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Die Zederzitrone

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Es war einmal eine alte Frau, die wollte Erbsen kochen, konnte aber den rechten Ort dazu nicht finden. Sie trug also ihren Topf so lange auf dem Kopfe herum, bis sie vor ein Königsschloß kam. Dort machte sie Feuer an, setzte ihren Topf darauf, und wartete nun, daß die Erbsen sieden sollten. Als der Prinz, der in dem Schlosse wohnte, den Rauch bemerkte, welcher von dem Feuer aufstieg, trat er ans Fenster, um zu sehn, woher er käme, und erblickte die Alte und ihren Topf, der über dem Feuer stand. Da griff er nach einer großen Zederzitrone und warf damit den Topf in Stücke, so daß die Erbsen in das Feuer fielen und das Wasser das Feuer auslöschte. Die Alte sah auf, um zu erfahren, wer ihr den Streich gespielt habe, und als sie den Königssohn erblickte, rief sie: »ach, mein Sohn, ich wollte, daß du diese Zederzitrone zur Frau hättest.« Als das der Königssohn hörte, fing er an zu seufzen, und fragte die Alte: »wie kann ich denn die Zederzitrone zur Frau bekommen?« und die Alte antwortete: »ja, das weiß ich selber nicht, denn sie wird von vierzig Drachen bewacht.« Als aber der Prinz mit Bitten nicht nachließ und ihr die besten Worte gab, damit sie ihm sage, wie er es anfangen müsse, da sprach die Alte endlich: »du mußt eine Last Mastixharz, eine Scheere, ein Abwischtuch und eine Brotschaufel mit dir nehmen, und den und den Weg einschlagen, da wirst du zuerst einen Drachen mit offenem Rachen finden, dem mußt du den Mastix in den Rachen werfen, und der wird dir dann weiter sagen, was du zu tun hast.«
Der Prinz schaffte alles an, was ihm die Alte gesagt hatte, und zog damit so lange umher, bis er den Drachen mit dem offenen Rachen fand; da warf er ihm das Mastixharz zu, und als der Drache es verschluckt hatte, rief er: »ach, wer hat mir diese Wohltat erwiesen?« und der Prinz erwiderte: »ich bin es gewesen.« – »Und was verlangst du dafür?« – »Du sollst mir sagen, wie ich es anfangen muß, um die Zederzitrone zur Frau zu bekommen.« – »Geh eine Strecke weiter, dort ist mein Bruder, dem sind die Augenwimpern, die Augenbrauen und der Schnurrbart in die Erde gewachsen, die mußt du mit einer Scheere abschneiden, und der wird dir weiter sagen, was du zu tun hast.«
Da ging der Prinz weiter und fand den Drachen mit den angewachsenen Augenbrauen und Schnurrbarthaaren, und schnitt sie ihm ab. Als nun der Drache merkte, daß er wieder sehen konnte, rief er: »ach, wer hat mir Ärmstem diese Wohltat erwiesen, der ich vierzig Jahre lang nicht sehen konnte? was willst du, daß ich dir dafür tun soll?« – »Du sollst mir sagen, wie ich es anfangen muß, um die Zederzitrone zur Frau zu bekommen.« – »Geh ein Stück weiter, da wirst du eine Drakäna antreffen, die mit ihren Brüsten den Backofen reinigt und mit ihren Armen das Brot hineinschiebt, die wird es dir sagen.«
Da ging der Prinz weiter, bis er zu der Drakäna kam, die mit ihren Brüsten den Backofen reinigte, und sprach zu ihr: »gehe auf die Seite, liebe Frau, und laß mich an den Ofen.« Darauf fegte er mit seinem Wischtuche den Ofen rein, und schob mit seiner Schaufel das Brot aus und ein, so daß sie ausruhen konnte. Da rief die Drakäna: »ach, mein Sohn, was willst du dafür, daß du mir ein bischen Ruhe verschafft hast, nachdem ich so viele Jahre hindurch verbrennen mußte?« und der Prinz antwortete: »du sollst mir angeben, wie ich es anfangen muß, um die Zederzitrone zur Frau zu bekommen.« Die Alte aber sprach: »gehe ein Stück weiter, da wirst du Hunde und Wölfe finden, die untereinander Stroh und Knochen zu teilen haben und damit nicht zurecht kommen können. Du mußt den Hunden die Knochen und den Wölfen das Stroh vorwerfen, und die werden dir angeben, was du zu tun hast.«
