Bauer Friedrich brachte die letzte Fuhre Kartoffeln in die Scheune. Unsanft bollerten sie in die große Holzkiste, danach tuckerte er mit seinem Traktor in den Hof. Kurz darauf erschien Herr Friedrich noch einmal und stellte einen großen orangefarbenen Kürbis zu den kleineren auf den Fußboden. „Das wäre geschafft“, murmelte er und schloss das Scheunentor hinter sich.
Eine ganze Weile blieb es ruhig, bis ein zartes Stimmchen zu hören war: „Gehe runter von mir, du liegst auf meinem Gesicht.“
Jemand anderes kreischte schrill: „Ich bekomme keine Luft hier unten. Ich will sofort raus!“
Neugierig guckte der Kürbis zur Kiste hinüber und traute seinen Augen nicht. Die braunen Kartoffeln bewegten sich.
„Hey, ihr Nachtschattengewächse, was treibt ihr da?“
Für einen Moment wurde es wieder still, doch es dauerte nicht lange, bis sich die Kartoffeln erneut schubsten. Eine flog in hohem Bogen aus der Kiste und landete genau vor seinem runden Bauch.
„Pass´ doch auf, du ungeschickte Grumbirn, hättest mich beinahe getroffen. Hast du keine Augen im Kopf?“, herrschte er die unförmige Kartoffel an.
Die Kartoffel hatte Angst sich zu bewegen und bat den Kürbis um Entschuldigung.
„Sieh mich an, wenn ich mit dir rede“, kommandierte der Kürbis die Kartoffel herum.
„Ich kann nicht“, jammerte sie, „wenn ich meine Augen öffne, dann bekomme ich Sand rein. Das habe ich schon auf dem Acker probiert, aber das tat so furchtbar weh. Ich lasse sie lieber zu.“
„Erdapfel, falls du es noch nicht bemerkt hast, du bist nicht mehr auf dem Feld. Mache endlich deine Augen auf und sieh mich an“, schimpfte der Kürbis.
Vorsichtig begann die Kartoffel zu blinzeln, sie fasste ihren ganzen Mut zusammen und öffnete ihre Augen.
„Oh, du bist aber schön! Bist du einer von uns?“
„Du kleine Krumbiir, was bildest du dir eigentlich ein. Ich bin der König der Kürbisse und mein Name ist Kerwes. Und wie heißt du?“
„Äh, äh, ich glaube Charlotte Festkochend. Das hatte ich mal unter der Erde gehört, als der Bauer sich mit seiner Frau unterhielt.“
Die Zierkürbisse fingen furchtbar zu kichern an und meinten albern: „Charlotte Festkochend, was für ein ulkiger Name!“
„Willst du mich verärgern“, fragte Kerwes, „das ist doch kein Name. Nee, nee, nee, hier in der Scheune herrscht Ordnung. Wir werden dir einen schönen Namen aussuchen. Wie gefällt dir Beidat oder Bramburi?“
Die Kartoffel rümpfte ihre knubbelige Nase und fand diese Namen überhaupt nicht schön.
Der grün-gelb gestreifte Kürbis trat ein Stück vor und meldete sich. „Ich würde sie Knolle nennen, weil sie so eine dicke Knollennase im Gesicht hat.“
Neidisch schauten die anderen Kartoffeln über den Rand der Kiste und riefen: „Wir wollen auch Namen haben!“
„Nix da, ihr landet sowieso bald im Kochtopf. Knolle wird von jetzt an euer Anführer sein und damit basta!“
Knolle betrachtete die unterschiedlichen Kürbisse eingehend und fragte den grünen mit dem langen gebogenen Hals wie er heiße.
„Schwanenhals werde ich gerufen“, antwortete er stolz.
