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Wie es oft geschah, regierte ein König in einem Lande; er hatte eine Königin und mit ihr zwei Kinder, welche Sigurd und Ingibjörg hießen. Bevor noch diese erwachsen und aus den kindlichen Jahren gekommen waren, starb die Königin, ihre Mutter.
Der König war über den Verlust seiner Königin sehr betrübt, so daß er für gar nichts Theilnahme hatte, sondern immer nur seine Frau beweinte und lange bei ihrer Begräbnißstätte saß.
Als so einige Zeit verstrichen war, kamen seine Minister zu ihm und legten ihm nahe, daß er seinem Kummer ein Ende machen müsse und dies am ehesten zu Stande bringe, wenn er sich auf’s Neue um eine Frau umsähe, sei es selbst oder durch Abgesandte. Sie machten ihm auch Vorstellungen, wie sehr die ganze Regierung des Reiches wegen seines übermäßigen Kummers in Unordnung gerathe und dieser Zustand nicht mehr länger andauern könne. Der König sah ein, daß dies ganz richtig sei; er gab seine Zustimmung, daß Abgesandte in andere Länder fahren und eine Frau für ihn werben sollten und rüstete Schiffe und Mannschaft aus.
Als die Abgesandten auf die hohe See hinaus gekommen waren, entstand ein großer Sturm; sie verirrten sich, so daß sie nicht mehr wußten, wohin sie steuerten, und sich ganz dem Winde überließen. Endlich stießen sie doch auf ein Land, welches sie aber nicht kannten.
Die Anführer stiegen an’s Land, um dasselbe zu erforschen, und ließen die Mannschaft zur Bewachung der Schiffe zurück. Sie sahen hier nichts, was einer Menschenwohnung glich, und glaubten daher, daß dieses Land unbewohnt sei. Endlich aber entdeckten sie doch ein Gehöft, das jedoch aus ärmlichen Hütten bestand.
Sie gingen nun auf dieses Gehöft zu, um zu sehen, ob dort ein menschliches Wesen wohne oder nicht. Sie fanden ein Weib, welches bereits ziemlich bejahrt, aber doch noch ganz hübsch war. Dasselbe fragte sie, wer sie seien, und woher sie kämen.
Sie gaben über Alles gewissenhaft Bescheid und erzählten freiwillig, was der Zweck ihrer Reise sei.
Sie erfuhren nun auch, was für ein Land es sei, in welches sie gekommen waren; doch wird der Name desselben nicht erwähnt.
Das Weib meinte, sie hätten wenig Glück gehabt, da sie in ein Land kämen, wo keine Aussicht vorhanden sei, sich ihres Geschäftes zu entledigen.
Da es bereits Abend geworden war und das Wetter schlecht zu werden begann, baten die Abgesandten des Königs das Weib, es möchte ihnen Nachtherberge gewähren.
Dasselbe schwankte Anfangs, indem es sagte, daß ihre schlechten Hütten durchaus nicht für Leute eingerichtet seien, welche gewohnt wären, in Königshallen zu sitzen. Auf ihr wiederholtes und eindringliches Bitten ließ es sich endlich doch bewegen, ihren Wunsch zu erfüllen.
Das Weib ließ die Leute des Königs eintreten; und da gab es nicht wenig Erstaunen und Bewunderung unter ihnen; denn diese Herberge schien ihnen eher königlichen Sälen als ärmlichen Hütten zu gleichen.
Nach einer Weile deckte das Weib den Tisch für sie und setzte ihnen Leckerbissen vor, wie sich solche nur für Könige geziemen.
Während des Essens fragten sie die Wirthin unter Anderem, ob sie ganz allein auf diesem Hofe wohne.
Sie meinte, daß man dies wohl sagen könne; doch habe sie ihre Tochter bei sich, aber nur damit sie an ihr einen Zeitvertreib besitze.
Nun baten die Leute des Königs, daß sie das Mädchen sehen dürften.
Nur ungern und mit Mühe und Noth ließ sie sich endlich dazu herbei und führte das Mädchen zu ihnen. Aber sowie die Männer dasselbe erblickten, waren sie fast geblendet von seiner Schönheit, und es schien ihnen so reizend zu sein, daß sie mit Gewißheit darauf rechnen konnten, daß es auch dem König gefallen würde, wenn sie es mit sich nähmen.
Sie warben deshalb unverweilt im Namen des Königs um die Hand des Mädchens.
Das ältere Weib nahm ihre Rede für einen Scherz und antwortete ebenso, es wäre wahrscheinlich oder doch annehmbarer, daß der König an einer Häuslerstochter größeren Gefallen finden könne. Sie sagte weiters, daß es für solche und ähnliche Weiber aus armen Hütten besser sei, nicht zu solchen Würden zu gelangen, da sie darauf gefaßt sein müßten, wegen ihrer Unwissenheit und Ungeschliffenheit die Ehren bald wieder mit Schande zu verlieren.
Aber die Gesandten des Königs bestanden nur um so fester auf ihrem Verlangen, und als das Weib sah, daß es ihr voller Ernst war, versprach es endlich, dem König die Tochter zum Weibe zu geben und sie mit ihnen fahren zu lassen, jedoch unter der Bedingung, daß sie, wenn der König sie nicht haben wollte, dieselbe wieder zurückbringen müßten.
Dies versprachen sie, und sie schliefen sodann die Nacht hindurch.
Am nächsten Morgen verlangten die Leute des Königs, daß das Mädchen mit ihnen zu den Schiffen komme. Die Mutter war damit einverstanden, die Tochter ziehen zu lassen, sowie ihr Bischen Habe, das sie mitnehmen müsse, zum Meere hinab gebracht sei.
Es wurde nun das Gepäck des Mädchens herbei gebracht, und die Abgesandten mußten ihre ganze Schiffsmannschaft herbeirufen, um dasselbe zum Meere hinabbringen zu lassen; so groß war »das Bischen« Habe, welches das Mädchen mit sich nahm.