Als er nun die streitenden Tiere gefunden und die Teilung vorgenommen, wie ihm die Alte gesagt hatte, sprachen die Tiere: »gehe in jenen Garten, dort wirst du vierzig Drachen finden, und wenn sie die Augen offen haben, so gehe getrost hin, brich drei Zederzitronen vom Baume und laufe was du kannst; wenn sie aber die Augen zu haben, so wage dich nicht heran, sondern kehre gleich wieder um.«
Da ging der Prinz hin, und als er sah, daß alle vierzig Drachen die Augen sperrangelweit offen hatten, brach er drei Zederzitronen ab, und die schrieen sogleich: »man hat uns geraubt!« Davon erwachten die Drachen und riefen: »packt ihn, ihr Hunde!« Die aber antworteten: »wie sollten wir den packen, der uns Gutes erwiesen, als wir so viele Jahre hindurch Hunger zu leiden hatten?« Darauf riefen die Drachen: »Drakäna, pack ihn!« Doch diese sprach: »wie soll ich den packen, der mir geholfen hat, als ich mich so lange Jahre verbrennen mußte?« Darauf riefen sie: »packe ihn, Drache!« Der aber sprach: »wie sollte ich den packen, der mich sehend gemacht hat, nachdem ich so viele Jahre blind war?«
So kam also der Prinz glücklich aus dem Bereiche der Drachen, und als er sich vollkommen sicher vor ihnen hielt, zog er sein Messer heraus und schnitt eine Zederzitrone an, um zu sehen, was darin sei. Da stieg eine schöne Jungfrau daraus hervor und rief sogleich: »Wasser! Wasser!« und da kein solches bei der Hand war, fiel sie um und war tot. Darauf ging er wieder ein Stück und sprach dann zu sich: »ich will es noch einmal versuchen, vielleicht geht es mir diesmal besser.« Aber es ging ihm nicht besser als das erste Mal, denn weil er kein Wasser bei der Hand hatte, um es der Jungfrau zu geben, als sie aus der Citrone hervorkam, so fiel auch sie hin und starb. Nun wartete er so lange, bis er zu einer Quelle kam, und als er dort die dritte Citrone aufschnitt, warf er sie in das Wasser, und daraus stieg eine wunderschöne Jungfrau hervor und sprach: »also du bist es?« und er antwortete: »ja, ich bin es. Bleibe du nun hier an dem Brunnen sitzen, bis ich den Segen meiner Eltern geholt habe, und dann komme ich und hole dich ab.«
Als nun der Prinz fortgegangen war, begann sich die Jungfrau zu fürchten und stieg auf den Baum, der neben dem Brunnen stand. Nach einer Weile kam eine Mohrin zu der Quelle, und wie diese das Bild der Jungfrau in dem Wasserspiegel erblickte, so glaubte sie, daß sie es selbst sei, und rief: »ach, wie schön bin ich, und doch schickt mich meine Mutter, um Wasser zu holen.« Als das die Jungfrau hörte, konnte sie sich vor Lachen nicht halten und platzte heraus. Da sah die Mohrin auf, erblickte die Jungfrau und rief: »also du bist es, mein Herzchen, mein Liebchen? ich dachte, ich wäre es. Komm ein bischen herunter, damit ich dich besser betrachten kann.« Da stieg das Mädchen vom Baume herunter, die Mohrin aber packte es und warf es in den Brunnen, und sogleich kam aus ihm ein goldenes Fischchen hervor.
