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Keyx und Halkyone

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Halkyone, die schöne Tochter des Windgottes Ailos hatte König Keyx, den Sohn des Morgensterns, geheiratet. Beide lebten erst seit kurzem in zärtlichem Ehebund miteinander. So glücklich war beider Liebe und so innig das Verhältnis, daß Halkyone sich und ihren Gemahl Hera und Zeus nannte, sich mit dem Götterpaar verglich. Das jedoch erzürnte die beiden obersten Götter und so beschlossen diese, den menschlichen Übermut, auch wenn er aus übergroßer Liebe entsprungen war, zu strafen. Durch furchterregende Ereignisse geschreckt, wollte Keyx zum Orakel fahren, um vom Gott die Zukunft zu erfahren. Da der Weg über das Gebirge von gefährlichen Räuberbanden umlagert war, entschloß er sich zur Reise über das Meer. Als nun der junge Gemahl seiner geliebten Halkyone seine Absicht mitteilte, da wurde sie blaß. Schauder ergriff sie und Tränen rollten ihr aus den Augen. Angst ergriff sie, ihren über alles geliebte Gemahl zu verlieren; nie wollte sie von ihm getrennt sein, eher wollte sie mit ihm die gefährliche Seereise unternehmen. Doch Keyx wollte seine Gattin nicht dieser Gefahr aussetzen und tröstete sie, er werde zurückkehren, noch ehe der Mond sich zweimal erneuert habe. Schweren Herzens und voller düsterer Ahnungen gab weinend und schluchzend Halkyone nach und ergab sich ihrem Schicksal. Sogleich ließ Keyx ein Schiff zurüsten und alles zur Abfahrt bereitmachen. Der Tag des Abschiednehmens war gekommen, und unter heißen Tränen schlang Halkyone noch einmal ihre Arme um den Nacken Keyx, bis er sich schließlich voller Kummer im Herzen, den Armen seiner Frau entwand und ihr ein letztes Lebewohl zurief.Langsam entfernte sich das Schiff vom Ufer, von den Armen der Ruderer vorwärtsgetrieben, und Keyx stand allein und einsam auf Deck, und winkte seiner jungen Frau zu. Ihre Augen trafen sich noch einmal, und schon entfernte sich das Schiff langsam auf die hohe See. Halkyone aber blieb mit feuchten Augen am Strand zurück und verfolgte es, bis das weiße Segel am Horizont entschwunden war. Darauf eilte sie todunglücklich zu ihrem Heim, warf sich auf ihr Lager und weinte bitterlich.

Bei ruhiger See trieben die Ruderer das Schiff weit ins offene Meer. Aber als sie fast die Hälfte ihrer Reisestrecke zurückgelegt hatten, da begann sich der Himmel zu verfinstern, schwere Wolken zogen auf, die Wogen schäumten und ein tobender Sturm brach los. Schnell befahl der Kapitän des Schiffes, die Rahen abzunehmen und die Segel an die Stangen zu binden; doch das Brausen der Wellen übertönte seine Worte; die ganze Mannschaft lief ziellos umher, keiner wußte mehr, was der tun sollte. Die einen schöpften fleißig Wasser aus dem Boot, die anderen rafften die Segel, rissen verwirrt an den Rahen der Segelstangen; laut schrie die Mannschaft, hilflos waren sie den Gewalten des Sturmes ausgeliefert, als die Taue schon knarrten und die Wellen über dem Fahrzeug zusammenschlugen. Hoch hob sich die wütende Flut, die Gischt bespritzte die schwarzen Wolken, die tief herabhingen. Weit schon klaffte der Bug des Schiffes auf, und die schwarze Flut wälzte sich todbringend durch die Planken.
Schwer prasselte nun auch der Regen aus dem finsteren Himmel, und zuckende Blitze erhellten die Nacht. Stärker und stärker stürmte die Flut über das kleine Schiff, kaum konnte es sich ihrer erwehren. In tiefer Angst und Bedrängnis zitterte die Mannschaft und harrte ihres sicheren Tods, aller Mut war gesunken. Keyx steht an Deck und denkt nur noch an Halkyone, nur ihren Namen ruft er verzweifelt und doch froh, daß sie in dieser Stunde des Todes nicht bei ihm ist und mit ihm aus dem Leben scheiden muß. Schon zerbricht der Mastbaum und reißt mit sich das ganze Schiff in die tosende Tiefe des Meeres; umsonst ruft Keyx seinen Schwiegervater, den Windgott um Hilfe an, umsonst seinen Vater, den Morgenstern. Unter der schwarzen Flut schon versunken, ist sein letztes Wort aber Halkyone. „Halkyone“ murmelt er ertrinkend, und schon wölbt sich über ihm das Meer zusammen und zieht ihn in das schwarze, feuchte Grab.

