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Der starke Hans

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Es war einmal ein Priester, der hatte mit seiner Frau drei Söhne, und von denen tat der Jüngste nichts anderes als Zitherspielen. Eines Abends sagte ihm sein Vater: »Morgen mußt du früh aufstehn und mit uns zur Ernte gehn«, und er antwortete: »gut, morgen will ich mit euch kommen.« Als sie am andern Morgen auf dem Ärntefeld ankamen, sagte Hänschen zum Vater: »wir wollen aus dem Feld vier Teile machen, davon soll jeder den Teil schneiden, welchen er will, und einen Teil laßt auch für mich übrig.« Die andern taten ihm den Willen und machten sich sogleich an die Arbeit, Hänschen aber sagte zu seinem Vater: »Jetzt ist’s zu heiß zum Arbeiten, ich will ein bischen schlafen, wecke mich zur Vesperzeit.« Da fragte ihn der Vater: »wann willst du denn deinen Teil schneiden?« und Hänschen antwortete: »habe keine Sorge und tu, was ich dir sage.« Drauf ging er abseits und legte sich schlafen. Da sprach der Vater zu den beiden andern: »als Faulenzer ward er geboren und als Faulenzer wird er sterben.« Als es Mittag war, sagte der Vater zu seinem ältesten Sohne: »gehe und wecke Hänschen«, und nachdem er ihn geweckt hatte, sagte dieser: »siehst du nicht, daß es noch früh am Tage ist, und habe ich euch nicht gesagt, daß ihr mich zur Vesperzeit wecken sollt?« und schlief weiter. Als nun die Vesper herankam, da weckten sie ihn wieder, und er meinte, »es sei auch jetzt noch zu früh«, doch stand er endlich auf, nahm seine Sichel und schnitt so wacker, daß er, noch bevor seine Brüder fertig waren, seinen Teil und was von des Vaters Teil übrig war, geschnitten hatte.
Darauf gingen sie heim und aßen zu Abend, und nachdem sie damit fertig waren, nahm Hänschen seine Zither, ging damit vor das Haus und sang und spielte bis zur Mitternacht. Da hörte er auf und rief: »hört ihr Berge und Täler, giebt es auf der ganzen Welt noch einen Stärkeren als ich?« und diese antworteten und riefen: »nein, den giebt es nicht«; und dasselbe tat er auch am folgenden Abend; als er aber am dritten die Berge und Täler wieder wegen seiner Stärke befragte, antwortete ihm eine alte Frau: »Du bist zwar ein starker Mann, aber der Drako, welcher die Königstochter raubte, ist doch noch stärker als du.«
Am andern Morgen bat Hänschen seine Ältern um ihren Segen, weil er in die Welt gehn wolle. Da fing seine Mutter zu klagen und zu weinen an, und sprach: »warum willst du in dein Verderben rennen?« Er aber sprach: »ich muß fort und jenen Drakos aufsuchen, der stärker sein soll als ich; wenn du aber siehst, daß die Saiten an meiner Zither gesprungen sind, dann mache dich auf und suche mich.« Darauf gaben ihm die Ältern ihren Segen, und er machte sich auf und ging über Berg und Tal. Einst brachte er die Nacht auf einem Berge zu, und erblickte am andern Morgen in weiter Ferne einen Turm, der in der Ebene stand, und da ging er drauf los, um irgend jemand zu finden, den er über die Gegend fragen könne.
Als er zum Turme kam, sah er davor eine Tenne, die von Blei war; der Turm aber hatte keine Türe, sondern nur ein Fenster auf der Seite, wo die Tenne war, und als er nach diesem hinsah, ob nicht irgend Jemand herausschaue, erblickte er ein Mädchen, das war so schön, wie die goldenen Sterne, und das rief ihm zu: »wie bist du hierher gekommen, wo doch kein fliegender Vogel hinkommt?« Hänschen aber antwortete: »sag mir, wie ich zu dir kommen kann«; und sie sprach: »das ist nur möglich, wenn du von der Tenne in das Fenster springst.« Da nahm er einen Anlauf und schwang sich einem Vogel gleich in das Fenster, und als er oben war, umarmte er das Mädchen und küßte es. Das Mädchen aber sprach: »wenn der Drakos kommt, so ist das unser beider Tod.« Da lachte Hänschen und sagte: »habe keine Furcht, denn ich bin nur seinetwegen hierher gekommen; setze dich her und lause mich ein bischen, und wenn der Drakos kommt, so will ich schon mit ihm fertig werden.« Darauf legte er seinen Kopf in ihren Schoß und sie lauste ihn, und da er vom Wege sehr ermüdet war, schlief er ein. Das Mädchen aber fing an zu weinen aus Mitleid mit seiner Schönheit und aus Furcht vor dem Drakos, von dem sie nicht anders glaubte, als daß er sie beide töten werde.