Bald darauf kehrte auch der Prinz mit großem Gefolge zurück, um die Jungfrau abzuholen, und die Mohrin ging ihm entgegen und sprach: »sage, mein Lieber, warum bist du so lange ausgeblieben, daß ich vor lauter Sehnsucht nach dir schwarz und runzelig geworden bin?« Als sie der Prinz erblickte, wurde er vor Verwunderung fast zu Stein, und um etwas Zeit zu gewinnen, nahm er seinem Pferde den Zaum ab und führte es zur Quelle. Als aber das Pferd den Kopf nach dem Wasser senkte, fuhr es erschreckt zurück. Da sah der Prinz in die Quelle, um zu erfahren, wovor das Pferd sich erschreckt habe, und erblickte das Fischchen; er streckte die Hand nach ihm aus, und das Fischchen schwamm ihm entgegen und ließ sich willig greifen. Er nahm es nun und steckte es in seinen Busen. Darauf ließ er auch die Mohrin auf ein Pferd setzen und ritt mit ihr heim. Kaum aber war er zu Hause angekommen, so stellte sich die Mohrin krank, und von allen Ärzten, die man herbeirief, konnte ihr keiner helfen. Da sprach endlich der Prinz zu ihr: »du mußt uns selbst sagen, was dir fehlt, und womit dir geholfen werden kann, denn von unsern Ärzten weiß keiner Rat für dich.« Die Mohrin aber versetzte: »wenn du willst, daß ich gesunden soll, so mußt du das Goldfischchen schlachten und mir die Brühe davon zu trinken geben.« Als er nun mit schwerem Herzen das schöne Fischchen schlachtete, so fielen von ihm drei Blutstropfen zu Boden und daraus wuchs sogleich ein Cypressenbaum hervor, der bis zum halben Himmel reichte.
Die Mohrin tat, als ob sie von der Fischbrühe genesen sei, doch es dauerte nicht lange, so stellte sie sich wieder krank, und als sie der Prinz fragte, was ihr fehle, sprach sie: »wenn du willst, daß ich gesunden soll, so mußt du die Cypresse umhauen und verbrennen, und mir von der Asche zu trinken geben; es darf aber Niemand Feuer davon nehmen.« Als sie nun die Cypresse umgehauen und Feuer an sie gelegt hatten, da kam eine alte Frau und verlangte Feuer. Sie wurde freilich von den Leuten des Prinzen abgewiesen, doch blieb ein Spahn von der Cypresse an dem Saume ihres Rockes hängen, und als sie nach Hause ging und sich auszog, da sprang dieser hinter ihre Kiste. Am andern Morgen ging die Alte aus, ohne ihr Haus herzurichten, und als sie nach einer Stunde zurückkam, fand sie es blank gescheuert und geputzt. Da wunderte sie sich, wer ihr das getan habe, und als ihr das mehrmals geschehen war, stellte sie sich auf die Lauer und überraschte die Jungfrau bei der Arbeit. Die Jungfrau wollte hinter die Kiste schlüpfen, aber die Alte hielt sie fest und sprach, »verstecke dich nicht, mein Liebchen, ich will dich zu meiner Tochter annehmen.« Da beruhigte sich das Mädchen und sie lebten eine Weile mit einander wie Mutter und Tochter.
Es fügte sich jedoch eines Tages, daß der Prinz die Jungfrau an ihrer Haustüre erblickte, als er auf die Jagd ritt, und so schnell sie auch die Türe zumachte, so begann der Prinz doch zu argwöhnen, daß das seine verlorene Frau wäre. Darum ließ er in der ganzen Stadt bekannt machen, daß alle Mütter ihre Töchter vor ihn bringen sollten, und daß ihm eine jede eine Geschichte erzählen müsse. Da nun alle hingingen, so durfte auch die Alte mit ihrer Tochter nicht wegbleiben, und als die Reihe an diese kam, erzählte sie ihr ganzes Schicksal, wie sie die Mohrin betrogen habe und nur auf ihren Untergang bedacht sei. Da ließ der König die Mohrin von vier Pferden in Stücke zerreißen, nahm die Jungfrau zu seiner Ehegattin und stellte eine große Hochzeit an; und ich wünschte, daß auch die deinige bald käme und ich dabei wäre.

[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]

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