Als dies geschehen war, folgten Mutter und Tochter den Leuten des Königs zum Meeresstrande. Dieselben sprachen leise zusammen, und die Leute konnten nicht verstehen, was sie sagten; nur Einer hörte, daß das ältere Weib sagte, man solle ihr den Stein schicken.
Als sie bei den Schiffen angekommen waren, sagte die Mutter des Mädchens, daß sie hier zurückbleiben wolle, küßte ihre Tochter und wünschte Allen Glück und Wohlergehen.
Hierauf lichteten sie die Anker und stachen in das Meer hinaus. Sie hatten eine gute Fahrt und landeten nicht weit vom Königsschlosse.
Der König erfuhr sogleich, daß seine Abgesandten angekommen seien. Er ging denselben mit zahlreichem Gefolge entgegen und empfing sie freundlich. Ueberaus erfreut aber war er, als er die zukünftige Königin erblickte, die sie ihm verschafft hatten, denn dieselbe war schöner und feiner in den Manieren, als alle anderen Mädchen, welche je seine Augen gesehen hatten.
Der König ging nun mit der ganzen Schaar nach der Halle und es wurde ein großes Festmahl für die Angekommenen veranstaltet. Kurze Zeit darauf heirathete der König das Mädchen und liebte seine Frau sehr.
Bald nachdem der König diese neue Königin geheirathet hatte, war er gezwungen, in ein anderes Königreich zu ziehen; er ließ seine Schiffe zur Fahrt ausrüsten, und da er voraussetzte, daß er lange ausbleiben würde, bat er die Königin mit den eindringlichsten Worten, seine Kinder gut zu behandeln und freundlich gegen sie zu sein.
Die Königin versprach es ihm gerne.
Als guter Wind eintraf, segelte der König fort und er kommt nun längere Zeit in der Geschichte nicht vor.
Wir müssen wieder zurück zur neuen Königin.
Eines Tages, als schönes Wetter war, ging dieselbe zu den Königskindern Sigurd und Ingibjörg, und lud sie ein, mit ihr zum Strande des Meeres zu gehen, um sich zu erlustigen.
Die Kinder wollten jedoch nicht mit ihr gehen; denn sie trauten dieser ihrer Stiefmutter nicht.
Die Königin stellte sich, als ob sie darüber erzürnt wäre, und sagte, sie habe das Recht, dies mit Gewalt zu fordern, wenn sie es nicht freiwillig thun wollten.
Da blieb den Kindern nichts Anderes übrig, als mit ihr zu gehen.
Sie gingen alsdann alle drei zum Meere hinab und wandelten eine kurze Strecke längs des Strandes dahin, bis sie zu einem großen Stein kamen, der am Ufer lag; derselbe schien jedoch nur ein Stein zu sein, denn er war dem übrigen Gestein, welches am Strande herumlag, ganz ungleich. Die Königin blieb also bei diesem Steine stehen und sagte zu demselben:
»Oeffne dich!«
Da öffnete sich der Stein und im selben Augenblick stieß die Königin die beiden Königskinder in denselben hinein, schloß ihn wieder und wälzte ihn in das Meer hinein. Hierauf kehrte die Königin wieder in das Schloß zurück und kommt nun längere Zeit in der Geschichte nicht vor.
Wir bleiben jetzt eine Weile bei den Königskindern. Dieselben bemerkten, daß der Stein mit großer Gewalt dahin getrieben wurde, und es dauerte unglaublich lange, bis er endlich ruhig liegen blieb. Da vermuthete Sigurd, daß der Stein irgendwo an’s Land gekommen sein müsse. Es kam ihm der Gedanke, ob er nicht das Gleiche thun könne wie die Königin, und sagte:
»Oeffne dich!«
Da öffnete sich der Stein und Sigurd sah nun, daß derselbe am Ufer eines Landes lag.
Die beiden Kinder stiegen aus dem Steine an’s Land, und dasselbe schien ihnen unbewohnt zu sein, denn sie suchten vergebens nach einer Hütte oder einem anderen Zufluchtsorte. Da beschlossen sie denn, selbst eine kleine Hütte für sich zu erbauen, in der sie sich aufhalten könnten.
Sigurd war früher gewohnt gewesen auf die Jagd zu gehen, und als die Geschwister mit der Königin, ihrer Stiefmutter, fortgingen, hatte Sigurd heimlich eine Schußwaffe, ein Messer und eine Flöte zu sich gesteckt. Diese Gegenstände kamen ihnen nun sehr zu Nutzen.
Sigurd versuchte Wild und Vögel zu schießen, welche ihnen zur Speise dienen sollten, und es gelang ihm auch ganz gut; doch fehlte es ihnen jetzt an Feuer, um die erlegten Thiere zu sieden oder zu braten, und so befanden sie sich denn in einer sehr bitteren Lage.
Eines Tages begab sich Sigurd, wie öfter, landeinwärts, um Wild und Vögel zu jagen, und ging diesmal viel weiter, als er es sonst gewöhnt war. Da gewahrte er in der Ferne ein ganz kleines Gehöft und ging auf dasselbe zu. Er sah hier keinen Menschen und kein anderes lebendes Wesen und kletterte darum zu dem Rauchloch der Küche empor, um durch dasselben hinab zu schauen und vielleicht etwas Näheres zu erfahren.
Da sah er ein altes Weib, welches damit beschäftigt war, die Asche von dem Herde wegzunehmen und dieselbe zwischen seine Füße zu schaufeln. Die Person ging dabei sehr unreinlich zu Werke, wie ja auch sie selbst sehr schmutzig und häßlich war. Aus ihrem ganzen Benehmen glaubte Sigurd zugleich schließen zu können, daß sie blind sein müsse.
