Als Dionysios noch ein Jüngling war, machte er eine Reise durch Hellas, um nach Naxia zu gehen; da aber der Weg sehr lang war, ermüdete er und setzte sich auf einen Stein, um auszuruhen. Als er nun so dasaß und vor sich niederschaute, sah er zu seinen Füßen ein Pflänzchen aus dem Boden sprießen. Das fand er so schön, daß er sogleich den Entschluß faßte, es mitzunehmen und zu pflanzen.
Er hob das Pflänzchen aus und trug es mit sich fort; da aber die Sonne eben sehr heiß schien, fürchtete er, daß es verdorren werde, bevor er nach Naxia komme. Da fand er ein Vogelbein und steckte das Pflänzchen da hinein und ging weiter. Allein in seiner gesegneten Hand wuchs das Pflänzchen so rasch, daß es bald unten und oben aus dem Knochen herausragte. Da fürchtete er wieder, daß es verdorren werde, und dachte auf Abhilfe. Da fand er ein Löwenbein, das war dicker als das Vogelbein, und er steckte das Vogelbein mit dem Pflänzchen in das Löwenbein. Aber bald wuchs das Pflänzchen auch aus dem Löwenbein. Da fand er ein Eselsbein; das war noch dicker als das Löwenbein, und er steckte das Pflänzchen mit dem Vogel- und Löwenbein in das Eselsbein, und so kam er auf Naxia an.
Als er nun das Pflänzchen pflanzen wollte, fand er, daß sich die Wurzeln um das Vogelbein, um das Löwenbein und um das Eselsbein fest geschlungen hatten; da er es also nicht herausnehmen konnte, ohne die Wurzeln zu beschädigen, pflanzte er es ein, wie es eben war, und schnell wuchs die Pflanze empor und trug zu seiner Freude die schönsten Trauben; aus denen bereitete er sogleich den ersten Wein und gab ihn den Menschen zu trinken. Aber welch Wunder sah er nun! Als die Menschen davon tranken, sangen sie anfangs wie die Vögelchen; wenn sie aber mehr davon tranken, wurden sie stark wie die Löwen, und wenn sie noch mehr tranken, wurden sie wie die Esel.
[Griechenland: Oskar Dähnhardt: Naturgeschichtliche Märchen]