Als nun die Zeit heran kam, wo der Drakos gewöhnlich erschien, da fing der Turm zu zittern und das Mädchen zu schluchzen an, und davon erwachte der Hans und sagte: »warum weinst du?« und sie antwortete: »ich weine, weil nun der Drakos kommt.« »Weine nicht und habe keine Furcht vor dem Drakos, mit dem werde ich schon fertig«, sprach Hans, nahm die Zither, setzte sich an das Fenster, und sang und spielte. Da kam der Drakos, und als er den Hans am Fenster sah, rief er ihm zu: »höre, du Schandbube, hier kommt kein fliegender Vogel her, wie kamst du in den Turm?« Drauf sagte Hans: »laß mich mein Lied aussingen, dann komm ich hinunter zu dir.« Da sang er so schön, daß das Mädchen wie von Sinnen kam, dann stellte er die Zither weg, sprang auf die Tenne hinunter und packte den Drakos an. Während er aber mit ihm rang, stampfte ihn dieser bis zu den Knieen in die Bleitenne ein, und darüber wurde Hänschen so zornig, daß er den Drakos noch fester packte und bis an die Hüften in die Tenne drückte. Da rief ihm das Mädchen vom Fenster zu: »Mut! Mut! lieber Hans! sorge dafür, daß er uns nicht beide tot macht!« und als Hänschen das hörte, packte er den Drakos noch einmal, und drückte ihn bis zum Halse in die Tenne ein, zog dann sein Schwert und schlug ihm den Kopf ab.
Drauf kehrte er in den Turm zurück und lebte dort eine Zeitlang mit dem Mädchen ganz lustig und vergnügt. Eines Abends aber nahm er seine Zither, setzte sich ans Fenster, spielte und sang bis Mitternacht, dann hörte er auf und rief: »hört, ihr Berge und Täler, giebt es einen Stärkeren als ich in der ganzen Welt?« und diese antworteten: »nein, es giebt keinen Stärkeren.« In der zweiten Nacht ging es ebenso, aber in der dritten antwortete die Alte und sprach: »du bist zwar ein starker Mann, aber der Bruder des Drako, den du getötet hast, ist doch noch stärker als du.« Diese Alte war aber die Möra der Mädchen, welche die Draken geraubt hatten, und sie sprach so, damit diese aus ihrer Gefangenschaft befreit würden.
Am andern Morgen sagte Hans zu dem Mädchen: »Komm, wir wollen zu deinem Vater, und wie es bei Menschen Brauch ist, in der Stadt und nicht auf den Bergen leben.« Da machten sie sich nach der Stadt auf den Weg, und als sie bis vor dieselbe gegangen waren, sagte Hans zu dem Mädchen: »gehe du nun voraus zu deinem Vater und erzähle ihm, wie es dir ergangen ist, und ich komme nach.«
Während aber das Mädchen allein in die Stadt ging, kehrte Hans in das Gebirge zurück, und wanderte so lange, bis er zu einem andern Turm kam, der in der Ebene lag und vor dem eine Tenne von Kupfer war. An dem Fenster des Turmes erschien aber ein Mädchen, das war so schön wie die Sonne und fragte Hänschen: »he, du Hund, wie kamst du hierher, wo kein fliegender Vogel hinkommt? Wenn der Drakos kommt, so bist du verloren.« Aber Hänschen machte es wie das erste Mal, er sprang zu dem Mädchen durch das Fenster des Turmes und schlief auf ihrem Schoße ein, während sie ihn lauste. Da dachte das Mädchen an das Schicksal, welches ihnen bevorstehe, und begann zu weinen; und ihre Tränen tropften auf seine Wangen, bis er erwachte. Hans tröstete sie, so gut er konnte, und nahm dann seine Zither und spielte und sang; aber kaum hatte er angefangen, so begann der Turm zu zittern, und der Drakos erschien auf der Tenne und rief dem Hans zu: »oh du Schandbube, du hast meinen Bruder tot geschlagen und willst es mit mir nun ebenso machen; komm gleich herunter, damit wir uns versuchen.« Da sagte Hänschen: »wart ein bischen, ich komme gleich, ich will nur noch eins singen.« Nun sang er ein so schönes Liebeslied, daß das Mädchen zu ihm sagte: »heute will ich mit dir sterben.« Dann sprang er mitten auf die Tenne hinab und sagte zu dem Drakos: »Komm heran, Herr Drakos, heute muß einer von uns beiden sterben.« Während sie mit einander rangen, drückte der Drakos den Hans bis an die Knie in die Kupfertenne; da wurde dieser zornig und drückte den Drakos bis an die Hüften hinein, und das Mädchen rief ihm zu, »daß sie herunter kommen und ihm helfen wolle.« Er antwortete aber: »fürchte dich nicht, denn nun mache ich ein Ende mit ihm.« Als das der Drakos hörte, da ward er starr vor Furcht, und Hans zog sein Schwert und schlug ihm das Haupt ab.
