Es war einmal ein König, dem starb seine Frau und hinterließ ihm nur ein kleines Töchterchen. Nach und nach wuchs dieses zu einem schönen Mädchen heran; und als der Vater sah, daß sie so schön war, da sagte er zu ihr: »Ich will dich heiraten und du mußt meine Frau werden.«
»Wie kannst du mich zur Frau nehmen«, meinte das Mädchen, »da du mich zur Tochter hast?«
»Das ist mir einerlei; ich will dich heiraten.«
»Es ist aber ganz unmöglich!« sagte das Mädchen; »gehe nur zum Bischof und höre, was er dir sagen wird. Und giebt er dir Recht, so nimm mich in Gottes Namen.«
Da ging der König zum Bischof und fragte: »Wenn Jemand ein Lamm hat und es selber pflegt und groß zieht, ist es besser, daß er es verzehrt, oder daß es ein anderer verzehrt?«
»Nein«, erwiderte der Bischof, »lieber soll es der verzehren, welcher es gezogen hat.«
Da ging der König zu seiner Tochter und sagte: »Er hat mir gesagt, daß ich dich nehmen dürfe.«
»Wenn er dir wirklich gesagt hat, daß du mich nehmen darfst, so nimm mich in Gottes Namen. Zuvor aber laß mir zwei Anzüge von purem Gold machen und fülle die Taschen mit Dukaten an. Laß mir auch ein Bett und einen Schacht machen, der zehn Klafter tief in die Erde geht.«
Als nun der König das Alles beschafft hatte, nahm das Mädchen die Kleider, stieg in das Bett, fuhr darauf in den Schacht und sprach: »Erde, tue dich noch weiter auf.« Und die Erde tat sich auf; sie fuhr hinein und kam an einem andern Orte wieder heraus und blieb daselbst.
Als nun einmal der Königssohn dort jagte, da fand er das Mädchen in ein Tierfell eingewickelt. Er ging auf sie zu und fragte sie: »bist du ein Mensch?« Sie antwortete: »Ja, ich bin einer, darf ich mit dir kommen?« Und er erwiderte: »Meinetwegen komm mit.« Er nahm sie also mit sich und ließ sie die Gänse hüten.
Als nun eines Tags der König ein Fest anstellte und die Frauen zu tanzen begannen, da schlüpfte das Mädchen aus seinem Felle, ging mit ihren goldnen Kleidern zum Tanze und tanzte mit. Dort sah sie der Königssohn, und sagte bei sich: »Wer das wohl sein mag? Wenn sie den Tanz verläßt, will ich ihr nachgehn.«
Wie nun der Tanz zu Ende war, ging auch das Mädchen weg, und der Königssohn schlich ihr nach. Als sie das merkte, fing sie an zu laufen, und er lief ihr nach. Da nahm das Mädchen eine Handvoll Dukaten und warf sie auf die Erde, und während der Königssohn das Gold auflas, entschlüpfte sie und steckte sich wieder in ihr Fell. Da sprach der Königssohn: »Ich werde morgen wieder ein Fest anstellen, um zu erfahren, wer das ist.« Und so geschah es. Das Mädchen kam wieder und tanzte mit, und als sie vom Tanze fortging, folgte ihr der Königssohn nach. Doch sie warf abermals eine Handvoll Gold auf den Boden, und bis es der Königssohn aufgelesen hatte, war sie entschlüpft und stak wieder in ihrem Fell.
Drauf sagte der Königssohn: »Ich will noch einmal ein Fest halten, um zu sehen, wer das ist.«
Als nun des andern Tags wiederum Tanz war, da kam auch das Mädchen wieder und tanzte mit, und wie sie den Tanz verließ, lief ihr der Königssohn nach. Im Laufen aber verlor sie einen Schuh, und während der Königssohn ihn aufhob, entkam sie halb barfuß und steckte sich wieder in ihr Fell.
Der Königssohn nahm den Schuh und probirte ihn allen Mädchen an, um zu sehen, welcher er paßte. Er konnte aber keine finden.
Als nun die Mägde hingingen, um dem König vor dem Speisen das Waschwasser zu bringen, da schlitzte das Mädchen das Fell ein wenig an dem Knie, damit ihr goldnes Kleid sichtbar würde, ging zu den Mägden und verlangte, »sie möchten sie das Wasser reichen lassen.« Diese aber sagten: »Was, du Gänsehirtin willst dem König das Wasser reichen?«
»Was giebts?« fragte der König.
»Die Gänsehirtin will euch das Wasser reichen.«
»So laßt ihr den Willen, und sie mag kommen.«
Wie sie nun niederkniete, da schimmerte das goldne Kleid durch den Schlitz. Das sah der Königssohn und rief: »Also du hast mich so gequält?« Und darauf nahm er sie zum Weibe.
[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]