Mit Angeln und Seilen zogen sie dieselbe an’s Ufer und als sie geöffnet wurde, kroch eine alte Frau heraus. Man frug sie, wie sie dahin gelangt sei. »O, dass das Auge meines Feindes erblinde!« begann die Alte ihre Klagen. »Das habe ich von ihm nicht verdient!« Und sie begann zu weinen, so dass alle Leute ihren Worten Glauben schenkten. »Wo ist der Bej eurer Stadt; vielleicht erbarmt er sich meiner und nimmt mich in sein Haus auf?« fragte sie die Leute. Man zeigte ihr den Palast und ermutigte sie hineinzugehen, vielleicht dass man sich ihrer dort erbarme.
Die Alte ging zum Palast hin und als sie am Tore klopfte, rief ihr die Sultanstochter von oben zu, was sie wolle? Die Alte erkannte sofort die Maid und als ob sie sie nicht kennen würde, flehte sie, man möge ihr einen Dienst geben. »Abends kommt mein Gatte heim,« sagte die Maid, »bis dann zieh‘ dich in einen Winkel zurück.« Der Gatte erlaubte es ihr, die Alte in’s Haus aufzunehmen und am nächsten Tage wartete sie schon als Dienerin auf.
Die Frau befand sich schon einen Tag, zwei Tage, eine Woche, zwei Wochen im Palaste, ohne dass sie einen Koch, oder einen Diener gesehen hätte, obwohl Speisen in Fülle vorhanden waren und überall die grösste Reinlichkeit herrschte. Einmal ging die Alte hinauf zur Maid und fragte sie, ob sie sich denn den ganzen Tag allein nicht langweile? »Wenn du es erlaubst, so würde ich die Zeit bei dir zubringen, vielleicht wäre es so besser!« sagte die Alte. »Ich werde meinen Gatten fragen!« sagte die Maid. Der Jüngling hatte nichts dagegen und so gelangte die Alte hinauf in’s Gemach der Maid, um ihr die Zeit zu vertreiben. Eines Tages fragte sie die Maid, woher sie die Speisen nehmen und wer im Hause bediene. Die Maid wusste nichts vom Spiegelstückchen und konnte daher der Alten auch nichts sagen. »Frage es von deinem Gatten,« sagte die Alte und kaum kehrte der Jüngling heim, so schmeichelte sie ihm so lange, bis er ihr den Spiegel zeigte.
Nur dies wollte die alte Frau. Ein, zwei Tage vergingen, am dritten aber und am vierten Tage sagte sie der Maid, sie solle von ihrem Gatten das Spiegelstückchen verlangen, sie würde sich damit die Zeit gar gut vertreiben. Sie verlangte also von ihrem Gatten den Spiegel und erhielt ihn auch. Die alte Frau hatte unterdessen nicht geruht. Sie erfuhr den Ort, wo die Maid den Spiegel aufbewahrte, sie stahl ihn weg und als sie in denselben hineinblickte, erschien vor ihr der Araber. »Was ist dein Befehl?« fragte er die Alte. »Führ‘ mich und die Maid in den Palast ihres Vaters,« so lautete ihr erster Befehl. Dann liess sie ihn den Palast des Jünglings einäschern und als nun des Holzfällers Sohn heimkehrte, so wärmte sich nur seine Katze an der Asche des Palastes. Einige Speisen hatte sie noch bei sich, die ihr die Sultanstochter hingeworfen hatte. Der Jüngling steckte die Speisenüberreste in seinen Sack und machte sich auf den Weg um seine Gattin aufzusuchen, selbst wenn sie sich am Ende der Welt befände. Er schweifte so lange herum, bis er endlich in seine Heimat, in die Stadt seiner Gattin gelangte. Er ging zum Palaste hin und flehte so inständig zum Koch, dass er ihn neben sich in die Küche aufnehme, dass dieser ihn aus blossem Mitleid aufnahm. Nach einigen Tagen erfuhr er von den Palastleuten, dass die Sultanstochter heimgekehrt sei.
Eines Tages fühlte sich der Koch unwohl, das Kochen war ihm beschwerlich. Dies bemerkte der Jüngling und sagte ihm, er möge sich ausruhen und ihn kochen lassen. Der Koch willigte ein und sagte ihm, was und wie et kochen solle. Der Jüngling machte sich also an’s Kochen und als man die Speisen auftrug, legte er jene Speisenüberreste, die er einst bei der Asche seines Palastes gefunden hatte, auf den Teller der Maid. Kaum dass diese sie erblickte, so ahnte sie sogleich, dass ihr Gemahl sich in der Nähe befinde. Sie liess den Koch herbeirufen und fragte ihn, wer neben ihm in der Küche sei. Anfangs leugnete dieser, schliesslich aber gestand er, dass ein armer Jüngling sich bei ihm befinde. Die Maid eilte nun zu ihrem Vater und teilte ihm mit, dass ein armer Junge sich in der Küche befinde, der den Kaffee so gut bereite, dass sie ihn gerne zu ihrem Kaffeesieder haben möchte. Der Jüngling musste ihr, von diesem Tage an, den Kaffee kochen und ihn zu ihr hinauftragen. Sie kamen also wieder zusammen und sie erzählte nun dem Gatten, wer die Hand im Spiele gehabt habe. Sie berieten sich, auf welche Weise sie das Spiegelstückchen wieder erlangen könnten.