Drei Tage blieb er mit dem Mädchen im Turme. Am Abend des vierten aber begann er zu singen und zu spielen, und als die Mitternacht herankam, rief er: »hört ihr Berge und Täler, giebt es auf der ganzen Welt noch einen Stärkeren als ich?« und da antwortete die Alte: »du bist zwar ein starker Mann, aber der älteste Bruder der beiden Draken, die du getötet hast, ist noch stärker als du.«
Am andern Morgen sagte Hans zu dem Mädchen, daß sie zu ihrem Vater gehn und dort wie andere Menschen leben wollten. Sie machten sich sogleich auf den Weg, und als sie vor die Stadt kamen, schickte Hans das Mädchen zu ihrem Vater voraus, er aber kehrte in das Gebirge zurück und ruhte nicht eher, als bis er auch den Turm des dritten Drakos gefunden hatte. Davor lag aber eine stählerne Tenne, und als er diese erblickte, da ward ihm bänglich zu Mute, und als er sich nach dem Turmfenster umsah, war dieses viel höher als die andern. Er setzte sich auf die Tenne und war darüber sehr nachdenklich. Wie er so da saß, erschien ein Mädchen am Fenster des Turmes, das war noch schöner, als die liebe Sonne, und die sprach zu ihm: »ei du Hund, wie kommst du hierher, wo doch kein fliegender Vogel hinkommt?« Hans versetzte: »liebes Kind, sage mir, wie ich zu dir in den Turm kommen kann«, und sie sagte: »du mußt von der Tenne zu dem Fenster heraufspringen.« Da nahm Hans einen Anlauf und sprang zum Fenster hinein und herzte und küßte das Mädchen und bat sie dann, »sie möge ihn ein wenig lausen, denn er sei schon lange von Haus weg.« Er legte seinen Kopf auf ihren Schoß, und weil er müde von der Reise war, so schlief er alsbald ein. Das Mädchen aber fing an zu weinen, weil sie an den Drakos dachte, der nun kommen und sie beide töten würde. Die Tränen, welche sie vergoß, fielen auf seine Wangen. Davon erwachte er und sprach: »fürchte dich nicht, denn ich bin nur darum hierher gekommen, um mit dem Drakos zu kämpfen und dich zu erlösen.« Kaum hatte er das gesagt, so begann der Turm zu zittern und das Mädchen rief: »nun kommt der Drakos.« Hans aber nahm seine Zither und trat an das Fenster, um zu spielen. Da sah er draußen eine schwarze Wolke und die rief ihm zu: »hoho! du Schandbube, du hast meine Brüder erschlagen und willst nun an mich selbst; gleich komme herunter, damit wir es ausmachen.« Hans aber sagte: »laß mich erst mein Lied aussingen, dann komme ich hinunter.« Da sang er eine so rührende Weise, daß das Mädchen in Tränen zerfloß, und als er damit fertig war, sprang er auf die Tenne hinab und sagte zu dem Drakos: »heute muß einer von uns sterben.« Da packten sie einander, und während des Ringens drückte der Drakos den Hans bis an die Knie in die Stahltenne ein, und nun wurde der zornig und drückte den Drakos bis an die Hüften ein. Das Mädchen aber rief weinend vom Turme: »Mut, Hänschen, Mut! damit er uns nicht erschlägt.« Als er das hörte, raffte er alle seine Kräfte zusammen, und drückte den Drakos bis zum Halse in die Tenne ein und schlug ihm mit seinem Schwerte den Kopf ab. Nun endlich konnte sich Hänschen von allen seinen Beschwerden ausruhen und lebte zufrieden und vergnügt mit dem Mädchen in jenem Turme.