Er beschloß daher zu versuchen, ob er nicht in die Hütte hineinschleichen und der Alten heimlich einen ganz kleinen Feuerfunken stehlen könne. Dies that er denn auch, und es ging Alles ohne Schwierigkeit von Statten; die Alte bemerkte ihn nicht, und er glaubte annehmen zu können, daß sie auf dem Hofe ganz allein sei.
Sigurd eilte nun mit dem Feuer heim zu seiner Schwester und diese empfing ihn mit Freuden. Er bat sie auf das Eindringlichste, gut auf das Feuer acht zu geben und es nicht verlöschen zu lassen. Aber die Königstochter war nicht gewöhnt, Feuer zu hüten, und dasselbe ging daher bei ihr in jeder Nacht aus, so daß Sigurd jeden Tag wieder neues Feuer holen mußte, wobei er immer auf die gleiche Weise vorging.
Die Geschwister lebten dort einige Zeit von dem, was Sigurd auf seinen Jagden erbeutete. Es ging ihnen regelmäßig jede Nacht das Feuer aus, und regelmäßig gelang es Sigurd wieder solches der Alten zu entwenden. Bisweilen hörte er jedoch, daß dieselbe, wenn er das Feuer genommen hatte, vor sich hin murmelte:
»Spät kommen sie, die Teufelskinder.«
Sigurd vermuthete, daß diese Rede ihm und seiner Schwester gelte, welche auf so wunderbare Weise dahingekommen waren. Er hatte daher immer große Furcht, wenn er bei dem Weibe war, und hielt jedesmal den Athem an, wenn er das Feuer nahm. Das aber schien ihm das Allerschlimmste zu sein, daß seine Schwester ihn unablässig mit der Bitte bestürmte, er möchte ihr versprechen, daß er sie einmal mit dahin gehen lasse, von wo er das Feuer hole; denn er wußte, daß sie sich nicht zurückhalten könne, über Alles laut aufzulachen; andererseits wieder konnte er es schwer über sich bringen, ihr etwas abzuschlagen, das er im Stande war, ihr zu gewähren. Sie drängte so lange in ihn, daß er endlich nachgeben und ihr versprechen mußte, sie dahin mitzunehmen. Sie mußte ihm jedoch geloben, sich durch nichts zum Lachen oder zu irgend einem Laute bringen zu lassen, was immer sie auch sehen oder hören möge; denn es stehe ihrer beiden Leben dabei auf dem Spiele, sagte er.
So machten sich denn eines Tages die beiden Geschwister auf den Weg zu dem Hofe. Als sie dahin kamen, stiegen sie beide leise zum Rauchloch empor, wie Sigurd es immer zu thun pflegte. Dies ging auch ganz gut. Als sie nun aber durch das Loch in die Küche hinab schauten, da kam es, wie zu erwarten war. Die abscheuliche Alte stand vor dem Herde und spreizte die Füße über die Aschengrube, welche ziemlich groß war. Sie war ganz mit Asche bestäubt, da sie damit beschäftigt war, die Asche vom Herde wegzufegen und zwischen ihre Füße zu werfen, wobei ganze Wolken empor wirbelten. Da konnte sich die Königstochter nicht länger zurückhalten, sondern lachte laut auf, oben beim Rauchloch.
Da sagte das alte Weib:
»Hä, hä, dahin sind sie also gekommen, die Teufelskinder!«
Bei diesen Worten erhob sich die Alte und polterte hinaus. Sie war jetzt so flink auf den Füßen, daß die Kinder ihr nicht entkommen konnten, obschon sie eilig davon laufen wollten; denn die Königstochter mußte noch immer lachen; die Alte kam ihr ja gar zu lächerlich vor, besonders auch, als sie zu laufen anfing.
Das Weib holte die beiden Geschwister bald ein und führte sie an einem Zügel in ihre Hütte hinein. Hier stellte sie dieselben in eine Art von Verschlag, welches ihr Schweinestall war, und band sie jedes an einen Pfosten. Sie gab ihnen gutes und reichliches Essen; aber dennoch erschien den beiden Geschwistern das Leben langweilig; denn es war in der Hütte halbfinster und roch schlecht. Außerdem wurden sie auch dadurch beunruhigt, daß das alte Weib öfter leicht in ihre Finger biß und sagte:
»Sie sind noch nicht fett genug.«
Sie trachteten nun auf jede Weise sich zu befreien; doch dies war keine leichte Sache. Nach langen Mühen gelang es Sigurd endlich, das Band an der einen Hand zu zerbeißen; er konnte zu seinem Messer gelangen, und mit diesem zerschnitt er die übrigen Bande an sich sowohl, wie an seiner Schwester. Hierauf schlachteten die beiden Geschwister zwei Schweine der Alten, zogen ihnen die Haut ab, und krochen selbst in die Bälge.
Des Morgens ließ die Alte wie gewöhnlich die Schweine in’s Freie und zählte sie vorher. Unter ihnen waren aber die Königskinder. Sowie dieselben den Klauen des Weibes entronnen waren, warfen sie die Schweinsbälge von sich und sahen, wie die Alte in dem Stalle herumzutasten begann, als sie die beiden Kinder nicht fand. Darüber lachte Ingibjörg laut auf, so daß die Alte nun wußte, daß die Kinder ihr entkommen waren. Diese eilten aus allen Kräften davon, als sie hörten und sahen, daß das Weib hinter ihnen nachgelaufen kam. Sie kamen zu einer Kluft, über welche sie hinweg springen konnten. Die Alte raste ihnen nach, da sie aber blind war, sah sie die Kluft nicht und dachte auch in Folge ihrer Raserei nicht daran, daß dieselbe sich hier befand, sie stürzte daher kopfüber hinein und brach den Hals. Wenige betrauerten ihren Tod, am Wenigsten aber die beiden Geschwister. Diese waren im Gegentheil sehr erfreut; denn sie hatten jetzt Ruhe vor dieser Hexe.
Nur Eines betrübte die Königskinder, und dies war, daß sie beide ganz allein in diesem öden Lande leben mußten. Sie dachten sich daher auf jede Weise die Zeit zu vertreiben, und Sigurd setzte sich, wenn er auf der Jagd war, oft nieder und blies lange und lange auf der Flöte.
