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Der Schwager des Löwen, des Tigers und des Adlers

1.5
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Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne und drei Töchter, und als die Zeit kam, daß er sterben sollte, sprach er zu seinen Söhnen: »liebe Kinder, ich muß nun sterben, ihr müßt also darauf bedacht sein, eure Schwestern zu verheiraten und euch dann selbst zu verehelichen.« Als er das gesagt hatte, entließ er die beiden Älteren, den Jüngeren aber behielt er zurück und sprach zu ihm: »für dich habe ich eine Elfin in dem krystallenen Gemache versteckt; wenn nun deine Schwestern und deine Brüder verheiratet sind, so öffne das Gemach und hole dir deine Braut.« Darauf starb der alte König, und bald darauf starb auch seine Frau, und ihre Kinder waren nun elternlos.
Nach geraumer Zeit kam der Löwe vor das Schloß und klopfte an dem Tore. Als die Brüder fragten, wer draußen sei, antwortete er: »ich bin es, der Löwe, und bin gekommen, um eure älteste Schwester zur Frau zu begehren.« Darauf fragten sie: »wie weit ist dein Reich von hier?« und er antwortete: »für mich ist es fünf Tage, für euch fünf Jahre weit bis dorthin.« Da riefen die beiden älteren Brüder: »wir geben unsere Schwester nicht so weit weg, denn wenn sie einmal krank werden sollte, wie könnten wir dann zu ihr gehen und sie besuchen?« Der jüngste Bruder aber sagte gar nichts, sondern nahm seine älteste Schwester bei der Hand und führte sie dem Löwen zu, indem er zu ihr sprach: »du mußt dahin gehen, wohin es dein Schicksal bestimmt hat«, und nachdem er sie geküßt hatte, übergab er sie dem Löwen, und dieser nahm sie sogleich und zog mit ihr ab.
Tags darauf kam der Tiger und klopfte an die Türe. Da fragten sie ihn, was sein Begehren sei, und er antwortete: »ich will eure mittlere Schwester zur Frau.« Als sie ihn darauf fragten, wie weit sein Reich von hier sei, antwortete er: »für mich ist es zehn Tage, für euch zehn Jahre weit bis dorthin.« Da riefen die älteren Brüder: »wir geben unsere Schwester nicht so weit weg«; der jüngste aber machte eben so wenig Umstände als das erste Mal, nahm seine Schwester bei der Hand und führte sie dem Tiger zu, der sogleich mit ihr abzog.
Tags darauf kam der Adler und klopfte an die Türe, und als sie ihn fragten, wer er sei, antwortete er: »ich bin der Adler und kam hierher, um mir eure jüngste Schwester zur Frau zu holen.« Da fragten sie ihn, wie weit sein Reich von hier sei, und er erwiderte: »für mich funfzehn Tage, für euch funfzehn Jahre.« Da riefen die beiden ältesten Brüder: »nein, wir geben das Mädchen nicht so weit weg, denn die älteste haben wir fünf und die mittlere zehn Jahre weit vergeben, und nun soll die jüngste gar funfzehn Jahre weit weg von hier, nein daraus wird nichts!« – Der jüngste Bruder aber sprach kein Wort, sondern nahm seine Schwester bei der Hand und führte sie dem Adler zu; der nahm sie sogleich in seine Fänge und flog mit ihr weg.
Nachdem nun die drei Mädchen vergeben waren, heirateten auch die Brüder, zuerst der älteste und dann der mittlere, und als dessen Hochzeit vorüber war, da ging der jüngste zu dem krystallenen Gemache, öffnete es und wollte die Elfin herausholen. Kaum aber hatte er die Türe geöffnet, so wischte die Elfin heraus und rief ihm zu: »wenn du mich finden willst, so laß dir eine eiserne Krücke und eiserne Schuhe machen, und komme zu den Ilinen Bilinen Alamalakusen, mit den Marmorbergen und den Krystallfeldern«, und als sie das gesagt hatte, verschwand sie vor seinen Blicken.
Der Jüngste ließ sich darauf eine eiserne Krücke und eiserne Schuhe machen, und zog aus, um sie aufzusuchen. Nachdem er fünf Jahre weit gegangen war, kam er zu dem Hause seiner ältesten Schwester und setzte sich auf den Sitzstein vor der Türe, um sich auszuruhen.
Da kam die Magd mit dem Handbecher ihrer Frau heraus, um ihn mit frischem Wasser von der Quelle zu füllen, und er verlangte, daß sie ihn daraus trinken lassen sollte. Anfangs verweigerte dies die Magd, als er sie aber sehr bat, da ließ sie ihn trinken, und indem er trank, warf er seinen Fingerring in den Becher.
Die Magd brachte darauf den Becher ihrer Frau und diese erkannte an dem Ringe, daß ihr Bruder vor der Türe sei, und fragte die Magd, wem sie aus ihrem Becher zu trinken gegeben habe; diese aber leugnete anfangs, und erst als ihr die Frau Mut zugesprochen, bekannte sie, daß ein Reisender auf dem Sitzsteine vor der Türe gesessen und zu trinken verlangt habe, weil er sehr durstig sei, und daß sie ihn daher aus dem Becher habe trinken lassen. Darauf sprach die Frau: »gehe schnell hin und hole ihn«, und als er kam, erkannte ihn seine Schwester sogleich und küßte und herzte ihn. Darauf wollte sie wissen, wie er hierher geraten sei, und er erzählte ihr seine Schicksale.