In dieser Gegend lebte aber auch ein Schäfer, und eines Tages, kurz vor Ostern, gingen ihm seine Lämmer durch und liefen bis auf das Feld, wo der Turm stand, und wo das Gras am fettesten stand. Als das der Schäfer sah, geriet er in große Angst, weil er fürchtete, daß sie der Drakos gewahr werden und sowohl die Lämmer als ihn selber fressen könne. Er lief also von Versteck zu Versteck und lockte die Lämmer, aber sie hörten nicht und grasten bis zum Turme. Als der Hans den Hirten gewahr wurde, stieg er vom Turme und rief ihm zu: »Fürchte dich nicht, denn der Drakos ist erschlagen, du kannst nun ruhig auf dem Felde weiden, doch mußt du mir dafür täglich Milch und Butter bringen.«
In der Charwoche brachte der Schäfer nach der Sitte seine Lämmer zum Verkaufe in die Stadt, wo der Vater des Mädchens, welches Hans zur Frau hatte, König war. Der wunderte sich aber, daß die Lämmer dieses Schäfers unter allen die fettesten und größten waren, da er doch sonst stets die schlechtesten Lämmer gebracht hatte, und stellte ihn darüber zur Rede. Da erzählte ihm der Hirte, daß ein junger Mann den Drakos erlegt habe, welcher die Königstochter geraubt hatte, und daß er nun in der fetten Niederung weiden könne. Als das der König hörte, wurde er zornig und befahl seinem Kriegsobersten, er solle hundert Soldaten nach dem Manne ausschicken, welcher seinen Schwiegersohn, den Drakos, erlegt und seine Tochter zur Frau genommen habe. Da schickte dieser einen Hauptmann mit hundert Mann nach dem Hans aus. Als der sie gewahr wurde, sagte er zu seiner Frau: »richte mir mein Schwert her, denn es zieht Kriegsvolk gegen uns heran.« Die aber sagte: »Mir scheint, daß mein Vater erfahren hat, daß du den Drakos erlegtest, und nun Soldaten hersendet, um uns zu ihm zu geleiten.« Hans aber antwortete: »die Eile, mit der sie anrücken, bedeutet nichts Gutes, sondern Schlimmes.«
Als der Hauptmann zum Turme kam, rief er zornig: »wo bist du, der den Drakos erschlagen hat? komm herunter, denn der König verlangt nach dir.« Hänschen aber versetzte: »geht zum König und sagt ihm, wenn er mich sprechen wolle, so solle er hierher kommen.« Da rief der Hauptmann: »Höre du Schandbube, wenn du nicht im Guten herunterkommst, so hole ich dich mit Gewalt.« Hänschen nahm aber sein Schwert, sprang von dem Turme auf die Tenne und erlegte sie alle, bis auf einen; dem schnitt er Nase und Ohren ab und sprach: »gehe zum König und sage ihm, wenn er noch andere Schafe zu scheeren habe, so solle er sie mir schicken.« Als der Soldat in die Stadt kam, berichtete er dem König, was vorgefallen war. Da wurde dieser sehr zornig und befahl seinem Kriegsobersten, selbst hinzugehen und den Hans zu holen; dem ging es aber dabei genau so wie dem Hauptmann.