Der Jüngling besuchte so lange die Maid, bis es der alten Frau auffiel Damit wir die Sache nicht in die Länge ziehen, kurz, die Alte erkannte den Jüngling, blickte in den Spiegel hinein und liess ihn zur Asche seines alten Palastes zurücktragen. Seine Katze kauerte noch immer in der Asche. Wenn sie hungrig war, fing sie sich Mäuse und richtete eine solche Verheerung unter ihnen an, dass dem Mäuse-Padischah kaum noch Soldaten übrig blieben. Der Padischah kümmerte sich darüber gar sehr, aber seine Leute wagten es nicht gegen die Katze aufzutreten.
Eines Tages erblickte er den Jüngling, lief zu ihm hin und bat ihn, er möge ihm helfen, denn in kurzer Zeit gehe sein Reich zu Grunde. »Ich möchte dir ja helfen« sagte der Jüngling, »aber ich selbst habe Elend genug am Halse.« »Was quält dich?« fragte ihn der Padischah der Mäuse. Der Jüngling erzählte ihm nun die Geschichte vom Spiegelstückchen, dass man es ihm gestohlen habe und teilte ihm mit, wer es besitze. »Da lässt sich noch helfen,« sagte der Mäuse- Padischah und rief sogleich alle Mäuse der Welt zusammen. Er fragte sie, wer von ihnen in jenem Palaste hause, wer die alte Frau und das Spiegelstückchen kenne. Eine lahme Maus hinkte heran, küsste die Erde vor dem Padischah und sagte, dass sie aus dem betreffenden Schranke sich Speisen hole. Sie habe auch das Spiegelstückchen gesehen, das die Alte jeden Abend unter ihren Polster verstecke.
Der Padischah befahl ihr sogleich das Spiegelstöckchen zu stehlen. Zwei Gefährten verlangte sie sich zur Begleitung, sie setzte sich dann auf den Rücken des einen und so eilten sie zur alten Frau hin. Es war bereits Abend, als sie dort anlangten; die Alte nachtmahlte eben gemütlich. »Wir kommen gerade zur rechten Zeit,« sagte die lahme Maus, »auch uns wird etwas von den Speisen abfallen!« Sie schlichen sich in die Stube hinein, sättigten sich und warteten auf die Nacht. Sie besprachen ihren Plan und als sich die alte Frau niederlegte, warteten die drei Mäuse, bis sie eingeschlafen war. Kaum dass sie in Schlaf sank, so kroch die lahme Maus hinauf in’s Bett zur Alten und wedelte mit ihrem Schweife an der Nase herum. »Hepssi, hepssi!« nieste die Frau so gewaltig, dass ihr Kopf beinahe vom Rumpfe sprang. »Hepssi, hepssi!« dort lauerten die beiden anderen Mäuse, zogen das Spiegelstückchen unter dem Polster hervor, hoben die Lahme auf ihren Rücken und eilten von dannen.
Der Jüngling freute sich gar sehr über den Spiegel, nahm die Katze mit sich, damit sie unter den Mäusen keinen Schaden anrichte, und zog dann davon. Bald nahm er das Spiegelstückchen hervor, blickte hinein und: »Was befiehlst du, mein Sultan?« der Araber stand vor ihm. Der Jüngling verlangte goldene Kleider und ein grosses Soldatenheer. Er blickte um sich, vor ihm lagen die schönen Kleider, er zog sie an; vor ihm stand ein schönes Ross, er bestieg es; ihm folgte ein grosses Heer nach und also zog er in seine Stadt. Als er daselbst anlangte, blieb er vor dem Palaste stehen, den er von seinen Soldaten umringen liess. Ei, wie erschrak beim Anblick des grossen Heeres der Padischah.
Der Jüngling trat zu ihm ein und verlangte von ihm die Maid zur Frau. In seiner Angst und Freude gab er ihm nicht nur die Maid, sondern auch sein ganzes Reich. Die alte Frau liessen sie vom grosslippigen Araber forttragen, sie selbst aber leben in Glückseligkeit im herrlichen Königreiche. Bei ihnen ist der Zauberspiegel, der Helfer in jeder Not.
[Asien: Türkei. Märchen der Welt]