Eines Tages ereignete es sich, daß die Königskinder auf dem Meere ein Schiff sahen, welches nicht weit vom Lande dahin segelte. Da strengte sich Sigurd so sehr er nur konnte an, um recht laut auf seiner Flöte zu blasen. Die Schiffe nahmen die Richtung gegen das Land und nun waren die Geschwister nicht wenig glücklich; Sigurd strengte sich noch mehr an, so laut als möglich zu blasen.
Eines von den Schiffen legte am Strande an, die anderen aber blieben in einiger Entfernung vom Lande.
Da gab es keine geringe Freude; denn auf diesem Schiffe war der Vater der beiden Geschwister. Er stieg mit wenigen Männern an’s Land und Vater und Kinder erkannten einander sogleich. Diese stürzten demselben freudetrunken in die Arme, er aber war auf’s Höchste erstaunt, seine Kinder hier in diesem öden, unbewohnten Lande zu finden; denn er wußte nicht, was sich inzwischen zu Hause ereignet hatte.
Keiner von den Leuten des Königs hatte aber mit ihm an dieses Land fahren wollen, da sie glaubten, daß hier böse Geister hausten und das Flötenspiel für eine Art Gesang von Meerweibern hielten, welche die Flotte des Königs in’s Verderben ziehen wollten, wenn sie sich durch den Gesang hätte anlocken lassen. Darum blieben auch die übrigen Schiffe in einiger Entfernung vom Lande liegen, während das Schiff des Königs allein an’s Land fuhr.
Der König fragte die Kinder, wie so es komme, daß sie sich hier befänden. Da erzählten sie ihm Alles, was sie darüber wußten, sowie ihre Schicksale, seit sie in dieses Land gekommen waren.
Der König nahm die Kinder mit sich auf das Schiff und verbot seinen Leuten, das Geringste von diesem Ereignisse bekannt werden zu lassen. Hierauf ließ er die Flotte wieder weiter segeln und zwar direct seinem Reiche zu, wo er an einem besonders gewählten Orte landete und die Kinder vorläufig verborgen hielt.
Nun kam die Königin ihrem Manne entgegen und empfing ihn mit größter Freundlichkeit.
Der König zeigte sich nicht sehr erfreut und fragte, warum denn seine Kinder nicht gekommen seien, um ihn zu empfangen, wie es immer ihre Gewohnheit war.
Die Königin bat ihn, nicht davon zu sprechen, und begann zu jammern und zu weinen. Sein Land sei von einer bößartigen Krankheit heimgesucht worden und dieselbe habe auch seine »lieben Kinder« trotz ihrer und Anderer Pflege und Fürsorge dahingerafft.
Niemand aber wagte es, den Worten der Königin zu widersprechen, so gut hatte sie früher Alles vorbereitet.
Der König stellte sich, als ob er über diese Nachricht sehr betrübt wäre; diejenigen aber, welche ihn genauer kannten, bemerkten, daß es ihm mit seinem Kummer nicht ernst war.
Er fragte die Königin, ob die Kinder begraben worden seien.
Halb weinend antwortete sie, daß dies geschehen sei.
Da wollte der König gleich zu ihren Grabstätten gehen, um sie zu sehen. Die Königin versuchte dies jedoch auf jede Weise zu verhindern, und sagte, daß dieser Anblick nur seinen Kummer vermehren würde. Sie sprach dabei in so süßen Worten und war so zärtlich gegen ihn, als sie nur konnte, so daß es Allen leid that, wie hartherzig der König war, der unerbittlich darauf bestand, die Grabstätten seiner Kinder zu sehen. Dieselben mußten ihm endlich gezeigt werden. Als er dahin kam, bewunderte er zwar die Schönheit derselben, konnte jedoch unmöglich weinen. Dies scheine ihm sehr seltsam zu sein, meinte er.
Der König begab sich hierauf mit seinem Gefolge heim in das Schloß, und die Königin ließ ein großes Freudenmahl für ihn veranstalten.
Es verstrich nun einige Zeit, in der der König jeden Tag zu den angeblichen Grabstätten seiner Kinder ging, ohne aber über denselben weinen zu können, und er sagte immer, daß er sich darüber wundere.
Endlich begehrte er, daß die Kinder wieder ausgegraben werden sollten, damit er – wie er sagte – die Leichen und deren Zurüstung sehen könne.
Die Königin beschwor ihn mit den zärtlichsten Worten, von diesem Vorhaben abzustehen; allein der König blieb auch diesmal unerbittlich und ließ die Gräber eröffnen. Es wurden die Särge herausgenommen, welche sehr prächtig waren. Aber der König wollte, daß auch diese geöffnet würden. Die Königin und viele Andere machten ihm abermals Vorstellungen, und sagten, daß dies ja den Kummer des Königs mehren müsse, wenn er seine Kinder oder vielmehr deren Leichen so lange Zeit nach ihrem Tode sehen würde.
Der König bestand nur um so fester auf seinem Verlangen, und die Särge wurden geöffnet. Da befand sich in jedem derselben die Leiche eines jungen Hundes, doch keine der Kinder.
Der König sagte, er sehe nun daß hier verbrecherischer Betrug im Spiele sei und er habe dies schon früher gewußt. Er wollte hierauf der Königin sogleich das Leben nehmen lassen. Diese gestand ihre ganze Unthat ein und bat den König um Gnabe. Sie habe ohnehin nur mehr kurze Zeit zu leben, sagte sie.
Es wurden nun die Kinder des Königs herbeigeführt und dieselben erzählten alle ihre Schicksale. Auch der König und seine Gefährten theilten jetzt mit, was sie erlebt hatten.
Die Königin erhielt von dem Könige, trotz der Einwendungen seiner Rathgeber, die kurze Lebensfrist bis zu ihrem Tode, welcher auch bald darauf erfolgte. Und jetzt weiß ich die Geschichte nicht mehr weiter.