Traurig saß indessen Halkyone am häuslichen Feuer und zählte Tage und Nächte, bis Keyx zurückkehren sollte. Als nun die Zeit nahte, und der Mond daran war, ein zweites Mal zurückzukehren, da legte Halkyone freudig ihre schönsten Gewänder an und machte sich bereit für ihren Liebsten. Voller Sehnsucht flehte sie die Göttin Hera an, die Beschützerin von Ehe und Treue, und bat sie inniglich, ihren Keyx doch gesund zurückkehren zu lassen. Ob solchen Beweises der Liebe und voller Mitleid, mit der erwartungsfrohen Halkyone, die doch in ihrer Hoffnung so getäuscht werden sollte, hatte Hera Erbarmen und schickte Halkyone einen göttlichen Traum. Sie ließ den Traumgott Morpheus rufen und ihn zu der unglücklichen Gattin schicken. Morpheus flog mit leisen Schwingen zum Hause der Halkyone, legte seine Flügel ab und verwandelte sich in die Gestalt des Keyx. Unruhig schlafend und ungeduldig die Heimkehr ihres Keyx erwartend, lag die schöne Halkyone auf ihrem Lager. Da erschien ihr also im Traum ihr Gatte, von Wasser die Haare und Gewänder triefend, und sprach: „Geliebte, erkennst du mich, Keyx deinen Gemahl? Er ist nicht mehr, der Tod hat ihn hinweggerafft; warte nicht mehr auf meine Rückkehr; betrauere mich und beweine mich, damit ich nicht unbeweint ins Reich der Schatten trete“, und schon verschwand er. Seufzend breitete Halkyone im Schlaf ihre Arme aus, um den dahinschwindenden Keyx: „Laß uns zusammen gehen“, ruft sie ihm nach, doch schon ist er entschwunden.
Durch ihre eigene Stimme wird sie da aus dem Schlaf geweckt und ruft nach ihrer Amme. Nicht mehr leben, folgen will sie ihm. Nichts mehr ist ihr das Licht der Sonne wert, wenn der vertraute Blick ihres Keyx fehlt.

Morgen war es geworden, und traurig ging Halkyone aus ihrem Haus an das Ufer, an dem Keyx ihr sein letztes Lebewohl zugerufen hatte. Und als sie ihre Augen schweifen ließ und an den Abschied von Keyx dachte, da sah sie plötzlich in einiger Entfernung so etwas wie einen menschlichen Körper, der von der Brandung nach und nach ans Ufer getrieben wurde. Voller Mitleid mit dem Menschen, die wie ihr Keyx Schiffbruch erlitten hatten, näherte sie sich dem Körper, der von Wellen umspült wurde. Doch was musste sie erkennen! „Er ist’s!“ rief sie und streckte zitternd die Hände nach dem Körper aus. So war durch ein Wunder der Körper Keyx zu ihr zurückgekehrt. Noch im Tod war die Sehnsucht Keyx so groß und stark, dass er zu seiner Gattin zurückkehren musste, um auf ewig mit ihr vereint zu sein. Kaum war jedoch Halkyone zu ihrem Keyx geeilt, um ihn mit den Händen zu berühren, da wuchsen ihr Flügel und sie streifte mit ihren Schwingen die Oberfläche des Meeres. Und als sie den stummen Leib mit ihrem Gefieder berührte und ihn umfangen wollte, da verwandelte sich dieser zu einem Vogel. Eisvögel wurden sie beide und bewahren sich in Liebe vereint bis heute die Treue.

Sage aus Griechenland

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