Nun sah der König ein, daß er auf diese Weise nicht zum Ziele komme; er ließ also im ganzen Lande verkündigen, daß derjenige, welcher im Stande sei, den Hans zu töten, seine Tochter zur Frau erhalten und König werden solle, denn er war schon alt und es fiel ihm schwer, sein Land zu regieren. Aber es wollte sich Niemand finden, um das Wagstück zu unternehmen, bis auf einen lahmen Alten, der versprach dem König, ihm seine Tochter zu bringen, machte sich auf den Weg und hinkte langsam zum Turme. Als den aber Hänschen kommen sah, sprach er zu seiner Frau: »heut müssen wir uns trennen; siehst du dort den hinkenden Alten? der wird mich fällen und dich zur Frau erhalten.« Wie das die Frau hörte, raufte sie sich aus Verzweiflung die Haare aus und rief, »daß sie mit ihm sterben wollte.«
Während sie so klagte und jammerte, kam der Alte zum Turme und rief: »Holla! du Schandbube, komme herunter, damit ich dir zeige, wer von uns beiden der Stärkere ist.« Da nahm Hans sein Schwert, sprang auf die Tenne und hieb den Alten mitten auseinander. Aus den beiden Hälften wurden zwei Alte, und als Hänschen diese zerhieb, wurden vier daraus, und so ging es fort, indem sich alle Alten, die er auseinanderhieb, verdoppelten. Hänschen kämpfte den ganzen Tag hindurch, doch am Abend wurde er so müde, daß er in dem Tore des Turmes auf das Gesicht zu Boden stürzte. Da fielen seine Gegner über ihn her und ermordeten ihn. Der Alte aber nahm die Königstochter und brachte sie zum König und erhielt sie zur Frau.
Lassen wir nun die Königstochter bei ihrem alten Mann und kommen wir zur Mutter des Hans. Wie diese die Saiten der Zither springen sah, hob sie zu weinen und zu jammern an und zerraufte sich das Haar, und machte sich sogleich auf, um den Hans zu suchen. Nach langem Suchen kam sie zu dem ersten Drakenturme und fand ihn nicht darin. Da ging sie weiter, bis sie zum zweiten kam, aber auch da fand sie ihn nicht. Endlich kam sie zu dem dritten Drakenturme und dort sah sie ihn in dem Tore liegen, setzte sich zu ihm und begann ihn zu beweinen.
Als der Schäfer ihre Totenklage hörte, kam er heran, um zu sehn, wer so klage. Da erblickte er an dem Tore des Turmes eine Frau, welche sich die Haare zerraufte. Er glaubte, daß es die junge sei, und lief herbei, um ihr beizustehn. Als er aber den Hans auf dem Boden liegen sah, sprach er zu der Alten: »weine nicht, Mütterchen! dein Sohn ist noch am Leben und nur ohnmächtig.« In jener Zeit gab es aber ein Wasser des Lebens, und davon hatte der Schäfer ein Fläschchen, das ihm eine Alte in Verwahrung gegeben. Er lief also nach seiner Hürde und holte es herbei, und so wie er ein paar Tropfen auf den Hans gesprengt hatte, stand dieser auf und rief: »wie schwer habe ich geschlafen und wie leicht bin ich erwacht!« Darauf fragte er seine Mutter: »Mutter, wo ist meine Frau?« Die antwortete: »mein Sohn, du hast ja keine Frau gehabt.« Hans aber sprach: »liebe Mutter, geh du wieder nach Hause zu deinem Manne, denn ich muß jetzt fort und meine Frau aufsuchen.« Da kehrte die Mutter mit betrübtem Herzen nach Hause zurück. Hans aber ließ sich vom Schäfer einen von seinen Anzügen geben, zog ihn an und ging in die Stadt, wo seine Frau war. Dort trat er in ein Kaffeehaus und hörte, wie die Gäste unter einander sprachen: »Schade um den tapferen Jungen, den der König hat hinrichten lassen, und um die Prinzessin, die er dem Gott sei bei uns zur Frau gegeben.« Da fragte Hans, »was vorginge« und sie erzählten ihm den ganzen Hergang.