Der König war über den Verlust seiner Königin sehr betrübt, so daß er für gar nichts Theilnahme hatte, sondern immer nur seine Frau beweinte und lange bei ihrer Begräbnißstätte saß.
Als so einige Zeit verstrichen war, kamen seine Minister zu ihm und legten ihm nahe, daß er seinem Kummer ein Ende machen müsse und dies am ehesten zu Stande bringe, wenn er sich auf’s Neue um eine Frau umsähe, sei es selbst oder durch Abgesandte. Sie machten ihm auch Vorstellungen, wie sehr die ganze Regierung des Reiches wegen seines übermäßigen Kummers in Unordnung gerathe und dieser Zustand nicht mehr länger andauern könne. Der König sah ein, daß dies ganz richtig sei; er gab seine Zustimmung, daß Abgesandte in andere Länder fahren und eine Frau für ihn werben sollten und rüstete Schiffe und Mannschaft aus.
Als die Abgesandten auf die hohe See hinaus gekommen waren, entstand ein großer Sturm; sie verirrten sich, so daß sie nicht mehr wußten, wohin sie steuerten, und sich ganz dem Winde überließen. Endlich stießen sie doch auf ein Land, welches sie aber nicht kannten.
Die Anführer stiegen an’s Land, um dasselbe zu erforschen, und ließen die Mannschaft zur Bewachung der Schiffe zurück. Sie sahen hier nichts, was einer Menschenwohnung glich, und glaubten daher, daß dieses Land unbewohnt sei. Endlich aber entdeckten sie doch ein Gehöft, das jedoch aus ärmlichen Hütten bestand.
Sie gingen nun auf dieses Gehöft zu, um zu sehen, ob dort ein menschliches Wesen wohne oder nicht. Sie fanden ein Weib, welches bereits ziemlich bejahrt, aber doch noch ganz hübsch war. Dasselbe fragte sie, wer sie seien, und woher sie kämen.
Sie gaben über Alles gewissenhaft Bescheid und erzählten freiwillig, was der Zweck ihrer Reise sei.
Sie erfuhren nun auch, was für ein Land es sei, in welches sie gekommen waren; doch wird der Name desselben nicht erwähnt.
Das Weib meinte, sie hätten wenig Glück gehabt, da sie in ein Land kämen, wo keine Aussicht vorhanden sei, sich ihres Geschäftes zu entledigen.
Da es bereits Abend geworden war und das Wetter schlecht zu werden begann, baten die Abgesandten des Königs das Weib, es möchte ihnen Nachtherberge gewähren.
Dasselbe schwankte Anfangs, indem es sagte, daß ihre schlechten Hütten durchaus nicht für Leute eingerichtet seien, welche gewohnt wären, in Königshallen zu sitzen. Auf ihr wiederholtes und eindringliches Bitten ließ es sich endlich doch bewegen, ihren Wunsch zu erfüllen.
Das Weib ließ die Leute des Königs eintreten; und da gab es nicht wenig Erstaunen und Bewunderung unter ihnen; denn diese Herberge schien ihnen eher königlichen Sälen als ärmlichen Hütten zu gleichen.
Nach einer Weile deckte das Weib den Tisch für sie und setzte ihnen Leckerbissen vor, wie sich solche nur für Könige geziemen.
Während des Essens fragten sie die Wirthin unter Anderem, ob sie ganz allein auf diesem Hofe wohne.
Sie meinte, daß man dies wohl sagen könne; doch habe sie ihre Tochter bei sich, aber nur damit sie an ihr einen Zeitvertreib besitze.
Nun baten die Leute des Königs, daß sie das Mädchen sehen dürften.
Nur ungern und mit Mühe und Noth ließ sie sich endlich dazu herbei und führte das Mädchen zu ihnen. Aber sowie die Männer dasselbe erblickten, waren sie fast geblendet von seiner Schönheit, und es schien ihnen so reizend zu sein, daß sie mit Gewißheit darauf rechnen konnten, daß es auch dem König gefallen würde, wenn sie es mit sich nähmen.
Sie warben deshalb unverweilt im Namen des Königs um die Hand des Mädchens.
Das ältere Weib nahm ihre Rede für einen Scherz und antwortete ebenso, es wäre wahrscheinlich oder doch annehmbarer, daß der König an einer Häuslerstochter größeren Gefallen finden könne. Sie sagte weiters, daß es für solche und ähnliche Weiber aus armen Hütten besser sei, nicht zu solchen Würden zu gelangen, da sie darauf gefaßt sein müßten, wegen ihrer Unwissenheit und Ungeschliffenheit die Ehren bald wieder mit Schande zu verlieren.
Aber die Gesandten des Königs bestanden nur um so fester auf ihrem Verlangen, und als das Weib sah, daß es ihr voller Ernst war, versprach es endlich, dem König die Tochter zum Weibe zu geben und sie mit ihnen fahren zu lassen, jedoch unter der Bedingung, daß sie, wenn der König sie nicht haben wollte, dieselbe wieder zurückbringen müßten.
Dies versprachen sie, und sie schliefen sodann die Nacht hindurch.
Am nächsten Morgen verlangten die Leute des Königs, daß das Mädchen mit ihnen zu den Schiffen komme. Die Mutter war damit einverstanden, die Tochter ziehen zu lassen, sowie ihr Bischen Habe, das sie mitnehmen müsse, zum Meere hinab gebracht sei.
Es wurde nun das Gepäck des Mädchens herbei gebracht, und die Abgesandten mußten ihre ganze Schiffsmannschaft herbeirufen, um dasselbe zum Meere hinabbringen zu lassen; so groß war »das Bischen« Habe, welches das Mädchen mit sich nahm.