„Da haben wir es doch, bei euch in der Familie heißt jeder anders und warum dürfen meine Verwandten keine eigenen Namen bekommen?“ Knolle schmollte. Sie drehte sich wieder zu Kerwes um und fragte: „Was meinst du damit: Sie werden im Kochtopf landen? Kannst du mir das erklären?“
Kerwes schaukelte leicht hin und her. „Vorhin stand ich bei der Bäuerin auf dem Tisch. Sie schärfte gerade ihr großes Messer und wollte mich zerlegen, plötzlich klingelte es. Sie redete mit der Wand und sagte immer, ja, gut. Dann kam ihr Mann in die Küche und sie erzählte ihm, dass der Pfarrer gerade angerufen hätte und er bräuchte für das Erntedankfest einen großen Kürbis. Der Bauer hob mich vom Tisch und trug mich in die Scheune zurück. Die Bäuerin rief ihm hinterher, dass er Kartoffeln für die Suppe mitbringen soll. Knolle, falls der Bauer hier auftaucht, dann sei klug und verstecke dich, sonst geht es dir an die Schale.“
Unermüdlich ging das Gerangel in der Kartoffelkiste weiter, jeder wollte oben liegen. Der Bauer kam in die Scheune zurück und packte mit seinen großen Händen die oberen Kartoffeln und legte sie in einen Weidenkorb, dann trug er sie fort.
Etwas traurig fragte Knolle: „Wohin geht der Bauer mit meiner Familie?“
Kerwes wusste darauf auch keine Antwort. Schweigend standen sie beieinander und warteten darauf, auch abgeholt zu werden.
Nach einer Weile näherten sich schnelle Schritte, der Bauer erschien mit einem schwarz gekleideten Mann. Beide blieben vor den Kürbissen stehen. Herr Friedrich zeigte mit dem Finger auf Kerwes. „Den habe ich für Sie ausgesucht, Hochwürden. Ist der in Ordnung?“
Der Mann lächelte zufrieden. „Das ist ja ein Prachtbursche, Herr Friedrich. Ja, der macht sich bestimmt gut neben dem Altar zum Erntedankgottesdienst. Ach, bitte packen Sie mir noch einige schöne Zierkürbisse und ein paar rotbäckige Äpfel ein. Was könnte ich denn noch als Dekoration nehmen?“ Der Pfarrer drehte sich suchend in der Scheune um.
„Wie wäre es mit gebundenen Kornähren oder Möhren?“, fragte der Bauer.
Der Pfarrer nickte nachdenklich und sein Blick fiel auf die Kartoffelkiste. „Bitte legen Sie mir noch einige Kartoffeln von der festkochenden Charlotte dazu.“
Der Bauer packte alle Sachen in einen großen Karton und als er Kerwes hoch hob, entdeckte er Knolle dahinter. Er bückte sich und flüsterte: „Bist wohl vorhin daneben gefallen, na, dann komm her, du darfst auch noch mit.“ Er verstaute die Einkäufe des Pfarrers im Kofferraum und knallte den Deckel zu.
Kerwes begann zu winseln: „Es ist hier drinnen so dunkel, ich will wieder zurück in die Scheune.“
„Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin ja bei dir, Kerwes. Siehst du, so fühlte ich mich die ganze Zeit, als ich noch in der Erde eingebuddelt war. Hier drinnen hilft es dir auch nichts Augen zu haben. Wenn du möchtest, dann darfst du dich an mich lehnen. Hoffentlich hört das blöde Geschaukel und Gebrumme bald auf, mir wird ganz komisch davon.“
Kerwes rückte ganz eng an seine Freundin Knolle und fühlte sich gleich ein bisschen wohler.
„Verzeih mir, Knolle, ich habe dir vorhin unrecht getan. Wir standen immer draußen auf dem Feld und konnten alles beobachten. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie furchtbar es für dich sein musste, nichts sehen zu können.“
Knolle schwieg und merkte, dass das Schaukeln aufhörte. Über ihnen öffnete sich der Deckel und es wurde wieder hell. Der Pfarrer hob den Karton heraus und stellte ihn am Altar ab.
Vor lauter Angst kniff Kerwes seine Augen zu. Als sie wieder alleine waren, blinzelte Knolle in die Runde und sagte: „Oh, wow, das musst du sehen. Hey, mache endlich deine Augen auf. Ich glaube, wir sind im Paradies. Sieh nur die schönen bunten Fenster und die vielen strahlenden Kronleuchter über uns. Oh je, da hängt ein Mann am Kreuz. Er sieht ganz traurig aus und beobachtet uns.“
Kerwes und Knolle fuhren zusammen, als die Kirchglocke über ihnen zu läuten begann. Nach und nach füllte sich die Kirche und die Orgel begann leise zu spielen. Die Gäste bestaunten den reich gedeckten Gabentisch.