Darauf fragte er nach dem königlichen Pallaste, ging hin und betrachtete ihn von allen Seiten, wie es der Fremde zu tun pflegt. Das sah eine arme alte Frau und fragte ihn: »was suchst du, Söhnchen?« und Hans antwortete: »ich bin ein Fremder und kenne Niemand in der Stadt. Wenn du mir für diese Nacht Herberge giebst, so zahle ich dir dafür, was recht ist.« Die Alte versetzte: »wenn du willst, so kannst du bei mir bleiben, aber ich habe kein Bett für dich.« Da gab ihr Hänschen fünf Dukaten, und darüber sprang sie vor Freude in die Höhe, und kaufte schnell Kissen und Decken und begann zu sieden und zu braten. Über Tisch brachte er die Rede auf die Königstochter und sagte: »Morgen früh, Mutter, mußt du zu ihr gehn und ihr sagen, daß ein fremder Mann sie zu sprechen wünsche, und sie möge daher, wo möglich, an die Türe kommen, damit ich mit ihr reden könne; wenn du das zu Stande bringst, werde ich dich, so lange du lebst, wie meine Mutter halten.«
Am andern Morgen ging die Alte zur Prinzessin, grüßte sie und setzte sich neben sie, und sagte ihr, was ihr Hans aufgetragen. Die Prinzessin erstaunte über ihre Rede und befahl ihr, den Hans zu holen. Als dieser kam, erstarrte sie fast bei seinem Anblicke, so daß sie kein Wort hervorbringen konnte; endlich ermannte sie sich, lud ihn ein, sich niederzusetzen, und fragte ihn, was er wolle. Hans aber sprach: »weißt du nicht, was ich will, und habe ich nicht deinetwegen meinen Tod gefunden?« Da fiel ihm die Prinzessin um den Hals und küßte ihn und sprach: »bleibe bei der Alten und laß mir durch diese sagen, was ich tun soll, denn die Zeit rückt heran, wo der Verfluchte heim kommt.«
Hans ging also wieder zur Alten zurück, und nachdem er sich eine Weile bedacht, schickte er sie zur Prinzessin und ließ ihr sagen, »sie solle den Alten, wenn er am Abend heim komme, fragen, worin seine Stärke liege, und ihm am nächsten Morgen seine Antwort sagen lassen.« Als der lahme Alte am Abend heim kam, begann ihm die Prinzessin zu schmeicheln, und fragte ihn dann, »worin seine Stärke liege«, und er antwortete: »auf jenem Berge ist eine Tenne, und zur Mittagszeit kommt eine Schlange mit zehn Köpfen dorthin und stellt sich in die Mitte der Tenne, und dann kommen eine Masse Schlangen herbei und stellen sich um sie, und wenn einer über diese Schlangen auf die Tenne springt, ohne eine davon zu berühren, und der großen Schlange ihre zehn Köpfe abschlägt, so ist das mein Tod.«
Nachdem die Prinzessin dies gehört hatte, da schien es ihr, als daure die Nacht ein ganzes Jahr, und am andern Morgen lief sie, sobald sie konnte, zum Hause der Alten, und erzählte dem Hans, was ihr der Verfluchte gesagt hatte. Der aber sprach: »du darfst ihn heute nicht aus dem Hause gehn lassen, und wenn er zu klagen beginnt, daß ihm unwohl sei, dann mache dich weg, und sperre ihn in das Zimmer ein, und warte bis ich komme.«
Drauf ging Hans nach dem Berge, und zur Mittagszeit sah er die Schlange mit den zehn Köpfen, wie sie in die Mitte der Tenne kroch und wie sich die andern Schlangen um sie her stellten, und ohne sich lange zu besinnen, sprang er gleich einem Vogel über sie mitten auf die Tenne, ohne eine davon zu berühren, und schlug mit seinem Schwerte der großen Schlange ihre Köpfe ab. Da begann der Verfluchte seine Frau zu rufen, weil ihm unwohl werde; sie aber hörte nicht darauf, sondern schloß die Türe seiner Kammer zu, und wie der Hans den letzten Kopf der Schlange abschlug, da war es auch mit dem Verfluchten zu Ende.
Als nun Hans vom Berge zurückkam, ging er sogleich in das königliche Schloß, öffnete die Kammer und sah den Verfluchten dort ausgestreckt liegen. Da sagte er zur Prinzessin: »rufe deinen Vater, damit er seinen Schwiegersohn sehe«, und als dieser herbei kam und sah, daß er tot war, sagte die Prinzessin zu ihm, indem sie auf Hans zeigte: »dieser ist mein Mann und nicht derjenige, welchen du mir gegeben hast.« Da hielten sie Hochzeit, doch war ich nicht dabei, und du brauchst es also auch nicht zu glauben.

[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]

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