Als dies geschehen war, folgten Mutter und Tochter den Leuten des Königs zum Meeresstrande. Dieselben sprachen leise zusammen, und die Leute konnten nicht verstehen, was sie sagten; nur Einer hörte, daß das ältere Weib sagte, man solle ihr den Stein schicken.
Als sie bei den Schiffen angekommen waren, sagte die Mutter des Mädchens, daß sie hier zurückbleiben wolle, küßte ihre Tochter und wünschte Allen Glück und Wohlergehen.
Hierauf lichteten sie die Anker und stachen in das Meer hinaus. Sie hatten eine gute Fahrt und landeten nicht weit vom Königsschlosse.
Der König erfuhr sogleich, daß seine Abgesandten angekommen seien. Er ging denselben mit zahlreichem Gefolge entgegen und empfing sie freundlich. Ueberaus erfreut aber war er, als er die zukünftige Königin erblickte, die sie ihm verschafft hatten, denn dieselbe war schöner und feiner in den Manieren, als alle anderen Mädchen, welche je seine Augen gesehen hatten.
Der König ging nun mit der ganzen Schaar nach der Halle und es wurde ein großes Festmahl für die Angekommenen veranstaltet. Kurze Zeit darauf heirathete der König das Mädchen und liebte seine Frau sehr.
Bald nachdem der König diese neue Königin geheirathet hatte, war er gezwungen, in ein anderes Königreich zu ziehen; er ließ seine Schiffe zur Fahrt ausrüsten, und da er voraussetzte, daß er lange ausbleiben würde, bat er die Königin mit den eindringlichsten Worten, seine Kinder gut zu behandeln und freundlich gegen sie zu sein.
Die Königin versprach es ihm gerne.
Als guter Wind eintraf, segelte der König fort und er kommt nun längere Zeit in der Geschichte nicht vor.
Wir müssen wieder zurück zur neuen Königin.
Eines Tages, als schönes Wetter war, ging dieselbe zu den Königskindern Sigurd und Ingibjörg, und lud sie ein, mit ihr zum Strande des Meeres zu gehen, um sich zu erlustigen.
Die Kinder wollten jedoch nicht mit ihr gehen; denn sie trauten dieser ihrer Stiefmutter nicht.
Die Königin stellte sich, als ob sie darüber erzürnt wäre, und sagte, sie habe das Recht, dies mit Gewalt zu fordern, wenn sie es nicht freiwillig thun wollten.
Da blieb den Kindern nichts Anderes übrig, als mit ihr zu gehen.
Sie gingen alsdann alle drei zum Meere hinab und wandelten eine kurze Strecke längs des Strandes dahin, bis sie zu einem großen Stein kamen, der am Ufer lag; derselbe schien jedoch nur ein Stein zu sein, denn er war dem übrigen Gestein, welches am Strande herumlag, ganz ungleich. Die Königin blieb also bei diesem Steine stehen und sagte zu demselben:
»Oeffne dich!«
Da öffnete sich der Stein und im selben Augenblick stieß die Königin die beiden Königskinder in denselben hinein, schloß ihn wieder und wälzte ihn in das Meer hinein. Hierauf kehrte die Königin wieder in das Schloß zurück und kommt nun längere Zeit in der Geschichte nicht vor.
Wir bleiben jetzt eine Weile bei den Königskindern. Dieselben bemerkten, daß der Stein mit großer Gewalt dahin getrieben wurde, und es dauerte unglaublich lange, bis er endlich ruhig liegen blieb. Da vermuthete Sigurd, daß der Stein irgendwo an’s Land gekommen sein müsse. Es kam ihm der Gedanke, ob er nicht das Gleiche thun könne wie die Königin, und sagte:
»Oeffne dich!«
Da öffnete sich der Stein und Sigurd sah nun, daß derselbe am Ufer eines Landes lag.
Die beiden Kinder stiegen aus dem Steine an’s Land, und dasselbe schien ihnen unbewohnt zu sein, denn sie suchten vergebens nach einer Hütte oder einem anderen Zufluchtsorte. Da beschlossen sie denn, selbst eine kleine Hütte für sich zu erbauen, in der sie sich aufhalten könnten.
Sigurd war früher gewohnt gewesen auf die Jagd zu gehen, und als die Geschwister mit der Königin, ihrer Stiefmutter, fortgingen, hatte Sigurd heimlich eine Schußwaffe, ein Messer und eine Flöte zu sich gesteckt. Diese Gegenstände kamen ihnen nun sehr zu Nutzen.
Sigurd versuchte Wild und Vögel zu schießen, welche ihnen zur Speise dienen sollten, und es gelang ihm auch ganz gut; doch fehlte es ihnen jetzt an Feuer, um die erlegten Thiere zu sieden oder zu braten, und so befanden sie sich denn in einer sehr bitteren Lage.
Eines Tages begab sich Sigurd, wie öfter, landeinwärts, um Wild und Vögel zu jagen, und ging diesmal viel weiter, als er es sonst gewöhnt war. Da gewahrte er in der Ferne ein ganz kleines Gehöft und ging auf dasselbe zu. Er sah hier keinen Menschen und kein anderes lebendes Wesen und kletterte darum zu dem Rauchloch der Küche empor, um durch dasselben hinab zu schauen und vielleicht etwas Näheres zu erfahren.
Da sah er ein altes Weib, welches damit beschäftigt war, die Asche von dem Herde wegzunehmen und dieselbe zwischen seine Füße zu schaufeln. Die Person ging dabei sehr unreinlich zu Werke, wie ja auch sie selbst sehr schmutzig und häßlich war. Aus ihrem ganzen Benehmen glaubte Sigurd zugleich schließen zu können, daß sie blind sein müsse.
Er beschloß daher zu versuchen, ob er nicht in die Hütte hineinschleichen und der Alten heimlich einen ganz kleinen Feuerfunken stehlen könne. Dies that er denn auch, und es ging Alles ohne Schwierigkeit von Statten; die Alte bemerkte ihn nicht, und er glaubte annehmen zu können, daß sie auf dem Hofe ganz allein sei.