Wie sie so mit einander sprachen, hörte die Schwester, daß der Löwe nach Hause komme, und rief: »nun muß ich dich verstecken, denn sonst frißt er dich.« Darauf gab sie ihm eine Ohrfeige, verwandelte ihn damit in einen Besen und stellte ihn hinter die Türe. So wie der Löwe ins Zimmer trat, schnupperte er darin herum und rief: »es riecht mir nach Königsblut.« Darauf sprach seine Frau: »du gehst auf des Königs Straße, und darum riecht es dir nach Königsblut.« Als sie sich drauf zu Tisch setzten, da fragte die Frau den Löwen: »wenn mein ältester Bruder käme, was würdest du mit ihm anfangen?« – »Ich würde ihn zerreißen.« – »Wenn aber mein zweiter Bruder käme?« – »Den würde ich in lauter kleine Kochstücke zerreißen.« – »Wenn aber der jüngste käme?« – »Den würde ich auf die Augen küssen.« – »Nun der ist wirklich gekommen.« – Da rief der Löwe: »und den versteckst du vor mir!« Jetzt holte die Frau den Besen aus der Ecke, gab ihm einen Schlag und damit wurde wieder ihr Bruder daraus.
Der Löwe umarmte und küßte ihn und fragte, »warum er gekommen sei.« Darauf erzählte ihm der Prinz, wie es ihm gegangen, und fragte ihn, ob er wisse, wo die Ilinen Bilinen Alamalakusen mit den Marmorbergen und Krystallfeldern seien. Der Löwe aber versetzte: »ich weiß darüber keinen Bescheid, doch morgen wollen wir alle Tiere zusammen berufen, vielleicht weiß eines von ihnen Auskunft zu geben.« Am andern Morgen berief er alle Tiere zusammen, aber keines davon wußte etwas von jenem Lande.
Tags darauf nahm der Prinz Abschied von seiner ältesten Schwester und wanderte weiter, um die Ilinen Bilinen aufzusuchen, und nachdem er wiederum fünf Jahre gewandert war, kam er zu seiner zweiten Schwester. Auch dort setzte er sich auf den Sitzstein vor der Türe und wartete, bis die Magd mit dem Becher seiner Schwester zur Quelle ging, und als ihn diese daraus trinken ließ, warf er seinen Ring in den Becher und gab sich dadurch seiner Schwester zu erkennen. Diese aber ließ ihn sogleich zu sich führen, und nachdem sie sich bewillkommt hatten, erzählte er ihr, wie es ihm ergangen sei. Während er so sprach, hörte seine Schwester, daß der Tiger nach Hause komme, und verwandelte ihren Bruder durch einen Schlag in eine Kehrichtschaufel, damit ihm vom Tiger kein Leid geschehe.
Als der Tiger in die Stube trat, schnupperte er herum und rief: »es riecht wie lauter Königsblut«; seine Frau aber antwortete: »du wandelst auf des Königs Straße und darum riechst du Königsblut.« Drauf setzten sie sich zu Tisch, und über dem Essen fragte ihn seine Frau: »wenn mein ältester Bruder käme, was würdest du mit ihm anfangen?« – »Ich würde ihn zerreißen.« – »Wenn aber mein zweiter Bruder käme?« – »Den würde ich zu lauter Kochstücken zerreißen.« – »Wenn aber der jüngste käme?« – »Den würde ich wie meinen Bruder halten.« – »Nun der ist da, und ich versteckte ihn, weil ich fürchtete, daß du ihn fressen würdest.« Darauf gab sie der Kehrichtschaufel einen Schlag und verwandelte sie wieder in ihren Bruder. Der Tiger umarmte ihn, und nachdem er erfahren hatte, wie es seinem Schwager ergangen sei, versprach er, des andern Tags alle Tiere zusammenzurufen. Als sie aber alle versammelt waren und er sie nach den Ilinen Bilinen fragte, da wußte keines von ihnen Auskunft zu geben.
Tags darauf nahm der Prinz Abschied von seiner Schwester und wanderte weiter, um nach den Ilinen Bilinen zu suchen. Nachdem er wieder fünf Jahre lang gewandert war, kam er zu der Wohnung seiner jüngsten Schwester und setzte sich auf den Sitzstein, bis die Magd mit ihrem Wasserbecher zur Quelle ging, und als ihn diese daraus trinken ließ, warf er seinen Ring hinein. Daran erkannte seine Schwester, daß er gekommen sei. Sie ließ ihn sogleich zu sich rufen, und während sie mit einander sprachen, kam auch der Adler herzu und fragte ihn, »warum er bis hierher gewandert sei.« Darauf erzählte ihm der Prinz alle seine Leiden und fragte ihn, »ob er wisse, wo die Ilinen Bilinen lägen.« Der Adler versetzte: »das weiß ich nicht, aber morgen früh will ich alle Vögel zusammenrufen, von denen kann vielleicht irgend einer Auskunft geben.«
Am andern Morgen hielt der Adler eine große Versammlung von allen Vögeln und fragte sie, »ob sie wüßten, wo die Ilinen Bilinen Alamalakusen mit den Marmorfelsen und den Krystallfeldern wären.« Darüber wußte keiner Bescheid zu geben, doch fiel es einem ein, daß ein lahmer Habicht nicht zur Versammlung gekommen sei, und daß dieser vielleicht Auskunft geben könne. Da ließ der Adler auch diesen rufen, und als er gekommen war, sagte er, daß er wisse, wo die Ilinen Bilinen wären. Der Adler befahl ihm nun, seinen Schwager dahin zu führen. Sie mußten noch lange wandern, bevor sie hingelangten. Als sie aber dort ankamen, da waren auch die eisernen Schuhe des Prinzen durchgelaufen. Hier endlich fand er seine Frau, die mit andern Elfinnen zusammen lebte, aber sie folgte ihm nun willig in sein Reich, und als sie dort angekommen waren, hielt er seine Hochzeit mit ihr. Ich war nicht dabei und darum brauchst du es auch nicht zu glauben.

[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]

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