Dann wurde es ganz still. Der Pfarrer betete. Er dankte Gott für die ertragreiche Ernte. Danach sang die Gemeinde ein
Dankeslied und die riesige Orgel spielte diesmal ganz laut dazu.
Kerwes und Knolle fühlten sich über so viel Aufmerksamkeit geehrt. Nie wieder wollten sie in die dunkle alte Scheune zurück. Aber was war denn das? Plötzlich standen die Leute auf, drehten sich um und verließen die Kirche. Nur der kahlköpfige Holzschnitzer Petermann saß noch in der ersten Reihe und wartete auf den Pfarrer.
„Hochwürden“, sagte er, „soll ich dieses Jahr wieder ein schönes Gesicht in den Kürbis schnitzen?“
„Warum nicht, letztes Jahr kam das gut bei den Leuten an.“
Herr Petermann ging an den Gabentisch und wollte Kerwes holen, doch Knolle hielt sich an ihrem Freund ganz fest. Nie wieder wollte sie ohne ihn sein.
„Das ist ja komisch, Herr Pfarrer, die Kartoffel hängt wie angeklebt am Kürbis. Soll ich sie abreißen?“
Der Pfarrer schüttelte seinen Kopf. „Nein, Herr Petermann, was Gott zusammengefügt hat, das soll man nicht trennen.“
Der Holzschnitzer nahm die beiden mit nach Hause und stellte sie auf den Tisch. Er setzte sein scharfes Messer an und versuchte Kerwes einen Mund zu schnitzen. „Auaaatsch“, schrie er auf, „bist du verrückt geworden?“
Herrn Petermann fiel vor lauter Schrecken das Messer aus der Hand. „Kannst du etwa sprechen? Nein, so etwas gibt es doch nicht!“ Ungläubig starrte er auf den Kürbis.
„Ich wollte, ich wollte…“, stotterte er, „dir ein schönes Gesicht machen und dich dann beleuchtet auf die Stufen der Kirche stellen, aber das hat sich wohl erledigt.“
„Beleuchtet hört sich gut an“, meinte Knolle, „bekomme ich auch so eine schöne Kerze wie die, die vorhin auf dem Altar stand?“
„Du bist doch viel zu klein, wie soll ich eine Kerze in dich hinein stellen?“
Knolle wackelte mit ihrer Nase. „Ist mir egal! Hauptsache ich leuchte!“
Herr Petermann drehte und wendete die beiden, dann sagte er: „Ich glaube, ich habe es.“ Er kramte in einer Schublade herum und kam mit einer winzigen Geburtstagskerze zurück. „Darf ich euch jetzt modellieren? Es tut auch kaum weh.“
Herr Petermann war ganz vorsichtig und als er fertig war, stellte er noch am selben Abend Kerwes und Knolle auf die Stufen der Kirche.
Einige Fußgänger blieben stehen und lachten, andere machten Witze und sagten: Die beiden sehen wie Latsch und Bommel aus.
Das war Kerwes und Knolle egal, Hauptsache, sie konnten zusammenbleiben. Knolles Kerze brannte zuerst herunter und sie begann an diesem kühlen Herbstabend zu frieren. „Mein Bauch wird so kühl“, wimmerte sie, „Kerwes, gibst du mir ein bisschen von deinem Licht ab?“
„Wenn ich wüsste wie, dann würde ich es tun.“ Kerwes legte seinen Arm schützend um seine kleine Freundin.
Dankbar guckte Knolle den warmen Kürbis an und flüsterte: „Danke, dass du mich vor dem Kochtopf gerettet hast. Hier draußen ist es viel schöner mit dir.“
Kerwes sah hoch in den sternenklaren Himmel und seufzte. „Weißt du, vorhin habe ich dir nicht erzählt, dass ich auch im Kochtopf landen sollte. Zum Glück hatten unsere Schutzengel etwas Besseres mit uns vor.“
Quelle: Wendy