Sigurd eilte nun mit dem Feuer heim zu seiner Schwester und diese empfing ihn mit Freuden. Er bat sie auf das Eindringlichste, gut auf das Feuer acht zu geben und es nicht verlöschen zu lassen. Aber die Königstochter war nicht gewöhnt, Feuer zu hüten, und dasselbe ging daher bei ihr in jeder Nacht aus, so daß Sigurd jeden Tag wieder neues Feuer holen mußte, wobei er immer auf die gleiche Weise vorging.
Die Geschwister lebten dort einige Zeit von dem, was Sigurd auf seinen Jagden erbeutete. Es ging ihnen regelmäßig jede Nacht das Feuer aus, und regelmäßig gelang es Sigurd wieder solches der Alten zu entwenden. Bisweilen hörte er jedoch, daß dieselbe, wenn er das Feuer genommen hatte, vor sich hin murmelte:
»Spät kommen sie, die Teufelskinder.«
Sigurd vermuthete, daß diese Rede ihm und seiner Schwester gelte, welche auf so wunderbare Weise dahingekommen waren. Er hatte daher immer große Furcht, wenn er bei dem Weibe war, und hielt jedesmal den Athem an, wenn er das Feuer nahm. Das aber schien ihm das Allerschlimmste zu sein, daß seine Schwester ihn unablässig mit der Bitte bestürmte, er möchte ihr versprechen, daß er sie einmal mit dahin gehen lasse, von wo er das Feuer hole; denn er wußte, daß sie sich nicht zurückhalten könne, über Alles laut aufzulachen; andererseits wieder konnte er es schwer über sich bringen, ihr etwas abzuschlagen, das er im Stande war, ihr zu gewähren. Sie drängte so lange in ihn, daß er endlich nachgeben und ihr versprechen mußte, sie dahin mitzunehmen. Sie mußte ihm jedoch geloben, sich durch nichts zum Lachen oder zu irgend einem Laute bringen zu lassen, was immer sie auch sehen oder hören möge; denn es stehe ihrer beiden Leben dabei auf dem Spiele, sagte er.
So machten sich denn eines Tages die beiden Geschwister auf den Weg zu dem Hofe. Als sie dahin kamen, stiegen sie beide leise zum Rauchloch empor, wie Sigurd es immer zu thun pflegte. Dies ging auch ganz gut. Als sie nun aber durch das Loch in die Küche hinab schauten, da kam es, wie zu erwarten war. Die abscheuliche Alte stand vor dem Herde und spreizte die Füße über die Aschengrube, welche ziemlich groß war. Sie war ganz mit Asche bestäubt, da sie damit beschäftigt war, die Asche vom Herde wegzufegen und zwischen ihre Füße zu werfen, wobei ganze Wolken empor wirbelten. Da konnte sich die Königstochter nicht länger zurückhalten, sondern lachte laut auf, oben beim Rauchloch.
Da sagte das alte Weib:
»Hä, hä, dahin sind sie also gekommen, die Teufelskinder!«
Bei diesen Worten erhob sich die Alte und polterte hinaus. Sie war jetzt so flink auf den Füßen, daß die Kinder ihr nicht entkommen konnten, obschon sie eilig davon laufen wollten; denn die Königstochter mußte noch immer lachen; die Alte kam ihr ja gar zu lächerlich vor, besonders auch, als sie zu laufen anfing.
Das Weib holte die beiden Geschwister bald ein und führte sie an einem Zügel in ihre Hütte hinein. Hier stellte sie dieselben in eine Art von Verschlag, welches ihr Schweinestall war, und band sie jedes an einen Pfosten. Sie gab ihnen gutes und reichliches Essen; aber dennoch erschien den beiden Geschwistern das Leben langweilig; denn es war in der Hütte halbfinster und roch schlecht. Außerdem wurden sie auch dadurch beunruhigt, daß das alte Weib öfter leicht in ihre Finger biß und sagte:
»Sie sind noch nicht fett genug.«
Sie trachteten nun auf jede Weise sich zu befreien; doch dies war keine leichte Sache. Nach langen Mühen gelang es Sigurd endlich, das Band an der einen Hand zu zerbeißen; er konnte zu seinem Messer gelangen, und mit diesem zerschnitt er die übrigen Bande an sich sowohl, wie an seiner Schwester. Hierauf schlachteten die beiden Geschwister zwei Schweine der Alten, zogen ihnen die Haut ab, und krochen selbst in die Bälge.
Des Morgens ließ die Alte wie gewöhnlich die Schweine in’s Freie und zählte sie vorher. Unter ihnen waren aber die Königskinder. Sowie dieselben den Klauen des Weibes entronnen waren, warfen sie die Schweinsbälge von sich und sahen, wie die Alte in dem Stalle herumzutasten begann, als sie die beiden Kinder nicht fand. Darüber lachte Ingibjörg laut auf, so daß die Alte nun wußte, daß die Kinder ihr entkommen waren. Diese eilten aus allen Kräften davon, als sie hörten und sahen, daß das Weib hinter ihnen nachgelaufen kam. Sie kamen zu einer Kluft, über welche sie hinweg springen konnten. Die Alte raste ihnen nach, da sie aber blind war, sah sie die Kluft nicht und dachte auch in Folge ihrer Raserei nicht daran, daß dieselbe sich hier befand, sie stürzte daher kopfüber hinein und brach den Hals. Wenige betrauerten ihren Tod, am Wenigsten aber die beiden Geschwister. Diese waren im Gegentheil sehr erfreut; denn sie hatten jetzt Ruhe vor dieser Hexe.
Nur Eines betrübte die Königskinder, und dies war, daß sie beide ganz allein in diesem öden Lande leben mußten. Sie dachten sich daher auf jede Weise die Zeit zu vertreiben, und Sigurd setzte sich, wenn er auf der Jagd war, oft nieder und blies lange und lange auf der Flöte.
Eines Tages ereignete es sich, daß die Königskinder auf dem Meere ein Schiff sahen, welches nicht weit vom Lande dahin segelte. Da strengte sich Sigurd so sehr er nur konnte an, um recht laut auf seiner Flöte zu blasen. Die Schiffe nahmen die Richtung gegen das Land und nun waren die Geschwister nicht wenig glücklich; Sigurd strengte sich noch mehr an, so laut als möglich zu blasen.
Eines von den Schiffen legte am Strande an, die anderen aber blieben in einiger Entfernung vom Lande.
Da gab es keine geringe Freude; denn auf diesem Schiffe war der Vater der beiden Geschwister. Er stieg mit wenigen Männern an’s Land und Vater und Kinder erkannten einander sogleich. Diese stürzten demselben freudetrunken in die Arme, er aber war auf’s Höchste erstaunt, seine Kinder hier in diesem öden, unbewohnten Lande zu finden; denn er wußte nicht, was sich inzwischen zu Hause ereignet hatte.
Keiner von den Leuten des Königs hatte aber mit ihm an dieses Land fahren wollen, da sie glaubten, daß hier böse Geister hausten und das Flötenspiel für eine Art Gesang von Meerweibern hielten, welche die Flotte des Königs in’s Verderben ziehen wollten, wenn sie sich durch den Gesang hätte anlocken lassen. Darum blieben auch die übrigen Schiffe in einiger Entfernung vom Lande liegen, während das Schiff des Königs allein an’s Land fuhr.
Der König fragte die Kinder, wie so es komme, daß sie sich hier befänden. Da erzählten sie ihm Alles, was sie darüber wußten, sowie ihre Schicksale, seit sie in dieses Land gekommen waren.
Der König nahm die Kinder mit sich auf das Schiff und verbot seinen Leuten, das Geringste von diesem Ereignisse bekannt werden zu lassen. Hierauf ließ er die Flotte wieder weiter segeln und zwar direct seinem Reiche zu, wo er an einem besonders gewählten Orte landete und die Kinder vorläufig verborgen hielt.
Nun kam die Königin ihrem Manne entgegen und empfing ihn mit größter Freundlichkeit.
Der König zeigte sich nicht sehr erfreut und fragte, warum denn seine Kinder nicht gekommen seien, um ihn zu empfangen, wie es immer ihre Gewohnheit war.
Die Königin bat ihn, nicht davon zu sprechen, und begann zu jammern und zu weinen. Sein Land sei von einer bößartigen Krankheit heimgesucht worden und dieselbe habe auch seine »lieben Kinder« trotz ihrer und Anderer Pflege und Fürsorge dahingerafft.
Niemand aber wagte es, den Worten der Königin zu widersprechen, so gut hatte sie früher Alles vorbereitet.
Der König stellte sich, als ob er über diese Nachricht sehr betrübt wäre; diejenigen aber, welche ihn genauer kannten, bemerkten, daß es ihm mit seinem Kummer nicht ernst war.
Er fragte die Königin, ob die Kinder begraben worden seien.
Halb weinend antwortete sie, daß dies geschehen sei.
Da wollte der König gleich zu ihren Grabstätten gehen, um sie zu sehen. Die Königin versuchte dies jedoch auf jede Weise zu verhindern, und sagte, daß dieser Anblick nur seinen Kummer vermehren würde. Sie sprach dabei in so süßen Worten und war so zärtlich gegen ihn, als sie nur konnte, so daß es Allen leid that, wie hartherzig der König war, der unerbittlich darauf bestand, die Grabstätten seiner Kinder zu sehen. Dieselben mußten ihm endlich gezeigt werden. Als er dahin kam, bewunderte er zwar die Schönheit derselben, konnte jedoch unmöglich weinen. Dies scheine ihm sehr seltsam zu sein, meinte er.
Der König begab sich hierauf mit seinem Gefolge heim in das Schloß, und die Königin ließ ein großes Freudenmahl für ihn veranstalten.
Es verstrich nun einige Zeit, in der der König jeden Tag zu den angeblichen Grabstätten seiner Kinder ging, ohne aber über denselben weinen zu können, und er sagte immer, daß er sich darüber wundere.
Endlich begehrte er, daß die Kinder wieder ausgegraben werden sollten, damit er – wie er sagte – die Leichen und deren Zurüstung sehen könne.
Die Königin beschwor ihn mit den zärtlichsten Worten, von diesem Vorhaben abzustehen; allein der König blieb auch diesmal unerbittlich und ließ die Gräber eröffnen. Es wurden die Särge herausgenommen, welche sehr prächtig waren. Aber der König wollte, daß auch diese geöffnet würden. Die Königin und viele Andere machten ihm abermals Vorstellungen, und sagten, daß dies ja den Kummer des Königs mehren müsse, wenn er seine Kinder oder vielmehr deren Leichen so lange Zeit nach ihrem Tode sehen würde.
Der König bestand nur um so fester auf seinem Verlangen, und die Särge wurden geöffnet. Da befand sich in jedem derselben die Leiche eines jungen Hundes, doch keine der Kinder.
Der König sagte, er sehe nun daß hier verbrecherischer Betrug im Spiele sei und er habe dies schon früher gewußt. Er wollte hierauf der Königin sogleich das Leben nehmen lassen. Diese gestand ihre ganze Unthat ein und bat den König um Gnabe. Sie habe ohnehin nur mehr kurze Zeit zu leben, sagte sie.
Es wurden nun die Kinder des Königs herbeigeführt und dieselben erzählten alle ihre Schicksale. Auch der König und seine Gefährten theilten jetzt mit, was sie erlebt hatten.
Die Königin erhielt von dem Könige, trotz der Einwendungen seiner Rathgeber, die kurze Lebensfrist bis zu ihrem Tode, welcher auch bald darauf erfolgte. Und jetzt weiß ich die Geschichte nicht mehr weiter.
[Island: Jos. Cal. Poestion: Isländische Märchen]